Tag 45 – 47: Nordkapp – Vuottasjávri

​Tag 45: Nordkapp – Muotkejávri

Dann endlich, um kurz vor zwei Uhr nachts, brechen wir auf nach Honningsvåg. Der starke Gegenwind des Tages hat zum Glück komplett aufgehört, so kommen wir zügig voran.

Die Landschaft ist durch die tiefstehende Sonne in ein Art Dämmer-Licht gehüllt, und bis auf ein paar Rentiere liegt eine komplette Stille über der Insel, die einen mit Ehrfurcht erfüllt.

So spät in der Nacht überholen uns nur 3 Autos, sowie ein paar Motorräder, auf der ganzen Strecke. So nutzen wir die Gelegenheit um uns gegenseitig beim Fahren zu fotografieren, kosten die volle Fahrbahnbreite aus und müssen uns mal nicht nur auf den Verkehr konzentrieren.

Ich genieße es, die Landschaft um mich rum zu sehen und fotografieren zu können, lag dies auf der Hochfahrt doch im Schlechtwetter-Schleier gefangen.

Dadurch, dass Klaus neben mir fährt, kriege ich das erste Mal auf dieser Tour Bilder von mir beim Fahren, natürlich revanchiere ich mich bei Klaus auch dafür:

Alle © Klaus

Auf der steilsten und längsten Abfahrt schaffe ich es, endlich, endlich den Geschwindigkeitsrekord aus Südschweden einzustellen. Muss zwar treten wie ein Bekloppter, aber am Ende zeigt der Tacho 68,99km/h und das GPS 67,7km/h. Auch sonst genieße ich es, den ganzen Hügel lang mit über 50 Stundenkilometer hinab zu brausen, wo ich auf dem Herweg doch eine halbe Stunde lang mich so arg schinden musste.

Abfahrt von unten gesehen. 

Zweite Abfahrt und Campingplatz. 

Campingplatz

Als wir an dem Campingplatz vorbeikommen, wo Klaus und ich vor 2 Nächten die Hütte gemietet hatten, kommt uns beide eine Idee: Keine 5 Minuten später stehen wir in der Gemeinschaftsküche und kochen einen gigantischen Topf Nudeln. Nudel-Abendessen um 4 Uhr in der Früh hatte ich schon lange nicht mehr und hätte nicht erwartet, dass auf Tour zu erleben. Aber da wir eh Zeit überbrücken müssen und die Abfahrt draußen so kalt war, dass ich wie Espenlaub zittere, kommt es uns sehr gelegen.

Fische zur Trocknung im Hafen

Die restlichen 8 Kilometer nach Honningsvåg sind dann auch schnell geschafft und so stehen wir um kurz vor 5 nach 34 Kilometern Rückfahrt am Kai und warten auf die Fähre.

Diese kommt gegen 6, ein riesiges Kreuzfahrtschiff der Hurtigruten-Linie.

Und im Gegensatz zu den bisher genutzten Autofähren ist dies wirklich Luxus pur. 9 Stockwerke, Glas-Aufzug im Foyer, dicke Teppiche und sogar einen Jacuzzi.

Ich hingegen mache es mir auf einem Loungestuhl bequem und nachdem ich mehrmals überprüft habe, dass mein Wecker an ist, schaffe ich es sogar eine Stunde relativ unentspannt zu schlafen, Schrecke ich doch dauernd auf und befürchte meinen Ausstieg  verschlafen zu haben.

Nach zwei Stunden zeichnet sich in den Panoramafenstern das Dorf Havøysund ab, wo ich an Land gehen werde.

 Deshalb ist es auch an der Zeit, sich von Klaus zu verabschieden, da dieser 20 Stunden lang auf der Fähre bleiben wird, bis Tromsø erreicht ist.
Klaus, vielen Dank für die Zeit zusammen.   Die spannenden Gespräche, das gemeinsame Erkunden des Nordkapps und deine großzügige Spenden, was meinen Blutzuckerwert angehen, dafür danke ich dir. Der “Drive-By-Softcake” am letzten Aufstieg bleibt unvergessen! Hoffe du kommst gut nach Hause! Die 3 Tage zusammen waren eine tolle Abwechslung zum alleine fahren.

Havøysund bei Traumwetter 

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Dieses Foto von mir hat Klaus geschossen, der an Bord verblieben ist. Plötzlich wieder allein unterwegs… © Klaus

So fühlt es sich in Havøysund selbst nach der kurzen Zeit zu zweit leicht seltsam an, wieder auf mich allein gestellt zu sein. Ich fahre erstmal zum Supermarkt (ihr erinnert euch, alle Vorräte alle) und muss dort 40 Minuten davor warten, bis dieser endlich um 9 aufmacht. So ausgestattet geht es nun auf die Panoramastraße 889, die mich von Havøysund zurück nach Olderfjord bringen soll.

Dies war auch der Grund für die Fährfahrt, ich muss so nicht erneut durch den Nordkapptunnel und keine 130km auf einer Strecke zurücklegen, die ich bereits zum Kapp gefahren bin.

In Havøysund zeigt sich die Sonne und zum ersten Mal seit einer Woche fahre ich im T-shirt. Kurz hinter der Ortschaft zieht ein Pass auf 250m Höhe, dieser lässt sich aber gut bewältigen, ebenso der nächste nach 10 Kilometern.

Der erste Anstieg von unten…

Und oben.

Zweiter Anstieg voraus! 

Ansonsten zeigt sich die Insel von ihrer schönsten Seite, wunderbare Gesteinsformationen konkurrieren mit den malerischen Fjorden und den mächtigen Bergen um die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Das Meer ist traumhaft blau. 

Auch die Tierwelt weiß zu überzeugen, so sehe ich unzählige Rentiere, wobei es mir die Jungtiere, die so tapsig sind, besonders angetan haben.

Auch ein Rentier im Meer ist mal was neues.

Ein Fuchs mit Fisch oder Vogel als Beute im Maul entdecke ich am Straßenrand. Dieser lässt daraufhin die Beute fallen und flüchtet blitzschnell die Bergflanke hinauf.

Suchbild mit Fuchs.

Mittagessen mache ich nach 50 Kilometern auf der Insel und über 80km Tagespensum auf einem schönen Sandstrand, direkt am Wegesrand. Da ich ja so früh unterwegs war, nehme ich mir nun viel Zeit, esse, lese und halte auch ein kurzes Schläfchen in der Wiese liegend, Sonne sei Dank.

Mittagspause


Nach eineinhalb Stunden geht es weiter. Bis auf die zwei Pässe ist die Insel bemerkenswert flach, verbunden mit einem leichten Rückenwind schiebe ich mich effizient die Straße lang. Die Blicke fesseln mich immer noch, auch das türkise Meer ist eine Wucht!

Die letzten 15 Kilometer sind dann die Landverbinung zum nächsten Fjord, es geht leicht bergauf und ein fieser Gegenwind zieht auf. Aber nach so einem Tag kann ich das ertragen und strampel fröhlich vor mich hin.

Blick auf die Landverbindung 

Nur der Wildcamping Spot ist heute leider nur drittklassig.

Nachdem am anvisierten See entweder Sumpf oder Ferienhäuser-Bebauung zu finden war, fuhr ich noch deutlich weiter und hab dann einen etwas kargen Platz, fernab des Wassers. Aber nachdem ich heute nur noch kochen und schlafen will, ist das verschmerzbar.

Insgesamt habe ich heute 116 Kilometer zurückgelegt, und obwohl ich zur Zeit des Blogschreibens 36 Stunden wach bin, fühle ich mich erstaunlich gut. Die zwei kurzen Päuschen auf der Fähre und beim Mittagessen waren zu kurz um wirklich einen Effekt zu haben, deswegen bin ich umso überraschter.

Die Panoramastraße 889 war wunderschön, eine absolute Empfehlung für alle Leute, die in die selbe Richtung unterwegs sind. Abends schreckt mich noch ein kleiner, kurzer Regenschauer auf, ansonsten bleibt es aber klar und sonnig. Angesagt ist das selbe Wetter für Morgen, mal sehen

Tag 46: Muotkejávri – Lassevarri

Tja, manchmal ist Sonne auch zuviel des Guten. Obwohl ich gehofft habe, heute ein wenig ausschlafen zu können, knallt die Sonne so heftig aufs Zelt, dass ich ab halb 7 den Schlafsack von mir werfe, mich der Klamotten entledige und die Tür zum Vorzelt aufmache. Leider bedeutet dass nur, dass mir jetzt ein wenig Kühler ist, aber 20 Mücken sich an mir laben.

So stehe ich schon um 7 auf, frühstücke im Zelt und mach mich dann auf den Weg. Nach 8 Kilometern erreiche ich Olderfjord.

Hier kam ich letztes Mal von Alta aus angefahren, nun nehme ich aber die andere Straße, weiter nach Lakselv.

Obwohl es recht windig ist, komme ich gut voran. Vorallem genieße ich es, den zweiten Tag in Folge in kurzer Radhose und T-Shirt unterwegs zu sein. Bis Lakselv geht es den gigantischen Porsanger-Fjord entlang.

Unterwegs treffe ich einen deutschen Rentner aus Oranienburg, der in die Gegenrichtung unterwegs ist und zum Kapp will. Wir tauschen Erfahrungen aus, und er warnt mich vor riesigen Aufstiegen hinter Lakselv und vor den Mücken.

Kaum 5 Kilometer später beginnt die Quälerei des Tages. Der Wind hat sich ein wenig verschoben und kommt nun nicht mehr von der Seite, sondern direkt von Vorn. Und da er sich auf 30km/h verstärkt hat, muss ich richtig Kämpfen. 25 Kilometer geht das so, teilweise auf ebener Straße im 3. Gang bei 7km/h strampel ich gegen die Naturgewalten an. Es macht zu dem Zeitpunkt überhaupt keinen Spaß, und Lakselv will einfach nicht näher kommen.

Als ich es dann endlich geschafft habe, merke ich, dass selbst in diesem größeren Ort am Sonntag alle Geschäfte zu haben, anders als in Schweden. So verbringe ich meine Pause eine Stunde lang in der örtlichen Tankstelle, esse mittelmäßige Pommes und hoffe das der Wind sich ein wenig abschwächt.

Als ich mich wieder aufs Rad schwinge ist dieser tatsächlich nicht mehr ganz so fies, so fahre ich weiter auf der E6, immer Richtung Süden.

Ab nach Karasjok

Ein allerletzter Blick aufs Meer, hat es mich doch jetzt zwei Wochen begleitet. Von nun an geht die Reise dauerhaft ins Inland, Meer sehe ich erst wieder vom Flieger. 

Längere Zeit geht es durch militärisches Übungsgebiet, die Kampfeinheiten scheinen aber ihr Wochenende zu genießen und ich bekomme niemanden zu Gesicht.

Am Campingplatz in Skoganvarri entscheide ich mich trotz kurzem Regenguss noch weiter zu fahren.

Hoch geht’s! 

Nun kommt auch der erste wirklich knackige Anstieg des Tages, allerdings längst nicht so schlimm wie vom Oranienburger beschrieben. (Er tut mir dann ein wenig Leid, muss er doch durch den Tunnel und die steilen Anstiege entlang zum Kapp). Allerdings merke ich, dass die zahlreichen Kilometer gegen den Wind dort ordentlich Kraft gekostet haben, die Beine fühlen sich gummiartig an, und ich muss beim Aufstieg mehr Pausen machen als sonst.

Blick zurück, vom Fluss bin ich gestartet.

Oben angekommen finde ich eine Raststätte, wo ich nach 110 Kilometer auch das Zelt aufschlagen werde. Allerdings hat der Oranienburger bei seiner zweiten Warnung nicht gelogen. Sofort werde ich unablässig von einem Schwarm Mücken attackiert. Also bewaffne ich mich mit der Chemiekeule und baue dann erst das Zelt auf. In der Zeit, die es braucht bis der Schlafsack und Co. Ins Innenzelt geräumt sind, haben bereits 30 Insekten den Weg ins Zeltinnere gefunden. Ich verbringe 5 Minuten damit, möglichst viele Umzubringen, dann endlich gönne ich mir eine Stunde Schlaf.

Beweisbild des Gewaltausbruchs 

Das Zelt zum Kochen zu verlassen kostet Überwindung, wieder nutze ich die chemische Abwehr um in Ruhe meine Pasta zubereiten zu können. Und auch wenn ich bei der Armee gegen mich überhaupt keine Lust darauf habe, muss ich abends noch mal im Fluss mich abwaschen. Schließlich war die letzte Dusche am Mittwoch, 4 Tage ohne sind zu viel!

Auch wenn ich mich wie verrückt beeile, und nur 3 Minuten im Knietiefen Wasser bin, als ich mit der Hand über meinen Rücken fahre, töte ich dabei mindestens 10 Mücken, manche sogar schon mit ordentlich Blut im Magen.

Also schnell wieder zurück ins Zelt, die eingedrungenen Insekten zerlegen und dann schwöre ich mir, heute nicht mehr das Zelt zu verlassen.

Diese Mücken Begegnung zeigt mir, wie viel Glück ich auf dem Weg hoch durch Schweden hatte, scheinbar waren sie da noch nicht in den Zahlen geschlüpft wie jetzt. Die nächsten Tage machen mir ein wenig Sorgen, aber im schlimmsten Fall werde ich mich halt öfters einsprühen müssen. Nur bei den Pausen nerven die Viecher wirklich extremst, da kann man sich auf nichts mehr konzentrieren und will einfach nur ins Innenzelt und den Reißverschluss zu machen.

Tag 47 Lassevarri – Vuottasjávri

Heute schlafe ich bis fast 8 Uhr aus, das Zelt ist auch so positioniert, dass die Sonne nicht volle Kanne gegen die Zeltwand scheint.

Nachdem die Mücken immer noch so zahlreich draußen herumschwirren, nehme ich mein Frühstück im Innenzelt zu mir, und packe alles so weit es geht, ohne den Reißverschluss öffnen zu müssen.

Die nächsten 10 Minuten sind eine verzweifelte Mischung aus Ziehen, Stopfen, Fuchteln, Schlagen und Fluchen, während ich alles so schnell wie möglich verstaue, das Zelt zerlege und alles auf das Rad packe, während die Mücken mich als Frühstück auserkoren haben.

Also, nicht verweilen, sondern schnellstmöglich wieder auf die Straße. Zuerst wartet noch ein weiterer Aufstieg auf mich, diesen bringe ich aber schnell hinter mich. Leider pfeift heute der Wind erneut in Gegenrichtung über mich hinweg.

Die 37 Kilometer bis Karasjok werden so zu einem zweieinhalb stündigen Kampf gegen die Elemente. Generell schätze ich, dass ich bei so starkem Wind doppelt so viel Energie verbrauche, als ohne. Dazu kommt die Frustration, nicht vom Fleck zu kommen.

Einzigst die letzten 4 Kilometer machen Spaß, da geht es steil abwärts nach Karasjok. Im Ort angekommen plünde ich den örtlichen Rema1000 Supermarkt und sitze lange im Eingangsbereich, ohne mich aufraffen zu können.

Schließlich aber geht es weiter, nun bin ich von der E6 abgebogen, welche weiter gen Osten nach Kirkenes, nah der russischen Grenze, verläuft. Ich hingegen fahre auf der 92 nach Kautokeino.

Jetzt bin ich wunderbar 90° abgebogen von der vorherigen Straße, allerdings dachte sich der Wind wohl “hey, warum immer nur nach Norden pusten, ich will auch mal in östliche Richtung wehen…” Und so habe ich ERNEUT Gegenwind. Über ein laues Lüftchen würde ich mich nicht beschweren, aber mit 20-25km/h artet dieser Wind wirklich in einen Kraftakt aus.

Es geht am Fluss entlang nach Westen.

Die Landschaft erinnert an meine lange Fahrt auf der E45 durch Schweden, spektakuläre Blicke auf Gipfel und das Meer sind somit Geschichte. Einzig die rollenden Hügel und die vielen Grünschattierungen wissen noch zu begeistern, ansonsten ist es aber schon recht eintönig.

Ich gebe auf bei den Namen. 

Dank Musik, Hörbuch und viel Willensstärke quäle ich mich weitere 30 Kilometer bis zu einem Rastplatz, wo ich in Ruhe meine Mittagspause abhalten will.

Vor dem Essen noch ein letzter Meilenstein, diesmal habe ich es aber verhauen mit dem anhalten. 

Kaum sitze ich da, lässt der Wind nach, genau in dem Moment wo ich seinen einzigen Vorteil nutzen könnte: Bei starkem Wind fliegen die Mücken nicht. Und so verbringe ich die nächste Stunde mit Essen, lesen und verzweifelten Um-Mich-Schlagen. Es ist wirklich zu nervig!

Scheinbar bin ich nicht der einzige, der das Mittagessen genießt. Einziger Unterschied, für mich war es nicht die letzte Mahlzeit.

Da ich mich überhaupt nicht entspannen kann, entscheide ich mich weiter zu fahren. Nach 10 Kilometern kommt ein Pass mit 150 Höhenmetern, diesen schaffe ich aber ohne größere Probleme. Brauche kaum zu erwähnen, dass der Wind nach der Pause wieder auffrischte, oder?

In der Ferne ist ein deutlicher Wetterumschwung erkennbar, ich fahre genau auf die Regenwand zu. Rechtzeitig schmeiße ich mich in die richtigen Klamotten und fahr dann stoisch in den Regen. Wenigstens fliegen so keine Mücken.

Nach 101 Kilometern sehe ich eine Halbinsel, welche sich mit Sandstrand in den See erstreckt. Auch wenn ich eigentlich noch vor hatte 10 zusätzliche Kilometer anzuhängen, diese Chance nehme ich wahr und biege auf den Feldweg ab.

Kaum bin ich bereit das Zelt aufzubauen, lässt sowohl der Wind wie auch der Regen schlagartig nach. Während zweiteres sehr wünschenswert ist, bedeutet ersteres, dass ich unverzüglich in einen Mückenschwarm eingehüllt bin, der das Camping gestern Abend zu einer wünschenswerten Erinnerung aus der Vergangenheit verwandelt.

Dick eingepackt lassen es sich die Mücken nicht nehmen, auch nur meine Hände und mein Gesicht zu attackieren. Allein beim Zeltaufbau esse ich unabsichtlich 3 oder 4 von den dummen Viechern. Zudem attackieren sie jede freie Stelle, sei das nun die Ohrmuschel, das Nasenloch, was auch immer. So was von unangenehm. Beinahe mit Kopfsprung flüchte ich ins Zelt und verbringe die nächsten 10 Minuten mit einem Massenmord an der hereingelangten Insektenschar. Dann erst kann ich mir erlauben, mich endlich zu entspannen.

Heute Abend koche ich erstmalig im Innenzelt. Zwar nicht ganz ungefährlich, aber außer für einmal Pinkeln gehen, will ich es mit allen Mitteln vermeiden, den Reißverschluss zum Außenzelt noch einmal öffnen zu müssen.

Entschuldigt bitte, wenn das gerade alles ein wenig negativ klingt, ihr seht: Im Moment macht es nicht so großen Spaß. Weder der Wind, der mir Energie klaut ohne Ende, noch die Mücken, die jeden Stillstand, jede Möglichkeit für Erholung in absoluten Horror verwandeln, helfen wirklich dabei, die Situation gerade zu genießen. So denke ich mit Freude an die Erlebnisse am Nordkapp zurück und bin froh, dass es bis Kiruna nicht mehr allzu weit ist.
Ich hoffe mal vorsichtig, dass die nächsten Tage schöner werden.

Tag 44: Ruhetag am Nordkapp

Schlafen kann ich nur bis 9 Uhr. Schon beim Aufwachen merke ich den Regenschauer auf dem Zelt, ebenso ist es extrem windig. Aber die Helligkeit bestätigt schon, heute wird die Sonne sich am Kapp zeigen.

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© Klaus

So entspinnt sich ein sehr gemütlicher Tag: Klaus und ich verbringen die Zeit im Zelt oder in der Nordkapp-Halle, ich lese viel und genieße immer wieder die Ausblicke über das Kapp.

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© Klaus




Nur unsere Essenssituation spitzt sich langsam zu, wir beide hätten nicht gedacht, dass man sich am Kapp nicht mal Brot und Aufstrich kaufen kann. So gehen unsere Vorräte zu Neige und wir haben beide dauerhaft Hunger. Klaus lädt mich auf eine Waffel mit Marmelade ein, sehr lecker, macht leider nur nicht richtig satt. So wird noch mal ordentlich Geld locker gemacht für einen Wrap, dieser sättigt wenigstens ein wenig.

Hier startet der Wanderweg E1, 7000km bis Italien! 
Ansonsten gibt es heute viele Gespräche mit anderen Rad-Ankömmlingen (Die Schweizerinnen Rahel und Martina kommen etwa heute an) und auch unbeteiligte sprechen uns häufig an, wenn wir neben den Rädern stehen.

Gemeinsam mit Klaus erkunde ich das Nordkapp nun im Sonnenschein:


Die Kunstinstallation “Children of the World”, von Kindern kreiert.


Von einer Nachbarklippe hat man einen guten Blick auf das Kapp. 
Blick auf den noch nördlicheren Knivsjkellodden. 

Ansonsten sind heute wahnsinnig viele Personen vor Ort, manchmal ist die ganze Eingangshalle gerammelt voll.


Auch der Blick auf den Parkplatz ist interessant, dies ist die erste von vier Reihen. Geschätzte 50% der Autos kommen aus Deutschland.
Die stehen hier in 4 Reihen! 
Nachmittags versuche ich mich ein wenig ins Zelt zu legen, und zu schlafen. Leider hat der Wind 90° gedreht und trifft nun die Zelte volle Breitseite. So bin ich zwischendrin damit beschäftigt, die Zeltstangen mit den Beinen abzustützen, trotzdem verbiegt sich das Zelt stark. Wir beschließen, dass es so keinen Sinn hat und bauen die Zelte gegen 16 Uhr ab. Bin ich froh, dass wir zu zweit sind, bei den Windböen muss man extrem aufpassen, sonst liegt am Ende das Zelt am Nordpol!



Über die Ebene pfeift der Wind ordentlich drüber! 
So müssen wir uns jetzt keine Sorgen mehr über ein Gestängebruch der Zeltstangen machen (muss das Zelt ja noch min. 3 Wochen nutzen), haben allerdings keine Rückzugsmöglichkeit zum Schlafen, womit klar ist, dass wir durchmachen müssen.

Der Ruhetag am Kapp war eine super Idee. Vorallem das Wetter hat sich heute größtenteils gewandelt, die dunklen Nebelbänke, die gestern die Szenerie bestimmten, sind verschwunden. Zudem haben wir so Zeit das Kapp wirklich zu genießen, noch einmal den Kinofilm zum Kapp zu sehen, und die Landschaft auszukosten.




Abends/Nachts kommt immer öfters die Sonne imposant hinter den Wolken hervor!

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Mitternachtssonne am Kap © Klaus

Und als sich die ganzen Reisebusse gegen halb eins in der Nacht auf den Rückweg machen, ist es am Kapp schlagartig leer. Nur noch rund 50 Personen treiben sich draußen herum und genießen die neu gewonnene Stille und Entspannung.
Ich beobachte Klaus bei einem Multikopter-Flug um das Kapp um ein Uhr, hoffentlich sind die abenteuerlichen Aufnahmen etwas geworden.

NACHTRAG:
Klaus hat mir jetzt das Video vom Nordkapp zur Verfügung gestellt:

© Klaus

Anschließend schießen wir noch ein paar Portraits vor dem Wahrzeichen, Klaus klettert sogar in die Kugel!


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Der Angeber muss natürlich noch mal rauf 😉 © Klaus

So ist es nun Viertel vor zwei, der Wind hat nachgelassen, aber es ist bitterkalt. Zeit das nächste Abenteuer zu beginnen, welches ich im kommenden Blogpost beschreiben werde.

Tag 43: Grüße von 71°10’21” N. (Nordkapp) 

Der Tag beginnt regnerisch, so kosten Klaus und ich unsere gemieteten Hütte bis zur letzten Sekunde aus.

Luxus Frühstück

Der Morgen wird eh stressiger als geplant, da Klaus versucht seine Rückreise zu organisieren. So wird aus einem “ach, ich nehme die Fahrt nach Hause langsam in Angriff, ich will sie genießen und die Landschaft am Fenster vorbeiziehen sehen” schnell die Erkenntnis, dass dies deutlich komplizierter wird. Zwischendrin steht mal Fähre, Zug, Fähre, Zug zur Debatte. Und ob es jetzt die lange Fähre für 360€ bis Bodo wird, oder doch nur bis Tromsø.

Als sich schließlich herausstellt, dass der Zug bereits völlig ausgebucht ist, und die ganze Odyssee über 50 Stunden bis zur Fähre Oslo – Kiel dauern würde, nimmt Klaus zögerlich meinen Ratschlag an, doch mal nach einem Flug zu schauen. Und siehe da, weit günstiger und weniger Zeitintensiv. So bucht er nun einen Flug von Tromsø nach Oslo, fährt aber vom Nordkapp mit der selben Fähre wie ich, um nach Tromsø zu kommen. Damit ist klar, dass wir die nächsten Tage zusammen verbringen werden, was mich sehr freut.

Die ganze Buchung und Planung hat Zeit gekostet, so machen wir uns erst nach Mittag auf die letzten Kilometer.

Das Wetter ist leider im gestrigen Zustand verblieben, wenn überhaupt ist der Regen noch stärker geworden und die Temperatur sind noch weiter gefallen. Also Regenklamotten an und los!

(Dieser Abschnitt hat nicht viele Fotos. Es hat so stark geregnet, dass ich Rücksicht auf die Kamera genommen habe, und diese in der Lenkertasche blieb. Da wir aber den selben Weg zurückfahren, und dass angeblich bei Sonne, werde ich dort die Bilder einfügen.)

Direkt hinter dem Zeltplatz geht es an den ersten Aufstieg. Rund 240 Höhenmeter bei 9% Steigung warten darauf, mit viel ächzen und schwitzen erobert zu werden.

Endlose Aufstiege 

Dann geht hügelig weiter, bevor es zum zweiten, noch viel steileren Anstieg geht, der einfach nicht aufzuhören scheint. Nach jeder Kurve erwarte ich die Erlösung, nur um mit mehr Asphalt begrüßt zu werden, der sich in den Himmel windet.

Und wenn ich schreibe das Wetter war schlecht, dann meine ich RICHTIG SCHLECHT: Temperaturen pendeln zwischen 4-5°, der Regen kommt eiskalt angepeitscht, auch bedingt durch den 20 km/h Gegenwind.

Klaus und ich sind richtig am kämpfen. Zwar sind es nur 28 Kilometer zum Kapp, aber diese müssen wir uns wirklich verdienen. Ein Schlag ins Gesicht sind die letzten zwei Kilometer, hier nahmen wir beide an, endlich auf eine flache Strecke zu stoßen, nur um noch mal mit letzter Kraft klettern zu müssen! So lege ich auf 26 Kilometern heute etwa 800 Höhenmeter zurück, an den vergangenen Tagen wären so viele Höhenmeter auf 50-60 Kilometer Wegstrecke verteilt gewesen.

Heutige Strecke von Honningsvåg bis zum Nordkapp! 

Noch vorbei am Tickethäuschen (für unmotorisierte Besucher ist der Besuch kostenlos), vorbei am Hauptgebäude und am zum Wahrzeichen des Nordkapps.
Um etwa 16 Uhr erreiche ich den nördlichsten Punkt meiner Reise:

3699km in 43 Tagen, 212 Stunden im Sattel. Lege ich den 7. Gang als Bewertungsgrundlage an, haben meine Beine unglaubliche 1.131.000 Mal gekurbelt.

Endlich da!!! 

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© Klaus

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© Klaus

Auch wenn ich mich die vergangenen Tage gar nicht so übertrieben auf das Nordkapp gefreut habe, sondern es eher als Zwischenziel ansah, jetzt überwiegt die Freude hier zu sein, und endlose Ereignisse der vergangenen Wochen fluten mein Bewusstsein. Den letzten Berg bin ich nur hoch gekommen, weil ich versucht habe, mich an jede Übernachtungsstelle seit Tag 1 zu erinnern, samt der zugehörigen Umgebung. So war der Denkapparat beschäftigt, und konnte über die Schmerzen in den Beinen Hinweg getäuscht werden.

So viele Kilometer, so viele spannende Menschen, aufregende Tierbeobachtungen, wunderschöne Landschaften, schöne Zeltplätze und wechselhafte Wetterbedingungen. Ich bin unglaublich dankbar hier zu sein.

Nun aber ein paar Informationen zum Nordkapp, warum bin ich hier eigentlich hin?

Das Nordkapp wird als “der” nördlichste Punkt Europas gehandelt. Warum das Blödsinn ist, findet sich prägnant bei Wikipedia:

Entgegen der weit verbreiteten Auffassung und den Behauptungen der Tourismusbranche ist das Nordkap nicht der nördlichste Punkt Europas:

  1. Das Nordkap befindet sich nicht auf dem Festland, sondern auf einer diesem vorgelagerten Insel. Der nördlichste Punkt des Festlandes ist die Landzunge Kinnarodden(71° 08′ 01″ nördlicher Breite) auf der Nordkinnhalbinsel.
  2. Auch auf der Insel Magerøya, auf der auch das Nordkap liegt, befindet sich auf 71° 11′ 08″ nördlicher Breite ein noch 1400 Meter weiter nördlich gelegener Punkt, nämlich die westlich benachbarte Landzunge Knivskjellodden.
  3. Auch unter den Inseln, die zu Europa zählen, gibt es diverse, die sich nördlich des Nordkaps befinden. Diejenigen des Spitzbergen-Archipels und die des Franz-Josef-Lands mit Kap Fligely sind die nördlichsten.

Das Aufhebens über das Nordkapp läuft also auf eine simple Tatsache heraus und ist der Grund, weshalb auf dem Vorplatz dutzende Reisebusse und Endlos viele Camper stehen:

Das Nordkap ist seit dem Anschluss an das Straßennetz über die heutige Europastraße 69 im Jahr 1956 der nördlichste Punkt Europas, der auf Straßen vom europäischen Festland aus erreicht werden kann.

(Beide Zitate von Wikipedia 

Der Knivskjelloden wäre einen Abstecher wert, ist allerdings mit einer 16 Kilometer Wanderung verbunden.

Aber nach Norden kommt wirklich nicht mehr viel. 

Aufgrund des schlechten Wetters belassen Klaus und ich es also bei ein paar schnellen Zielfotos am Globus, und flüchten dann in die Wärme des Nordkapp-Centers.

Hier ist wirklich eine umfangreiche Infrastruktur entstanden. Ein gigantischer Souvenirladen konkurriert mit Cafés und Restaurants um die Gunst der Kundschaft.

Im Restaurant gibt es ein teueres, leider aber ziemlich schlechtes Abendessen. Aber so haben wir wenigstens die Möglichkeit stundenlang an den Panoramafenstern zu sitzen und die wilde Landschaft zu beobachten. Das Nordkapp wird angeblich 360 Tage im Jahr von Nebel eingehüllt, und an Tagen wie heute glaube ich das sofort.

Blick auf den Knivskjellodden, noch ein paar Meter nördlicher. 

50 shades of gray

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Noch mal Knivskjellodden. © KlausDSC09255
© Klaus

Schließlich gehen wir noch ein wenig auf Entdeckungstour. Nachdem ich den Souveniershop für den teuersten Postkarten-Einkauf aller Zeiten nutze, gehen wir in den Info-Teil des Gebäudes.

So ist eine Ausstellung den Seegefechten im zweiten Weltkrieg gewidmet. Die Strecke um das Nordkapp war essenziell, um alliierte Schiffkonvois in die Sowjetunion zu bringen, welche diese mit kriegswichtigem Gerät versorgten und den Umschwung brachten, der Deutschlands “Krieg im Osten” zum erliegen brachte. Aus diesem Grunde waren sowohl zahlreiche deutsche Kriegsschiffe und U-Boote, aber auch alliierte Gegenkräfte vor Ort.

Kurz vor dem Nordkapp wurde zu Weihnachten 1943 der deutsche Zerstörer Scharnhorst unter alliierter Kraftanstrengung versenkt, über 1700 Personen fanden in den eisigen Gewässern ihren Tod. Wie schon so oft auf dieser Reise bin ich schockiert über die nördliche Ausdehnung des zweiten Weltkriegs.

Weit aufbauender ist die historische Ausstellung des Nordkapp. Seit dem 16. Jahrhundert auf Karten verzeichnet,  besuchte 1664 der italienische Pfarrer Francesco Negri das Kapp und gilt als der “des erste Tourist”. Ich kann mir kaum vorstellen, auf welche Landschaft und Wildnis er hier gestoßen sein muss.

Seine Eindrücke hielt er wie folgt fest :

Hier bin ich nun am Nordkap, am äußersten Punkt Finnmarks, und ich kann ohne Weiteres sagen am äußersten Punkt der Welt, denn weiter nördlich gibt es keinen von Menschen bewohnten Ort mehr. Mein Wissensdurst ist nun gestillt, und ich will nach Dänemark zurückkehren, und so Gott will, in mein Heimatland.

Prinz Louis von Orleans, der “Bürgerkönig” besuchte 1795 das Kapp.

Und schließlich auch ein kurioser Besuch: Im  Jahr 1907 kam König Chulalongkorn von Siam samt Gefolge zum Nordkapp und verewigt sich im Nordkappstein. Aus diesem Grund gibt es einen thailändischen Schrein samt Memorabilia zu betrachten.

Besonders gut hat mir die kleine Kapelle gefallen, die in einem Mix aus Felswand und modernen LED-Panelen ein Ort voll Stille war.

Stille hätte auch der letzte Raum der Ausstellung verdient gehabt, eine Sound- und Licht-Installation, welche die 4 Jahreszeiten am Kapp visualisiert. Und obwohl wir “3 Jahre” dadrin verbrachten, störten zahlreiche Touristen-Großgruppen, die lautstark vorbeipolterten und jegliche Besinnung schnell vermissen ließen.

Generell bin ich von den Touristen hier fasziniert. Aufgrund des schlechten Wetters halten sich die Besucherzahlen heute in Grenzen, dies sollte sich aber am Folgetag gänzlich ändern. (Mehr dazu später). Auf der einen Seite finde ich es schön, dass jedem Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, das Kapp zu sehen, indem man per Bus bis vor die Haustüre gebracht wird. Andererseits setzt etwas bei mir ein, was man vielleicht als “Sportler-Snobismus” beschreiben könnte: Der Gedanke, dass die alle in ihren beheizten Fahrkabinen saßen und sich mehrere Tausende Kilometer hier hin bewegt haben, während ich jeden Kilometer der Natur abgetrotzt habe und alle Widrigkeiten über mich habe ergehen lassen. Ein kleiner Gedanke im Kopf sagt ich hätte es mir “mehr verdient”, hier zu sein. Ist natürlich alles Quatsch.

Touristen – Ansturm

Und nun? 

  • Bin ich erstmal da 😉
  • Nein, nur ein Witz. Also den nächsten Tag bleiben Klaus und ich noch am Kapp. Das Wetter wird am Freitag besser und wir wollen die Aussicht genießen.
  • Deswegen bauen wir auf der kargen Hochebene hinter dem Kapp unsere Zelte auf.

  • In der Nacht von Freitag auf Samstag werden wir das Lager abbrechen und um Mitternacht in Richtung Honningsvåg zurückfahren. So können wir die Mitternachtssonne genießen und hoffentlich die Rückfahrt im besten Licht fotografieren.
  • Samstag früh um 6 Uhr fährt in Honningsvåg die Fähre ab, die ich für eine kurze, zweistündige Fahrt gen Westen nach Havøysund nutze.
  • So muss ich nicht nochmal den Nordkapp Tunnel und die vorherigen 80 Kilometer auf der selben Strecke zurücklegen, auf der ich hergekommen bin, sondern sehe eine neue Strecke von Havøysund nach Olderfjord.
  • Und dann kommt noch ein wenig Strecke, deswegen freue ich mich, am Nordkapp auch wirklich nur ein Zwischenziel erreicht zu haben: Von Havoysund erwarten mich noch knappe 700 Kilometer zurück nach Kiruna in Nordschweden, wo noch eine zweiwöchige Wanderung und dann der Rückflug geplant ist. So muss ich nun nicht wehmütig die letzten Kilometer bis zur Fähre antreten, in dem Wissen, die Reise ist zu Ende, sondern habe noch eine spannende Fahrt vor mir, in der ich mehr von der norwegischen Finnmark sehen werde, einen kleinen Abschnitt durch Finnland radel und schließlich wieder im geliebten Schweden ankomme.

In diesem Sinne bin ich stolz und happy hier sicher und gesund angekommen zu sein, freue mich aber noch viel mehr, dass das Abenteuer keinesfalls vorbei ist.

Abendliche Belohnung im Zelt: Rum-Cola für mich

Verschönerung für das Rad

Tag 41 – 42: Leirbotnvatn – Honningsvåg  

Tag 41: Leirbotnvatn – Ytre Nordmannset 

Der Tag beginnt früh und laut: Als ich um 4 Uhr aufwache, kracht der Regen nur so aufs Zeltdach. Also schnell umdrehen und weiterschlafen. Als sich die Situation um 7 Uhr unverändert präsentiert, entscheide ich mich, doch noch ein Stündchen Schlaf dranhängen, auch wenn das einen späten Start impliziert.

Da der Regen nicht zurückgeht frühstücke ich im Zelt und fange dann auch drinnen an, die Taschen zu packen. Indem ich das Innenzelt ausbaue, während ich im Zelt sitze, kann ich alles bis auf das Außenzelt trocken verstauen. Ich komme aufgrund des ganzen Prozedere erst um Viertel nach 10 los.

Und der Tag startet gleich amtlich, es geht nämlich den Anstieg hoch, den ich gestern am Tagesende noch gesehen habe. In voller Regenmontur quäle ich mich den Hang rauf, schnell sind alle Klamotten durchgeschwitzt.
Oben erwartet mich dann eine irre Hochebene.

Für knappe 40 Kilometer fahre ich relativ eben über diese Ebene, so weit das Auge blickt nur Gras, viel Schnee und hohe Berge außenrum.

Teilweise liegt noch tiefer Schnee. 

Allerdings auch einiges an Wind, der hier nur so über die Ebene pfeift. Auch wenn ich “relativ eben” schreibe, die zahlreichen auf und abs der Strecke kosten richtig Kraft.

Hier oben treffe ich Andreas (Seinen Reise-Blog findet man hier) der mit dem E-bike in die Gegenrichtung unterwegs ist.

Sein Vater fährt mit dem Auto vor, und radelt ihm dann entgegen, so kriegen beide ihre Portion Fahrradfahren für den Tag. Und dadurch ist sein Fahrrad phänomenal leicht bepackt, ich bin sehr neidisch. Nach einem netten Schnack und ein paar Fotos gehen wir getrennte Wege.

Die letzten Kilometer der Hochebene schlauchen mich sehr, zum Glück bringt eine Rentierherde ein wenig Abwechslung. Desweiteren ist mir ständig zu kalt oder heiß, der Regen setzt manchmal wieder ein und es ist empfindlich windig.

Hier ein Foto meiner Hochmodernen Regenhandschuhe.

Haben mich ganze 79 Cent gekostet und sind ordentlich Wasserdicht. Dafür muss man damit Leben, dass sich die Handschuhe von innen mit Wasser auffüllen und einen ekligen Weichmacherduft verbreiten. Aber Wasser- und Winddicht sind sie!

Endlich kommt die Abfahrt runter nach Skaidi. 

Dort setze ich mich ins Restaurant und versuche über eine lachhaft kleine Portion Pommes (für 4,50€) zumindest ein wenig Wärme wieder in den Körper zu kriegen.

Nach einer Stunde versuche ich noch ein paar Kilometer zu den bisher geleisteten 58 hinzuzufügen. Dafür geht es erstmal in Richtung Küste. Nach einem erneuten, kleineren Aufstieg fahre ich durch ein Tal bis nach Olderfjord. Schön den Salzgeruch wieder in der Nase zu haben, selbst wenn es nicht mal 24h her ist, dass ich das Meer nahe Alta verlassen habe.

Auf dem Rückweg werde ich die Panorama Straße von Havøysund aus nehmen. 

In Olderfjord treffe ich noch Klaus, einen deutschen Radfahrer, der in die selbe Richtung fährt. Er hat bereits 120 Kilometer auf dem Tacho, wird also den Campingplatz in Olderfjord ansteuern. Ich möchte noch weiter und so verabreden wir uns dazu, dass er mich morgen einholt und wir dann gemeinsam weiter fahren.

So fahre ich noch über 20 Kilometer die Küste lang. Der Ausblick ist super, wenn es auch richtig kalt und empfindlich windig ist.

Unterwegs begegnen mir zwei Rentiergruppen.

Gruppe 1

Gruppe 2


Gesegnet sei die Erfindung des Tunnels.

Durch diesen Tunnel geht es 2,9 Kilometer durch die Steilküste. Der Tunnel besteht aus rohem Stein, es ist eiskalt und an mehreren Stellen tropft es nicht nur, nein es schießen Wassermassen in den Tunnel. Trotzdem genieße ich die Abwechslung, mal durch einen solchen Tunnel zu fahren.

Kurz nach dem Tunnel dann ein sehnlichst erwartetes Ereignis: Ich finde endlich ein Rentiergeweih!

Habe die vergangenen Wochen Ausschau danach gehalten, würde aber immer wieder von sonnengebleichten Hölzern in die Irre geführt. Diesmal ist es aber wirklich ein Rentier, da liegt nämlich das ganze Skelett daneben. Muss morgen am Campingplatz mal schauen, ob ich das Geweih irgendwie abgekocht kriege, dann habe ich ein neues Stück Dekor für mein Rad! Nach 105 Kilometer ziehe ich auf eine Raststätte rüber, die am Meer gebaut wurde und aus ein paar Bänken, Mülleimer und einem Klo besteht. Da die letzten Kilometer so windig gewesen sind, dass ich mich teilweise in 15° Schräglage gegen den Wind lehnen musste, um nicht aus der Spur geweht zu werden, reicht es auf alle Fälle.

Ich baue das Zelt im Windschatten der Bäume auf, gönne mir aufgrund der mickrigen Pommes eine besonders große Portion Pasta und genieße den Abend im Zelt, zumindest dann, als endlich wieder Wärme in meine Extremitäten zurückkehrt.

Durch die lange Tour heute sind es morgen nur knappe 70 Kilometer nach Honningsvåg, wo ich auf alle Fälle auf den Campingplatz will. Seit Tromsø bin ich jetzt ohne Dusche, zudem haben die nassen beiden letzten Tage dazu geführt, dass ich dringend eine Waschmaschine brauche, um wieder was sauberes, trockenes zum Anziehen zu haben.

Von Honningsvag sind es dann “nur” noch rund 35 Kilometer bis zum Nordkapp, diese haben es aber Höhenmeter mäßig faustdick hinter den Ohren, weswegen ich den Schlussspurt zum Kapp auf den nächsten Tag verschieben werde. Morgen wartet auf mich erstmal der Nordkapp Tunnel als Tageshindernis, mehr dazu aber bei gegebener Zeit.

Tag 42: Ytre Nordmannset – Honningsvag

Der Tag beginnt wie gestern mit dem selben Plätschergeräusch. Heute kann ich es ruhig angehen lassen, hatte gestern mit dem deutschen Radfahrer Klaus (Hier übrigens auch dein Reiseblog) der in Olderfjord geblieben ist,  ausgemacht, dass er mich um 9 abholt und wir gemeinsam weiter fahren. So ist um kurz nach Neun alles in den Taschen verstaut und ich stelle mich nebenan in einen Sami-Verkaufsshop, in der Hoffnung, dass Klaus mein Rad auch dann erkennt, wenn ich nicht drauf sitze 😉

Und um halb 10 kommt er dann schon angefahren, so geht es gemeinsam los. Das Wetter heute ist brutal und sollte sich bis tagesende auch nicht bessern. Es sind knappe 5-7°, es schüttet ohne Ende und fahren wir am Fjord entlang in eine bestimmte Richtung, versucht der Wind uns aufs offene Meer hinaus zu drücken.

Und trotzdem, ich genieße es seit den Schweizerinnen wieder einen Mitfahrer zu haben. Im Gegensatz zu allen bisherigen Kurzzeit-Begleitungen hat Klaus etwa das selbe Tempo wie ich (wenn überhaupt könnte er wohl ein wenig schneller) und wenn man sich allerhand aus dem Reisealltag zu erzählen hat, vergeht die Fahrt wie im Flug. Die Landschaft ist ziemlich sureal-karg, auch wenn die Kamera das kaum einzufangen vermag. Sofern man überhaupt die Kamera rausholt, es dauert wirklich nur Sekunden, bis alles nass ist. Viel Landschaft hängt im tiefen Nebel, ab und an scheinen weiße Berghänge durch. Die Fjorde wären piktoresk, sofern diese gelbe Kugel im Himmel mal ihre Kraft entfalten würde.

Bei einer Bananenpause an der Klippe erspähen wir einen oder mehrere Delfine im Wasser, die unregelmäßig auftauchen. Leider immer nur zu kurz und zu weit weg für ein brauchbares Bild.

Zudem ziehen heute große Rentierherden über die Insel, ich habe sicherlich inzwischen mehr Rentiere auf dieser Insel gesehen, als entlang der gesamten E45 in Schweden.

Schließlich kommen wir am “Nordkapp Tunnel” an. Dieser verbindet die Insel Magerøya mit dem Festland (und ist deshalb auch der Grund, weshalb das Nordkapp als “nördlichste Punkt des europäischen Festlands”  vermarktet wird, dazu aber morgen mehr.
Auf 6900 Metern läuft der Tunnel bis 212m unter dem Meeresspiegel.

Für uns hieß dass, in der Tunneleinfahrt eine äußerst unentspannte, schnelle Mittagspause zu machen, da dies die erste trockene, windgeschützte Stelle des Tages war. Dann alle nur mögliche Sicherheitsausrüstung anlegen und dann geht es ab in den Tunnel.

Die Krux an der Geschichte? Erst geht es steil bergab (yeah!), dann unten ein kurzes Stück flach (ok!) und dann aber steil wieder bis zum Ausgang (oh no!). Und wenn man den Pressestimmen der entgegenkommenden Radfahrer_innen der vergangenen Wochen glauben schenken durfte, dann war die Tunnelbefahrung “schrecklich”, “unglaublich kalt”, “beängstigend”, “man kriegt kaum Sauerstoff”, “es ist unfassbar laut”, “der Verkehr rast an einen vorbei”, “es ist so steil, dass man nicht hochfahren kann, zum schieben ist es aber zu glitschig” bis hin zu “Problemlos”, “eigentlich ganz lustig”, “nicht so schlimm”.
Nun war endlich unsere Chance gekommen, sich davon einen Eindruck zu verschaffen. Die Abfahrt hat tatsächlich Spaß gemacht, mit 53km/h ging es schnurgrade in den tiefen Schlund. Einzig alle nassen Klamotten, verbunden mit dem Fahrtwind und den Temperaturen drückten die Stimmung. Meine Pfoten waren richtig eingefroren, die Füße knapp an der Grenze.

Im Flachen ging es ganz gut voran, dann sah man aber, wie sich die Deckenleuchten immer mehr nach oben zogen. Der Aufstieg war ziemlich krass. Es war mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt wirklich anstrengend, die richtige Klamottenwahl zu finden. Und dann hieß es den ersten Gang quälen bis zum geht nicht mehr.
Fiel mein Tempo von 8 auf 7, und dann auf 5-6 km/h, wusste ich es ist Zeit für eine kurze Pause. Dann ging es wieder leicht gestärkt auf die nächsten paar hundert Meter. Klaus scheint eine bessere Übersetzung zu haben und vorallem mehr Kraft in den Beinen, denn er zieht mir ohne Pause davon. Egal, ich muss jetzt richtig kämpfen, komme aber schließlich oben an.

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Ziemlich fertig bei der Ausfahrt. © Klaus

Das Fazit: Der Tunnel ist auf alle Fälle machbar, man hätte sich von den Berichten im Vorfeld nicht so verrückt machen lassen sollen. Anstrengend war er aber auf alle Fälle. Mit leichten “Gummibeinen” geht es dann anschließend weiter, der eine Vorteil des Tunnels ist weg, es regnet uns nämlich wieder munter auf die Köpfe.

15 Kilometer nach dem Tunnel erreichen wir endlich Honningsvåg, die einzige größere Stadt auf der Insel.

Müde und abgekämpft (ich), sowie sehr sehr nass und kalt (wir beide) fallen wir da förmliche in den örtlichen Supermarkt. Dort heißt es nach Lust und Laune einkaufen, Klaus zeigt mir als Empfehlung die 5 NOK-Eiscreme, eine gehaltvolle Erweiterung meines Speiseplans 😉

Während Klaus zum Fährhafen radelt, um sich die zahlreichen komplizierten, und jeweils teureren Möglichkeiten erklären zu lassen, wie er jetzt vom Nordkapp mit Fähren und Bussen wieder nach Deutschland kommt, rufe ich schon mal beim Campingplatz an. Nach dem Tag im Regen hat keiner von uns Lust das Zelt aufzubauen, und zu zweit ist eine Hütte eine gar nicht so teure Alternative. Der Anruf war goldrichtig, eine 2-Personen Hütte haben sie noch, die ich reservieren kann.

Auf den 5 Kilometern zum Campingplatz treffen wir noch auf einen freundlichen norwegischen Naturburschen, der Infos zu unserer Tour erfragt und uns zusätzlich erzählt, dass er vor hat im kommenden Winter mit Tourenski und Schlitten von Südnorwegen bis zum Kapp zu laufen. 110 Tage lang. Die spinnen, die Norweger 😉 Und wieder mal zeigt sich: No matter how tough you are, someone is always tougher and crazier. Auf Spiegel Online fand ich vor ein paar Monaten jemand, der auf einem Stand-Up-Paddle-Board von Tromsø zum Nordkapp ist. Im Winter.

Nach 78 Kilometer sind wir dann endlich da. Der Campingplatz ist gigantisch, eindeutig auf Herrscharen an Touristen ausgelegt, die hier im Sommer einfallen. Wir sind einfach zu früh dran, Klaus erzählt mir, dass die Straße zum Kapp vor drei Wochen noch wegen den Schneemassen unpassierbar war.

Die Hütte kostet 300 NOK pro Person, im Vergleich dazu hätte das Zelt aufstellen 250 Kronen gekostet. Und so fallen wir begeistert in unsere Hütte ein, entledigen uns endlich, endlich den nassen Klamotten und verwandeln unser Zimmer eh man sichs versieht in eine Großwäscherei.

Den Abend verbringe ich mit Wäschewaschen (das händische Waschen fiel die letzten Tage einfach flach, bei dem Wetter kriegt man nichts getrocknet) und entspannten rumliegen und nichts tun.  Zudem zeigt mir Klaus seinen mitgebrachten Film-copter, und als Mann von Fach bin ich absolut begeistert (und er lässt mich auch mal fliegen)

So sind es morgen noch 25 Kilometer Wegstrecke und ich habe vor am Kapp ein wenig länger zu verweilen. Deswegen werden wir uns richtig Zeit lassen und erst Mittags von der Hütte aufbrechen. Das Wetter morgen soll grausig sein, doppelt so viel Regen wie heute und fieser Gegenwind, da ist also keine Motivation dabei, zu hetzen und Strecke zu machen.

Tag 38 – 40: Tromsø – Leirbotnvatn 

Tag 38: Tromsø – Langslett 

 

Start um 9.30 Uhr bei herrlichem Sonnenschein. Leider nicht sonderlich warm, aber ich will mich nicht beschweren. Über die Brücke verlasse ich Tromsø nun nach einem Ruhetag und fahre in südöstliche Richtung aus der Stadt.


Ein letztes Bild von der arctic opera. 


Unterwegs werde ich von einer Möwe angegriffen, war wohl zu nah am Nest. Die Möwe steigt mehrmals auf, und schießt dann im steilen Winkel auf mich herunter, nur um sich kreischend wieder in die Höhe zu schrauben. Ich zieh den Kopf ein, nach 200m lässt sie zum Glück ab von mir.


Nächste Ziele

Nach etwa 50 Kilometer komme ich in Breivikeidet an, wo es mit der Fähre nach Svensby auf der nächsten Insel geht. Die Fähre habe ich gerade verpasst, die Stunde Wartezeit nutze ich zum Mittagessen.

Absolut genial das Zeug, Tubenkäse mit bacon Geschmack. Verrückte Welt. 


Nach der kurzen Fährfahrt bin ich auf Lyngsfjellen, die Insel, die laut Reiseführer die “Lyngen-Alpen” beheimatet.

Und tatsächlich, die Berge sind viel schroffer, mit teilweise über 1800m auch deutlich höher und mit viel mehr Schnee bedeckt. Einfach ein wundervoller Ausblick.
Auf Lyngsfjellen komme ich nach 22 Kilometern zur nächsten Fährfahrt. Zum Glück sind beide Fahrten heute für Radfahrer kostenlos, wäre sonst teuer geworden. Zudem bringt mich die Fähre direkt nach Olderdalen, auf der anderen Seite des Fjordes. Ist besser so, die Straße um den Fjord ist erstaunliche 41 Kilometer lang.


Nun wieder auf der E6, die habe ich vor Narvik ein paar Kilometer befahren. Hier zum Glück mit weniger Verkehr, denn ich bleibe mehrere hundert Kilometer auf der Straße. 

Von Olderdalen mache ich mich an die letzten Kilometer des Tages. Mit dem Blick zurück auf die Lyngen-Alpen geht es traumhaft schön am Meer entlang.

Zwar ist es ziemlich wolkenverhangen, so lange es aber trocken bleibt werde ich mich nicht beschweren.
Unterwegs treffe ich noch einen entgegenkommenden Radfahrer, dessen Gefährt in ziemlich schlechten Zustand ist. Er hofft noch heil nach Tromsø zu kommen, um dort alles reparieren zu können.

Den Campingplatz lasse ich rechts liegen und fahre noch ein wenig weiter. Da es heute Nacht trocken bleiben soll, versuche ich durch Wildcamping die hohen Kosten der letzten Tage in Tromsø ein wenig zu kompensieren.

Dazu habe ich mir vorgenommen auf dem letzten Stück noch einen steilen Anstieg hinter mich zu bringen. Zwar bin ich abends ziemlich platt, aber der psychologische Faktor, am nächsten Tag gleich mit einem steilen Anstieg beginnen zu müssen, macht mir mehr Sorgen. So quäle ich mich Abends noch rauf, fülle an einer Raststätte meine Wasservorräte auf und schlage mich dann bald in die Büsche.


Blick hinunter in den Fjord, da darf ich morgen runter fahren.

So stehen 108 Kilometer für heute auf dem Tacho. Dafür dass ich heute früh mit der Erkältung gestartet bin und keine Ahnung hatte, wie viel ich meinem Körper abverlangen könnte, bin ich sehr zufrieden.

Tag 39: Langslett – Langfjorden

Nach einem ausgiebigen Frühstück entscheidet sich der leichte Nieselregen erst dann anzufangen, als ich versuche mein Zelt trocken einzupacken. Absolut typisch, aber mit Blick auf das restliche Wetter heute, werde ich mich nicht beschweren.
Als erste Amtshandlung habe ich heute die Strecke ins Tal vor mir, also quasi die Belohnung für die gestrige Anstrengung zum Schluss. Am ersten Dorf angekommen, stocke ich meinen Proviant auf, dann geht es am Fjord-Ufer entlang.


Wie immer, der berauschende Blick auf Meer, schneebedeckte Gipfel und rote Skandinavien-Häuser im Oksfjorden. 

Nach 40 Kilometern dann der Knackpunkt des heutigen Tages. Steil windet sich die Straße bergauf, weg vom Meer, hoch auf den Pass. Da es inzwischen deutlich wärmer geworden ist, kann ich in T-Shirt und Radhose fahren, ein Vergnügen, dass ich seit dem Übertritt nach schwedisch Lappland nicht mehr hatte. So quäle ich mich im ersten Gang aufwärts. Zwei Kilometer halte ich aus, dann brauch ich dringend eine Pause. Bei der Anstrengung ist eins der Hauptprobleme, dass mir dauernd Schweiß in die Augen tropft. Auf der E6, wo ich ständig von Campern und anderen PKW überholt werde, kein schönes Gefühl.


Blick auf idyllische Birkenwälder. 


Blick zurück: im Tal begann der Anstieg. 

Knapp vor dem Gipfel, wo ich keuchend und schwitzend ankomme, sehe ich noch eine kleine Herde Rentiere durch den Schnee stapfen. Habe seit Schweden keine mehr gesehen und freue mich wieder auf mehr Wildtiere.

Auch treffe ich zwei Schweizerinnen auf Radreise, die nach einem kurzen Gespräch schon weiter fahren.

Ich hingegen genieße den Blick vom Kvaenangsfjellet und freue mich, es auf 400m ü.N. geschafft zu haben. Hier oben liegt noch tief Schnee in manchen Senken, manchmal mehrere Meter tief.


Der Blick in den Kvaenangenfjord entschädigt für de mühsamen Aufstieg. 

Und dann darf ich auch knappe 8 Kilometer ins Tal schießen, fast durchgängig bei über 50km/h und mit einem mitleidigen Blick für die Radfahrer, die mir entgegenkommen.


Abfahrt

Unten angekommen muss ich etwa 20 Kilometer den Fjord umrunden.

Und weil es mir seit Tagen im Kopf rumgeistert, kommt jetzt endlich ein Zitat von einem meiner liebsten Autoren:

“The Earth…” whispered Arthur.
“Well, the Earth Mark Two in fact,” said Slartibartfast cheerfully. “We’re making a copy from our original blueprints.”

There was a pause.

“Are you trying to tell me,” said Arthur, slowly and with control, “that you originally… made the Earth?”

“Oh yes,” said Slartibartfast. “Did you ever go to a place… I think it was called Norway?”

“No,” said Arthur, “no, I didn’t.”

“Pity,” said Slartibartfast, “that was one of mine. Won an award you know. Lovely crinkly edges. I was most upset to hear about its destruction. … Perhaps I’m old and tired, but I always think the chances of finding out what really is going on are so absurdly remote that the only thing to do is to say ‘hang the sense of it’ and just keep yourself occupied. Look at me – I design coastlines. I got an award for Norway. I’ve been doing fjords all my life… for a fleeting moment they became fashionable and I got a major award.”

Douglas Adams – A Hitchhiker’s guide to the galaxy

In diesem Sinne: Danke Mr. Slartibartfast für all diese “crinkly edges”, very “fashionable” indeed … Fluch und Segen zugleich.

Nach 68 Kilometer genieße ich meine Mittagspause in der Sonne am Badderfjord, deswegen dehne ich diese auch auf eineinhalb Stunden aus.


Bin nun endlich in der Finnmark

Nachdem die nächsten Kilometer einen erneuten Aufstieg mit sich bringen ist es klar, warum ich so sehr verzögere und mich kaum von der weichen Wiese losreißen kann.


Nächster Aufstieg. 

Doch hilft ja nichts, ran an die Höhenmeter! Diesmal zum Glück nur etwa 250 Höhenmeter, aber nach der Strecke von vorhin brennen meine Waden doch ordentlich.

Am Scheitelpunkt findet sich eine kleine Infotafel zum Arbeitslager, welches die Deutschen hier am Pass erbauen ließen, um diesen “strategisch wichtigen” Pass gegen Schneefälle und Unpassierbarkeit zu sichern. Dazu wurden dutzende Personen aus der Region, darunter viele Juden, unter Zwang hergebracht. Wie schon in Tromsø bin ich fassungslos, wie weit das Dritte Reich auch in den unwirtlichen Norden expandierte und welche Gräueltaten auch hier verübt wurden.

Nach der Abfahrt bin ich nun am Langfjord, der seinem Namen alle Ehre macht. Obwohl ich nur eine Seite abfahren muss, begleitet mich dieser Fjord nun über 30 Kilometer.

So ist es klar, dass ich am Fjord eine Stelle suchen werde, an der ich schön Wildcampen kann. Bei dem schönen Wetter kann ich mir den Zeltplatz wirklich sparen.

Und so finde ich meinen Traumplatz nach 110 Kilometer auf einer kleinen Landzunge.

Nach dem Zeltaufbau schaffe ich es sogar noch, ins Meer zu hüpfen. Witzigerweise ist dies das erste Mal, wenn man vom Wat-Versuch in Dänemark absieht, der daran gescheitert ist, dass es nie tiefer als 30cm wurde. Bei der Menge an Sonnenschein ist das Wasser gar nicht so kalt wie erwartet, länger als 5 Minuten ist diese Wäsche aber trotzdem nicht.

Da ein Fluss direkt in Zeltnähe in den Fjord mündet, schaffe ich es sogar noch meine dreckigen Klamotten zu waschen und in der Sonne zum Trocknen aufzuhängen. Ab morgen früh erwartet mich leider Regen, so kann es nicht schaden, wieder so viele trockenen und sauberen Klamotten wie möglich zu haben.

Bis Alta sind es morgen rund 75-80 Kilometer, ohne größere Aufstiege. Dass die Straße trotzdem eine Achterbahn versuchen wird zu imitieren ist mir klar, aber es deutet zumindest nichts darauf hin, dass am Stück mehrere hundert Höhenmeter zu überwinden sein werden, und das ist schon mal etwas.

So kommt ein absolut herrlicher Tag zu einem verdienten Ende. War wunderschön mal wieder in kurzen Klamotten unterwegs zu sein und die Sonne auf der Haut spüren zu können. Davon werde ich zehren, wenn ich morgen nass durch die Gegend fahre.

Tag 40 Langfjorden – Leirbotnvatn

Heute früh erwartet mich ein leicht veränderter Blick aus dem Zelt:

Frühstücke schnell im Zelt, packe drinnen zusammen, und gerade als ich so weit bin raus zu hüpfen und das Zelt trocken einzupacken, hört man das erste prasseln auf dem Zeltdach. Trotzdem schaffe ich es, dass Zelt relativ trocken in der Tasche zu verstauen. Beim Weg zurück zur Straße, wo ich alle Taschen und mein Rad eine steile Holztreppe hoch schleppen muss, schaffe ich es prompt auszurutschen und auf dem Hosenboden zu landen… Prima!

Die ersten paar Kilometer sind verhältnismäßig flach, dafür fällt ein feiner Nieselregen. Nach etwa 20 Kilometer habe ich die Spitze des Langfjorden erreicht. Dort sind einige Zelte am Wegrand errichtet, die lokale Sami-Produkte verkaufen.

Dort treffe ich auch die zwei Schweizerinnen vom Bergpass gestern wieder, und gemeinsam gönnen wir uns Waffeln mit Marmelade im Laden.

Danach beschließen wir gemeinsam weiter zu fahren. So komme ich ein wenig mit Rahel und Martina ins Quatschen. Nach zehn Kilometern voller Geschichten verschwinden die Beiden im Supermarkt und ich fahre alleine weiter.

Seit der Spitze des Langfjorden konnte man in den Altafjorden blicken und konnte Alta relativ klar vor sich sehen.

Trotzdem sind es noch gute 45 Kilometer die Küste entlang bis zur eigentlichen Stadt. Und dabei geht es nach Lust und Laune bergauf, zudem sind einige Tunnel auf der Strecke, die Bergmassive durchkreuzen, für Radfahrer gesperrt.

Stattdessen geht es dann auf der “alten E6” einmal um den Berg rum, zumeist mit satten Steigungen.

Während ich an einer Kirche kurz pausiere, das Denkmal für die Minenarbeiter-Familien begutachte, holen mich Rahel und Martina wieder ein.

Die letzten paar Kilometer beschließen wir gemeinsam anzugehen. Die sind noch mal mit viel klettern verbunden und so sind wir alle erleichtert, endlich in Alta anzukommen.


Da dürfen wir nicht durch, stattdessen 9 Kilometer steil außen rum. 


Ich will auch Blumenkästen auf deutschen Brücken! 

Die Stadt zieht sich ganz schön entlang der Küste. Die Schweizerinnen wollen zur Touristeninformation, so verabschiede ich mich und fahre noch zum größten Supermarkt der Stadt. Hier gibt es wieder einen ausgiebigen (sprich: teuer) Einkauf, bevor ich mich an einem Tisch im Supermarkt zur lang verdienten Mittagspause breit mache. Inzwischen ist es nämlich 15 Uhr und ich habe fast 80 Kilometer hinter mich gebracht. Mittagessen wird also immer später 😉


Seit dem Schild in Dänemark, gleich nach der Abfahrt von der Fähre, ist dies das erste Schild, auf dem das Nordkapp explizit ausgeschildert ist. Jetzt endlich fühlt sich die Distanz machbar an. 

So gestärkt geht es wieder raus in die Kälte. Aber so richtig kann ich mich nicht beschweren, denn immerhin ist es entgegen der Wetterprognose deutlich trockener geblieben, als vorhergesagt. Nach elf Kilometern komme ich zur Kür des Tages, einem erneuten Aufstieg zu einem Pass, der mich ins Nachbartal bringt.


Da muss ich hoch. 

Erneut keuche ich mich die 300 Höhenmeter hoch, zwischendrin nur noch im T-shirt, obwohl etwa 10 Grad kalt und alles Nassgeschwitzt. Aber bei den Aufstiegen entwickele ich eine solche Hitze, dass es wirklich unangenehm ist, zu dick eingepackt zu sein.

Kurz vor dem höchsten Punkt überholt mich ein Rennradfahrer. Dieser ist in Südschweden gestartet und will auch zum Kapp. Da er rund 200 Kilometer am Tag schafft, ist er erst vor 13 Tagen gestartet, ich bin höchst beeindruckt. Auch wenn ich neidisch auf sein leichtes Rad bin, die Konstruktion mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken kann er gerne behalten, dass stell ich mir sehr unangenehm vor.

Oben angekommen macht sich Erleichterung breit. Auch hier sind wieder ein paar Zelte mit Verkaufsständen.

So komme ich mit einem Motorradfahrer ins Gespräch, der gerade seinen Einkauf verstaut. Seit zwei Tagen überholen mich unzählige Motorräder mit dem selben “Nordkapp Adventure 2017” Sticker am Bike. Und nicht nur, dass ich erhoffe, so einen Sticker geschenkt zu kriegen, mich interessiert auch, was der Hintergrund ist. Und so erzählt mir der Fahrer, dass dies eine organisierte Tour von Honda ist. Im Grunde werden eine Vielzahl Motorrad-Fachjournalisten zu einer solchen Tour eingeladen, Honda stellt die gesamte Infrastruktur und die Journalisten lernen die Maschine im geeigneten Terrain kennen.

Und weil sie die Journalisten aus der ganzen Welt eingeflogen haben, es fünf Versorgungsvans gibt, einen Krankenwagen samt Doktor, der Sprit gezahlt wird ebenso wie die Hotelübernachtungen und jegliche Verpflegung, wird man am Ende sicherlich in den jeweiligen Zeitschriften Sätze lesen können wie: “Die Honda Twin Africa entwickelt auch im niedrigen Drehzahlbereich eine beeindruckende Leistung” und “Auch nördlich des Polarkreises zeigt die leistungsstarke Sitzheizung, was sie leisten kann”. All-Expenses-Paid-Journalismus, bitte daran denken, beim nächsten Autokauf. Und das Wort “adventure” können sie sich bei der Logistik auch sparen.

Update 2020: Jahre später habe ich dann tatsächlich das dazugehörige Video von Honda gefunden. Und all meine Vorannahmen haben sich bestätigt: https://youtu.be/FTJwdhe4Y3c

Trotzdem ist das Gespräch mit dem Biker nett, und auch wenn er keinen Sticker für mich hat, werde ich von ihm für den Webauftritt seiner türkischen Motorradzeitschrift kurz videointerviewt. Gebe ganz sicher kein beeindruckendes Bild ab, das Aussehen und die Fähigkeit des logischen Denkens sind nach dem Aufstieg beide den Bach runter gegangen.

Der Motorradfahrer verstaut sein frisch erworbenes Rentierfell und sein getrocknetes Rentierfleisch (was auch immer damit in der Türkei geschieht..) und wir verabschieden uns.

Anschließend geht es entspannt den Hügel hinab und am See, der am Fuße des Passes liegt, baue ich neben einem ausgebrannten und verfallenen Ferienhaus mein Zelt für die Nacht auf.


Der Anstieg für morgen früh. 

Das waren heute 101 Kilometer und somit ein guter Grundstock, um bald das Nordkapp zu erreichen. Weit ist es nicht mehr. Keine Ahnung wie das Wetter morgen wird, es scheint derzeit so schnell zu wechseln, dass eine erfolgreiche Prognose schwer zu geben ist. Ich lasse mich überraschen.

Der Abend im Zelt vergeht mit Lesen, Blog schreiben und Filme schauen. Zudem gibt es eine sehr leckere Pasta mit Süß-sauer-Sauce, ein neu-entdecktes Rezept meinerseits.

Tag 37: Tromsø (Ruhetag) 

Wie bereits angekündigt, entscheide ich mich dafür, es heute ganz ruhig angehen zu lassen. Endlich mal bis 10 ausschlafen, zum Frühstück Serien schauen und nicht aus dem Knick kommen. 

Heute ist absolutes Traumwetter in Tromsø, gefühlt ist die ganze Stadt im T-Shirt unterwegs. 

Statue für Roald Amundsen
Dieser Gedenkstein macht mich unfassbar betroffen. Hier stehe ich, mehrere hundert Kilometer nördlich des Polarkreises, in einer piktoresken Stadt, bei herrlichen Wetter, obwohl hier etwa 9 Monate im Jahr Winter ist. Und selbst hier haben die Deutschen es geschafft, Juden und Jüdinnen zusammenzutreiben, in deutsche Konzentrationslager zu deportieren und zu ermorden. Es erscheint absolut surreal! 

Zu Fuß geht es auf ins Zentrum, dort erkunde ich das Nordische Kunstmuseum, welches sich auf verschiedenste Kunst spezialisiert hat, zumeist von Sami-Künstler_innen. Ein Fülle an Materialien, traditionellen Mustern und modernen Interpretationen finden sich in der Ausstellung. 

Tägliches Leben 
Und Tradition





Anschließend schnappe ich mir mein Fahrrad und begebe mich zum Botanischen Garten. Schon der Zweite auf meiner Tour und ein wirklich schöner Platz. 

Es ist der nördlichste botanische Garten der Welt und ich bin erstaunt, wie viele Pflanzen hier angepflanzt wurden, liegt doch gefühlt 9 Monate im Jahr hier Schnee. Bei den Temperaturen genieße ich es, im T-Shirt auf der Wiese zu liegen, samt Mittagessen, Buch, Serien schauen und sogar einem Mittagsschlaf. 


Die knappe Fahrt zurück birgt 6 Kilometer auf dem Tacho, also ein Tag, an dem ich den Drahtesel fast vollständig ignorieren konnte. 


 Panoramablick auf Tromsø nördliche Ausläufer mit dem Arctic Opera house in der Mitte. 

So habe ich den Tag als maximale Entspannung empfunden. Hoffentlich bleibt das Wetter die kommenden Tage ähnlich, es wäre so eine schöne Abwechslung endlich mal wieder im T-shirt zu radeln und nicht in der vollen Regenmontur. 

Tag 34 – 36: Stokmarknes – Tromsø 

Tag 34: Stokmarknes – Stave

Kann mich heute früh nicht dazu überwinden, aus dem warmen Schlafsack zu kriechen, komme aber trotzdem um halb 10 los.

Schnell bin ich auf der Brücke, über die ich die nächste Insel erreiche.

Das Wetter heute ist eine Katastrophe: Kaum habe ich den Campingplatz verlassen setzt ein ekliger Nieselregen ein.
Die ersten 25km bis Sortland sind noch relativ eben, dort komme ich gut voran. Aber zum inzwischen stärker gewordenen Regen und Temperaturen um 8° kommt nun immer stärker werdender Gegenwind dazu. Hilft nichts, ich quäle mich weiter. Mir ist bitterkalt, die zahlreichen Brücken die ich queren muss haben auch ihren Reiz verloren. Diese sind sehr hoch gebaut worden, damit in der Mitte die Kreuzfahrtschiffe der Hurtigrute hindurchpassen. Aus diesem Grund bringt jede Brücke einen quälend steilen Anstieg im ersten Gang mit sich. Oben erwartet mich dann mehr kalter Wind, Regen und eine kühle Abfahrt.

Durch das Wetter ist die Sicht wieder miserabel. Es ist zum Verzweifeln, da bin ich auf Andøya, der wildesten Insel der Vesterålen, um mich herum erheben sich schroffe Berge, wartet türkises Meer und Sandstrände auf die Entdeckung und ich sehe davon absolut nichts.

Mehrere Pausenplätze muss ich überspringen, da diese nicht windgeschützt sind, oder keine Sitzgelegenheit bieten. So komme ich zum zweiten Tag in Folge erst nach 70km zu einer Pause. In einem Café wird mir erlaubt, mein mitgebrachtes Essen zu mir zu nehmen, sofern ich zumindest einen Tee bezahle. Kommt mir sehr gelegen, schließlich kann ich jede Wärme brauchen die es gibt.

Schön, dass dafür Bewusstsein geschaffen wird. 

Nach einer Stunde quäle ich mich wieder heraus in den Regen. Nach Rimsøyhamn biegen ich von der Hauptstraße 82 auf die Westseite der Insel ab. Dies ist ein Panorama Weg und verspricht weniger Verkehr, wenn ich schon nichts von den Ausblicken genießen kann.

Ich habe keine Ahnung wie es geographisch und meteorologisch möglich ist, aber egal in welche Richtung ich an diesem Tage fahre, der Wind kommt mir immer entgegen. Evtl. bricht er sich an den Bergen, evtl. will man mich einfach ärgern.

Auf den letzten 30 Kilometern hört der Regen endlich auf, dafür entscheidet sich der Wind “jetzt erst recht” und verstärkt noch mal auf über 25km/h. Jetzt ist es nur noch der pure Durchhaltewillen, der mich vorantreibt. Ich will einen Campingplatz erreichen, will eine warme Dusche und will in mein Zelt. So beflügelt kämpfe und schreie ich gegen den Wind an. Und überraschenderweise kommen sogar ein paar Details der Landschaft zu Tage, so habe ich zum Abschluss noch ein paar spektakuläre Ausblicke genießen können.

Enter the Void

Nach 118 Kilometern komme ich abgekämpft und verfroren am Platz an. Und was ein schöner Platz das ist, besonders wenn jetzt Hochsommer wäre: Weißer Sandstrand, direkt dahinter schroffe Berghänge.

Der Campingplatz hat sogar beheizte Jacuzzi-Pools, mit 38° warmen Wasser. Im Geiste sehe ich mich da schon drin treiben, bis mir Schwimmhäute wachsen. Allerdings wollen sie dafür unverschämte 30€ für 90 Minuten, da bleibt mir also nur die warme Dusche.

Wie gerne wäre ich da rein gehüpft. 

Das Zelt steht und ich kann mich meinen üblichen Abendbeschäftigungen hingeben.

Echte Walknochen als Campingplatz-Deko. 

Auch wenn heute wenig Spaß gemacht hat, so bin ich doch froh über die Erfahrungen. Zu Beginn meiner Tour hätte ich keineswegs so einen Gewaltmarsch gegen ein so feindliche Klima bestehen können. So habe ich morgen nur noch knappe 20 Kilometer bis nach Andenes, der Hauptstadt der Insel. Dort werde ich mir einen touristischen Höhepunkt gönnen, bevor ich mit der Fähre nach Senja, der nächsten Insel übersetze. Von dort sind es nur noch 135km nach Tromsø, der nächsten richtigen Stadt.

Tag 35: Stave – Ersfjorden

Der Tag beginnt früh, da ich zeitig nach Andenes kommen muss. Bereit um 9.30 Uhr sind die ersten 20km des Tages geschafft und ich kaufe mir im Supermarkt von Andenes mein Mittagessen.

Der nächste Meilenstein! 


Auf der vorgelagerten Insel gibt es jede Menge Papageientaucher, angeblich auch zahlreiche Seeadler, die Jagd auf sie machen. 

Was es hier nicht alles gibt. 

Der Grund für das frühe Aufstehen? In Andenes geht es heute auf Wal-Safari!

Dazu gibt es bei der veranstaltenden Firma zuerst eine Führung durch Ihr hauseigenes Museum. Unter anderem ist dort ein komplettes Skelett eines Pottwals ausgestellt, dem Wal, dem wir am wahrscheinlichsten Begegnen werden.

Ein Tier voller Superlative: Mit maximal 9,5kg das schwerste Gehirn aller Lebewesen. Das Echolot, dass sie zum orientieren, jagen, kommunizieren nutzen sendet Schall mit bis zu 220-230dB aus (Vergleich dazu: Startender Jet 150dB). Als Resonanzkörper für die Schallwellen befindet sich im Kopf des Wals über 3 Tonnen einer ölhaltigen Flüssigkeit! Kein Wunder also, dass sie früher exzessiv gejagt wurden und mit dem Öl in Norwegen lange Jahre die Straßenlaternen befeuert wurden.
Tauchtiefe: Bis zwei Kilometer, um Jagd auf Riesen-Kalamare machen zu können.

Nach dieser Einführung geht es aufs Boot und raus auf See. Andenes hat die idealen Bedingungen, da die Kontinentalplatte sehr nah am Ufer ins tiefe Wasser übergeht. Dort sind die Nährstoffen, also sind dort auch die Wale anzutreffen.

Nach einer halben Stunde Fahrt sind wir im Zielgebiet. Pottwale holen 5-10 Minuten lang Luft, dann gibt es einen Schlag mit der Fluke (Schwanzflosse) und sie sind weg. Also selbst wenn wir den Blas des Wals sehen können, haben wir nur wenig Zeit um ranzukommen. Das Schiff nutzt dazu Hydrophone, um die Klick-Laute der Wale zur Ortung zu nutzen. Ich verstehe wirklich nicht, wie früher der Walfang funktioniert hat, ganz ohne Hydrophone und mit einem Segelschiff, dass ersten langsamer war und zweitens nicht auf der Stelle wenden und wieder beschleunigen konnten. Ein Wunder das trotzdem alle Populationen fast ausgerottet werden konnten.

Und tatsächlich, innerhalb der nächsten Stunde gelingt es uns, an zwei Wale näher ran zu kommen.

Wal Nr. 1


Wal Nr. 2 

Es ist beeindruckend, die Größe der Tiere wahrzunehmen, besonders wenn sie die Fluke heben und abtauchen. Bei den Bullen bewegt sich da über 40 Tonnen Gewicht scheinbar mühelos im Wasser. Allerdings sieht man nie den ganzen Körper, es sind eher nur Körperteile zu sehen.

Mir gelingen trotz dem schwankenden Boot doch ein paar Aufnahmen, mit den Mitreisenden kann ich aber nicht mithalten. Was da an Kamera + Objektiven zusammenkam, hätte wohl gereicht um das Boot zu kaufen, auf dem wir gerade standen. Trotzdem habe ich die Tour sehr genossen, das schwankende Boot, die raue See. Mir hats gefallen, etwa 5 der 30 Reisenden waren eher intensiv mit der Reling beschäftigt, so blieben aber mehr Gratis-Cracker für mich übrig 😀

Im Nachgang meiner Tour hat mir Roland, den ich auf der Walsafari getroffen habe, dankenswerterweise ein paar seiner Wal-Fotos zugeschickt, die ich auf diesem Blog veröffentlichen darf. Spiegelreflex + Teleobjektiv machen halt was her.

© Roland

Landschaftsaufnahmen gelangen mir aber vom Boot ganz passabel.

Auch eine ganz ordentliche Tour. 

Nach der Rückkehr nach Andenes hatte ich noch eine Stunde für die Mittagspause, dann ging es gleich aufs nächste Schiff.

Mit der Fähre setze ich nun von der Insel Andøya auf die nächste Insel, Senja, über. Dies war die erste lange Fährfahrt seit Rostock, die Fähre braucht knapp unter 2 Stunden. Kostet dafür aber auch ein Schweinegeld, knappe 30 Euro musste ich dafür berappen.

Senja in Sicht

Um 19 Uhr bin ich auf Senja und habe heute auch erst 20 Kilometer zurückgelegt.

Um morgen Tromsø zu erreichen, muss ich heute also weiterkommen. So schließe ich mich erst zwei jungen Norwegerinnen an, die jedoch ziemlich schnell einen Zeltplatz suchen.

Anschließend schaffe ich es noch zu einem Norweger aufzuschließen, der auf Senja selbst wohnt, also gerade auf dem Heimweg einer einwöchigen Tour ist.

Größter Troll Norwegens

Dieser warnt mich noch, dass der Anstieg zum nächsten Tal es wirklich in sich hat. Und er hat wahrlich nicht gelogen.

4 Kilometer lang geht es mit 8% Steigung den Berg hoch, immer weiter Kurbel ich mich vom Fjord weg. Da ist selbst der erste Gang nicht ausreichend übersetzt, wenn die Beine müde werden, muss ich pausieren, dann geht es wieder 500m weiter, dann kommt die nächste Pause. Der Schweiß fließt in Strömen, obwohl es empfindlich kalt ist.

Vom Meer bis hoch in die Berge.

Nach 350 Höhenmeter Anstieg stehe ich neben einem noch gefrorenen See und bereite mich auf die Einfahrt in einen knapp 2 Kilometer langen Tunnel vor. Der führt zum Glück bergab, und so rase ich “Echo” schreiend durch die dunkle Röhre. Tunnel sind hier noch echte Wunderwerke, roh aus dem Stein geschlagen, teilweise läuft Wasser an den Wänden entlang. Richtig eindrücklich.
Die Abfahrt ist toll, besonders weil danach der Aussichtspunkt “Bergsbotn” kommt, wo man eine architektonisch relevante Konstruktion in den Berg gesetzt hat.

Generell bin ich fasziniert davon, wie schön die Insel ist. Senja ist noch mal wilder als Andøya oder die Lofoten.

Zudem sind die Straßen deutlich verkehrsärmer, mit den Norwegerinnen bin ich vorhin auf der vollen Breite der Straße gefahren, wir alle nebeneinander. Die Aussicht auf den anderen Inseln ist auch fantastisch, leider hatte ich wirklich erst ab Senja das Wetterglück, diese Landschaft auch genießen zu können.
Nach dieser ersten steilen Etappe geht es nach Umrundung eines Fjords noch an den zweiten Anstieg, zum Glück diesmal nur mit 150 Höhenmeter. Als ich dort wieder aus dem Tunnel geschossen komme, liegt vor mir der Ersfjorden, der einen wunderschönen Sandstrand hat. Nach der Abfahrt dort runter baue ich auf einer Düne sofort mein Zelt auf.

Es ist bereits 22 Uhr, ich seit 6 Uhr auf den Beinen und deswegen total kaputt. Abends genieße ich die Mitternachtssonne, die über den Fjord zieht, verkriechen mich wegen den Temperaturen aber schnell im Zelt.

23:30 Uhr

23:55 Uhr

Hatte ich gestern Abend noch ein leichtes Kratzen im Hals ist es inzwischen doch auf dem Weg zu einer Erkältung. Ich hoffe inständig, dies wird nicht zu schlimm und werde schauen ob ich in Tromsø ein wenig pausiere um zu Kräften zu kommen. Da ich morgen wieder eine Fähre erwischen muss, werde ich wohl zeitig aufstehen müssen.

Tag 36 Ersfjorden – Tromsø 

Der Wecker klingelt prompt um 5:45 Uhr. Absolut eklig nach den Anstrengungen des Vortages. Aber bis zur Fähre sind es noch rund 38 Kilometer und eine Fähre fährt um 9:45 Uhr, die nächste erst wieder um 14 Uhr. Erwische ich die Erste nicht, schaffe ich es heute nicht nach Tromsø.

Also bin ich um Punkt 7 wieder on the road, zuvor hat der Himmel sich überlegt, genau dann anzufangen zu regnen, als ich das Zelt zusammenpacken wollte. Also wieder ein Start in Regenklamotten.

Am Mefjorden entlang geht es durch zahlreiche kleine Tunnel, diese haben aber eine gute Infrastruktur für Radfahrer, überall gibt es Warnlichter zu aktivieren, teilweise kann man sich gratis Warnwesten aus einer Kiste nehmen, und diese nach dem Tunnel wieder in die andere Kiste packen.

Anschließend geht es wieder an einen steileren Anstieg, und auch wenn der nur 150 Höhenmeter beinhaltet, ist es nach der Tortur von gestern in jeder Muskelfaser zu spüren. Zudem ist es weiterhin kalt mit gelegentlichen Schauern.

An einer Stelle beobachte ich einen Seeadler, der sich einem Möwennest genähert zu haben scheint. Todesmutig stürzt sich die Möwe in einen Gegenangriff und treibt den Adler vor sich hin. Der Vogel hat sicher nur ein Viertel der Spannweite, jagt aber den Adler über den ganzen Fjord, immer wieder schlägt die Möwe auf den Adler ein.

Meine Zeitplanung geht auf, 25 Minuten bevor die Fähre abfährt komme ich am Hafen an. Diese Fähre dauert nun knappe 40 Minuten und bringt mich von Senja nach Kvaløya. Solltet ihr jemals nach Nordnorwegen kommen, stattet Senja auf alle Fälle einen Besuch ab, es ist absolut paradiesisch dort.

Auf Kvaløya geht es lange Kilometer einen Fjord entlang, dann geschieht auch hier der Aufstieg in die Berge.

Die Höhenmeter lohnen sich aber, denn der Blick auf die umliegenden, schneebedeckten Berghänge entschädigt. Hier treffe ich auch auf Stuart, einen schottischen Radreisenden, der gerade vom Nordkapp kommt. So können wir gegenseitig uns ein paar Tipps zur Vor uns liegenden Strecke geben. Stuart berichtet, dass er sich am Nordkapp eine zweite Regen Jacke gekauft hat, so bescheiden waren die Verhältnisse. Als ich ihm ein paar Tipps gebe, stellt sich heraus, dass er bereits die USA durchquert hat, ebenso von Schottland nach Istanbul gefahren ist. Der Typ braucht also wahrlich keine Tipps von mir, der weiß schon was er macht. Zudem will er nach Tariffa, Europas südlichsten Punkt, hat also noch gut Strecke vor sich.

Stuart

Und endlich mal wieder ein Portrait von mir, danke Stuart. 

Nach 70 Kilometern mache ich hier eine Mittagspause am Wegesrand, inzwischen hat die Sonne sich ein wenig gezeigt und es ist gar nicht so kalt. Nach 30 Minuten vertreibt mich allerdings wieder der einsetzende Nieselregen.

Jetzt liegen nur knappe 25 Kilometer bis Tromsø vor mir, die ich versuche im schlechten Wetter hinter mich zu bringen.

Die ersten Blicke auf die Stadt gefallen, schließlich erhebt sich die Stadt vor einem astreinen Bergpanorama. Nur das Tromsø auf und hinter einem Hügel liegt, dass müsste wirklich nicht sein. Da ich keine Lust auf die 8 Kilometer um den Hügel habe, nehme ich die 2,5 Kilometer über den Hügel in Kauf. Enge, steile Straßen bringen mich so endlich zu meinem Hostel.

Dort kommt als erstes meine Wäsche in die Waschmaschine, hatte ich das doch zuletzt in Kiruna vor knappen 10 Tagen gemacht. So sitze ich und schreibe diesen Blogeintrag bekleidet mit meiner Regenhose und meiner Regen Jacke 😀

Vorhin war ich noch in der “Bike Kitchen”, eine Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt, die vor 7 Tagen in Tromsø eröffnet hat. Dort kann ich in sauberer Umgebung und mit einem Montageständer mal mein Rad ordentlich putzen, ölen und ein paar Schrauben nachziehen. Deutlich angenehmer als das Arbeiten auf der Wiese neben dem Zelt. Solltet ihr in Tromsø also mal ne Werkstatt brauchen, diese ist ideal, und dankenswerterweise auch Gratis zu nutzen.

Ich bin am Überlegen morgen einen Ruhetag im Hostel einzulegen, die Erkältung zu bekämpfen und ein wenig auszuspannen. Mein norwegischer Weg zum Nordkapp ist 1100 Kilometer lang, davon habe ich jetzt in Tromsø etwa die Hälfte geschafft. Das kann man schon mal mit einem Ruhetag zelebrieren. Generell soll das Wetter sich bessern, für Samstag sind in Tromsø gar 21° angesagt!! Ich habe die leise Hoffnung, dass der Sommer langsam angekommen ist, was fantastisch wäre für den Weg zum Kapp.

Tag 31 – 33 : Narvik – Stokmarknes 

Tag 31: Narvik – Moskenes

Die Nacht am Campingplatz bleibt ruhig, keiner kommt vorbei. So packe ich in der Früh meine Ausrüstung zusammen und mache mich auf den Weg zum Busbahnhof. 
Dort besteigen ich einen Bus, der mich an die entfernteste Insel der Lofoten Inselgruppe bringen soll. Da die Lofoten eigentlich nur von einer Hauptstraße durchquert werden, spare ich mir so, diese Straße bis ans Ende der Inselgruppe zu radeln, nur um dann umzudrehen und auf der selben Straße zurück zu fahren. 

Die Busfahrt ist sehr angenehm. Knappe 8 Stunden braucht der Bus, ich verbringe die Zeit mit Lesen und aus dem Fenster schauen. Dank Studentenausweis zahle ich auch knappe 21 Euro für die Reise, finde ich einen ziemlich gerechtfertigten Preis. Die Lofoten haben einen ganz besonderen Charme, da sie so bergig sind. Nun, nicht bergig in dem Sinne, wie meine bayrische Herkunft Berge definieren würde. Die lofotischen Erhebungen sind maximal 1000 Meter hoch. Aber da die Bergflanken sich direkt aus den Fjorden erheben, erscheinen diese Berge weitaus höher, massiver und beeindruckender. Dies ist auch das fesselnde an der Busfahrt, die Straße direkt am Meer entlang und ringsum die zerklüfteten Berge, die in den Himmel jagen. Infos zu den Lofoten gibt es bei Wikipedia

Mir fällt auf, dass dies seit Göteborg das erste Mal ist, dass ich wieder in einem öffentlichen Verkehrsmittel sitze. Wenn man die 30km PKW-Fahrt nach Mora ausblendet (die ja nur dazu diente, mein kaputtes Rad zum Radhändler zu bringen), ist dies also meine erste motorisierte Fahrt seit über 20 Tagen. Völlig verrückt wie ich mich an die Geschwindigkeit des Rades angepasst habe, mit 80 oder 100 km/h zu fahren erscheint mir schwer greifbar und auch wie mühelos es Anhöhen hoch geht passt nicht mehr in meine Wahrnehmung. 

Dies ist tatsächlich das Einzige, was mir an dieser Bustour nicht gefällt: Das Bewusstsein, dass ich nun die Straße erkunde, die ich die folgenden Tage wieder zurückfahren muss. Bei jeder Steigung denke ich mir “oh, das wird hart mit dem Rad”, bei jedem Tunnel suche ich nach dem Seitenstreifen für Radfahrer. Es gefällt mir deutlich besser ins Ungewisse zu fahren, als einen Überblick über die beschwerlichen Stellen der nächsten Tage zu haben. 

Nach einer langen Busfahrt steige ich in Å aus dem Bus. (Übrigens ein toller Ort für eine Partie “Stadt, Land, Fluss” und generell wohl einer der kürzesten Ortsnamen der Welt 😉   ). Was ich nicht bedacht hatte: Der Radhalter am Heck des Busses ist zugleich auch am Auspuff dran. Mein Rad ist von oben bis unten in Feinstaub bedeckt. Das zeigt mal die Proportionen auf, was da täglich rausgeblasen wird. Ich muss jedenfalls erstmal mein Rad säubern bevor ich aufsatteln kann. 

Nun hätte ich zwei Optionen: Der Campingplatz in Moskenes ist nur 5km entfernt, der Nächste in 33km. Da es aber bereits 18 Uhr ist, ordentlich regnet und auf dem nächsten Abschnitt einige Sehenswürdigkeiten liegen, die ich in Ruhe betrachten will, entscheide ich mich für den näheren Campingplatz. 

So habe ich heute tatsächlich nur 8km zurückgelegt, als ich am Platz ankomme. Dieser liegt direkt an der Fähranlegestelle für die Bødø-Fähre. Und das macht einen riesen Unterschied – Der Campingplatz ist voll! War ich die vergangen Wochen zumeist das einzige Zelt am Platz stehen hier nun mehrere Dutzend und endlos viele Camper. Nachts muss der Platz sogar wegen Überfüllung schließen. 

Miserables Wetter! 

Ich baue im Regen mein Zelt so schnell auf wie es geht und flüchten dann endlich unter die Dusche. Nach 2 Nächten und 3 Tagen ohne Waschmöglichkeit ist es wirklich herrlich endlich massenhaft warmes Wasser zu haben. Auch die Küche nutze ich danach, auch wenn da wirklich Akkordbetrieb vorherrscht, aber so kann ich wenigstens im Warmen sitzen und führe ein paar nette Gespräche mit anderen Gästen. 

Beim Schlafengehen prasselt der Regen aufs Zelt. Leider steht zu befürchten, dass sich das morgen nicht ändern wird, es ist weiterhin schlechtes Wetter angesagt. 

Tag 32: Moskenes – Malnes

Wie erwartet ist der Soundtrack beim Aufwachen der Selbe – das beständige Trommeln des Regens auf dem Aussenzelt. So bleibe ich noch ein wenig länger liegen, frühstücke in der Küche und mache mich schließlich um halb 10 auf den Weg. 

Habe in der Küche noch eine nette Britin getroffen, die in die selbe Richtung wie ich mit dem Rad unterwegs ist. Allerdings hat sie einen Anhänger samt Hund dabei. Sie spricht davon, dass die “Lofoten ja ziemlich flach seien.” Ich will sie nicht beunruhigen und lasse sie in dem Glauben. 

Etwa 10 Minuten nach dem Start hole ich sie ein, sie kämpft sich gerade einen Hügel hoch und muss schieben. Unsere Geschwindigkeiten unterscheiden sich so gravierend, dass zusammen fahren keinen Sinn machen würde, deswegen Grüße ich sie nur kurz und ziehe dann vorbei. Der Beginn der Strecke heute ist alles, nur nicht “ziemlich flach”. Ständig geht es hoch und runter, die Dörfer scheinen auf jeden kleinen Vorsprung positioniert zu sein, die die ursprünglichen Erbauer finden konnten. Schnell bin ich in Reine angekommen. 

Vor 3 Jahren bin ich den dortigen Hausberg Reinebringen hochgeklettert und habe fantastische Aufnahmen machen können. Heute hingegen ist die Bergspitze nicht mal sichtbar im Nebel, es ist kalt und der Regen kommt fast horizontal. Also schnell weiter. 

Aufstieg zum Gipfel

Reine und der Reinebringen in den Wolken. 

Habt ihr euch mal gefragt, wo eure wunderbaren, antibiotikagefüllten Lachse herkommen? Bitteschön:

Die Fjorde sind wunderschön, allerdings auch ziemlich frustrierend zu fahren. An einer Stelle müsste ich etwa 400m Wegstrecke zurücklegen, gäbe es eine Brücke über den Fjord. Stattdessen geht es über 9 Kilometer am Fjord entlang bis ich auf der Gegenseite stehe. Das schlaucht ganz schön, aber wenigstens hat man so viel Zeit sich die Landschaft anzuschauen. 

Selbst die Schafe sind schlauer als ich und verstecken sich vor dem Regen. 


Die Lofoten sind schon seit Jahrhunderten am Meisten für ihren Fischfang berühmt. Jedes Jahr ziehen hier große Mengen Dorsch an den Inseln vorbei. Die gefangenen Fische werden auf gigantischen Holzgestellen Luftgetrocknet, eine uralte Methode zur Konservierung. Mein Reiseführer erzählt mir, dass im 11. Jahrhundert die Erträge aus den lofotischen Fischfängen größer waren, als der gesamte Staatshaushalt der norwegischen Regierung. Sind also gewaltige Dimensionen und zeigt, weshalb Fischfang hier noch eine so gewichtige Rolle spielt. 

Auf einem steilen Anstieg treffe ich einen weiteren deutschen Radfahrer, der seit zwei Wochen von Oslo aus unterwegs ist. Zusammen fahren wir in den ersten Tunnel meiner bisherigen Tour. Es hätte zwar heute einige Tunnel gegeben, zumeist führen die allerdings durch Berge hindurch und Radfahrer und Fußgänger müssen die Umfahrungsstraßen nutzen, die an den Berghängen entlangführen. Dieser Tunnel jedoch führt unter dem Meer zwischen zwei Inseln hindurch, da gibt es keine Umfahrungsstraßen 😉

Also Licht an und ich wage mich als Erster in den Tunnel. Es gibt einen Gehweg, auf dem wir fahren können. Erst geht es 800m steil bergab. Ich kann leider nicht so Rollen lassen, wie ich gerne möchte, dafür ist der Belag zu schlecht und zu wenig Licht vorhanden. Trotzdem geht es mit gut 40km/h hinab. Unten dann der Richtungswechsel, nun geht es quälend steil bergauf. Alles in allem ein guter, erster Test, die Kür erwartet mich dann an dem Tunnel, der zum Nordkapp führt, mehr dazu aber in gegebener Zeit. 

Nach 60km bin ich über die Inseln Moskenesøya, Flakstadøya nun endlich auf Vestvågøya und komme in der Stadt Leknes an, erledige meinen Einkauf und verschwinde dann in eine Imbissbude:

 Es hat nun die vergangenen 4 Stunden nicht einmal aufgehört zu regnen, der Gegenwind peitscht mir ins Gesicht und es ist wieder so kalt, dass man seinen Atem sehen kann. In dieser Situation brauche ich was Warmes zu essen und die Möglichkeit mich aufzuwärmen. Über eineinhalb Stunden sitze ich dort, bis ich mich zur Weiterfahrt aufraffen kann.  

Ich biege von der Haupt Route E10 auf die Straße Nr. 815 ab. Ich erhoffe mir davon weniger Caravan-Verkehr, Kilometer mäßig schenkt sich das nichts. Dafür erkaufe ich mir diese Einsamkeit durch einen steilen Aufstieg ins Nebental. Knappe 150 Höhenmeter am Stück kurbele ich mich nach Oben. Die Abfahrt ist wenigstens eine gebührende Belohnung.

Treffe dabei auf einen suizidalen Vogel: Der kommt plötzlich aus dem Gebüsch gelaufen und rennt direkt auf mich zu. Ich versuche noch auszuweichen, doch er läuft mir voll gegen das Rad. Als ich anhalte, erblicke ich ihn auf dem Rücken liegend und ein Bein zuckt noch. Es tut mir wirklich schrecklich leid, aber ich hab keine Ahnung warum er gerade auf mich zu kam. Ich suche mir einen Stein um das arme Tier zu erlösen, plötzlich springt der Vogel auf und humpelt davon. Sieht eindeutig lädiert aus, ich frage mich aber, ob nicht alles Show war und er vielleicht versuchte, von einem Nest in der Nähe abzulenken. Auf alle Fälle ein gruseliges Erlebnis. 

 Die hier waren zum Glück schlauer. 

Nach knappen 80km komme ich an einem Campingplatz an, wo auch der andere deutsche Radfahrer übernachten wollte. Ich allerdings bin noch einigermaßen fit, entschließe mich also nur das Wasser aufzufüllen und dann weiter zu fahren. Generell habe ich dadurch ein gutes Gefühl: Ich konnte dem anderen Radfahrer an den Hängen und im Flachen locker davon fahren, und das obwohl ich 30km früher angefangen habe als er und mein Rad schwerer bepackt war als seins. Die tägliche Verbesserung der Kondition merkt man nicht wirklich, aber in solchen Situationen wird es sichtbar. 

Ich will noch 10km weiter und mir auf dieser Strecke einen Platz zum Wildzelten suchen. Leider kommt da sehr viel Sumpf und so fahre ich dann doch weiter, auch gegen den starken Wind und Regen. 

Schließlich ist der einzige windgeschützte und sumpf-freie Stellplatz der Parkplatz eines Friedhofs, und ich habe damit wohl den bisher seltsamsten Campingplatz gefunden. Aber da ich nun nach 94 Kilometern wirklich genug habe, muss dies wohl reichen und ich stelle das Zelt auf. 
Bin relativ stolz über die heute erbrachte Leistung, obwohl es so hügelig und wettertechnisch grauenhaft war, habe ich ordentlich Strecke machen können. Heute Nacht soll endlich der Regen abflachen, mal schauen ob es morgen angenehmer wird.  

Tag 33: Malnes – Stokmarknes


Komme heute zwar schwer aus den Federn, die Geister des Friedhofs haben mich aber in der Nacht nicht gestört 😉 

Nach einem leckeren Frühstück:

Mache ich mich auf den Weg. Das Wetter heute ist deutlich besser als gestern. Zwar immer noch ziemlich grau, aber ohne Regen. Der Wind allerdings hat seine Intensität beibehalten. 
Schon bald muss ich über diese bemerkenswerte Brückenkonstruktion. 

Der Querwind oben ist ziemlich stark und auch im Wasser ist die Strömung deutlich wahrzunehmen, wie sie unter der Brücke hindurch die Wassermassen presst. Über die Inseln Gimsøya und Austvågøya komme ich anschließend auf abwechslungsreichen und teilweise sogar sonnigen Abschnitten nach Svolvaer.

Bis fast ans Nordkapp geht es nun auf der Fahrrad Route 1.

Lofoten Kathedrale in Kabelvåg 

In Svolvaer stürme ich den örtlichen Supermarkt und gönne mir sogar noch Eis, welches ich verdrücke, während ich versuche ein wenig Photosynthese auf dem Parkplatz zu betreiben. 

Weiter geht es an der Küste entlang am wunderschönen Austnesfjorden. Der Abschnitt kostet viel Kraft, schließlich geht es gefühlt in Achterbahnmanier auf und ab, zudem drückt mich der starke Gegenwind zurück. 

Ich beschließe heute eine späte Mittagspause einzulegen und erst den Fährhafen in Fiskebøl zu erreichen.

 Als ich dort schließlich nach 70km Wegstrecke ankomme, wartet die Fähre gerade auf mich. Schnell an Bord gefahren, legt diese nach 4 Minuten auch schon ab. 

Ich verlasse nun schon die Lofoten und begebe mich auf die nächste Inselkette, die Vesterålen. Trotz schlechtem Wetter freue ich mich, die Lofoten mitgenommen zu haben. Sie haben ihren eigenen Charme, sind landschaftlich wunderschön anzuschauen und auch der dauerhafte Geruch von Salzwasser und nassen Algen, teilweise auch von dem trocknenden Fisch, den ich die letzten zwei Tage in der Nase hatte, ist etwas ganz Besonderes. 

Die Fähre von Fiskebøl nach Melbu braucht keine 20 Minuten. In Melbu selbst gönne ich mir nun endlich mein Mittagessen, der Magen hängt schon in den Kniekehlen. Dabei gibt es heute eine besondere Leckerei, die ich seit Kiruna mit mir mitschleppe:

Ich bin ein riesiger Avocado-Fan und unerwarteter Weise waren Avocados in Schweden sogar eins der wenigen Lebensmittel, die tatsächlich billiger als in Deutschland sind. Leider reifen Avocados bei 2° und in einer Tupper Dose ziemlich langsam, und so habe ich sie seit Kiruna in der Tasche gehabt. 

Nach diesem gelungenen späten Mittagessen gehe ich den letzten Teil des Tages an. Bis zum nächsten Campingplatz sind es entspannte 17 Kilometer. Den Übernächsten werde ich nicht erreichen können, die 40 Kilometer bis dahin packe ich nach dem vielen fahren heute nicht mehr. Also ganz entspannt ab zum näheren Platz. 

Die jetzige Insel Hadseløya ist weit weniger wild und schroff als die Lofoten, jedoch auch wunderbar grün und voller Leben. Zudem habe ich auf der Küstenstraße tolle Blicke zurück auf die Lofoten. 

Tolle Idee

In Stokmarknes angekommen fahre ich zum schnuckelige Campingplatz, der sogar über einen eigenen Bach verfügt, welcher sich durch das Gelände zieht. 
Nach insgesamt 84km baue ich dort also mein Zelt auf, genieße eine warme Dusche, wasche meine Wäsche und verbringe einen angenehmen Abend. 

Tag 29 – 30 : Kiruna – Narvik

Tag 29: Kiruna – Tornehamn

Vorwarnung: Viele, viele Berg-Fotos heute, ich freue mich einfach viel zu sehr über eine neue Landschaftsform

Um kurz nach 9 sitze ich auf dem Rad, bereit Kiruna zu verlassen. Es ist zwar mit 3° wirklich empfindlich kalt, dafür aber endlich trocken. Schon nach 2km liegt die Stadtgrenze hinter mir und ich komme gut voran. Der Asphalt ist glatt und neu, zudem bleibt die Strecke über 40km relativ eben, was mich sehr freut. 

Blick auf die  Geröllhaldr der Mine in Kiruna

Unterwegs überholt mich auch die Bahn mit dem Eisenerz, welches in Narvik auf Schiffe verladen wird. 

Heute ist die Gelegenheit, um mein Kalt-Wetter-Setup zu testen. Mit Mütze, Schlauchtuch und Handschuhen lässt sich die Kälte relativ gut aushalten. Einzig die Füße frieren mir ordentlich ein. Hier werde ich die Tage testen, ob ein zweites Paar Socken hilft, ansonsten werde ich die wasserdichten Schuhüberzieher nutzen, das ist zwar unangenehm, aber wenigstens bleibt es darunter schön warm. 

Selbst beim dritten Besuch in Nordschweden bin ich vom Wasserreichtum der Region fasziniert. Hinter jeder Ecke wartet ein neuer See und ich fahre heute an mehreren reißenden Flüssen vorbei. Von kleinen Bächen, die zumeist durch die Schneeschmelze entstehen, ganz zu schweigen, da kreuzen heute hunderte meinen Weg. Die Kommune Kiruna hat über 6000 Seen, und über 30 Berggipfel, kein Wunder dass ich heute so tolle Sachen sehe. De facto könnte ich jetzt auch das Wasser direkt aus den Bächen trinken, hier gibt es keine Landwirtschaft mehr, welche das Wasser verunreinigen könnte. Ich hab allerdings genug dabei, so hebe ich mir den ersten Schluck Fjällwasser noch auf. 

Lange Zeit halte ich auf einen namenlosen Gipfel mit 1021m Höhe zu, da die Straße direkt am Fuße des Berges vorbeiführt. Der Gipfel ist leicht mit Schnee gezuckt und sieht fantastisch aus. 

Ich treffe heute auf einen entgegenkommenden Radfahrer, der eine kürzere Tour hinter sich hat und körperlich relativ angeschlagen aussieht. Er freut sich auf Kiruna, wird dort seine Reise beenden und per Zug nach Südschweden zurückkehren.

 Übrigens habe ich heute auf Facebook entdeckt, dass die polnischen Rennradfahrer am Nordkapp angekommen sind. Zwar sind die eine kürzere Route gefahren, als die die ich vorhabe, aber ich habe sie auch erst vor 4 Tagen Abends in Gällivare getroffen. Respekt! 

 Kurze Bananen-Pause, sonst wird es zu kalt. 


Nach 50km komme ich am Ufer des Torneträsk an, und damit an einem lang erträumten Zwischenziel. Der Torneträsk ist ein gigantischer See, auf beiden Seiten von hohen Bergen flankiert. Über 70km lang und 168m tief, an dem meisten Stellen über 6km breit.  Und nach all dem Wald der vergangenen Wochen habe ich nun endlich Fernblick. Berge! Wasser! Schnee! Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus, so krass ist der Bruch mit der bisherigen Landschaft. 


Blick auf den Olmácohkka, 1358m hoch. Direkt dahinter liegt bereits Norwegen, die Berge stellen eine natürliche Begrenzung dar. 

Mittagspause mache ich direkt an der Straße an einem Rastplatz, leider gibt es keine Windgeschützte Hütte. So fällt die Pause mit 30min eher kurz aus, aber da ich meine Finger und Zehen nicht mehr spüre, ist es höchste Zeit weiterzuziehen. 

Nach dem Mittagessen komme ich an einem Rastplatz vorbei, wo ein Mann von der Holzbank aufspringt und anfängt mir zu Applaudieren. Sehr seltsam, ich freue mich aber drüber und ziehe lachend weiter. 

 Die werden hier wohl gezüchtet.. 😉 

Generell liegt in den Bergen noch viel Schnee, man merkt dass die Schneeschmelze dieses Jahr im Verzug ist. Das sorgt aber für ein traumhaftes Panorama, so kann ich dem Schnee eigentlich nicht böse sein. 

Blick auf den Njulla und dahinterliegenden 1304m hohen Gohpasćorru, dem Hausberg von Abisko. 

Blick ins Karsavagge, wo ich vor zwei Jahren mit Markus wandern war. Erinnerst du dich noch an das eine Schneefeld mit den Toten Mücken drauf Markus? Da sieht das hier deutlich beeindruckender aus. 

Ist übrigens auch ein Bonus, bis jetzt gab es herzlich wenig Insekten in der Gegend. Ich habe ja die Hoffnung, dass die bei der ersten Warmphase alle geschlüpft sind und nun schon der Kälte zum Opfer gefallen sind, befürchte aber, dass das große Schlüpfen noch bevorsteht und ich alle Viecher dann beim Wandern abkriege. 

Nach 95km erreiche ich Abisko und damit wieder einen Sehnsuchtsort. Zwei mal hier gewesen um auf dem Kungsleden zu wandern. Letztes Mal brauchte es nur zwei Flugzeuge und einen Bus um mich herzubringen, das Erfolgserlebnis es mit eigener Muskelkraft hierher geschafft zu haben, bereitet aber mehr Freude. Ich fülle mein Wasser auf, genieße die gespannte Atmosphäre vor Ort, da jeder in Trekkingklamotten rumläuft und die Aufregung vor-, bzw. die Erleichterung nach einer eben absolvierten Tour ist geradezu spürbar. 

Blick zurück auf Lapporten (dt. “Lappen-Pforte”), ein sehr passender Name dafür. 

Bisher hat das Wetter auch gehalten, einmal hat es kurz genieselt, aber ist im  großen und ganzen trocken geblieben. Nur ein fieser Gegenwind quält mich heute, besonders, da er so kalt ist. Seit ich den Torneträsk erreicht habe und an dessen Ufer entlangfahre, ist es auch deutlich steiler geworden. Trotzdem, bei dem Ausblick nehme ich heute alle Widrigkeiten auf mich. 

Zudem merkt man, dass es hinter mir ganz schön grau zuzieht, während vor mir die schneebedeckten Hügel im Sonnenlicht funkeln. So schön war es heute, dass erstmalig auf Tour die Kopfhörer in der Tasche blieben, ich wollte mich voll aus die Landschaft konzentrieren. 

Habe heute einen deutschen Geländewagen mit dem Kennzeichen MA-TE gesehen. Was würde ich nur für eine Flasche Mate geben, bin jetzt seit knapp einem Monat auf dem Trockenen. Aber hey, noch etwas für die Vorfreude, nach Berlin zurück zu kehren. 

Nach 106km erreiche ich hinter Björkliden einen Rastplatz direkt am Wasser, wo schon ein paar Wohnwagen stehen. Ich organisiere mir das einzige kleine Fleckchen Gras und stelle schnell mein Zelt drauf. Komme noch mit deutschen Camper ins Gespräch, diese bringen mir nachher auch noch dankenswerterweise einen Tee vorbei, genau das Richtige zum Aufwärmen. Zudem hat die Raststätte eine kleine Hütte, ich kann also trocken und Windgeschützte sitzen, während ich mir Abends meine Nudeln koche. 

Und bei dem Blick aus dem Zelt kann man es eigentlich gar nicht besser treffen. 

So bleiben morgen nur noch knappe 70-80km nach Narvik in Norwegen, viele davon auch Bergab, da es direkt am Meer liegt. Auch wenn morgen ähnlich kalt werden soll, der Wind kommt laut Wetterdienst von hinten, und ich werde versuchen meinen Übertritt ins nächste Land richtig zu genießen. 

Tag 30: Tornehamn – Narvik

In der Früh geht es frostig weiter. Ich kurbel mich immer weiter in die Berge, die deutlich mehr Schnee an ihren Bergflanken haben. Auch die Seen sind jetzt teilweise noch zu 80-90% gefroren. 

Nach ca. 30 Kilometern erreiche ich Riksgränsen (=Reichsgrenze), das letzte Dorf in Schweden. Hier gehe ich noch mal beim örtlichen ICA Supermarkt einkaufen (so pervers es klingt, die “günstigen” Lebensmittelpreise nutzen, bevor es nach Norwegen geht) und sitze anschließend in der Sonne vor dem Supermarkt und beobachte das bunte Treiben. Im völligen Kontrast zu den derzeitigen Temperaturen in Deutschland hat Riksgränsen nämlich ein operierenden Skilift, welcher auch fleißig in Betrieb ist. Im ganzen Ort treffe ich Menschen in Skiklamotten, auf dem Weg zum Lift. Verrückte Welt. 

Kurz hinter Riksgränsen verlasse ich dann Schweden. Nach 24 Tagen und 1953,5 Kilometern fällt mir der Abschied schwer, aber nach dem Nordkapp fahre ich ja wieder nach Schweden zurück, es ist also nur ein Abschied auf Zeit. Die Grenze ist reichlich unspektakulär, und schwupps bin ich im 4. Land meiner Reise. 

Die Landschaft ist atemberaubend, schroffe Felsen, hohe Gipfel, Schnee und gefrorene Seen. 

Dann komme ich an einem Mahnmal für die Gefallenen der Narvik-Defensive 1940 vorbei. Bevor Norwegen sich den Deutschen ergab, haben hier einige Regimenter der norwegischen Armee in den Bergen den deutschen Soldaten die Stirn geboten. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ein Krieg hier im tiefsten Winter ausgesehen haben muss. Die Verwundeten wurden nach Kiruna transportiert, es gab zu wenig Zelte und um sie rum tobte Krieg und Winter. Die Norweger haben es geschafft den deutschen Stellungen empfindlichen Schaden zuzufügen und wurden von der Kapitulation Norwegens überrascht, da sie hofften in die Offensive übergehen zu können. 

Abschließend ging es steil bergab, dabei folgte und überholte ich LKWs des Straßenamts, die eine neue Mittellinie auf die Fahrbahn auftrugen. Habe ich noch nie Live erlebt, nun fahr ich aber fröhlich an den neuen gelben Streifen entlang. 

Die Hoffnung, heute wäre eine durchgängige Talfahrt bis zum Meer stellt sich allerdings schnell als Trugschluss heraus. Auch hier kämpfe ich mich teilweise steile Straßen bis zum Horizont hinauf, bevor es dann rasant wieder abwärts geht. 

Steiler Aufstieg

Leider schaffe ich es auf keinem Teilstück meinen Geschwindigkeitsrekord vom ersten Tag in Schweden einzustellen. Dafür ist die abschüssige Strecke entweder zu kurz, oder nicht steil genug. Habe ansonsten wenig Hoffnung, im Laufe der Reise noch an ähnlich steilen Stücken vorbeizukommen, vielleicht bleiben diese 67km/h das höchste der Gefühle. 

200 Höhenmeter tiefer mache ich eine ausgedehnte Mittagspause an einem See, jetzt ohne Schnee und mit viel Sonne. So kann ich in der Jacke länger sitzen und die Atmosphäre genießen. 

Anschließend geht es Schuss bis hinunter ans Meer, wo die E10 mit der E6 fusioniert. An sich müsste ich nun nach Rechts abbiegen, um auf die Lofoten zu kommen. 

Ich habe mich aber dagegen entschieden, 450km auf die Lofoten zu fahren, nur um anschließend 250 davon wieder auf der selben Straße zurückzukehren (es gibt auf den Lofoten eigentlich nur eine Hauptstraße, manchmal zwei Stück, aber mehr auch nicht). Stattdessen biegen ich nun Rechts auf die E6 ab und fahre nach Narvik. Morgen werde ich einen Bus in Narvik besteigen, der mich bis an die Westspitze der Lofoten-Inselgruppe bringt, und werde von dort den Weg zurück mit dem Rad fortsetzen. 

Nach 21 Tagen sehe ich das Meer wieder… 

So fehlen mir noch 20km nach Narvik, die sich als sehr zäh herausstellen. Viel auf und ab, kein Randstreifen und die E6 ist bisher die verkehrsreichste Straße die ich auf dieser Tour befahren habe. Selbst wenn es heute weniger Gesamtkilometer sind als die bisherigen Tage, diese gehen mir richtig an die Substanz und die letzten 10km schleppe ich mich wirklich voran. 

Es wird eine neue Brücke über den Narvik Fjord gebaut, soll wohl nächstes Jahr fertig werden. Bisher ist es eine beeindruckende Hängebrücke

Kurz vor dem Ortseingang nach Narvik erreiche ich dann den Campingplatz und erlebe eine böse Überraschung: Der Platz hat bereits seit Februar 2015 geschlossen, nur ein paar einsame Dauercamper stehen auf dem Gelände. Eine Google-Suche verrät mir, dass es in der Stadt keinen weiteren Campingplatz gibt. Das Hostel ist geschlossen, die Jugendherberge ist voll und das günstigste Hotel fängt bei 120€ die Nacht an. So entschließe ich mich, mich aufs Gelände des Campingplatzes zu schleichen und dort nichtsdestotrotz die Nacht zu verbringen. Eine Toilette hat zum Glück auch auf, nur die Duschen sind leider verrammelt. Tja, dann wird das die zweite Nacht ohne Dusche. 

Schnell stell ich das Zelt an der hintersten Ecke des Platzes auf und entlade mein Fahrrad. Mit nur einer leichten Tasche flitzen ich in die Stadt zum Einkauf. 

Nicht mehr weit… 

Danach geht es zum Narvikfjellet. Narvik hat einen Hausberg samt Gondelbahn, die unweit des Stadtkerns in die Höhe schießt.

 Und da heute am 23.6 die Norweger Mittsommar feiern, kostet die Gondelfahrt nicht mehr 18€, sondern nur 5€. Diese Gelegenheit nutze ich, um mich hoch über der Stadt umzusehen. Der Blick von oben ist fantastisch! 

Narvik im Tal

Blick auf die Lofoten

Mittsommar Lagerfeuer

Man sieht ganz Narvik am Fuße des Berges, zudem kann man die Lofoten bis in weite Ferne beobachten, besonders die Schneebedeckten Gipfel dort haben es mir angetan. So sitze ich knappe 3 Stunden auf dem Gipfel und genieße den Ausblick. Fieserweise haben um mich rum alle Norweger ihren Einweggrill aufgebaut und verputzen fröhlich ihr Abendessen. Und was habe ich dabei? Einen Schokoriegel und ne Banane. Auf meinen hungrigen und mitleidigen Blick reagiert leider keiner, was würde ich für einen Hotdog oder ein Steak geben… 


Hier wird das Eisenerz aus Kiruna Verladen. 

Der Berg hat de perfekte Ausrichtung, um die Mitternachtssonne zu verfolgen, schließlich zeigt der Ausblick nach Norden und Westen. Auch dass die Sonne in voller Kraft leuchtet und wenig Wolken das Ereignis verdecken, verschönert das Ereignis.

 Die letzte Gondel fährt erst um ein Uhr nachts, so könnte man beobachten, wie die Sonne auf Höhe der Lofoten wieder in die Höhe steigt. So lang will ich und mein grummelnder Magen allerdings nicht warten, gegen 8 Uhr mache ich mich mit der Gondel wieder auf ins Tal. 

Nach insgesamt 78km bin ich zurück am Campingplatz  und  die Sonne ist noch so stark, dass ich um 10 Uhr abends vor dem Zelt sitze und den Ausblick genieße. Meine Baked Beans mit Hotdog Würstchen sind zwar nicht so gut wie das Grillfleisch, aber nach so einem anstrengenden Tag eine wahre Wohltat. 

Bereits seit Tagen will ich ein paar Informationen zur Mitternachtssonne einstreuen, und nutze jetzt die Gelegenheit das Mittsommar ist, um dies nachzuholen:

Nördlich des Polarkreises geht im Juni-Juli die Sonne nicht unter, bedingt durch die Erdneigung zur Sonne. Je weiter Nördlich man kommt, desto länger hält das Ereignis an. So geht am Nordkapp, bei 71° Nord, die Sonne 1800 Stunden nicht unter. 

Wie lange die Mitternachtssonne zu sehen ist, könnt ihr dieser Infographik entnehmen. 

Nun hatte ich spätestens seit Südschweden keine richtige “Nacht” mehr, da allerhöchstens eine Dämmerung eintrat, dunkel wurde es aber nicht mehr. Aber so weit nördlich ist es faszinierend zu sehen, dass die Sonne immer noch das Zelt anstrahlt, als ich mich um Mitternacht schlafen lege. 

Alles in allem ein fantastischer Tag. Sehr anstrengend, aber gefühlt habe ich heute 3 Jahreszeiten durchlebt, von Winter im Skigebiet, über Frühling an den Berghängen bis hin zu Sommer im Tal, wo wieder allerlei Blumen und Bäume sprießen. Der Weg von Kiruna nach Narvik hat mir unglaublich gut gefallen, welch tolle Abwechslung nach all den Tagen im Wald. Ich bereue keine Sekunde, 400km mehr gemacht zu haben und via Kiruna nach Norwegen gefahren zu sein. In der Planung hatte ich auch überlegt bereits in Arvidsjaur nach Bodo abzubiegen und von dort auf die Lofoten zu schippern. Bin froh es nicht gemacht zu haben, auch wenn dieser Weg jetzt länger war. 

Morgen geht es früh los, um den Bus zu erwischen. 

Tag 27 – 28: Kiruna (Ruhetage) 

Die beiden Ruhetage in Kiruna waren recht ereignislos. Insgesamt bin ich knapp unter 10km Rad gefahren (zum Supermarkt, Stadt anschauen, etc.) und habe aufgrund des miesen Wetters viel Zeit drinnen verbracht. 

 Gibt nichts, was sich im Kapitalismus nicht kapitalisieren lässt. 
Mein Hostel für die ersten zwei Nächte war ziemlich abgerockt, dafür hatte ich aber das Vier-Bett-Zimmer komplett für mich, und konnte mich so ordentlich ausbreiten. Wäsche konnte ich auch endlich wieder Waschen, dass hatte ich seit Östersund nicht mehr gemacht (nur im Waschbecken oder im Fluss). 

Auch die Möglichkeit, Essen einzukaufen, welches man unterwegs nicht mitschleppen will (Avocados, 1L Joghurt, Chips, etc.) habe ich sehr genossen. Gesund waren die zwei Tage vielleicht nicht, aber wenigstens gab es zum Mittagessen an beiden Tagen eine riesen Schüssel Salat, eine wahre Freude nach all dem Fertigessen, bzw. all den Nudeln. 


 Auch mal ein deutsches Abendessen. 
Ich habe zwei Bücher verschlungen und mir vom Touristenbüro eine gute Broschüre für Nordnorwegen organisiert, mal schauen ob ich es schaffe, da einige der Attraktionen zu besuchen. 

Für die dritte und letzte Nacht bin ich in ein moderneres, größeres Hostel umgezogen. Hier habe ich im Zimmer zwei nette Schweden kennengelernt, die gerade auf dem Kungsleden (Königsweg) wandern waren. Dieser 450km lange Wanderweg beginnt in der Nähe von Kiruna, und gefühlt trägt die halbe Stadt hier Wanderschuhe und Trekkinghosen, ist also ein Umschlagsplatz für all die Wanderbegeisterten. Auch wenn extrem viel Schnee auf dem Kungsleden liegt, haben die Beiden es geschafft, den Kebnekaise zu besteigen, Schwedens höchsten Berg. Ein Erfolg, der mir bei meinen beiden vorherigen Touren auf dem Kungsleden nicht vergönnt war (siehe die Reiseberichte 2014 und 2015 hier im Blog), und so machen sie mich ordentlich neidisch mit ihren Gipfelfotos. 


Netterweise überlassen sie mir 5 Packungen ihrer Trekkingnahrung, da sie diese nicht mit nach Hause schleppen wollen. Ich freue mich riesig drüber, denn die Packungen sind sowohl leichter als Fertignudelpackungen, zudem haben sie deutlich mehr Kalorien. Werde sie aufbehalten und am Ende mit auf die Trekkingtour mitnehmen, so habe ich weniger zu schleppen, was mich sehr freut! Zudem sind die Packungen mit bis zu 10€/Essen für mich viel zu teuer, als dass ich mir die für die Wanderung hätte geleistet. 

In der Touristeninformation sammel ich noch Informationen über die Eisenerz Mine, sollte das jemanden interessieren, hänge ich hier die Infos an. Faszinierend find ich die Fördermenge von über eine Milliarde Tonnen Eisenerz. Es ist auf alle Fälle ein gigantisches Unterfangen. Die erste Nacht habe ich es noch verschlafen, heute Nacht bin ich um Punkt 1:30 Uhr wach geworden. Da wird pünktlich 365 Tage im Jahr neues Material in der Eisenmine gesprengt, ein Ereignis, dass man auch 1,5km höher in der Stadt klar hören kann. Mal sehen ob ich heute Nacht davon wach werde. 


Ansonsten genieße ich den Luxus, auch mal einen Mittagsschlaf einzulegen, und mit dem Buch im Bett zu liegen. Das Wetter bleibt katastrophal regnerisch, ich bin also wirklich froh, den zweiten Pausentag drangehängt zu haben, draußen möchte ich gerade wirklich nicht sein. Während ich diese Zeilen schreibe, bestätigt mir der Blick aus dem Fenster: Es schneit!!! Und das, während meine Telefonate in die Heimat mir dauerhaft von der Hitzewelle erzählen. Verrückte Welt. 

Das Wetter morgen soll besser sein, zumindest trocken sollte ich voran kommen. Allerdings bleibt es die kommenden Tage deutlich kühler als ich es bisher auf Tour hatte. Knappe 2° Nachts, und Tagsüber bis 7° Grad. Bin mal gespannt, wie es mir damit ergeht. Mein Schlafsack sollte es eigentlich abkönnen, interessant wird es eher beim Fahren selber. Während man tritt, bleibt es warm, problematisch werden eher die Pausen, bei denen man schnell auskühlt. 

Nichtsdestotrotz bin ich wieder richtig heiß aufs weiterfahren. Ich hoffe mein Hintern und meine Knie haben die Pause genossen und ich kann wieder voll durchstarten. Von Kiruna geht es nun nach Westen, an der Erz-Bahnlinie entlang, bis nach Narvik in Norwegen. Zwei abenteuerliche Tage in wunderbarer Natur stehen mir bevor.