Tag 29 – 30 : Kiruna – Narvik

Tag 29: Kiruna – Tornehamn

Vorwarnung: Viele, viele Berg-Fotos heute, ich freue mich einfach viel zu sehr über eine neue Landschaftsform

Um kurz nach 9 sitze ich auf dem Rad, bereit Kiruna zu verlassen. Es ist zwar mit 3° wirklich empfindlich kalt, dafür aber endlich trocken. Schon nach 2km liegt die Stadtgrenze hinter mir und ich komme gut voran. Der Asphalt ist glatt und neu, zudem bleibt die Strecke über 40km relativ eben, was mich sehr freut. 

Blick auf die  Geröllhaldr der Mine in Kiruna

Unterwegs überholt mich auch die Bahn mit dem Eisenerz, welches in Narvik auf Schiffe verladen wird. 

Heute ist die Gelegenheit, um mein Kalt-Wetter-Setup zu testen. Mit Mütze, Schlauchtuch und Handschuhen lässt sich die Kälte relativ gut aushalten. Einzig die Füße frieren mir ordentlich ein. Hier werde ich die Tage testen, ob ein zweites Paar Socken hilft, ansonsten werde ich die wasserdichten Schuhüberzieher nutzen, das ist zwar unangenehm, aber wenigstens bleibt es darunter schön warm. 

Selbst beim dritten Besuch in Nordschweden bin ich vom Wasserreichtum der Region fasziniert. Hinter jeder Ecke wartet ein neuer See und ich fahre heute an mehreren reißenden Flüssen vorbei. Von kleinen Bächen, die zumeist durch die Schneeschmelze entstehen, ganz zu schweigen, da kreuzen heute hunderte meinen Weg. Die Kommune Kiruna hat über 6000 Seen, und über 30 Berggipfel, kein Wunder dass ich heute so tolle Sachen sehe. De facto könnte ich jetzt auch das Wasser direkt aus den Bächen trinken, hier gibt es keine Landwirtschaft mehr, welche das Wasser verunreinigen könnte. Ich hab allerdings genug dabei, so hebe ich mir den ersten Schluck Fjällwasser noch auf. 

Lange Zeit halte ich auf einen namenlosen Gipfel mit 1021m Höhe zu, da die Straße direkt am Fuße des Berges vorbeiführt. Der Gipfel ist leicht mit Schnee gezuckt und sieht fantastisch aus. 

Ich treffe heute auf einen entgegenkommenden Radfahrer, der eine kürzere Tour hinter sich hat und körperlich relativ angeschlagen aussieht. Er freut sich auf Kiruna, wird dort seine Reise beenden und per Zug nach Südschweden zurückkehren.

 Übrigens habe ich heute auf Facebook entdeckt, dass die polnischen Rennradfahrer am Nordkapp angekommen sind. Zwar sind die eine kürzere Route gefahren, als die die ich vorhabe, aber ich habe sie auch erst vor 4 Tagen Abends in Gällivare getroffen. Respekt! 

 Kurze Bananen-Pause, sonst wird es zu kalt. 


Nach 50km komme ich am Ufer des Torneträsk an, und damit an einem lang erträumten Zwischenziel. Der Torneträsk ist ein gigantischer See, auf beiden Seiten von hohen Bergen flankiert. Über 70km lang und 168m tief, an dem meisten Stellen über 6km breit.  Und nach all dem Wald der vergangenen Wochen habe ich nun endlich Fernblick. Berge! Wasser! Schnee! Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus, so krass ist der Bruch mit der bisherigen Landschaft. 


Blick auf den Olmácohkka, 1358m hoch. Direkt dahinter liegt bereits Norwegen, die Berge stellen eine natürliche Begrenzung dar. 

Mittagspause mache ich direkt an der Straße an einem Rastplatz, leider gibt es keine Windgeschützte Hütte. So fällt die Pause mit 30min eher kurz aus, aber da ich meine Finger und Zehen nicht mehr spüre, ist es höchste Zeit weiterzuziehen. 

Nach dem Mittagessen komme ich an einem Rastplatz vorbei, wo ein Mann von der Holzbank aufspringt und anfängt mir zu Applaudieren. Sehr seltsam, ich freue mich aber drüber und ziehe lachend weiter. 

 Die werden hier wohl gezüchtet.. 😉 

Generell liegt in den Bergen noch viel Schnee, man merkt dass die Schneeschmelze dieses Jahr im Verzug ist. Das sorgt aber für ein traumhaftes Panorama, so kann ich dem Schnee eigentlich nicht böse sein. 

Blick auf den Njulla und dahinterliegenden 1304m hohen Gohpasćorru, dem Hausberg von Abisko. 

Blick ins Karsavagge, wo ich vor zwei Jahren mit Markus wandern war. Erinnerst du dich noch an das eine Schneefeld mit den Toten Mücken drauf Markus? Da sieht das hier deutlich beeindruckender aus. 

Ist übrigens auch ein Bonus, bis jetzt gab es herzlich wenig Insekten in der Gegend. Ich habe ja die Hoffnung, dass die bei der ersten Warmphase alle geschlüpft sind und nun schon der Kälte zum Opfer gefallen sind, befürchte aber, dass das große Schlüpfen noch bevorsteht und ich alle Viecher dann beim Wandern abkriege. 

Nach 95km erreiche ich Abisko und damit wieder einen Sehnsuchtsort. Zwei mal hier gewesen um auf dem Kungsleden zu wandern. Letztes Mal brauchte es nur zwei Flugzeuge und einen Bus um mich herzubringen, das Erfolgserlebnis es mit eigener Muskelkraft hierher geschafft zu haben, bereitet aber mehr Freude. Ich fülle mein Wasser auf, genieße die gespannte Atmosphäre vor Ort, da jeder in Trekkingklamotten rumläuft und die Aufregung vor-, bzw. die Erleichterung nach einer eben absolvierten Tour ist geradezu spürbar. 

Blick zurück auf Lapporten (dt. “Lappen-Pforte”), ein sehr passender Name dafür. 

Bisher hat das Wetter auch gehalten, einmal hat es kurz genieselt, aber ist im  großen und ganzen trocken geblieben. Nur ein fieser Gegenwind quält mich heute, besonders, da er so kalt ist. Seit ich den Torneträsk erreicht habe und an dessen Ufer entlangfahre, ist es auch deutlich steiler geworden. Trotzdem, bei dem Ausblick nehme ich heute alle Widrigkeiten auf mich. 

Zudem merkt man, dass es hinter mir ganz schön grau zuzieht, während vor mir die schneebedeckten Hügel im Sonnenlicht funkeln. So schön war es heute, dass erstmalig auf Tour die Kopfhörer in der Tasche blieben, ich wollte mich voll aus die Landschaft konzentrieren. 

Habe heute einen deutschen Geländewagen mit dem Kennzeichen MA-TE gesehen. Was würde ich nur für eine Flasche Mate geben, bin jetzt seit knapp einem Monat auf dem Trockenen. Aber hey, noch etwas für die Vorfreude, nach Berlin zurück zu kehren. 

Nach 106km erreiche ich hinter Björkliden einen Rastplatz direkt am Wasser, wo schon ein paar Wohnwagen stehen. Ich organisiere mir das einzige kleine Fleckchen Gras und stelle schnell mein Zelt drauf. Komme noch mit deutschen Camper ins Gespräch, diese bringen mir nachher auch noch dankenswerterweise einen Tee vorbei, genau das Richtige zum Aufwärmen. Zudem hat die Raststätte eine kleine Hütte, ich kann also trocken und Windgeschützte sitzen, während ich mir Abends meine Nudeln koche. 

Und bei dem Blick aus dem Zelt kann man es eigentlich gar nicht besser treffen. 

So bleiben morgen nur noch knappe 70-80km nach Narvik in Norwegen, viele davon auch Bergab, da es direkt am Meer liegt. Auch wenn morgen ähnlich kalt werden soll, der Wind kommt laut Wetterdienst von hinten, und ich werde versuchen meinen Übertritt ins nächste Land richtig zu genießen. 

Tag 30: Tornehamn – Narvik

In der Früh geht es frostig weiter. Ich kurbel mich immer weiter in die Berge, die deutlich mehr Schnee an ihren Bergflanken haben. Auch die Seen sind jetzt teilweise noch zu 80-90% gefroren. 

Nach ca. 30 Kilometern erreiche ich Riksgränsen (=Reichsgrenze), das letzte Dorf in Schweden. Hier gehe ich noch mal beim örtlichen ICA Supermarkt einkaufen (so pervers es klingt, die “günstigen” Lebensmittelpreise nutzen, bevor es nach Norwegen geht) und sitze anschließend in der Sonne vor dem Supermarkt und beobachte das bunte Treiben. Im völligen Kontrast zu den derzeitigen Temperaturen in Deutschland hat Riksgränsen nämlich ein operierenden Skilift, welcher auch fleißig in Betrieb ist. Im ganzen Ort treffe ich Menschen in Skiklamotten, auf dem Weg zum Lift. Verrückte Welt. 

Kurz hinter Riksgränsen verlasse ich dann Schweden. Nach 24 Tagen und 1953,5 Kilometern fällt mir der Abschied schwer, aber nach dem Nordkapp fahre ich ja wieder nach Schweden zurück, es ist also nur ein Abschied auf Zeit. Die Grenze ist reichlich unspektakulär, und schwupps bin ich im 4. Land meiner Reise. 

Die Landschaft ist atemberaubend, schroffe Felsen, hohe Gipfel, Schnee und gefrorene Seen. 

Dann komme ich an einem Mahnmal für die Gefallenen der Narvik-Defensive 1940 vorbei. Bevor Norwegen sich den Deutschen ergab, haben hier einige Regimenter der norwegischen Armee in den Bergen den deutschen Soldaten die Stirn geboten. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ein Krieg hier im tiefsten Winter ausgesehen haben muss. Die Verwundeten wurden nach Kiruna transportiert, es gab zu wenig Zelte und um sie rum tobte Krieg und Winter. Die Norweger haben es geschafft den deutschen Stellungen empfindlichen Schaden zuzufügen und wurden von der Kapitulation Norwegens überrascht, da sie hofften in die Offensive übergehen zu können. 

Abschließend ging es steil bergab, dabei folgte und überholte ich LKWs des Straßenamts, die eine neue Mittellinie auf die Fahrbahn auftrugen. Habe ich noch nie Live erlebt, nun fahr ich aber fröhlich an den neuen gelben Streifen entlang. 

Die Hoffnung, heute wäre eine durchgängige Talfahrt bis zum Meer stellt sich allerdings schnell als Trugschluss heraus. Auch hier kämpfe ich mich teilweise steile Straßen bis zum Horizont hinauf, bevor es dann rasant wieder abwärts geht. 

Steiler Aufstieg

Leider schaffe ich es auf keinem Teilstück meinen Geschwindigkeitsrekord vom ersten Tag in Schweden einzustellen. Dafür ist die abschüssige Strecke entweder zu kurz, oder nicht steil genug. Habe ansonsten wenig Hoffnung, im Laufe der Reise noch an ähnlich steilen Stücken vorbeizukommen, vielleicht bleiben diese 67km/h das höchste der Gefühle. 

200 Höhenmeter tiefer mache ich eine ausgedehnte Mittagspause an einem See, jetzt ohne Schnee und mit viel Sonne. So kann ich in der Jacke länger sitzen und die Atmosphäre genießen. 

Anschließend geht es Schuss bis hinunter ans Meer, wo die E10 mit der E6 fusioniert. An sich müsste ich nun nach Rechts abbiegen, um auf die Lofoten zu kommen. 

Ich habe mich aber dagegen entschieden, 450km auf die Lofoten zu fahren, nur um anschließend 250 davon wieder auf der selben Straße zurückzukehren (es gibt auf den Lofoten eigentlich nur eine Hauptstraße, manchmal zwei Stück, aber mehr auch nicht). Stattdessen biegen ich nun Rechts auf die E6 ab und fahre nach Narvik. Morgen werde ich einen Bus in Narvik besteigen, der mich bis an die Westspitze der Lofoten-Inselgruppe bringt, und werde von dort den Weg zurück mit dem Rad fortsetzen. 

Nach 21 Tagen sehe ich das Meer wieder… 

So fehlen mir noch 20km nach Narvik, die sich als sehr zäh herausstellen. Viel auf und ab, kein Randstreifen und die E6 ist bisher die verkehrsreichste Straße die ich auf dieser Tour befahren habe. Selbst wenn es heute weniger Gesamtkilometer sind als die bisherigen Tage, diese gehen mir richtig an die Substanz und die letzten 10km schleppe ich mich wirklich voran. 

Es wird eine neue Brücke über den Narvik Fjord gebaut, soll wohl nächstes Jahr fertig werden. Bisher ist es eine beeindruckende Hängebrücke

Kurz vor dem Ortseingang nach Narvik erreiche ich dann den Campingplatz und erlebe eine böse Überraschung: Der Platz hat bereits seit Februar 2015 geschlossen, nur ein paar einsame Dauercamper stehen auf dem Gelände. Eine Google-Suche verrät mir, dass es in der Stadt keinen weiteren Campingplatz gibt. Das Hostel ist geschlossen, die Jugendherberge ist voll und das günstigste Hotel fängt bei 120€ die Nacht an. So entschließe ich mich, mich aufs Gelände des Campingplatzes zu schleichen und dort nichtsdestotrotz die Nacht zu verbringen. Eine Toilette hat zum Glück auch auf, nur die Duschen sind leider verrammelt. Tja, dann wird das die zweite Nacht ohne Dusche. 

Schnell stell ich das Zelt an der hintersten Ecke des Platzes auf und entlade mein Fahrrad. Mit nur einer leichten Tasche flitzen ich in die Stadt zum Einkauf. 

Nicht mehr weit… 

Danach geht es zum Narvikfjellet. Narvik hat einen Hausberg samt Gondelbahn, die unweit des Stadtkerns in die Höhe schießt.

 Und da heute am 23.6 die Norweger Mittsommar feiern, kostet die Gondelfahrt nicht mehr 18€, sondern nur 5€. Diese Gelegenheit nutze ich, um mich hoch über der Stadt umzusehen. Der Blick von oben ist fantastisch! 

Narvik im Tal

Blick auf die Lofoten

Mittsommar Lagerfeuer

Man sieht ganz Narvik am Fuße des Berges, zudem kann man die Lofoten bis in weite Ferne beobachten, besonders die Schneebedeckten Gipfel dort haben es mir angetan. So sitze ich knappe 3 Stunden auf dem Gipfel und genieße den Ausblick. Fieserweise haben um mich rum alle Norweger ihren Einweggrill aufgebaut und verputzen fröhlich ihr Abendessen. Und was habe ich dabei? Einen Schokoriegel und ne Banane. Auf meinen hungrigen und mitleidigen Blick reagiert leider keiner, was würde ich für einen Hotdog oder ein Steak geben… 


Hier wird das Eisenerz aus Kiruna Verladen. 

Der Berg hat de perfekte Ausrichtung, um die Mitternachtssonne zu verfolgen, schließlich zeigt der Ausblick nach Norden und Westen. Auch dass die Sonne in voller Kraft leuchtet und wenig Wolken das Ereignis verdecken, verschönert das Ereignis.

 Die letzte Gondel fährt erst um ein Uhr nachts, so könnte man beobachten, wie die Sonne auf Höhe der Lofoten wieder in die Höhe steigt. So lang will ich und mein grummelnder Magen allerdings nicht warten, gegen 8 Uhr mache ich mich mit der Gondel wieder auf ins Tal. 

Nach insgesamt 78km bin ich zurück am Campingplatz  und  die Sonne ist noch so stark, dass ich um 10 Uhr abends vor dem Zelt sitze und den Ausblick genieße. Meine Baked Beans mit Hotdog Würstchen sind zwar nicht so gut wie das Grillfleisch, aber nach so einem anstrengenden Tag eine wahre Wohltat. 

Bereits seit Tagen will ich ein paar Informationen zur Mitternachtssonne einstreuen, und nutze jetzt die Gelegenheit das Mittsommar ist, um dies nachzuholen:

Nördlich des Polarkreises geht im Juni-Juli die Sonne nicht unter, bedingt durch die Erdneigung zur Sonne. Je weiter Nördlich man kommt, desto länger hält das Ereignis an. So geht am Nordkapp, bei 71° Nord, die Sonne 1800 Stunden nicht unter. 

Wie lange die Mitternachtssonne zu sehen ist, könnt ihr dieser Infographik entnehmen. 

Nun hatte ich spätestens seit Südschweden keine richtige “Nacht” mehr, da allerhöchstens eine Dämmerung eintrat, dunkel wurde es aber nicht mehr. Aber so weit nördlich ist es faszinierend zu sehen, dass die Sonne immer noch das Zelt anstrahlt, als ich mich um Mitternacht schlafen lege. 

Alles in allem ein fantastischer Tag. Sehr anstrengend, aber gefühlt habe ich heute 3 Jahreszeiten durchlebt, von Winter im Skigebiet, über Frühling an den Berghängen bis hin zu Sommer im Tal, wo wieder allerlei Blumen und Bäume sprießen. Der Weg von Kiruna nach Narvik hat mir unglaublich gut gefallen, welch tolle Abwechslung nach all den Tagen im Wald. Ich bereue keine Sekunde, 400km mehr gemacht zu haben und via Kiruna nach Norwegen gefahren zu sein. In der Planung hatte ich auch überlegt bereits in Arvidsjaur nach Bodo abzubiegen und von dort auf die Lofoten zu schippern. Bin froh es nicht gemacht zu haben, auch wenn dieser Weg jetzt länger war. 

Morgen geht es früh los, um den Bus zu erwischen.