Tag 43: Grüße von 71°10’21” N. (Nordkapp) 

Der Tag beginnt regnerisch, so kosten Klaus und ich unsere gemieteten Hütte bis zur letzten Sekunde aus.

Luxus Frühstück

Der Morgen wird eh stressiger als geplant, da Klaus versucht seine Rückreise zu organisieren. So wird aus einem “ach, ich nehme die Fahrt nach Hause langsam in Angriff, ich will sie genießen und die Landschaft am Fenster vorbeiziehen sehen” schnell die Erkenntnis, dass dies deutlich komplizierter wird. Zwischendrin steht mal Fähre, Zug, Fähre, Zug zur Debatte. Und ob es jetzt die lange Fähre für 360€ bis Bodo wird, oder doch nur bis Tromsø.

Als sich schließlich herausstellt, dass der Zug bereits völlig ausgebucht ist, und die ganze Odyssee über 50 Stunden bis zur Fähre Oslo – Kiel dauern würde, nimmt Klaus zögerlich meinen Ratschlag an, doch mal nach einem Flug zu schauen. Und siehe da, weit günstiger und weniger Zeitintensiv. So bucht er nun einen Flug von Tromsø nach Oslo, fährt aber vom Nordkapp mit der selben Fähre wie ich, um nach Tromsø zu kommen. Damit ist klar, dass wir die nächsten Tage zusammen verbringen werden, was mich sehr freut.

Die ganze Buchung und Planung hat Zeit gekostet, so machen wir uns erst nach Mittag auf die letzten Kilometer.

Das Wetter ist leider im gestrigen Zustand verblieben, wenn überhaupt ist der Regen noch stärker geworden und die Temperatur sind noch weiter gefallen. Also Regenklamotten an und los!

(Dieser Abschnitt hat nicht viele Fotos. Es hat so stark geregnet, dass ich Rücksicht auf die Kamera genommen habe, und diese in der Lenkertasche blieb. Da wir aber den selben Weg zurückfahren, und dass angeblich bei Sonne, werde ich dort die Bilder einfügen.)

Direkt hinter dem Zeltplatz geht es an den ersten Aufstieg. Rund 240 Höhenmeter bei 9% Steigung warten darauf, mit viel ächzen und schwitzen erobert zu werden.

Endlose Aufstiege 

Dann geht hügelig weiter, bevor es zum zweiten, noch viel steileren Anstieg geht, der einfach nicht aufzuhören scheint. Nach jeder Kurve erwarte ich die Erlösung, nur um mit mehr Asphalt begrüßt zu werden, der sich in den Himmel windet.

Und wenn ich schreibe das Wetter war schlecht, dann meine ich RICHTIG SCHLECHT: Temperaturen pendeln zwischen 4-5°, der Regen kommt eiskalt angepeitscht, auch bedingt durch den 20 km/h Gegenwind.

Klaus und ich sind richtig am kämpfen. Zwar sind es nur 28 Kilometer zum Kapp, aber diese müssen wir uns wirklich verdienen. Ein Schlag ins Gesicht sind die letzten zwei Kilometer, hier nahmen wir beide an, endlich auf eine flache Strecke zu stoßen, nur um noch mal mit letzter Kraft klettern zu müssen! So lege ich auf 26 Kilometern heute etwa 800 Höhenmeter zurück, an den vergangenen Tagen wären so viele Höhenmeter auf 50-60 Kilometer Wegstrecke verteilt gewesen.

Heutige Strecke von Honningsvåg bis zum Nordkapp! 

Noch vorbei am Tickethäuschen (für unmotorisierte Besucher ist der Besuch kostenlos), vorbei am Hauptgebäude und am zum Wahrzeichen des Nordkapps.
Um etwa 16 Uhr erreiche ich den nördlichsten Punkt meiner Reise:

3699km in 43 Tagen, 212 Stunden im Sattel. Lege ich den 7. Gang als Bewertungsgrundlage an, haben meine Beine unglaubliche 1.131.000 Mal gekurbelt.

Endlich da!!! 

DSC09233
© Klaus

DSC09235
© Klaus

Auch wenn ich mich die vergangenen Tage gar nicht so übertrieben auf das Nordkapp gefreut habe, sondern es eher als Zwischenziel ansah, jetzt überwiegt die Freude hier zu sein, und endlose Ereignisse der vergangenen Wochen fluten mein Bewusstsein. Den letzten Berg bin ich nur hoch gekommen, weil ich versucht habe, mich an jede Übernachtungsstelle seit Tag 1 zu erinnern, samt der zugehörigen Umgebung. So war der Denkapparat beschäftigt, und konnte über die Schmerzen in den Beinen Hinweg getäuscht werden.

So viele Kilometer, so viele spannende Menschen, aufregende Tierbeobachtungen, wunderschöne Landschaften, schöne Zeltplätze und wechselhafte Wetterbedingungen. Ich bin unglaublich dankbar hier zu sein.

Nun aber ein paar Informationen zum Nordkapp, warum bin ich hier eigentlich hin?

Das Nordkapp wird als “der” nördlichste Punkt Europas gehandelt. Warum das Blödsinn ist, findet sich prägnant bei Wikipedia:

Entgegen der weit verbreiteten Auffassung und den Behauptungen der Tourismusbranche ist das Nordkap nicht der nördlichste Punkt Europas:

  1. Das Nordkap befindet sich nicht auf dem Festland, sondern auf einer diesem vorgelagerten Insel. Der nördlichste Punkt des Festlandes ist die Landzunge Kinnarodden(71° 08′ 01″ nördlicher Breite) auf der Nordkinnhalbinsel.
  2. Auch auf der Insel Magerøya, auf der auch das Nordkap liegt, befindet sich auf 71° 11′ 08″ nördlicher Breite ein noch 1400 Meter weiter nördlich gelegener Punkt, nämlich die westlich benachbarte Landzunge Knivskjellodden.
  3. Auch unter den Inseln, die zu Europa zählen, gibt es diverse, die sich nördlich des Nordkaps befinden. Diejenigen des Spitzbergen-Archipels und die des Franz-Josef-Lands mit Kap Fligely sind die nördlichsten.

Das Aufhebens über das Nordkapp läuft also auf eine simple Tatsache heraus und ist der Grund, weshalb auf dem Vorplatz dutzende Reisebusse und Endlos viele Camper stehen:

Das Nordkap ist seit dem Anschluss an das Straßennetz über die heutige Europastraße 69 im Jahr 1956 der nördlichste Punkt Europas, der auf Straßen vom europäischen Festland aus erreicht werden kann.

(Beide Zitate von Wikipedia 

Der Knivskjelloden wäre einen Abstecher wert, ist allerdings mit einer 16 Kilometer Wanderung verbunden.

Aber nach Norden kommt wirklich nicht mehr viel. 

Aufgrund des schlechten Wetters belassen Klaus und ich es also bei ein paar schnellen Zielfotos am Globus, und flüchten dann in die Wärme des Nordkapp-Centers.

Hier ist wirklich eine umfangreiche Infrastruktur entstanden. Ein gigantischer Souvenirladen konkurriert mit Cafés und Restaurants um die Gunst der Kundschaft.

Im Restaurant gibt es ein teueres, leider aber ziemlich schlechtes Abendessen. Aber so haben wir wenigstens die Möglichkeit stundenlang an den Panoramafenstern zu sitzen und die wilde Landschaft zu beobachten. Das Nordkapp wird angeblich 360 Tage im Jahr von Nebel eingehüllt, und an Tagen wie heute glaube ich das sofort.

Blick auf den Knivskjellodden, noch ein paar Meter nördlicher. 

50 shades of gray

DSC09254
Noch mal Knivskjellodden. © KlausDSC09255
© Klaus

Schließlich gehen wir noch ein wenig auf Entdeckungstour. Nachdem ich den Souveniershop für den teuersten Postkarten-Einkauf aller Zeiten nutze, gehen wir in den Info-Teil des Gebäudes.

So ist eine Ausstellung den Seegefechten im zweiten Weltkrieg gewidmet. Die Strecke um das Nordkapp war essenziell, um alliierte Schiffkonvois in die Sowjetunion zu bringen, welche diese mit kriegswichtigem Gerät versorgten und den Umschwung brachten, der Deutschlands “Krieg im Osten” zum erliegen brachte. Aus diesem Grunde waren sowohl zahlreiche deutsche Kriegsschiffe und U-Boote, aber auch alliierte Gegenkräfte vor Ort.

Kurz vor dem Nordkapp wurde zu Weihnachten 1943 der deutsche Zerstörer Scharnhorst unter alliierter Kraftanstrengung versenkt, über 1700 Personen fanden in den eisigen Gewässern ihren Tod. Wie schon so oft auf dieser Reise bin ich schockiert über die nördliche Ausdehnung des zweiten Weltkriegs.

Weit aufbauender ist die historische Ausstellung des Nordkapp. Seit dem 16. Jahrhundert auf Karten verzeichnet,  besuchte 1664 der italienische Pfarrer Francesco Negri das Kapp und gilt als der “des erste Tourist”. Ich kann mir kaum vorstellen, auf welche Landschaft und Wildnis er hier gestoßen sein muss.

Seine Eindrücke hielt er wie folgt fest :

Hier bin ich nun am Nordkap, am äußersten Punkt Finnmarks, und ich kann ohne Weiteres sagen am äußersten Punkt der Welt, denn weiter nördlich gibt es keinen von Menschen bewohnten Ort mehr. Mein Wissensdurst ist nun gestillt, und ich will nach Dänemark zurückkehren, und so Gott will, in mein Heimatland.

Prinz Louis von Orleans, der “Bürgerkönig” besuchte 1795 das Kapp.

Und schließlich auch ein kurioser Besuch: Im  Jahr 1907 kam König Chulalongkorn von Siam samt Gefolge zum Nordkapp und verewigt sich im Nordkappstein. Aus diesem Grund gibt es einen thailändischen Schrein samt Memorabilia zu betrachten.

Besonders gut hat mir die kleine Kapelle gefallen, die in einem Mix aus Felswand und modernen LED-Panelen ein Ort voll Stille war.

Stille hätte auch der letzte Raum der Ausstellung verdient gehabt, eine Sound- und Licht-Installation, welche die 4 Jahreszeiten am Kapp visualisiert. Und obwohl wir “3 Jahre” dadrin verbrachten, störten zahlreiche Touristen-Großgruppen, die lautstark vorbeipolterten und jegliche Besinnung schnell vermissen ließen.

Generell bin ich von den Touristen hier fasziniert. Aufgrund des schlechten Wetters halten sich die Besucherzahlen heute in Grenzen, dies sollte sich aber am Folgetag gänzlich ändern. (Mehr dazu später). Auf der einen Seite finde ich es schön, dass jedem Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, das Kapp zu sehen, indem man per Bus bis vor die Haustüre gebracht wird. Andererseits setzt etwas bei mir ein, was man vielleicht als “Sportler-Snobismus” beschreiben könnte: Der Gedanke, dass die alle in ihren beheizten Fahrkabinen saßen und sich mehrere Tausende Kilometer hier hin bewegt haben, während ich jeden Kilometer der Natur abgetrotzt habe und alle Widrigkeiten über mich habe ergehen lassen. Ein kleiner Gedanke im Kopf sagt ich hätte es mir “mehr verdient”, hier zu sein. Ist natürlich alles Quatsch.

Touristen – Ansturm

Und nun? 

  • Bin ich erstmal da 😉
  • Nein, nur ein Witz. Also den nächsten Tag bleiben Klaus und ich noch am Kapp. Das Wetter wird am Freitag besser und wir wollen die Aussicht genießen.
  • Deswegen bauen wir auf der kargen Hochebene hinter dem Kapp unsere Zelte auf.

  • In der Nacht von Freitag auf Samstag werden wir das Lager abbrechen und um Mitternacht in Richtung Honningsvåg zurückfahren. So können wir die Mitternachtssonne genießen und hoffentlich die Rückfahrt im besten Licht fotografieren.
  • Samstag früh um 6 Uhr fährt in Honningsvåg die Fähre ab, die ich für eine kurze, zweistündige Fahrt gen Westen nach Havøysund nutze.
  • So muss ich nicht nochmal den Nordkapp Tunnel und die vorherigen 80 Kilometer auf der selben Strecke zurücklegen, auf der ich hergekommen bin, sondern sehe eine neue Strecke von Havøysund nach Olderfjord.
  • Und dann kommt noch ein wenig Strecke, deswegen freue ich mich, am Nordkapp auch wirklich nur ein Zwischenziel erreicht zu haben: Von Havoysund erwarten mich noch knappe 700 Kilometer zurück nach Kiruna in Nordschweden, wo noch eine zweiwöchige Wanderung und dann der Rückflug geplant ist. So muss ich nun nicht wehmütig die letzten Kilometer bis zur Fähre antreten, in dem Wissen, die Reise ist zu Ende, sondern habe noch eine spannende Fahrt vor mir, in der ich mehr von der norwegischen Finnmark sehen werde, einen kleinen Abschnitt durch Finnland radel und schließlich wieder im geliebten Schweden ankomme.

In diesem Sinne bin ich stolz und happy hier sicher und gesund angekommen zu sein, freue mich aber noch viel mehr, dass das Abenteuer keinesfalls vorbei ist.

Abendliche Belohnung im Zelt: Rum-Cola für mich

Verschönerung für das Rad