Statistik der Nordkap-Reise

Nachdem ich unterwegs recht penibel Buch geführt habe, kann ich nun ein paar statistische Auswertungen der Reise beisteuern. Diese sind vielleicht hilfreich beim Planen der eigenen Reise und fassen einen so langen Urlaub zumindest teilweise in Zahlen ganz übersichtlich zusammen.

Reisedauer

Tage unterwegs 72
  • Davon auf dem Fahrrad
44
  • Davon beim Wandern
18
  • Ruhetage
10

Distanzen (Radtour)

Reisestrecke Rad FERTIG

Kilometer mit dem Fahrrad 4456 km (Tacho) // 4345 km (GPS)
  • Einmal ist mir der GPS-Track unterwegs abgebrochen.
  • Weitere Erklärungen für den Unterschied liegen darin begründet, dass evtl. im Tacho ein leicht falscher Radumfang eingestellt war
  • Das GPS bei Tunneldurchfahrten nicht funktioniert
  • Zudem das GPS nur alle 10 Sekunden einen neuen Punkt setzt (und somit eine 10 Sekunden lang gefahrene Kurve zu einer gerade/kürzeren Strecke erklärt)
Durchschnittliche Kilometer pro Tag 85,20 km
Durchschnittliche Kilometer pro Tag, abzüglich Ruhetage 98,76 km
Höhenmeter gesamt 52966 m (GPS-Messung)
36480 m (PC-Berechnung nach Rückkehr)
41310 m (PC-Berechnung vor der Abfahrt)
Dies spricht für die Ungenauigkeit von GPS-Höhenmessungen. Unterwegs weicht die gemessene Höhe zwischen den Messpunkten stark ab, bei PC-Berechnungen spielt das zugrundeliegende Kartenmaterial eine große Rolle. Die Wahrheit wird wohl irgendwo zwischen der GPS-Messung und der PC-Berechnung liegen

Dies zeigt mir, dass ich grundsätzlich alles richtig im Vorhinein geplant habe: Ich hatte vor, täglich ca. 100km zurückzulegen, zudem wollte ich nach 6 Tagen immer einen Ruhetag einlegen. Das meine gesamten Ruhetage leicht höher sind, liegt daran, dass zum Ende hin einige Pausentage dazu kamen (auf Rückflug warten, Sachen vor der Wanderung packen, etc.)

Distanzen (Trekking)

Sarek4

Kilometer beim Wandern 233,13 km
Durchschnittliche Kilometer pro Tag 12,95 km
Aber: 1 Ruhetag, erster Tag begann das Wandern erst um 16 Uhr, etc.
Höhenmeter gesamt 5624 m (GPS-Messung + PC-Berechnung)

Übernachtungen

Übernachtungen gesamt 71
  • Zeltplatz
12 Nächte
  • Wildcampen
42 Nächte (18 davon beim Wandern)
  • Hütte auf dem Zeltplatz
4 Nächte
  • Hostel
9 Nächte
  • Warmshower
4 Nächte

Ausgaben

Durchschnitt pro Tag: 32,59€

Dies enthält Essen, Campingplätze, Hostels, Reparatur-Einkäufe, aber auch Fähren, Reisebus auf die Lofoten, Wal-Safari und den Rückflug.
Gerechnet hatte ich mit ca. 30€/Tag, ohne Rückflug bin ich da gut drunter geblieben.
Skandinavien bleibt halt ein teueres Pflaster, fast jeder Einkauf kostete mehr als 40€ und reichte für ca. 2 Tage. Im Baltikum hätte ich wohl 3x so lange mit dem Budget reisen können.

Gesehene Tiere

1 Elch (da hätten es gerne mehr sein dürfen)
1 Braunbär
1 Fuchs
1 Vielfraß
2 Pottwale
1 Delfin
2 Frösche
1 Dino
1 Hase
2 Rehe (noch in Deutschland)
1 Krokodil (auf dem Vorderrad)
1 Maus
Über 100 Huskies
Mehrere Kuh- und Schafherden
Fische leider nur in dargestellter Form, oder auf dem Teller, dort aber umso schmackhafter!
Mehrere Eichhörnchen
Endlos viele Vögel (Darunter Seeadler, Storch, Möwen)
2-300 Rentiere
6524252 x10²³²³ Mücken!!!

 

 

 

 

Wetter

Vielleicht nicht ganz so spannend, auch nicht so aussagekräftig. Aber für mich ein guter Rückblick, manchmal hatte ich ja das Gefühl, ich fuhr wochenlang nur durch den Regen, eine Aussage, die hier einem Realitätscheck unterzogen wird.

Hierbei habe ich (erfahrene Meterolog_innen bitte weghören) drei Kategorien aufgestellt: Regen, Halb-Regen und Sonnig.
Dabei kann Regen auch Schneeregen mit fies kalten Temperaturen beinhalten, Halb-Regen heißt es hat maximal den halben Tag oder nur Etappenweise geregnet.
Sonnig hingegen steht für alle nicht-regnerischen Tage. Dabei muss nicht immer die Sonne geknallt haben, kann auch kalt und bewölkt gewesen sein, aber immerhin blieb es trocken.

Wie gesagt, nicht sonderlich wissenschaftlich, aber mehr Infos als diese drei Schlagworte habe ich nicht im Tagebuch festgehalten. Ist auch nicht ganz so wichtig, im Nachhinein bleiben immer die Sonnentage in Erinnerung, die Stunden die man halb erfroren und durchnässt sich durch die Botanik gequält hat werden erfolgreich verdrängt. Ist vielleicht auch besser so, sonst würde ich nie wieder so eine Tour in Angriff nehmen.

Von 72 Tagen Tour waren:

Sonnentage 42
Halb-Regen 10
Regen 20
Gegenwind-Tage 4 (Sowohl sonnig, wie auch windig. Diese sind mir beim Radfahren besonders in Erinnerung geblieben, da extrem anstrengend. Gegenwind ist wirklich das schlimmste beim Radfahren, dann lieber durchgängig Regen. Mit Rückenwind dagegen fühlt man sich wie ein Ferrari.)

Gab also doch einiges an Regen. Aber gemessen daran, dass das Reiseziel nun mal nicht Portugal, sondern Nordeuropa war, gar nicht mal so schlimm. Hatte im Vorhinein Reiseberichte gelesen wo Menschen von zweiwöchig durchgängigem Regen geschrieben hatten. Meine längste durchgängige Regenphase war hingegen 4 Tage. Reicht aber auch, dann wird das allabendliche Zeltaufbauen, sowie die Entledigung der nassen Klamotten doch zur Tortur.

Damit ist die meine Sommerreise 2017 abgeschlossen. Ich danke allen Personen, die mitgelesen und mitgefiebert haben. Auch über zahlreiche aufmunternde Emails via dem Kontaktformular habe ich mich sehr gefreut. Für mich war dies wirklich eine unglaublich intensive Reise, die meine kühnsten Erwartungen beim Planen weit übertroffen hat. So schnell werde ich eine Reise von so langer Dauer sicherlich nicht wieder machen können, nichtsdestotrotz habe ich für 2018 schon genug Pläne wo mein Rad mich hinbringen könnte. Es bleibt spannend!

 

Tag 72: Rückkehr nach Berlin

Heute ist es soweit. 72 Tage seit meinem Aufbruch in Berlin geht es heute per Flieger wieder nach Hause. Doch zuerst beginnt der Tag richtig entspannt mit Ausschlafen. Anschließend gibt es ein königliches Frühstück, welches zwar nicht an das Buffet in Saltoluokta gestern rankommt, aber den einsamen Müsliriegel der vergangenen Woche ganz schön in den Schatten stellt.

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Abschließend das Zelt ein letztes Mal zusammenpacken und dann mit dem Fahrrad die letzten 300m auf skandinavischen Boden zurücklegen.

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Das Hinterrad hält, wohl ist mir dabei aber nicht.

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Ich vermisse den Ort jetzt schon

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Die nächsten eineinhalb Stunden sind mit geschäftigem Umpacken gefüllt: Ich muss 6 Fahrradtaschen und einen Trekkingrucksack so arrangieren, dass am Ende eine Fahrradtasche als Handgepäck, ein Trekkingrucksack als Check-In Gepäckstück Nr. 1 und alle anderen Fahrradtaschen zusammengeschnürt das Check-In Gepäckstück Nr. 2 ergeben. Nach einiger Zeit macht sich dann Erleichterung breit, da absehbar ist, dass alles verstaut werden kann, selbst der gigantische Einkauf von gestern.

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Alle Radtaschen in Ikea-Tüte (Gepäckstück 1), Trekkingrucksack + Zelt in weißem Plastikbeutel (Gepäckstück 2), Fahrrad (Gepäckstück 3), eine Radtasche hinter dem Vorderrad (Handgepäck)

Anschließend geht es daran, das Rad fit für die Reise zu machen. SAS fordert zwar keine Radkiste oder –koffer, aber zur Vorsicht polstere ich den Rahmen mit der gestern gekauften Rohrisolierung. Auch Kleinigkeiten wie Klingel, Flaschenhalter, Tacho und mein Glücksbringer-Krokodil werden abgebaut. Am Check-In Schalter erfahre ich später, dass entgegen vorheriger Aussagen, auch die Pedale ab müssen, der Lenker geradegestellt und die Luft aus den Reifen gelassen werden muss. Zudem muss die Kette verpackt werden, um zu verhindern, dass die umliegenden Gepäckstücke vollgesaut werden.

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So bin ich sehr erleichtert als endlich mein Rad und meine zwei Gepäckstücke an der Gepäckaufgabe verschwinden und ich fortan nur noch mit meinem Handgepäck vorlieb nehmen muss. So leicht war ich seit Wochen nicht mehr unterwegs. 😀

Zur Belohnung gibt es nun noch einen gigantischen Salat zum Mittagessen (immer wieder unglaublich wie sehr man sich nach 18 Tagen im Fjäll auf frische Kost freut), dann verbringe ich die Zeit bis zum Abflug mit Lesen und Musik hören.

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VITAMINE!

Der Flug von Kiruna nach Stockholm verläuft einwandfrei, zum wiederholten Male freue ich mich wie ein kleines Kind über die Begebenheiten in Kiruna: Da der Flughafen so klein ist, läuft man vom Terminal einfach zum Flugzeug. Für jemanden in meinem Alter, der sich mehrheitlich an Flüge aus der Post-9-11 Zeit erinnert ist dies immer wieder ein Erlebnis.

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Ein kurzer Spaziergang zum Flieger

Leider verhindert eine nahezu durchgängige Wolkendecke einen Blick auf das Kebnekaisemassiv oder in den Sarek, ein paar Fotos entstehen nichtsdestotrotz.

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Kirunas Abraumhalde
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Viel Wasser

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In Stockholm habe ich rund eine Stunde zum Umsteigen, dies klappt ohne Probleme. Lediglich als wir mit dem Flughafenbus am Flieger ankommen und es nicht wie angekündigt eine Boing ist, sondern eine winzige Bombardier, wird mir kurz ein wenig blass um die Nase. Die Gepäckluke, durch die gerade Koffer geschoben werden, sieht so klein aus, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie dort mein Rad Eingang in den Cargobereich halten soll. So bleibt wenigstens ein bisschen Aufregung nach Ankunft in Berlin – Tegel ob es nun mein Rad geschafft hat, oder ob ich mit dem Bus nach Hause fahre.

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Deutschland sieht von oben doch ein wenig anders aus.
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Berlin von oben
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Berlin von oben

*trommelwirbel*

Wider Erwarten hat es mein Rad nach Berlin geschafft, keine Ahnung wie sie das Rad verstaut gekriegt haben. Zudem bin ich sehr erleichtert als ich feststelle, dass außer einer kleinen Plastikverkleidung am Bremsgriff, nichts fehlt, abgebrochen oder zerkratzt wurde. Beim Verlassen des Securitybereichs treffe ich dann auch noch auf sehr spezielles Empfangskomitee, was ich so nicht erwartet hätte. Das sind die ersten mir bekannten Gesichter seit 71,5 Tagen, als sich mein Kumpel Freddy als letzter des Start-Teams kurz hinter dem Oranienburger S-Bahnhof von mir verabschiedete und ich fortan alleine auf der Landstraße fuhr. Vielen, vielen Dank fürs Abholen ihr Beiden, dass ihr dann mir noch die erste Club Mate mitgebracht hat war der Oberhammer!

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Das Rad wieder fahrtüchtig zu bekommen und das Gepäck wieder auf 6 Radtaschen und einen Trekkingrucksack umzupacken dauert dann noch eine ganze Weile, aber schließlich ist es so weit, dass ich die letzten 13 Kilometer nach Hause antreten kann. In der aufziehenden Dunkelheit (Brr, was ein komisches Konzept, zum ersten Mal seit dem Nordkapptunnel schalte ich meine Fahrradbeleuchtung wieder ein) komme ich noch einmal an der Berliner Nordkapstraße vorbei, wo die offizielle Tour begann, dann geht es weiter nach Hause.

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Inzwischen ist es wohl die “Nördkapstraße” 😀

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Nach 4444km (Tacho) bzw. 4355km (GPS-Aufzeichnung) Radfahren und 232km Wandern (laut GPS-Aufzeichnung) stehe ich bei mir vor dem Haus.

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Ein einzelner Fazit-Blogeintrag mit Statistiken kommt noch, dort werde ich noch ein paar Gedankengänge Revue passieren lassen. Jetzt heißt es aber erstmal, sich wieder an das Leben in Berlin zu gewöhnen.

Tag 71: Saltoluokta – zurück nach Kiruna

Mein letzter voller Tag in Schweden und der letzte volle Tag auf dieser Reise. Heute ging es richtig früh raus aus den Federn. Nachdem das all-you-can-eat Buffet von 7-9 Uhr ging, war ich um halb 7 bereits wach und hab schnell das Zelt zusammengelegt.

Im Haupthaus gab es dann das beste Essen der gesamten Tour: Frisch gebackenes Brot, viele verschiedene Sorten Fleisch und Käse zum Belegen. Zudem Joghurt, Porridge, Müsli und allerlei Beilagen zum Mischen. Auch kam man so an frisches Obst, eine wahre Köstlichkeit nach 18 Tagen Fertiggerichten. Am Ende hatte ich 3 Teller mit Müsli-Joghurt-Porridge, 7 Brote, einen Liter O-Saft und 3 Kakao intus. Endlich mal wieder sich richtig pappsatt fühlen! War vielleicht ein wenig übertrieben, aber den Blicken des Personals nach war man an das Gelage gewöhnt. So hat es sich wirklich doppelt und dreifach gelohnt, die 10€ dafür waren ein skandinavisches Super-Schnäppchen.

Auch habe ich im Frühstücksraum den Sarek-Experten, sowie Elsa wieder getroffen, mit der ich das letzte Mal auf dem Skierffe geredet hatte. Die beiden hatten sich zusammengeschlossen und sind gemeinsam durch den Sarek, so hatten wir viel gegenseitig auszutauschen.

Ich wollte die Fähre um 10 Uhr erwischen, das wurde sogar ein wenig knapp, da ich mich auf dem ausufernden Campingplatz noch mal verlaufen habe. Aber habe es dann doch noch rechtzeitig zum Fähranleger geschafft und so ging es um Punkt 10 Uhr mit der Fähre über den Akkajaure nach Kebnats. Habe bereits auf dem Boot zahlreiche Leute angesprochen, in welche Richtung sie denn jetzt mit dem Auto wegfahren würden, und ob sie gegebenenfalls noch ein Plätzchen für mich übrig hätten. Das lag darin begründet, dass der Bus erst um 12.30 Uhr in Kebnats halten würde, so könnte ich es mir vielleicht sparen über zwei Stunden rumzustehen. Leider fuhren die Leute entweder in die falsche Richtung, weil sie in Vakkotavare weiter auf den Kungsleden wandern wollten, oder die Autos waren vollbesetzt. Gelogen hatte dabei nur eine Gruppe extra-hipper junger Erwachsener, die mir vorschwafelten, sie seien zu viert in einem Kleinwagen, da ginge nichts mehr rein. Habe böse geschaut als sie schließlich auf zwei Autos aufgeteilt an mir vorbeirauschten.

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Kebnats Fähranlieger. Mit wehmütigem Blick schaue ich auf die andere Uferseite nach Saltoluokta, rechts ist wieder der Lulep Gierkav, gäbe sicherlich noch einige spannende Wandertage in der Gegend zu füllen, sofern ich mehr Zeit hätte.

Zwei weitere junge Männer hatten denselben Plan gehabt wie ich und so standen wir an der Landstraße und hingen den Daumen raus zum Lüften. Wir hatten ausgemacht, sie dürften mitfahren wenn das Auto zwei Plätze frei hätte, ich hingegen wenn nur noch ein Platz im Wagen frei wäre. Ein paar Autos zogen an uns vorbei, aber nach nicht mal 5 Minuten hielt der Koch der Saltaluokta Fjällstation neben uns an und hatte gar Platz für uns alle und fuhr in die richtige Richtung. Er musste Besorgungen in Gällivare machen, ich wollte dorthin um von dort den Zug zurück nach Kiruna zu nehmen. Hat also alles wunderbar gepasst, wir kamen in Gällivare an, da wäre der Bus in Kebnats noch nicht mal losgefahren, und der Bus hätte zweieinhalb Stunden bis Gällivare gebraucht. Meine Mitfahrgelegenheit wollte zwar ein wenig Spritgeld, aber trotzdem kam ich mit der Hälfte der Kosten gegenüber der Busfahrt nach Gällivare. Wie immer nach so einer Tour ist es ein ganz seltsames Gefühl plötzlich wieder mit 100km/h dahin zu rauschen. Das Bewusstsein, dass eine Stunde Autofahrt etwa eine Tagesetappe auf dem Rad darstellt oder gar 5-6 Tage zu Fuß bleibt einfach eine technische Errungenschaft, die nach einer solchen Entschleunigung wieder schwer zu greifen und wahrzuhaben ist.

Zurück auf der Straße hatte ich auch erstmalig nach dem Start der Wandertour in Ritsem den Flugmodus des Telefons ausgeschaltet und so wurde ich mit Emails, SMS und Whatsapp-Nachrichten geflutet. Ich hatte vor dem Start der Wanderung Freunden und Verwandten Bescheid gegeben, dass ich zwischen dem 1. und dem 3. August wieder auftauchen würde, da am 4. August mein Rückflug ging. Nun hatte ich die Tour wegen der Sarek Exkursion ja ein wenig verlängert und so war heute tatsächlich der 3. August. Meine Mutter ist (typisch Mama! 😉 ) natürlich völlig durchgedreht und hatte bei den Hütten mit Telefonempfang sogar angerufen und gefragt ob ich dort irgendwo aufgetaucht wäre. Fehlte eigentlich nur noch, dass sie einen Suchhubschrauber oder zumindest einen Himmelsschreiber losgeschickt hätte. So konnte ich sie beruhigen und beweisen dass ich wieder in einem Stück aus der Wildnis zurückgekehrt war. Ich habe bereits nach wenigen Minuten gemerkt, dass ich diese Nachrichtenflut keineswegs vermisst hatte, die digitale Auszeit beim Wandern hat mir sehr gefallen. Klar distanziert man sich so von Weltpolitik und –geschehen, allerdings dreht sich die Erde auch ohne meine Beobachtung weiter.

In Gällivare hatte ich mir schnell und unkompliziert per App meinen Zug nach Kiruna gebucht. Dieser kam aber mit ordentlich Verspätung in Gällivare an und auf dem Weg nach Kiruna blieben wir mehrfach aufgrund von Reparaturarbeiten und Gleisbauarbeiten stehen. So habe ich knappe 1,5h verloren, hatte jedoch keinen Zeitdruck. Vom Bahnhof den gratis Busshuttle zum Busbahnhof und dann ging es die letzten Meter zu Fuß zum Hostel. Fühlte sich merkwürdig an mit diesem leichten Rucksack und auf Asphalt zu wandern.

Im Hostel war ich hocherfreut, dass mein Rad noch in der Personalküche stand und mein restliches Gepäck seine Zeit im Aufbewahrungsraum überlebt hatte. So habe ich die halbe Hostelküche genutzt um mein Zeug auf die Radtaschen und meinen Trekkingrucksack aufzuteilen. Das hat ziemlich viel Zeit gekostet, anschließend habe ich mir aber noch eine Dusche im Hostel gegönnt. Wir erinnern uns, mein letzter Waschgang war an der Fähranlegestelle nach Kvikkjokk am Ende von Tag 9, also genau 10 Tage her. Auch war es 3 Tage her seit meinem Bad im Matsch-Tümpel. Ihr glaubt gar nicht, wie gut sich die gammelige Dusche in Kiruna also anfühlte, es war wirklich allerhöchste Zeit. Bereits seit 5 Tagen hatte ich mein Schlauchtuch als Kopfbedeckung genutzt, denn die Haare standen wild in alle Richtungen und ließen sich nicht mehr bändigen. Nach so einer Dusche fühlte ich mich also wieder richtig menschlich.

Ursprünglich hatte ich vor die letzte Nacht im Hostel zu verbringen. Jedoch habe ich mich im Verlauf der Wanderung dagegen entschieden: Das Wetter sollte die Nacht über trocken bleiben, Bock auf das stickige „Bunker“-Zimmer im Hostel hatte ich auch nicht und ich konnte mich auch ohne Keycard im Hostel noch mal duschen. So war der Plan nun, die gesparten 350 Kronen für die Übernachtung zum lokalen Supermarkt für ein Festmahl zu schleppen und anschließend die letzten paar Kilometer zum Flughafen zu radeln. Da dies ein winziger Provinz-Flughafen ist, hatte ich die gute Hoffnung dort in der Nähe ein Plätzchen für mein Zelt zu finden und die letzte Nacht in Schweden so zu verbringen, wie ich die meisten Abend auf Tour verbracht habe: Auf einer Isomatte im Zelt, mit Essen vom Campingkocher.

So ging es mit dem Rad zum örtlichen Riesen-Supermarkt und dann ging der Schlemmer-Einkauf los. Nach einer entbehrungsreichen Wandertour schien mir das Angebot im Supermarkt gleich doppelt so reichhaltig wie zuvor. Der Fokus beim Einkauf lag natürlich auf Waren, die ich in Deutschland nicht kaufen kann, am Ende standen also über 600 Kronen in der Kassenanzeige. So habe ich wenigstens mein gesamtes schwedisches Geld aufbrauchen können. Im Supermarkt nebenan gab es dann auch noch Baumarkt-Bedarf, hier habe ich ein paar Rollen Rohrisolierung gekauft, diese will ich morgen dazu nutzen, das Rad ein wenig sicherer für die Flugreise zu verpacken.

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Das nenne ich mal viel Gepäck!

Problematischer als die Kosten des Einkaufs war es, die Waren anschließend in den eh schon vollen Gepäckstücken zu verpacken. Während der Fahrt zum Flughafen schielte ich verängstigt auf mein Hinterrad, schließlich war nun zum Gewicht der Fahrradtour auch ein 20 Kilogramm schwerer Rucksack hinzugekommen. Das ich dabei aussah, als würde ich meinen gesamten Hausstand auf dem Rücken rumtragen, dass versteht sich natürlich von selbst. Doch zum Glück hat das Rad tapfer durchgehalten. Die 10 Kilometer zum Flughafen haben mir großen Spaß gemacht, waren dass doch die ersten Kilometer auf dem Rad seit über zwei Wochen.

 

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Der Flughafen ist abends wie ausgestorben, nachdem dort keine Flüge mehr abfliegen scheint jegliches Personal sich in Luft aufzulösen. Vor dem ganzen Flughafen standen höchstens 10 PKW. Ein bisschen bin ich am Flughafen vorbeigefahren und habe mir dann ein schönes Fleckchen Gras wirklich direkt an der Straße als Zeltplatz auserkoren.

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Viel näher an die Straße konnte ich das Zelt nicht mehr setzen.
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Flughafennähe mal anders.
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Und mein “Hundeschlitten” hatte auch nen guten Parkplatz

Ein paar Leute fuhren mit ihren Autos vor, gingen mit ihrem Hund 10 Minuten Gassi im angrenzenden Wald und verschwanden dann wieder in Richtung Kiruna, ansonsten kam aber wirklich kein Mensch mehr vorbei. Und Camping mit Blick auf einen Flughafen hatte ich noch nie. Mein Flug morgen geht auch erst um 15 Uhr, aber so bin ich morgen ganz schnell da und kann die Zeit nutzen, um in Ruhe mein Gepäck und mein Fahrrad flugtauglich zu verpacken.

Das Zelt war schnell zum letzten Mal aufgebaut, und wider Erwarten passten auch alle Radtaschen + der Trekkingrucksack in eins der beiden Vorzelte. Zum Abendessen gab es den Klassiker Köttbullar + Baked Beans, ein Gericht welches es so einige Male auf dieser Tour gegeben hat. Auch freue ich mich jetzt schon auf die Leckereien die ich mir für morgen gekauft habe. Nach dem Essen genieß ich den letzten Abend an dem es nicht dunkel wird, morgen werde ich wohl in der Dämmerung in Berlin landen und fortan kann es nur noch dunkler werden.

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Und während ich wieder der vergangenen Tour ein wenig „nachtrauere“, erweckt mich der Gedanke an die heimische Dusche, sowie das Verlangen nach einem Bett, dass man nicht allabendlich aufblasen muss, mit Freude. Alle guten Reisen müssen schließlich irgendwann enden.

Tag 70 (Tag 18) See am Kungsleden – Saltoluokta

 

Gelaufene Kilometer: 14,7

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Blick auf den “Matsch-See”, wo ich heute Nacht gezeltet habe und wo gestern der erfolglose Waschversuch stattfand.

Der letzte volle Tag! Der Regen hat in der Nacht irgendwann wieder aufgehört und so scheint beim Aufwachen sogar die Sonne. Um 8 Uhr stehe ich auf und packe ein paar Klamotten auf die umliegenden Steine zum Trocknen. Danach lasse ich mir aber viel Zeit und komme so erst um 9.30 Uhr los. Einziges Problem heute: Ich hab kein Essen! Erst nach einer Viertelstunde laufen gibt es einen halben Müsliriegel, der stellt somit das Frühstück da. Die andere Hälfte muss bis zum Nachmittag reichen.

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Blick voraus!
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Blick zurück!

Bezogen auf den Weg geht es heute über eine breite Hochebene, kein Baum steht in der Umgebung und eine tolle Fernsicht begleitet mich. Einziger Nachteil: Man hat die ganze Zeit das Gefühl, nicht wirklich voranzukommen. Die Felswand an der ich nach dem Start langgelaufen bin begleitet mich auch 2 Stunden später, lediglich der Blickwinkel hat sich ein wenig verändert. Aber das ist mir trotzdem tausendmal lieber als durch den dichten Wald zu stiefeln.

Nach der Hälfte des heutigen Weges komme ich an der kleinen Rasthütte am Autsutjvagge vorbei.

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Autsutjvagge
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Schutzhütte am Autsutjvagge

Kleiner Fun-fact: Das Tal wird mitunter auch Áhusjavágge genannt, das laut Claes Grundsten „Tal mit einem tiefen Bach, der nicht durchwatet, sondern nur übersprungen werden kann“ bedeutet. (S. 48). Da sage mal wer, die Sami hätten keinen Natur-Humor!

Davor sitzen noch ein Australier und eine Dänin, mit denen ich mich kurz unterhalte. Ein Blick in die Hütte bringt dann den größten Lichtblick des Tages hervor, denn ich finde darin dies:

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Freudenschrei bitte hier vorstellen!

Leute die zu viel Essen dabei haben und in Saltoluokta ihre Tour beenden haben dort einiges an Sachen zurück gelassen. Neben Sprit und Gaskanister finde ich dann aber den Traumschatz. Zwei Packungen Ramen-Nudeln, eine halbe Packung Wasa-Cracker, Tubenkäse und süße Nachspeise liegen da rum. Ich kann mein Glück kaum fassen und beschließe daraufhin mein Mittagessen direkt abzuhalten, obwohl es eigentlich zu früh ist. Hätte ich diesen Vorrat nicht gefunden, so erwartete mich zum Mittagessen eine 80gr. Reispackung, dasselbe hätte es dann zum Abendessen gegeben. So verzehre ich aber alles von dem oben genannten, gefundenen Essen gleich hier zum Mittagessen und habe so beide 80gr Reispackungen fürs Abendessen noch übrig.

Danach bin ich seit Tagen mal wieder richtig pappsatt, das Gefühl hatte ich vermisst. Während ich da sitze holen mich auch Robert und Martin wieder ein und so ziehen wir gemeinsam die letzten 9 Kilometer los.

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Wir kommen gut voran, der Weg ist leicht zu gehen und der Rucksack fällt auf den Schultern kaum mehr ins Gewicht. Was für eine krasse Veränderung, wenn ich daran denke wie ich vor 18 Tagen gestartet bin, da überlegte man sich jedes Mal Rucksack-ausziehen gleich dreimal, da es ein solcher Akt war das gigantische Gewicht auf den Rücken zurück zu wuchten. Und nun hebe ich den Rucksack mit einer Hand auf und schmeiße ihn mir auf den Rücken.

Auf der linken Seite des Weges sieht man bald den Einblick in das Tal rund um den See Pietsaure, links vom See blickt man auf den Berg Rásek und rechts davon auf den Lulep Gierkav (den ich gerne bestiegen hätte, hätte ich in Rinim nicht einen halben bis ganzen Tag verloren).

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See Pietsaure, links der Rásek und rechts der Lulep Gierkav

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Zudem sieht man weiter hinten im Tal den Berg Sluggá, einer der symmetrischsten Berge ganz Schwedens.

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Sluggá im Regen
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Und kurz darauf auch im Sonnenlicht.

Kurz darauf hat man den Blick runter auf den See Akkajaure, den ich vor 18 Tagen mit dem Boot von Ritsem aus überquert habe und morgen von Saltoluokta aus wieder zurückqueren werde, da auf der anderen Seite die Landstraße zurück in die Zivilisation verläuft. Noch bin ich aber rund 250 Höhenmeter über dem See und kann so wunderbar an dem langgestreckten See entlangblicken.

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Akkajaure, teilweise sieht es noch ein wenig nach Regen aus
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Akkajaure
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Akkajaure, jetzt aber im Sonnenlicht, links der massive Lulep Gierkav, den man über die “Stufen” im Vordergrund besteigen kann.
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Noch mal ein Panorama mit Rásek (Mitte Links), hinter dem See Pietsaure dem Sluggá, Lulep Gierkav in der Bildmitte und rechts der langezogene See Akkajaure.
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Robert und Martin machen die letzten Kilometer alleine.

Ich lasse Robert und Martin davon ziehen und lege mich vor dem Abstieg nach Saltoluokta noch mal ins gemütliche Moos um diesen Blick zu genießen. Der Abstieg wird mich nämlich bald mit Bäumen umschließen und dann ist es vorbei mit der Freiheit des Fjälls. Diese Entspannungspause fühlt sich wie der letzte Moment des Urlaubs an, schließlich geht es dann wieder in die Zivilisation, übermorgen geht mein Rückflug nach Deutschland und dann wird die große Umstellung weg vom Abenteuerurlaub stattfinden. Also lieber entspannt in der Sonne liegen, den Blick schweifen lassen, die Füße aus den Schuhen holen und ein wenig Sonnen lassen und auch mein Kindle kriegt wieder die Aufmerksamkeit die er verdient.

Anschließend will ich mich an den Abstieg machen, allerdings kommt davor noch eine große Rentierherde an mir vorbei.

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Selfie mit Rentieren

Dürfte die größte Herde sein, die ich auf dieser Tour erblickt habe. Und die rennen über die Wiese, bleiben stehen und fressen ganz aufgeregt, bevor die Leittiere wieder 100m davonstürmen, den Rest der Herde im Schlepptau, dann geht es wieder ans Fressen. Keine Ahnung warum sie so aufgeregt sind, da sie mehrmalig wieder zurückrennen, dann wieder in die Gegenrichtung etc. kommt mir dies alles wie Energieverschwendung vor, ich genieße aber den Anblick der Tiere (sollten dann auch letzten Rentiere des diesjährigen Urlaubs sein).

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=tlBcm_NYYhE&w=560&h=315]

 

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Blick auf den Abstieg

Von der Hangkante aus sieht man Kebnats auf der anderen Seeseite, dort holt mich morgen der Bus ab. Und auch die Fjällstation Saltoluokta ist zwischen den Bäumen zu erkennen, zudem weht dort eine gigantische Fahne des Schwedischen Touristenverbandes, damit ist gefühlt die Zivilisation wieder in greifbarer Nähe.

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Kebnats auf der anderen Seeseite
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Die dazugehörige Fähre
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Weit ist es nicht mehr.

Den Abstieg über drehe ich noch einmal gute Laune Musik vom Handy auf. Während der Tour habe ich beim Laufen nie Musik gehört, da ich das Telefon zum Akkusparen ausgeschaltet hatte tagsüber, jetzt genieße ich das Laufen mit Kopfhörern auf den letzten Metern dafür umso mehr. Im Kopf gehe ich die Wanderreise durch, erinnere mich an die Highlights auf dem Weg, die Personen die ich kennengelernt habe und auch die zurückgelegte Strecke. Beim heutigen Sonnenwetter ist die Lust am Wandern auch wieder voll da, im Gegensatz zum Wandern im Regen gestern. Ich bin sehr dankbar diese Wandertour als Abschluss meiner Skandinavienreise noch gemacht zu haben, da diese Abkehr von der Zivilisation gefühlt sehr entschleunigt hat und mir Einblicke und Erfahrungen gegeben hat, von denen ich noch lange Zeit zehren werde.

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Der Abstieg
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Letztes Schild
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Ankunft!

In Saltoluokta ist der Zivilisationsschock perfekt, da auch gerade eine Fähre von Kebnats angekommen ist und so auf den Bänken vor der Hütte zahlreiche saubere Gestalten sitzen, denen man die Motivation zum Losgehen förmlich ansehen kann. Ebenso ist sie fast physisch greifbar und ich hätte gute Lust nun einfach umzudrehen und den gesamten Weg wieder zurück zu gehen.

Drinnen gibt es eine Cola als Belohnung, ebenso Kekse und Schokolade fürs Abendessen. Auch weil ich die Hütte in Sitojaure ausgelassen habe, ist bei mir das Gefühl umso größer, dass ich diese Belohnung mir verdient hätte. Doch es kommt noch besser: Die 100 Kronen, die ich durch die verkürzte Bootsfahrt von Rinim aus gespart habe, werden nun gewinnbringend investiert. Saltoluokta bietet nämlich für 105 Kronen ein All-you-can-eat Frühstück an, und da ich eh kein Essen mehr fürs Frühstück übrig habe, kommt das wie gerufen. Den ganzen Abend werde ich von diesem Frühstück fantasieren. Das ist also die späte Versöhnung dafür, dass ich von Ribák aus 3-4 extra Kilometer laufen musste. Martin und Robert treffe ich dort auch noch mal und wir beschließen alle, den Kungsleden ein paar hundert Meter wieder zurück zu gehen und im Wald noch mal wild zu zelten. Denn würde ich mein Zelt nahe der Hütte aufschlagen müsste ich dafür eine Gebühr bezahlen, zudem stehen da so viele Zelte, dass ich mich auf eine einsame letzte Nacht auf dem Wanderpfad freue.

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Die letzten Meter sind besonders schön idyllisch, mit weichem Moos.

Immerhin, den Luxus einer real existierenden Toilette in der Fjällstation weiß ich zu schätzen. Nur den Spiegel hätte es nicht gebraucht, Wahnsinn wie fertig ich aussehe, auch weil nun die Haare 9 Tage lang nicht mehr gewaschen wurden… BÄÄÄÄH!

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So gehts ja noch,

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Aber so? Igitt!

Dann geht es aber zurück und ich finde eine schöne Lichtung im Wald, dort sind mehre Stellen an denen bereits Andere in der Vergangenheit gezeltet haben.

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Man beachte die Wilder Westen Deko am Baum!

Hier hänge ich Klamotten zum Trocknen in die Sonne, baue das Zelt auf und genieße zum Abendessen meine volle Ladung Reis, die ich ja nun übrig habe, da das geschenkte Mittagessen mich entlastet hat. So werde ich da auch noch mal satt, besonders mit der neu gekauften Schokolade. Von meinem mitgebrachten Proviant, den ich 18 Tage lang durch die Gegend geschleppt habe, sind am Ende nur noch 3 Teebeutel übrig geblieben. In der Vergangenheit gab es da immer eine Packung Nüsse die nicht gegessen wurde oder eine Nudelspeise, aber diesmal ist alles komplett aufgebraucht. Genau richtig geplant würde ich sagen, da muss ich mich wenigstens nicht ärgern etwas umsonst mitgeschleppt zu haben. Liegt aber natürlich auch daran, dass ich ursprünglich vor hatte 16 Tage unterwegs zu sein, nun waren es aber 18, da ich nicht so lange zum Ende der Reise wieder in Kiruna rumsitzen wollte und stattdessen lieber den Abstecher in den Sarek unternommen habe.

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Grandiose Übersetzung ins Deutsche!

In Saltoluokta habe ich den Rucksack endlich gewogen. Dort wog er 17,8 kg ohne jegliches Essen. Das finde ich relativ viel, Martin hat mir erzählt dass er zum Beginn der Wanderung mit 18kg los ist, da waren aber 10 Tage Nahrung dabei. Nun ist aber weder mein Zelt besonders leicht, noch mein Rucksack. Es gäbe einiges an Einsparpotential, ich schleppe jedoch lieber zwei Kilo mehr mit mir rum, als dass ich irgendwo extrem friere weil ich meine Jacke doch daheim gelassen habe. Mal schauen ob ich bis zur nächsten Tour ein wenig einsparen kann. Zudem habe ich im Vergleich zu Martin noch 3kg Fotoausrüstung dabei.

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Der Rucksack sieht auch nur noch halb voll aus.
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18,5 kg, aber noch mit viel Wasser, sowie der nachgekauften Proviantschokolade.

Da Saltoluokta einen Stromanschluss hat und ich so beim Frühstück morgen all meine Technik laden kann nutze ich mein Telefon abends um einige Serien anzusehen und die Powerbank leer zu saugen. Auch lese ich viel und höre Hörbücher, so genieße ich den letzten Abend auf der Wandertour in vollen Zügen. Ich bin sehr erleichtert dass die Tour so gut geklappt hat, meine Zeitplanung gepasst hat, ich mich nicht ernsthaft verletzt habe und das Wetter einigermaßen gnädig zu mir war. Auch die zahlreichen Erlebnisse auf der Tour, die fantastischen Ausblicke auf die Berge ringsum, der Bär, die Rentiere, der Vielfraß, der Blick vom Skierffe und die Exkursion in den Sarek, sowie die verschiedenen Lichtstimmungen wollen mir nicht aus dem Kopf. Laut Berechnung habe ich in den 18 Tagen (waren ja eigentlich nur 17, da ich am ersten Tag nur von 16 – 18.30 Uhr gelaufen bin) um rund 230 Kilometer zurückgelegt, damit sind die 155km von der Tour vor zwei Jahren mit Markus mehr als nur überboten. Die Zeit schien mir genau richtig, habe Leute getroffen die nur 4-5 Tage zur Verfügung hatten und extrem hetzen mussten. Dann lieber so wie ich es gemacht habe, mit dem Wissen dass man sich voll auf die Umwelt einlassen kann.

Ich weiß jetzt schon, dass ich in einer Woche wieder total heiß sein werde aufs Wandern. Genau jetzt habe ich meine ganze Lust aufs Fahrradfahren zurückgewonnen, da war ich zu Beginn der Wandertour sehr froh endlich vom Drahtesel runter zu sein. Würde mir aber jemand jetzt anbieten morgen nicht zu fliegen, sondern die Strecke zurück nach Berlin mit dem Rad zurückzulegen, ich würde das Angebot sofort annehmen. So soll es aber auch sein, die Tour dann beenden wenn man überhaupt keinen Bock mehr drauf hat führt wohl dazu, dass man es nie wieder machen will. Ich hingegen plane im Kopf jetzt schon wieder Touren und überlege mir wo es hingehen könnte.

Tag 69 (Tag 17): Rinim – See am Kungsleden

 

Gelaufene Kilometer: 6,2

Der heutige Tag strengte sich an, ein ebensolcher Scheißtag zu werden wie gestern, hat sich dann aber glücklicherweise im Verlauf deutlich gebessert.

Zum Frühstück gab es einen mickrigen Fruchtriegel, mehr gaben die Vorräte nicht mehr her. Danach zusammengepackt, dabei versucht alles zu packen während ich noch im Zelt bin, da es die ganze Nacht durchgeregnet hatte und immer noch am Schütten war. Ich hab jetzt eine Menge nasse Klamotten, ein nasses Handtuch und ein nasses Zelt. Anschließen habe ich mich zur Hütte aufgemacht. Auf dem Weg zur Hütte war ein kleiner Bach zu queren, vielleicht 2 Meter breit. Der war gestern Abend fast nur ein Rinnsal, heute jedoch ziemlich reißend. Prompt bin ich vom Stein abgerutscht, auf den ich treten wollte und hatte schon wieder einen nassen Schuh! Die einzige Entschädigung war der Gedanke daran, wie angeschwollen die Flüsse im Sarek nun sein möchten und wie froh ich bin, diese nicht queren zu müssen. Die Bootsbesitzerin meinte ja gestern, wir fahren einfach los „wann immer es dir passt und du in der Früh hier aufmarschierst“. So war ich um 9 Uhr da, aber als in an die Tür klopfte hieß es plötzlich „ach, da kommen noch zwei andere, die sind im Zelt, die werden noch kommen und dann fahre ich euch drei gemeinsam rüber.“

Ich durfte mich dann in eine der Kåta (Naturhütten) setzen, die nah der Anlegestelle stand. Die Besitzerin quatschte irgendwas von „du kannst dir ja ein Feuer anzünden“, was absolut lachhaft war angesichts dessen, dass es in die Hütte reinregnete und die Feuerstelle eher eine Pfütze darstellte, die Hütte war in einem wirklich schlechten Zustand. So saß ich da wieder frierend und bibbernd.
Nach einer Stunde beschloss ich selbstständig zu dem Zelt zu gehen, dass ich oberhalb meines entdeckt hatte und wo ich vermutete, da säßen beide Mitfahrer drinnen. Stellte sich jedoch raus, dies waren Personen, die gestern aus Sitojaure angekommen waren und nun in den Sarek liefen. Wo meine beiden Mitfahrer waren, wusste ich nun also immer noch nicht. Also zurück in die kalte Hütte und weiter dort gewartet. Um halb 11 kamen dann endlich zwei schwedische Studenten am Steg an, somit war unsere Reisegruppe komplett.

Ich hatte vorher schon die Zeit genutzt und knappe 200 Liter Regenwasser aus dem Boot geschaufelt, trotzdem war die Besitzerin erst zufrieden als kaum mehr ein Tropfen im Boot lag, bei anhaltendem Regen keine leichte Aufgabe. Schließlich war dann aber alles eingeladen und dann ging es erst langsam im Boot am Ufer entlang. Ich vermute hier gibt es einige seichte Stellen und die fahren deswegen so vorsichtig. War mir jedoch da schon schweinekalt (auch bedingt durch die nassen Füße), war eine Erfrierung fast unumgänglich, als die Kapitänin endlich Tempo gab und wir über den See schossen.

Zum Gegenwind kam hinzu, dass das Wasser sehr aufgewirbelt war und wir  mit dem Boot von Wellenkamm zu Wellenkamm krachten, teilweise sprang das ganze Boot. Laut Berichten ist der Sitojaure ja wunderschön, gesehen habe ich davon heute nichts, alles war verregnet und Nebelverhangen. Irgendwann sagte die Kapitänin dann auch, dass sie uns heute nicht bis ganz zur Sitojaure-Hütte bringen könne, das Wasser wäre zu unruhig und das Stück vor der Hütte wäre zu steinig und das Boot bei der Rückfahrt zu Windanfällig. Ich allerdings vermute sie hatte einfach keinen Bock uns die letzten Kilometer noch zu fahren. Selbst erfahren habe ich es nicht, die schwedischen Studenten haben mir alles ins Englische übersetzt.

Stattdessen wurden wir nach 45 Minuten Überfahrt in Ribák rausgelassen, etwa 3-4 Kilometer von der Sitojaure-Hütte entfernt. Immerhin haben wir es geschafft, die Bootsführerin von 700 Kronen pro Person auf 600 SEK runterzuhandeln. Dafür mussten wir nun im Regen und absolut durchgefroren uns auf dem Weg zurück zum Kungsleden machen. Rückblickend hätte ich also auf alle Fälle gestern Abend mit dem Boot des Schwiegersohnes fahren sollen, da hätte ich mir den ganzen Stress gespart. Die Frau werde ich so nicht vermissen. Ärgerlich finde ich, dass alles so schlecht organisiert ist und kommuniziert wird. Alles was es gebraucht hätte wäre ein Schild in Rinim, wo dran steht wie es mit der Bootsfahrt läuft, mit einem austauschbaren Bereich wo sie hätte hinschreiben können, dass sie um X.XX Uhr wieder da ist, dann hätte ich mir gestern nicht so einen Stress machen müssen und alle Sorgen, der Ort wäre komplett verlassen, wären damit hinfällig gewesen. Auch versteh ich nicht, wieso man wie der Bettler zu Kreuze kriechen muss, sie hat es mehrmals beschrieben als tue sie mir einen gigantischen Gefallen mit der Bootsfahrt, fast als würde sie sich dabei ins eigene Fleisch schneiden. Allein durch unsere Überfahrt hat sie knappe 200€ eingenommen, am Vorabend waren ja auch mehrere Leute nach Rinim gekommen per Boot und sie berichtete, dass heute insgesamt 10 Leute diese Strecke zurücklegen wollten. Das macht rund 700€ aus, da versteh ich das ganze lamentieren nicht.

Aber wir standen nun einmal in Ribák, und so schloss ich mich Robert und Martin, zwei Ingenieursstudenten aus Lund, an und gemeinsam ging es zurück zum Kungsleden. Der Weg war stellenweise ein Quad-Pfad, manchmal nur eine wilde Wucherung und die gesamte Zeit über ging es durch klatschnasse Sumpfgebiete, während der Regen weiter auf unseren Kopf prasselte. So hüpften wir von Grasnarbe zu Grasnarbe und ich frischte den Wasserstand in meinen Schuhen mehrmals auf. Egal, ich rechnete nicht mehr damit, dass der Stiefel bis zum Ende dieser Tour trocknen würde. Hinzu kam das wir nach der Bootsfahrt alle verkühlt waren und so machte dieser Teil der Wanderung wirklich keinen Spaß. Das letzte Stück haben wir dann querfeldein abgekürzt, nachdem der Kungsleden schon von Weitem zu erkennen war. Dort machten wir eine ganz knappe Pause, wobei Robert und Martin nett genug waren mir etwas von ihrem Nuss-Mix abzugeben, nachdem ich ja fast kein Essen mehr hatte, zumindest nichts mehr was man nebenbei Essen könnte. Die hatten eine leckere Nuss-Mischung mit Schokolade, zudem gab es selbstgemachtes Beef Jerky. Ich, der bis dahin nur den 25gr. Fruchtriegel zum Frühstück (inzwischen 4 Stunden her) gehabt hatte, genoss das geschenkte Essen daher total.

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Angekommen am Abzweig Kungsleden/Ribákluokta. So eine Infotafel hätte ich mir samt Kontaktmöglichkeit auch in Rinim gewünscht.

Die weitere Wanderung haben wir viel gequatscht, die beiden haben mir von ihrem Studium und ihrer Arbeit bei den Pfadfindern erzählt, auch tauschten wir uns über begangene Wanderungen aus und kamen zu vielen sozio-ökonomischen und politischen Themen, wo sie mir die schwedische Realität und ich ihnen die Deutsche versuchte zu erklären und näherzubringen.

Auf dem Kungsleden selber stand für mich die Entscheidung an, ob ich wieder zurück zur Sitojaure-Hütte am Seeufer laufen wollte (das hätte etwa 4 Kilometer Wegstrecke hinzugefügt) oder ob ich auf Proviantnachkauf verzichte und weiter in Richtung Saltoluokta laufe, der letzten Hütte dieser Wanderung. Da es im Süden Richtung Sitojaure nach ordentlich Regen aussah,  ich zudem erst bergab zur Hütte und nachher wieder hoch gemusst hätte und die Mücken unten im Wald sicherlich schlimm wären, entschied ich mich für das weiterlaufen. Damit wählte ich zwar den Hunger, aber immerhin machte ich so keinen langwierigen Umweg. Wieder ärgerte ich mich, dass die Bootsführerin uns nicht bis zur Hütte gefahren hatte. So hatte ich noch genau ein Abendessen und zwei Mittagessen, sowie einen Müsliriegel über. Das war es also, mehr gibt’s nicht bis Saltoluokta.

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Regen aus Richtung Sitojaure
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Da hätte ich jetzt wieder runter laufen müssen, nein danke!

Eben weil sich ein erneuter Regenschauer abzeichnete, machten wir uns schnell dran das Mittagessen hinter uns zu bringen. So hatten wir auch endlich die Möglichkeit Schuhe + Socken auszuziehen, die bei uns allen Dreien extrem nass waren. Ich konnte nicht nur die Socken, sondern auch meine Schuhsohle auswringen, wirklich eklig. Macht auch keinen Sinn mehr trockene Socken anzuziehen, einmal auftreten in den nassen Schuhen und die Socken sind wieder feucht, also ziehe ich weiterhin die nassen Socken an. Wenigstens war das Mittagessen heute die einzige Regenpause des Tages, so gab es bei mir ein kleines Reis-Fertiggericht.

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Viel nasses Zeug.

Nach dem Mittagessen war die Regenwand über dem Sitojaure tiefschwarz und kam bedrohlich schnell näher. Wir liefen gemeinsam weiter, ich hatte allerdings beschlossen nur noch so weit zu laufen wie ich sicher sein konnte, dass vor dem Regenschauer mein Zelt steht. Zwar wollte ich heute eigentlich deutlich weiter in Richtung Saltoluokta kommen, aber so wie das Gewitter hinter uns her war hatte ich einfach keine Motivation im Starkregen weiterzugehen.

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Voraus noch einigermaßen hell…
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aber vom See kommt die Regenfront.

Leider gab es in der Gegend nirgendwo Frischwasser, schließlich habe ich mich entschieden neben einem kleineren See/Tümpel das Zelt aufzubauen, da es keine 10 Minuten mehr dauern würde bis der Regen uns eingeholt hätte. Habe mich von Robert und Martin verabschiedet und habe im Eiltempo das Zelt aufgebaut.

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Mit dem Gewitter nur noch Minuten entfernt, habe ich mich an den Zeltaufbau gemacht.

Als das Innenzelt um 16 Uhr stand hat es getröpfelt und als das Außenzelt drüber war und alles im Zelt verstaut, da schüttete es wie aus Eimern. Also alles richtig gemacht. Bis der Regen nachließ habe ich im Zelt gesessen, dabei gelesen und Hörbuch gehört, sowie mir mein letztes verbliebenes Abendessen zubereitet. Auch habe ich versucht zu schlafen, denn eingeschlafen empfindet man wenigstens kein Hunger. Ihr seht schon, das Motto der letzten drei Tage ist und bleibt: HUNGER! Heute habe ich laut Rechnung knappe 1000kcal zu mir genommen, kein Wunder dass der Schlafsack langsam aber sicher immer appetitlicher aussieht. 😉

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Schöne Symetrie.

Um 22 Uhr hat der Regen aufgehört und ich brauchte eh Trinkwasser vom See. Zudem hatte ich die Hoffnung, dass ich mich ein wenig dort waschen könnte, weil die letzte Körperwäsche am Abend vor Kvikkjokk am Fähranleger stattfand, das war jetzt inzwischen 8 Tage her. Absolut eklig und ich fühlte mich so siffig! Also hab ich mich in meinen Crocs zum kleinen See begeben, der vielleicht 30 Meter lang war. Nach dem Trinkwasser umfüllen kam nun also der Moment der Wahrheit und ich stieg energisch vom Stein am Wasserrand ins Wasser. Man konnte sehen, dass der Seeboden ein wenig matschig war, ich hoffte allerdings darauf, dass diese Matschschicht nicht dick war. Wie sehr ich mich täuschen sollte merkte ich nahezu sofort, als ich bis zur Mitte der Oberschenkel im Matsch stand. Beide Crocs blieben im Schlamm stecken und ich musste lange darin herumwühlen bis ich sie wieder befreit hatte. Wenn ich schon so nass und dreckig bin, kann ich nun wenigstens das Waschmittel bemühen, so kam ich zumindest zu ein wenig Körperhygiene. Da das Abwaschen allerdings mit dem braunen Brackwasser stattfand und ich die ganze Zeit über in einem gigantischen und angriffslustigen Mückenschwarm stand, blieb von der Sauberkeit nicht viel übrig, mit jedem Schlag auf die Schulter pappten wieder 15 tote Mücken an mir. Schließlich ergriff ich doch die Flucht und hakte diesen Waschgang als vollständige Pleite ab. Die Haare habe ich gar nicht erst versucht zu Waschen in dieser Situation.

Entschädigt wurde ich durch einen wundervollen Sonnenuntergang hinter der Bergkuppe.

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Eins meiner diesjährigen Lieblingsbilder.
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Photoshop-Spielerei

Auch merke ich, dass es jetzt jeden Abend doch ein wenig dunkler wird, ohne dass es sich jedoch vollständig verdunkelt. Trotzdem ungewohnt, seit Göteborg Anfang Juni blieb es gefühlt konstant hell die ganze Zeit. Bin mal gespannt wie sich das Konzept „Nacht“ in Berlin auf mich auswirkt.

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Lang nicht mehr bewusst wahrgenommen.

Abends gibt es noch einen Tee und eine Wärmflasche, ein schöner Ausklang zu einem echt frustrierenden Tag, bei dem ich einfach nicht vorangekommen bin und konstant gefroren habe. Allerdings bin ich sehr erleichtert, dass mich Regen in der heutigen Intensität nicht im Sarek überrascht hat, bzw. es davor auf dem Padjelantaleden auch höchstens Niesel-, nie aber Starkregen gab. Gesamt gesehen hatte ich über die Wanderung hinweg mehrheitlich gutes Wetter gehabt, auch der Blick vom Skierffe wäre mir sonst verwehrt geblieben. So kommt dieses schlechte Wetter erst zum Tourende, in ein paar Tagen gibt es wieder eine Dusche und zudem kommt langsam ein „scheiß-drauf“-Denken durch, dann bleiben die Schuhe und die Ausrüstung halt nass. Hauptsache der Schlafsack bleibt trocken! Zudem hilft das Wetter dabei, dass ich mich besser von dieser Tour „lösen“ kann. Ich glaube, wenn es strahlender Sonnenschein wäre und alles perfekt laufen würde, dann würde ich hier nie wieder weg wollen. So aber kommt doch ab und an die Vorfreude auf das heimische Bett und die heimische Dusche durch. Seit Tagen kriege ich den Gedanken an eine gigantische Pizza nicht aus meinem Kopf, wobei dies fast an Selbstfolter grenzt, fängt doch jedes Mal mein Bauch an zu grummeln wie verrückt! Langsam kommt also das Gefühl auf, dass es jetzt reicht mit der Wanderung. Sollte morgen alles nach Plan gehen, dann werde ich 18 Tage im Fjäll unterwegs gewesen sein, nun freue ich mich wieder auf zivilisatorische Mindeststandards.

So habe ich morgen noch 14 Kilometer bis Saltoluokta, aber auf dem Kungsleden lässt sich das ja gut gehen. Dort werde ich in der Nähe der Hütte mein Zelt aufschlagen und dann gibt es endlich, endlich Provianteinkauf!

Tag 68 (Tag 16): Abbiegung Skájdásjvágge/Basstavágge – Rinim

Gelaufene Kilometer: 8,1

Heute war einer der schrägsten Tage auf dieser gesamten Tour. Zeitweise sah es so aus als würde es im Fiasko enden, dann wendete sich das Blatt aber noch einmal.

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Ich habe heute ausgeschlafen, nachdem ich die letzten beiden Tage so früh los bin. Erst gegen 9 Uhr war ich abmarschbereit, nahm mir dann aber Zeit für ein paar Fotos, da ich in der Früh einen schönen Blick zurück ins Basstavágge hatte. Ich bin dann am Fluss entlanggelaufen, was besser lief als erwartet. An bestimmten Stellen waren die Büsche jedoch über Kopfhöhe und es erforderte einiges an Kraft und Geduld, um sich in dem Gelände weiter vorwärts zu quälen. An einer Stelle habe ich meinen Stand verloren und habe mich auf den Hosenboden gesetzt, aber das gehört trotz Matsch leider dazu. Auch ging es ab und an wieder über Blockfelder, jedoch waren diese im Vergleich zu den vergangenen Tagen überaus harmlos.

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Am Lulep Bastajåhkå entlangOLYMPUS DIGITAL CAMERA
Blick zurück ins Basstavágge, links ist noch die Einbuchtung ins Skájdásjvágge zu sehen, aus dem ich gestern abgestiegen bin.

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Am östlichen Ende des Basstavágge bog ich gen Süden ab nach Rinim. Dabei hatte man einen schönen Blick auf den Namádis, der den Blick auf den großen See Sitojaure versperrte.

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Ein paar Wegen folgen, die immer wieder im nichts endeten.
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Links der Namádis, dahinter ist der Sitojaure versteckt.

Dieser kam dann ins Blickfeld als ich mich der kleinen Samenansiedlung genähert hatte.

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Erster Blick auf den Sitojaure (der geht noch um die Ecke und ist wirklich irre lang). An der Wasserkante im Wald versteckt liegt Rinim.

Es war etwa 11 Uhr als ich in Rinim ankam. Auf der Karte sind 4-5 Hütten verzeichnet, ich nahm also an, dass ein paar Leute dort sein würden. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass als Hüttensymbol in der Karte auch der kleinste Geräteschuppen und das Waschhäuschen verzeichnet sind.

Von Rinim aus wollte ich mit einem Boot den langezogenen Sitojaure entlangfahren, es gibt einen Fährservice, der mich dann an der Sitojaure-Hütte, wieder auf dem Kungsleden, abliefern würde. Unklar war allerdings, wie man dieses Boot auf sich aufmerksam macht. An den Aktse-Hütten wusste man das nicht genau, so bin ich, ohne dass dieses Problem geklärt wurde, damals in den Sarek abgebogen. Ich hatte zwar eine Telefonnummer von der Bootsbesitzerin, allerdings war in Rinim und Umgebung erwartungsgemäß kein Empfang zu finden. Ich hatte gehofft, dass vielleicht ein stationäres Telefon mit Batterie (wie an der Anlegestelle der Fähre nach Kvikkjokk) irgendwo auffindbar wäre, aber auch hier Fehlanzeige.

Während ich also die letzten Meter nach Rinim zurücklegte sah ich ein Boot auf dem Wasser und hoffte, dies würde gerade auf den Bootssteg zuhalten. Leider hatte das Boot wohl doch gerade Rinim verlassen und verschwand als immer kleiner werdender Punkt auf der Wasseroberfläche.

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Am Steg fehlt leider die Fähre.

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Kalt, trüb und viel Nebel/Wolken-Gemisch.

Also beschloss ich, mich im „Dorf“ umzuschauen. Beide Wohnhäuser waren komplett ausgestorben, an der Eingangstür der größeren Hütte hing ein Post-It auf dem „Bin mit Wanderern unterwegs“ stand, jedoch keine Information zur Rückkehr, könnte also alles zwischen 2 Stunden und 3 Wochen heißen.

Bis dahin war es 12 Uhr geworden, ich hatte jetzt jedes Häuschen ausgekundschaftet, wusste dass ich mutterseelenallein in Rinim war und nun war ein weiteres Vorgehen irgendwie schwierig. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen heute bis zur Sitojaure-Hütte zu gelangen und so entspannt den letzten Abschnitt auf dem Kungsleden zurücklegen zu können. Was aber, wenn heute kein Boot mehr ankommt? Was wenn das Boot morgen nicht kommt? Am Ufer des Sitojaure kann man nicht lang laufen, das wären 15-20 Kilometer durch dickstes Gestrüpp.

Weil ich zu viel Zeit zum Grübeln hatte, merkte ich dann, wie bei mir die Panik einsetzte. Mithilfe der Landkarte und des Sarek-Reiseführers erarbeitete ich mir über die nächste Stunde einen Plan. Sollte kein Boot kommen, würde ich zurück in den Sarek kehren, dort nach Norden bis zum Liehtjitjávrre gehen und dann nach Osten abbiegen und mich bis Suorva durchkämpfen, dort wäre man wieder an der Straße wo der Bus abfahren würde. Das wären 37km durch den Sarek in 2 Tagen, zudem waren laut Guide viele „schwer zu kreuzende“ Flüsse im Weg, dabei hatte ich ja gestern schon meine liebe Not mit den „einfachen“ Flusskreuzungen. Alles nicht optimal, würde ein ganz schöner Gewaltmarsch werden, aber dadurch käme ich rechtzeitig zum Bus um meinen Flieger nicht zu verpassen. In der Stunde habe ich zahlreiche Routen auf der Karte durchprobiert, habe mir Abkürzungen überlegt, die sich zumeist als unmöglich rausstellten und mir innig gewünscht dass ein Boot kommt. Auch mein Proviant ging langsam zu Neige, 2 zusätzliche Tage im Sarek wären ganz schön anstrengend.

Da es immer wieder nieselte, ich nasse Füße und Schuhe von einem missglückten Schritt im Sumpf hatte und mir verdammt kalt war, habe ich mich auf die Veranda eines der beiden Wohnhäuser zurückgezogen und mich dort dem Luxus eines Stuhls hingegeben. Dort beschloss ich bis 19 Uhr zu warten und wenn bis dahin kein Boot angekommen ist, mache ich mich auf den Weg zurück in den Sarek, um heute schon 5-8 Kilometer Wegstrecke für den kommenden Tag zu kürzen. So war das rumsitzen auch keineswegs entspannt, ich merkte wie meine Konzentration beim Kindle-lesen immer wieder verschwand und mehre Male habe ich nochmal zur Landkarte gegriffen. Alles andere hatte bisher auf dieser Tour geklappt, dies war der einzige Punkt den ich noch offen gelassen habe und das schien sich nun komplett bei mir zu rächen.

Erleichterung trat erst ein, als um 16 Uhr plötzlich ein Motorgeräusch zu hören war und das vollgepackte Boot zurückkehrte. Die Bootsführerin hatte ihre Familie in Sitojaure abgeholt, nun liefen da mehrere Kinder und die Eltern eilig umher um das Boot zu entladen. Die Kapitänin sagte dann auch, dass um 8 Uhr heute Abend ihr Schwiegersohn kommen würde, der könne mich dann zur Sitojaurestugorna mitnehmen, ansonsten würde sie morgen früh mich fahren.

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Die einzig reife Blaubeere, die ich auf der gesamten Tour finden konnte, nächstes Jahr gehe ich später los und lasse mir die Früchtchen nicht entgehen.

Die Frau war ziemlich forsch und forderte mich dann auch auf, mich bitte auf den zweiten Hügel hinter dem Haus zurückzuziehen. Sie haben wohl einige Touris in den Sommermonaten vor Ort und sie wollte nicht, dass ich Zeit in der Siedlung verbringe. Nur gut, dass ich mein ganzes Zeug zusammengeschmissen hatte und die Veranda verlassen hatte bevor sie aus dem Boot stieg, das hätte wohl einen ziemlichen Anschiss gegeben, wenn sie mich vor ihrem Wohnhaus im Gartenstuhl entdeckt hätte. Sie meinte sie würde mich holen, wenn das Boot käme, ich könnte auf dem Hügel in Ruhe mein Zelt aufbauen. Das habe ich dann auch gemacht, allerdings habe ich nur schnell das Außenzelt aufgebaut, da ein gewaltiger Regenschauer losbrach und ich nicht viel Zeit hatte. So lag ich nass und kalt auf dem Zeltboden, mir war jetzt mehrere Stunden lang kalt gewesen und zu allem Überfluss waren hunderte Moskitos auch sehr erfreut über den Regenschutz und leisteten mir so ungebeten Gesellschaft. Ich habe also versucht ein paar Stunden mit ungemütlichen Lesen und Hörbuch-hören zu überbrücken. Wenigstens hatte ich die Gewissheit, dass ich nicht unter Zeitdruck weiter durch den Sarek laufen muss.

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Kalt, nass,

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endlos viele Mücken, die mir Gesellschaft leisten,
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und so ist die Stimmung entsprechend mau…

Um 20.30 Uhr hatte ich dann erstmalig auf dieser Wandertour die Regenhose an und machte mich durch den strömenden Regen auf den Weg zur Hütte, um wegen der Mitfahrt nachzufragen. Der Schwiegersohn war zwar bereits da, aber wollte wohl noch ein wenig in der Hütte bleiben. Er bot mir allerdings gleich an, dass die resolute Bootsführerin mich morgen früh nach Sitojaurestugorna fahren könnte, der Preis bliebe der gleiche.

Auch wenn dadurch der heutige Tag zeitmäßig komplett verschwendet worden war und es mir gegen den Strich ging hier noch eine Nacht zu verbringen, willigte ich schließlich ein. Machte ja auch keinen Sinn um 22 Uhr an der Sitojaure-Hütte anzukommen, dann noch ein paar Kilometer laufen zu müssen bis ich einen guten Zeltspot finde und das alles im strömenden Regen. Dann lieber morgen in Ruhe. (GROßER FEHLER, aber das sollte sich erst morgen rausstellen!) Also habe ich das Zelt diesmal richtig aufgebaut, mir mein Abendessen gekocht und mich dann endlich in den Schlafsack verkrochen, wo langsam die Körperwärme zurückkehrte. Schade dass wir dieses Vorgehen nicht um 16 Uhr schon abklären konnten, dann hätte ich das Zelt besser aufgebaut und wäre nicht wie auf Kohlen im Außenzelt gelegen und hätte auf die Abfahrt gewartet.

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So blieb dieser Tag ein Tiefpunkt dieser Reise, wenigstens konnte ich noch einen schönen Regenbogen genießen und bin früh eingepennt. Morgen geht es dann wenigstens wieder auf den Kungsleden, bin mal gespannt wie schnell ich da vorankomme.

Tag 67 (Tag 15): Vássjálåpptå – Abbiegung Skájdásjvágge/Basstavágge

Gelaufene Kilometer: 8,6

Habe heute gut geschlafen, auch wenn es die Nacht über fleißig weiterregnete und ich im Schlafsack ziemlich gefroren habe. Um 7 Uhr gab es ein schnelles Frühstück, da ich möglichst viel Zeit für die Passüberquerung haben wollte, um im Notfall ein Zeitpolster übrig zu haben.

Hier noch ein paar Infos aus dem Reiseführer zum heutigen Tag: Es ist einer der „höchstgelegenen“ Talübergänge im gesamten Sarek. „Das Skájdásvágge ist eine wichtige Abkürzung, zugleich aber auch eine Herausforderung selbst für konditionsstarke Wanderer. Es bedeutet eine Kraftanstrengung jenseits des Üblichen, zum Pass hinauf zu gehen. Die Passüberschreitung gleicht eher einer Gipfeltour, und das mit vollem Gepäck!“

Der Name bedeutet „das Tal zwischen den Bächen“ und stellt sich als „steile Schlucht“ dar. (Claes Grundsten S. 225)

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Der Regen der Nacht hängt noch an der Ausrüstung
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Die Sonne wärmt die ersten Blümchen.

Um 8 Uhr war ich abmarschbereit und dann ging es wie gestern schon beschrieben nach Plan die Südflanke des Vássjá/Gipfel 1764 direkt hoch.

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Noch mal das selbe Foto von Gestern. Aufstieg links bis zum Gipfel 1764
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Und so sieht der Berg dann vom Fuße aus. Außer Stein ist da nix!

Der Berg startete direkt hinterm Zelt, das Wetter war eigentlich ganz gut, nur zog viel Nebel an mir vorbei und ich konnte nur ab und an einen Blick auf die gegenüberliegenden Berge, bzw. zurück in Richtung Skierffe, erhaschen.

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Blick zurück

Der Anstieg war ziemlich happig, 400 Höhenmeter ging es im Blockfeld steil nach oben. Unten gab es noch ein bisschen Gras zwischen den Felsblöcken, oben wechselten sich nur große und kleine Steine ab. Dabei war es gar nicht so sehr von Vorteil auf den kleineren Steinen zu laufen, da man dort jedes Mal gehörig ins Rutschen kam. Die großen Blöcke bedeuteten aber mehr Kletterarbeit, schließlich musste man sich an jedem Block einzeln hochziehen. Manchmal habe ich die Trekkingstöcke auch weggepackt und die Hände zum klettern genutzt, besonders im letzten Abschnitt, da es dort besonders steil war. Wenigstens wurde mir so nicht kalt, ich stand im T-Shirt im kühlen Wind und hab trotzdem geschwitzt wie verrückt. Für den knappen Kilometer zum Gipfel habe ich auch ca. 1,5 Stunden gebraucht.

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Am Gipfel!

Als ich dann endlich auf 1764m am Gipfel ankam, war es vollbracht. Neben dem Bewusstsein, dass es heute nicht mehr höher wird, sondern von nun an nur noch Bergab geht, kam die Erkenntnis, dass diese Stelle die höchstgelegenste Stelle meiner gesamten Reise ist. Vom Rückflug mal abgesehen war ich an keinem Moment weiter oben in den vergangenen 2,5 Monaten.

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Blick zurück nach Süden und ins Tal wo ich heute früh gestartet bin.

Der Blick nach Norden war leider komplett vernebelt, hatte nämlich die Hoffnung man könnte ins wilde Ähpár-Gebirge blicken, leider war da aber nur eine weiße Wand zu erkennen. Spannenderweise gab es beim Weitergehen vom Gipfel eine Veränderung in der Steinfarbe, so sah es aus als würde ich einem angelegten Pfad folgen und ein wenig erinnerte es an einen Steingarten.

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Ursprünglich hatte ich vor auf dem Gipfelgrad nun nach Osten zu laufen, vorbei am Gipfel 1698 und bis zur Einbuchtung vor dem Vássjábákte, allerdings merkte ich schnell, dass ich so weit gar nicht gehen muss. Bereits beim Gipfel 1698 sah man, dass der Bergrücken nach Norden hin gar nicht so steil in die Tiefe stürzt, sondern gut begehbar ist. Also bin ich dort ins Tal Skájdásj abgestiegen. Hatte etwas Abenteuerliches an sich, nicht die Route aus dem Reiseführer zu nehmen, sondern sich hier in der wirschen Umgebung die eigene Route zusammenzusuchen.

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Blick ins Skájdásjvágge, dort geht es nun runter.
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Kurz scheint auch die Sonne und zeigt mir den Weg in Richtung Abstieg.
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Blick zurück zum Gipfel 1764, man sieht auch den Steinpfad aus hellerem Gestein, rechts daneben gleich eine Gletschermasse.
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Ganz unten im Tal sieht man schon den Zufluss, an dessen rechtem Ufer ich heute Nacht das Zelt aufschlagen werde.
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Aber mit Standardzoom statt Telezoomobjektiv merkt man, dass es bis dorthin doch noch ein ganz schönes Stückchen ist.
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Blick zurück zum Gipfel 1698. Außer viel Gestein ist da wirklich nichts.

Der Abstieg war recht knackig, teilweise war es gut begehbar über kleinere Steine und auch gepresste Erde, an anderen Stellen waren es wieder anspruchsvolle Blockfelder, sowie einiges an Schnee. Über ein Schneefeld wollte ich weiter absteigen, statt den langen Weg ums Schneefeld zu nehmen. Ziemlich vorsichtig habe ich mich auf den Schnee raus bewegt, die Stöcke stützten gut, und auch wenn es sicherlich 25° Neigung hatte, kam ich gut voran. Allerdings war ein klarer Rand erkennbar, an dem das Schneefeld noch steiler wurde, bevor es wieder ausflachte. Kein Problem dachte ich mir, sollte ich im schlimmsten Fall ins Rutschen kommen, so war das Schneefeld unten lang und flach genug, dass ich mich wieder abbremsen könnte, bevor ich ins Steinfeld krache. Hätte wahrscheinlich auch Spaß gemacht, ein kleines bisschen rodelnd zurückzulegen.

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Blick vom Schneefeld nach unten. Hier hoffte ich noch, einfach rutschen zu können.

Die Hoffnung zerbrach allerdings, als ich an der „Kante“ ankam und merkte, dass die Sonne hier das Schneefeld extrem angetaut hatte und sich daraufhin ein sehr unsauberes Eisfeld gebildet hatte. Da das Eis auch ziemlich uneben war und viele kleine Eisbröckchen hochstanden, war klar, dass ein Abrutschen hier nicht funktionieren würde, da das Verletzungsrisiko viel zu groß war.
Ganz, ganz, gaaaaanz langsam also wieder umgedreht und vorsichtig das Schneefeld wieder nach oben geklettert, ausrutschen und über die Eiskante fliegen wollte ich auf keinen Fall. Also doch den langen Weg ums Schneefeld rum.

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Das Schneefeld von unten betrachtet. Hier sieht man auch wie steil es tatsächlich war. Gut dass ich nicht über die Kante gerutscht bin.

Beim Abstieg fing es leider zu regnen an, jedoch nieselte es nur und bis auf einen Klamottenwechsel hatte ich dadurch keine Beeinträchtigungen. Schlimmer war der fiese Wind, der durch das Tal pfiff und viel Körperwärme entzog. In einem flacheren Abschnitt bin ich streckenweise komplett auf einem Schneefeld gelaufen, witzigerweise konnte man dort so viel einfacher und schneller wandern, als auf den Steinfeldern. Fühlte sich an, als flöge ich nur so dahin.

Im Blockfeld hat es mir noch einmal ordentlich die Beine weggezogen, zum Glück bin ich aber nach hinten gefallen. Nur das Abstützen mit einer Hand hätte ich mal lieber lassen sollen, die fühlte sich danach ziemlich eklig geprellt an und der feste Griff um die Trekkingstöcke tat ziemlich weh.

Laut Guidebuch war nun der westliche Ausläufer des Flusses zu furten, der durch das Skájdásjvágge lief. Möglich war dies tatsächlich erst am Zusammenfluss des westlichen und östlichen Ausläufers, davor waren der Abstieg, sowie der Aufstieg auf der anderen Flussseite viel zu steil, stellenweise waren das richtige Klippen.

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Die anvisierte Schneebrücke
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Das Wasser schoss nur so drunter durch.

Ganz unten am Zusammenfluss war dann eine Schneebrücke über den Fluss. Geheuer war mir das keinesfalls, da der Fluss mit viel Kraft unter dem Schnee durchschoss und die Brücke auch nicht mehr ganz so stark aussah. Aber es war die einzige Möglichkeit über den Fluss zu kommen und so habe ich es schnellstmöglich hinter mich gebracht. Das Ziehen in der Magengrube legte sich dann auch, nachdem man über dem schlimmsten Stück hinweg war 😉

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Blick zurück. Im Vordergrund die Schneebrücke, im Hintergrund mittig der Bergrücken, über den ich einige hundert Höhenmeter abgestiegen bin.

Nun ging der Abstieg im Skájdásjvágge auf der Westseite des Flusses weiter. Ein wenig Klettern war noch involviert, teilweise war die Hangneigung in Richtung Fluss so groß, dass man ganz schön schräg entlanglief, aber insgesamt gesehen war es gut zu gehen.

Langsam machte sich Erleichterung breit, die Kreuzung über den Bergrücken war mir gelungen, ebenso der schlimmste Teil des Abstiegs und ich hatte längst nicht so viel Zeit gebraucht, wie ich dafür kalkuliert hatte.

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Suchbild, wer findet da was?

So trottete ich im Regen und bei immer stärker werdenden Wind vor mich hin, bis ich aus dem Augenwinkel eine Frettchen-artige Gestalt sah. Stellte sich raus, dass es sich dabei um einen Vielfraß handelte, der zwar sehr schnell weglief, aber neugierig genug war ab und an anzuhalten, um mich zu beobachten. So habe ich jetzt mit Bär und Vielfraß zwei der „Big Four“-Tiere in diesem Gebiet gesehen.

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Auflösung: Auf weißem Hintergrund deutlich besser zu sehen.

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Der restliche Abstieg ins Basstavágge verlief gut, auch wenn das Ähpár-Gebirge weiterhin keinen Blick auf sich freigab.

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Hier mündet das Skájdásjvágge ins Basstavágge

Ganz unten im Tal wartete dann die letzte Herausforderung des Tages auf mich:
Da ich nach Osten weiterlaufen wollte, musste ich den Fluss, auf dessen Westseite ich abgestiegen war noch ein letztes Mal kreuzen, und das, bevor er in den noch größeren Lulep Bastajåhkå mündete, denn dort war kein Rüberkommen möglich. Eine ausgeschilderte Furtstelle schien mir nicht möglich, so bin ich weitergelaufen, in der Hoffnung dass der Fluss sich irgendwann in genug Arme aufspalten würde, dass die einzelnen Arme weniger Wasserdruck enthalten würden. Dem war aber nicht so und so musste ich wieder zurück zur Furtstelle.

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Irgendwie muss ich da auf die andere Seite. Ich bin den Fluß bis zur Einmündung (Mitte links im Bild) gelaufen, dann aber wieder zurück, dorthin wo der Fluß sich in zwei Arme aufteilt und die Insel in der Mitte entsteht.

Das Wasser schoss mit unglaublicher Gewalt entlang und ich fragte mich ernsthaft, ob eine Querung hier möglich war. Da es aber heute nicht stark genug geregnet hatte, als das der Fluss davon angeschwollen sein konnte, machte eine vorzeitige Übernachtung und ein Warten auf Morgen keinen Sinn. Schließlich habe ich mich Schuh und Hose entledigt und quälte mich in meinen Watschuhen ins Wasser.

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Fotos bringen die Situation nicht ausreichend rüber. Der Fluß strömte tosend an mir vorbei.
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Dort Halt finden war gar nicht so einfach.

Dies war neben dem Aufstieg zum Gipfel heute morgen, wo ich im Falle eines gebrochenen Beins sicherlich tagelang auf Rettung hätte warten dürfen, die zweitschlimmste Stelle im Sarek. Das Wasser kam mir gefährlich schnell vor und hätte es mich hier mitgeschwemmt, hätte ich mindestens meine Ausrüstung verloren, wenn man mit Schwung gegen einen Stein geschleudert wird, wärs wahrscheinlich noch schlimmer ausgegangen. Hier hätte ich mir auf alle Fälle eine zweite Person gewünscht. Half aber alles nix, so habe ich halt alles im Rucksack verstaut was nass werden konnte, habe den Hüftgurt geöffnet (so kann man den Rucksack im Ernstfall leichter abwerfen und wird nicht vom Rucksackgewicht unter Wasser gedrückt) und machte mich an die Überquerung. Breit war der Fluss nicht, vielleicht 5 Meter hatte ich im Wasser zu bewältigen. Auch war es nicht so tief wie eine Querung gestern, das Wasser ging nur an einer Stelle übers Knie. Dafür war die Fließgeschwindigkeit aber von allen bisher erlebten Querungen auf alle Fälle die höchste. Die Stöcke schwangen sich auf, und jeder Stein, den meine Schuhe berührten, wurde sofort von der Strömung weggerissen, was meiner Balance keinesfalls zuträglich war. Für die Überquerung habe ich rund 3-4 Minuten gebraucht und man merkte, wie bereits nach dem ersten Schritt die Zehen jegliches Gefühl verloren, danach die Füße und schließlich auch wie die Kälte in die Knochen zieht.

Dafür war die Erleichterung auf der anderen Seite enorm, nun sollte der Sarek keine (unangenehmen) Überraschungen mehr für mich bereithalten.

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Auf beiden Seiten des Flusses waren große Grasflächen, ich bin also noch ein wenig weitergelaufen, hatte aber vor hier mein Zelt aufzubauen. Ich suchte nach dem perfekten Spot mit einem möglichst großen Stein, der den Wind abhalten könnte. Gefunden habe ich eine solche Stelle leider nicht, aber nun musste ich einfach hoffen, dass mein Zelt dem Wind trotzen würde. Auf alle Fälle war es schön früh, das Zelt stand um 14 Uhr. Aber das war Teil meiner Strategie, ein Zeitpolster zu haben.

Das Bastavágge „bietet den am deutlichsten ausgeprägten hochalpinen Charakter unter den Haupttälern im Sarek. Die Vegetation ist durchweg dürftig […] [es] überwiegt Schotter. […] Früher galt es bei den Samen als ein magisches Tal, man hielt es für unheimlich und es bildete sich ein spezieller Kult aus. Nur die Nåjder, die samischen Priester, zogen mit ihren heiligen Trommeln durch das Tal, während die übrigen Menschen sowie die Rentiere östlich des Ähpár-Massivs blieben.“ (Claes Grundsten S. 208)

So hat mein Platz aber einen wunderschönen Blick ins Basstavágge, sowohl ostwärts (wohin ich morgen weitergehe), wie auch Westwärts, dort sieht man den Basstavárásj, der sich erkennbar von den umliegenden Bergen abhebt.

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Blick nach Osten

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Blick nach Westen
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Tolle Färbung im Tal
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Basstavárásj im Westen

So sitze ich nach dem Zeltaufbau auf einem Stein, beobachte die tolle Lichtstimmung, lasse meine nassen Klamotten im Wind trocknen und beobachte eine große Rentierherde von ca. 50 Tieren. Wenn man lang genug reglos sitzen bleibt, kommen die Tiere mir schon sehr nah.

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Meine Hoffnungen darauf, dass sie sich bis an den Stein herantrauen werden aber dadurch zunichte gemacht, dass ein wanderndes Pärchen um die Ecke biegt und auf mich zu hält, woraufhin sich die Rentiere schnell zerstreuen. Hatte ich nun knappe 30 Stunden keine Menschenseele getroffen und gesehen, führen wir nun einen kurzen aber freundlichen Plausch, bevor die Beiden weiterziehen. In westlicher Richtung steht auch ein weites Zelt auf der anderen Flussseite, man fühlt sich also nicht mehr ganz so allein.

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Der erste menschliche Kontakt seit Langem.

Zurück im Zelt merkte ich schnell wie der Körper entspannte, so habe ich gleich mal drei Stunden geschlafen und mich faul auf der Isomatte hin und her gewälzt. Die Füße wurden heute ganz schön in Mitleidenschaft gezogen, nebst verschiedenen Druckstellen merke ich einen Zehnagel, den es vermutlich demnächst absprengen wird. Aber wenigstens habe ich keine Blasen auf der Ferse wie bei den vergangenen Reisen. Da aber die nächsten Tage weit flacher, nicht so weglos und dadurch deutlich einfacher zu gehen sein sollten, werden sich meine Füße vermutlich wieder erholen können.

Morgen geht es 7 Kilometer bis zum kleinen Sami-Dorf am Sito-See und hoffentlich fährt mich dann dort jemand mit dem Boot über See zurück zum Kungsleden und ich lasse damit den Sarek hinter mir.

Insgesamt hat mir meine Route durch den Sarek super gefallen, ich habe es mir durch die Passquerung vermutlich deutlich schwieriger gemacht als wenn ich nur in den Tälern geblieben wäre.

Grundsten spricht davon, dass diese Querung „wie eine Bergbesteigung bei vollem Rucksackgewicht“ sei.

Bleibt man nur in den Tälern kommt man wie im Basstavágge deutlich schneller voran, zudem sind die Steinfelder weit seltener.

Der Wind am Abend rüttelt ordentlich am Zelt, zum wiederholten Male auf dieser Tour wünsche ich mir ein stabiles Hilleberg-Zelt herbei. Trotzdem entspanne ich bei Hörbüchern und Schokolade, vor dem Zubettgehen gibt es auch noch einen Liter Tee zum Aufwärmen. Verglichen mit der Nacht gestern sollte es heute auch deutlich wärmer bleiben, schließlich bin ich 400 Höhenmeter tiefer.

Tag 66 (Tag 14): Skierffe – Vássjálåpptå (Nördlichster Bacharm am Alep Våssjájågåsj)

Gelaufene Kilometer: 17,2

Heute ging es in den Sarek. Und zwar so richtig! Nicht so wie auf dem markierten Weg vom Kungsleden zum Skierffe, sondern endlich querfeldein und fernab anderer Wander_innen.

Nun folgt vielleicht die berechtigte Frage: Was zur Hölle ist eigentlich der Sarek? Und warum machst du da in den vorherigen Einträgen so viel Wirbel drum?

Nun, dieser Fragestellung will ich mich kurz annehmen:
Der Sarek ist ein Nationalpark, der nahezu komplett unberührt ist. Das bedeutet: Keine Hütten, keine Straßenanbindung, kein Funkempfang, nix. Wege gibt es zwar, aber auch nur dort, wo genügend Wanderer vorbeikommen und sich eine kleine Schneise gebildet hat. Oder wo Wildpfade langführen, denen man folgen kann. So ist der Nationalpark Sarek mit 3000 Quadratkilometern bereits an sich ein riesiges Stück Wildnis.

Dazu kommt noch ein weiterer Faktor, und hier zitiere ich den Sarek-Kenner Claes Grundsten aus seinem Reiseführer Sarek – Trekking in Schweden: „Hier findet sich Schwedens größte Konzentration an Gletschern und beeindruckenden Felsmassiven. Man trifft etwa 200 Gipfel an, von denen gut die Hälfte höher als 1800 Meter ist. Fast 30 davon sind über 1900 Meter und 7 über 2000 Meter über Null. Es gibt etwa 100 Gletscher. Die Topografie macht den Sarek einzigartig im Vergleich zu anderen Hochgebirgszügen Skandinaviens. Die Gebirgsmassive liegen in überschaubaren Gruppen, was ein für den Wanderer reizvolles Kartennbild schafft. Die Täler bilden ein Netzwerk und es gibt Labyrinthe aus Gipfeln, Kämmen und senkrechten Felswälden.“ (S. 22f.)

Zudem gibt es einiges an Großwild und Kleinwild. Ungemütlich kann es jedoch werden, denn das Wetter ist in diesen zerklüfteten Tälern ziemlich wechselhaft. So verwundert es auch nicht, dass im Sarek mehr Niederschlag fällt als irgendwo sonst in Schweden, bis zu 2000 mm/Jahr.

So ist der Sarek gesamt gesehen ein recht anspruchsvolles Wandergebiet. Man folgt selten irgendwelchen Wegen, es sind zahlreiche Bäche und Flüsse zu queren (ohne Brücken natürlich), und im Notfall hat man ein ganz schönes Stück vor sich, bis man wieder in der Zivilisation ankommt. Jetzt soll das nicht heißen, dass es irre gefährlich ist, ich will mich hier auch nicht als Helden und wagemutigen Abenteurer aufspielen. Aber es bedeutet nun mal, dass man hier mit mehr Planung rangeht, die Ausrüstung passen muss und man auf jegliches Wetter eingestellt sein muss.

Nach der Reise in den Sarek kann ich sagen, dass ich einen gewaltigen Respekt für die Abenteurer des vergangenen Jahrhunderts habe, die hierhin aufgebrochen sind. So ist Carl von Linnés im Süd-Sarek unterwegs gewesen und Axel Hamberg hat gar Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Schutzhütten im Nationalpark sowie ein Observatorium auf einem der höchsten Gipfel gebaut. Was diese Leute mit ihren Teams an Naturgewalten erlebt haben müssen, fernab von Gore-Tex, Daunenschlafsack und Gefriergetrockneter Nahrung ist heute kaum nachvollziehbar.

In der Nacht hat es ein wenig geregnet, aber nicht sonderlich stark und ich konnte deshalb gut durchschlafen. Um 6 Uhr bin ich kurz wach geworden, aber das war mir dann doch zu früh, also bis 7 Uhr noch mal umgedreht. Frühstücken und Zusammenpacken ging schön schnell. Inzwischen habe ich 2 Zip-Beutel voll mit Essen, gestartet bin ich mit 7 oder 8 Stück. So passt alles deutlich schneller in den Rucksack, ich muss nicht mehr die perfekte Aufteilung finden. Das Außenzelt wurde heute nass verpackt, da führte kein Weg dran vorbei.

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Los ging der Marsch heute über den nächsten Hang und darauf folgend über eine relativ leicht begehbare Wiese/Weide, wobei es stellenweise doch recht feucht war und ich von Weidenbusch zum nächsten springen musste um keine nassen Füße zu kriegen. Bewusst war mir auch, dass die nächsten 2-3 Kilometer der Knackpunkt des heutigen Tages sein würden. Da ging es nämlich schräg am Hang südlich des Gierdogiesjtjåhkkå entlang, ein Bereich der bei der Betrachtung vom Skierffe aus nur eins bot: Durchgängige Blockfelder und eine ordentliche Schräge. Es hätte als alternative Möglichkeit noch eine nördliche Umgehung des Gierdogiesjtjåhkkå gegeben, der Umweg war mir aber zu weit, zudem war die südliche Route so in meinem Guidebuch empfohlen.

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Blick auf den Gierdogiesjtjåhkkå
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Blau eingezeichnet der Umweg, ich hab mich stattdessen für die rote Route, wie im Reiseführer beschrieben, entschieden.

Vom Skierffe aus hatte ich bereits mir eine Route überlegt, die ich im Blockfeld nehmen wollte. Denn durch die große Hangneigung war es wichtig, möglichst auf einer Höhenlinie zu bleiben, sonst würde ich Zeit und Energie darauf verschwenden dauernd hoch oder runter zu klettern. So hatte ich in meinem Geiste den Plan „Bis zum ersten Schneefeld kletterst du hoch, dann aber links am kleinen Schneefeld vorbei und dann zwischen den nächsten Schneefeldern mitten durch.“

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Blick vom Skierffe auf die Südseite des Gierdogiesjtjåhkkå
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Das war also die angedachte Route.

An sich ein schöner Plan, aber als heute die Sicht bei vorbeiziehenden Nebelschwaden auf etwa 5m sank, ließ sich der Plan schwerlich umsetzen. Grob hat es aber geklappt, ich habe dann einfach weitestgehend versucht auf einer Höhe zu bleiben.

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Anfangs gab es sogar noch ein paar Flecken Gras zwischen den Steinen
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Trübe Nebelsicht

Das Blockfeld zu queren war unglaublich anstrengend. Die einzelnen Steine waren recht groß, moosbewachsen und durch den Nebel sehr nass. Hatte also den Effekt, als hätte jemand vor mir Seifenlauge auf den Steinen ausgekippt. Dadurch dass die Steine so groß waren, musste man vielfach auch große Schritte machen, viel hoch- bzw. runterklettern und die Steine lagen in allen möglichen Winkeln aneinandergereiht. Auch war durch die Hangneigung ein Fuß konstant weiter unten als der andere. Ich habe auf dem Streckenabschnitt also wirklich gekämpft, für die 1-1,5km habe ich über eine Stunde gebraucht, es ging im Schneckentempo voran.

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Auf der Höhe des Nammásj angekommen, den man als kleinen “Bauklotz” vom Skierffe aus sehen konnte.
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Steine, Schnee, Nebel
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Schwierig hierbei die Höhe zu halten und keine unnötige Energie mit Auf- und Abstiegen zu verbraten.
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Blick zurück, Skierffe in den Wolken (von dort bin ich auch heute früh losgelaufen)
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Das Blockfeld läuft aus, zu erkennen ist bereits  Suorkitjåhkkå (rechts) und „Gipfel 1078“ (links), zwischen denen ich durchqueren werde.

Die Helden des heutigen Tages sind meine Wanderstöcke, 2-3 Mal hat es mich heute nämlich richtig umgeschmissen und ich bin halb über die Stöcke gefallen. Diese waren irgendwo in einer Felsspalte und haben sich ordentlich gebogen, gebrochen sind sie aber nicht, wofür ich sehr, sehr dankbar bin. Die weitere Strecke ohne Stöcke zu machen, wäre eine Katastrophe gewesen.

Ich habe im Verlauf des heutigen Tages eine Wander-Philosophie aufgestellt, an welche ich mich selbst noch nicht wirklich halte, aber womit ich versuche diese schwierigen Stellen zu entschärfen:

  1. Bei den Felsblöcken tritt man nicht auf die große Freifläche (sehr rutschig!), sondern versucht den Fuß auf die Felskanten zu stellen oder den Fuß zwischen zwei Blöcken „einzuklemmen“. Hauptsache der Fuß rutscht nicht weg, denn sobald das passiert, ist es ziemlich schwierig das Gleichgewicht zu halten und ich bin mehr als nur einmal umgefallen.
  2. L-A-N-G-S-A-M-!, auch wenn dieses Vorgehen geistig quält. Erst wenn der Fuß sicher steht, kann ich mir Gedanken darüber machen wo der nächste Fuß hin kann, wo der eine Stock verankert werden soll.
  3. Nur auf den Weg vor mir schauen! Wenn ich die Landschaft betrachten will, den weiteren Weg auskundschaften will: Stehenbleiben! In der Sekunde wo man den Blick hebt, unkonzentriert wird und nicht mehr auf den nächsten Schritt achtet, dort passieren die Fehler. Gleiches gilt für Fotografien, nur wenn ich sicher und stabil stehe, wird die Kamera rausgeholt. Keine Schnappschüsse aus der Hüfte.
  4. Schlag nicht nach einer Mücke, wenn du auf einem rutschigen Blockfeld stehst. Da hilft nur, sich stoisch stechen lassen.
  5. Hand raus aus den Trekkingstock-Schlaufen. Sollte man wegrutschen und der Stock verkantet sich, kann man so wenigstens einfach loslassen, im anderen Fall riskiert man eine Handgelenksverletzung.

Ein paar Mal wurde es haarig heute, durch so einige Umfaller habe ich mir die Beine aufgeschlagen, aber mehr als oberflächliche Schürfwunden waren es zum Glück nie. Schlimmer war die Anstrengung, die durch den Hang nicht verbessert wurde. Glücklicherweise kam von oben kein Regen nach, im strömenden Regen wäre das Blockfeld wirklich richtig knackig gewesen.

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Der Tribut, der ans Blockfeld gezahlt wurde

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Blick runter auf den Nammåsjjåhkå

Angekommen am Nammåsjjåhkå ging es ziemlich steil runter zum Fluss und auf der anderen Seite wieder hoch. Glücklicherweise konnte ich den Fluss dadurch queren, dass ich ein paar Steine ins Wasser schmiss und mir so meine Trittmöglichkeiten selber schuf. Nachdem ich wieder aus dem Flusseinschnitt hochgeklettert war ging es weiter, bis ich zwischen Suorkitjåhkkå und „Gipfel 1078“ durchgegangen bin. Dort hatte man noch einen tollen Blick zurück auf den Nammásj und den Skierffe.

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Blick zurück auf Nammásj (rechts), Tjahkelij (Mitte) und den Skierffe (links)
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Immer wieder ziehen neue Nebelbänke durch, die das Navigieren zur Herausforderung wachsen lassen.

Übler wurde die Querung des Buovdajågåsj, dort ging es viel steiler runter zum Wasser und auf der anderen Seite war eine Schneewand.

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Die Schneewand

Diese wollte ich erklettern, ich nahm an ich würde da gut Stufen reingeschlagen kriegen in die Schneemauer. Dem war nur leider nicht so und die Wand war sicherlich 50° steil, das wurde mir zu heikel mit dem Rucksack auf dem Rücken. Wenn man abrutscht landet man unten im Steinfeld am Fluss. Bin dann am Fluss entlang ein wenig nach Norden gelaufen und konnte dort den Fluss über eine Schneebrücke kreuzen. Immer wieder gruselig wenn man im Juli auf einer Schneeplatte steht und darunter das Wasser rauschen hört. Aber auch das habe geschafft.

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Die Schneebrücke
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Manchmal muss man halt noch mal zurück, und einen neuen Weg suchen. So enden wie das Rentier wollte ich nicht.

Weiter ging es auf derselben Höhe nach Westen. Kurz vor dem „Gipfel 1112“ habe ich noch einen jungen Polen getroffen, ich schätze ihn auf 18-20. Der hatte noch sein Zelt dort aufgeschlagen, da er erst um Mitternacht dort ankam. Wir sind ein wenig ins Quatschen gekommen und er hatte mir etwas von seinem Tee abgegeben. Ich hab dann beschlossen mein Mittagessen dort zuzubereiten, weil bisher der Regen noch nicht in Sicht war und ich den größten Teil der heutigen Strecke bereits absolviert hatte. Er erzählte mir dann, dass er aus Polen bis hierher per Anhalter gekommen wäre.

Was mich nachhaltig erschreckte, war mit welcher minderwertigen Ausrüstung und fehlenden Erfahrung er 14 Tage im Sarek zurücklegen wollte. Sein Zelt war Marke „Kindersarg“, er konnte den Rucksack nicht mal mit ins Vorzelt nehmen – was macht er wenn es 3 Tage schüttet?
Sein Rucksack riss langsam an der einen Schulterschlaufe auf – was macht er wenn ein Schultergurt komplett abreißt?
Sein Schlafsack ging bis 10° – Mir fror es oft genug mit meinem +5° Sack mitsamt Inlett.
Das schlimmste war, dass er keine Landkarte dabei hatte. „ich habe Fotos davon auf dem Telefon.“ – Toll, und was machst du wenn dir das Handy in den Fluss fällt, die Powerbank leer ist, es in Strömen regnet?
Generell schien er mir viel zu entspannt für den Sarek, aber auch so unerfahren, dass er sich dauernd beschwerte, es gäbe bisher keinen erkennbaren Pfad. Das war für mich ja ausschlaggebend, warum ich in den Sarek wollte, wieso er dann dort 14 Tage verbringen wollte erschloss sich mir nicht.

Das wohl sinnloseste Utensil, dass ich beim Hiken je gesehen habe, hatte er auch dabei: Einen voll aufgeblasenen Fußball! Den hatte er angeblich dabei, um damit zu kicken, während er auf eine Mitnahme beim Hitchhiken wartete. Schön und gut, aber dann hätte ich ihn nach der Fahrt mit dem Anhalter auch versteckt, und würde nun keinen vollen Fußball mit mir rumschleppen.
War also alles eher surreal, man merkte auch, dass er sich gerne länger mit mir unterhalten hätte und mit mir weitergehen wollte. Ich hingegen sah ihn eher als ein Hindernis, genoss auch gerade das Alleinsein und wollte auf alle Fälle verhindern, dass er sich für die kommenden 3 Tage an mich dranhängt. So habe ich mich verabschiedet während er noch seinen Rucksack packte und machte mich allein auf den weiteren Weg. Ich machte mir die kommenden Tage doch ein wenig Sorgen um den Typen, hoffentlich ist er gut durchgekommen.

Im Gegensatz zum jungen Polen merke ich meinen Respekt vor dem Sarek auf alle Fälle. Soll jetzt von mir nicht über-dramatisiert werden, es ist auch kein unbändiges Abenteuer zwischen Leben und Tod. Aber es ist halt doch anders als auf den Pfaden des Kungsleden & Padjelantaleden entlang zu wandern und täglich an bewirteten Hütten vorbei zu kommen. Die Touristen-Dichte ist deutlich geringer und wenn etwas hier schief geht, dann kann es länger dauern bis man Hilfe bekommt.

Anschließend ging es nördlich am „Gipfel 1112“ vorbei und ich habe versucht dieselbe Höhe beizubehalten, bin also ein wenig nach Norden geschwenkt, bis ich an den Lulep Våssjájågåsj gekommen bin. Nur zum Ende hin bin ich relativ direkt zum Fluss abgestiegen, da sich weiter oben abzeichnete, dass das Wasser über Steinplatten fließt und eine Querung hier nicht möglich wäre.

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Lulep Våssjájågåsj, im Süden hatte der Fluß noch recht hohe Klippen
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Ein bisschen weiter nördlich wurde der Rand dann flacher.

Am Wasser angekommen war dies die erste Furt seit Tuottar (auf dem Padjelantaleden), wo ich die Schuhe ausziehen musste, diesmal auch die Hose hinterher, da es aussah als ob es ordentlich tief wird. Schnell die Watschuhe an und rein ins kühle Nass, welches direkt aus den Schneefeldern der umliegenden Berghänge gespeist wurde. Dementsprechend frostig wurde es um die Beine und Füße, das Gefühl in den Extremitäten verschwand nahezu sofort. An der tiefsten Stelle ging das Wasser bis zur Mitte des Oberschenkels und das Wasser schoss so schnell an mir vorbei, das der Trekkingstock sich in Eigenschwingungen versetzte. Zum Glück war es nur eine 2-3m breite Stelle, die so tief war, der Rest war seichter. Auf der anderen Seite angekommen schmiss ich schnell wieder die Klamotten an und kämpfte mich die Anhöhe hinauf, die weit steiler als der Abstieg zum Fluss war. Wenigstens wurde es mir so schnell wieder warm. Auch setzte kurzzeitig ein wenig Regen ein, ich hatte jedoch extrem viel Glück gehabt, hätte es doch laut Wetterbericht ab 12 Uhr Mittag stark regnen sollen. Jetzt war es jedoch 14 Uhr und der Regen hörte dankenswerterweise schnell wieder auf.

Nach dem knackigen Anstieg ging es nach Norden weiter über die Ebene Vássjálåpptå. Erst ging es wunderbar flach über eine sumpfige Wiese, eine gelungene Abwechslung nach all den Blockfeldern heute. Das Wasser stand zum Glück nur zehn Zentimeter hoch, man kam also gut voran. Nur an einer Stelle wurde es tiefer und ich wurde zum wiederholten Male auf dieser Tour mit einem nassen Schuh belohnt. 😉

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Auch wenn es sumpfig war: Endlich mal wieder über eine Wiese laufen, nach all den Steinen heute.
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Panorama gen Süden ins Rapadalen und das Bielloriehppe-Gebirge auf der gegenüberliegenden Talseite.

Anschließend jedoch kam noch mal ein Anstieg dran und es wurde auf alle Fälle steiniger. Ich hatte gelesen, dass man oben auf der Ebene Vássjálåpptå gute Zeltplätze finden könnte, und da ich am folgenden Tag gen Norden den Bergrücken überqueren wollte um ins nächste Tal abzusteigen, kam es mir sehr entgegen möglichst nah an den Bergen zelten zu können.

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Steiniger, mit Blick auf den Alep Vassjájiegna – Gletscher
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Wunderschöner Blick auf das karge, schroffe Bielloriehppe-Gebirge

Ich merkte jetzt auch, dass es ein wirklich langer, anstrengender Tag gewesen war, der Wanderakku war auf alle Fälle leer. Es war so beschwerlich über die freie Ebene zu laufen und ich wollte einfach endlich einen guten Platz für meinen Zelt finden. Abwechslung gab mir in dieser kargen Landschaft einige Pflänzchen mit wunderschönen Blumen. Wie diese Pflanzen da oben überleben, bestäubt werden und gedeihen ist mir ein Rätsel, nachdem ich aber endlich in der Höhe Abstand zu den Mücken eingenommen hatte, konnte ich die Blumen umso mehr genießen. Auch gab es erstaunlich viele Spinnen, die rumkrochen. Wovon die sich ernähren? – Keine Ahnung.

Ich konnte nun von der Ebene aus die Berge sehen, die ich morgen überqueren muss um ins nächste Tal zu kommen (Våssjá, Gipfel 1764, Gipfel 1698 und den Vássjábákte), und konnte so im Sonnenschein mir überlegen, wo ich morgen den Anstieg setzen würde.

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Mein Sarek-Reiseführer empfiehlt den östlichen Anstieg zwischen Gipfel 1698 und Vássjábákte, da lagen aber durchgängige Schneefelder und so entschied ich mich den 1764 geradewegs zu erklettern und dann oben auf dem Gipfelgrad erst nach Osten weiterzulaufen.

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Routenempfehlung aus dem Reiseführer (Blau), tatsächlich genommene Route (Rot).

So machte ich mich an die letzten Kilometer, um zum Fuße des Gipfels 1764 zu kommen, um dort einen Zeltplatz zu finden.

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Ich komme dem Gipfel 1764 näher, an dessen Fuße ich heute Zelten werde.

Erst am obersten Ausläufer des Flusses Alep Våssjájågåsj entscheide ich, dass es für heute reicht. Die versprochenen, schönen Zeltplätze finde ich leider nicht, stattdessen stehe ich in einem Steinmeer und suche nach einem Plätzchen, wo zumindest keine großen Blöcke liegen. Das finde ich schließlich, viel größer dürfte mein Zelt allerdings nicht sein, ein langes Tunnelzelt hätte da nicht hingepasst. So wie es ist liege ich schon in ziemlicher Schräglage im Zelt und auch die Abspannung funktioniert mit Steinen statt Heringen, da es keine Erde gibt, in die ich die Heringe hätte reinrammen können.  Die ideale Zeltwiese liegt wohl tiefer, aber ich hatte keine Lust Höhenmeter abzubauen, die ich morgen wieder empor klettern müsste

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Blick auf den Alep Vassjájiegna – Gletscher
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Blick ins Tal auf die Berge Bielloriehppe auf der anderen Talseite. Wäre ich weiter abgestiegen, wären sicherlich die schönen Zeltwiesen noch gekommen, wollte morgen aber nicht wieder hoch.
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Direkt hinter dem Zelt erhebt sich der morgige Aufstieg zum Gipfel 1764.
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Keine Chance in dem Boden Heringe zu verankern.

Aber es gibt in der Nähe fließend Wasser, keine Mücke zeigt sich hier oben und ich habe einen fantastischen Blick auf die Berge südlich von mir, auf der anderen Seite des Rapadalen-Tals. So blicke ich auf die Berge rund um den Gådoktjåhkkå und Bielloriehppe, die wirklich imposant aussehen. Teilweise habe ich diese Berge gestern schon vom Skierffe aus sehen können.

Bis das Zelt stand war es auch schon 16 Uhr, und gemessen daran, dass ich heute sehr früh aufgebrochen bin war es ein langer Wandertag. Auf der Karte hatte ich mir mal grob 12 Kilometer ausgerechnet, mein GPS zeigte an, dass ich gar 17 zurückgelegt hatte. (Ich habe jetzt im Sarek angefangen, mein Vorankommen aufzuzeichnen, auch weil ich dauernd aufs Navi schauen muss. Meine Powerbank ist noch komplett voll, also kann ich es mir leisten, ein wenig Strom zu verbraten.)

Und obwohl jetzt plötzlich die Sonne mein Zelt wunderbar beleuchtete, sah man in Richtung Skierffe, dass eine dunkle Wolkenfront im Anmarsch war. Das hat auch dazu geführt, dass ich mich auf den letzten Metern recht gehetzt gefühlt habe. Aber es hat alles wunderbar funktioniert, denn als der kräftige Regenschauer einsetzte lag ich bereits entspannt auf der Isomatte. Hoffe nur, die Luftmatratze überlebt die spitzen Steine, zur Vorsicht lege ich noch Klamotten unter die Matte, so kann ich auch noch die eklatante Schräglage ausgleichen.

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Bielloriehppe-Gebirge noch mal in der Nahaufnahme
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Der Regen aus Richtung des Skierffe

Vor dem Regen war ich noch am Wasserlauf meine Vorräte auffüllen, und ein paar Klamotten waschen. An sich hatte ich auch vor mich selber zu waschen, aber das Wasser kam direkt aus dem Schnee und schlimmer noch, es war so ein Rinnsal, dass selbst eine Katzenwäsche aufwendig geworden wäre. So bleibe ich einen Tag länger dreckig.

Von 17 Uhr an konnte ich also meine Freizeit in der Horizontalen genießen. Der Regen ließ auch nicht nach, der trommelte bis zum Einschlafen und darüber hinaus kontinuierlich aufs Zeltdach. Den Abend habe ich mit Hörbuch und Kindle verbracht.

Ich bin bisher begeistert vom Sarek! Ich habe zwar noch keinen Zustand der Entspannung erreicht, da mich das Terrain vor allerlei Herausforderungen stellt. Nichtsdestotrotz gefällt mir das weglose Wandern, die eigenmächtige Routenfindung und das Alleinsein. Außer dem jungen Polen habe ich heute keine Person getroffen. Auch die wilde Landschaft um mich herum ist ein Hochgenuss, die Blockfelder und die zu kreuzenden Flüsse eine gelungene, aber anstrengende Abwechslung. Sorgen mache ich mir nur über eine mögliche Verletzung, ein verstauchter Knöchel wäre hier ungünstig. So geht die gesamte Konzentration auch für das Laufen drauf, im Gegensatz zu den vergangenen Tagen habe ich nicht zwischendurch von Supermarkt, Festessen oder dem Leben daheim geträumt, sondern mich einfach weitestgehend auf die Meter vor mir fokussiert. Die Pausen habe ich auch sehr kurz gehalten, da ich mit dem Gedanken an den aufziehenden Regen im Hinterkoof möglichst viel Strecke schaffen wollte. Hat sich ja dann auch gelohnt, als der Regen kam lag ich schon im Zelt. Ich merke jetzt schon, dass meine Zeit im Sarek zu kurz sein wird, ich würde sehr gerne die weiteren Täler entdecken.

Zum Abendessen gibt es wieder ein Trek&Eat Gericht, diesmal Satay-Reis, der deutlich besser schmeckt als die Spaghetti Carbonara von gestern. Und zur Feier des Tages gibt es anschließend eine ganze Tafel Schokolade, die hab ich mir verdient 😉

Abends nähe ich noch an meiner Kameratasche herum, die Gurtschlaufe, durch die ich meinen Hüftgurt fädele ist ein wenig ausgerissen, und bevor sich die Gurtschlaufe ganz verabschiedet führe ich mit Nadel und Zahnseide eine zweite Not-OP (nach Tuottar) durch. Sieht auch ganz gut aus, leider bricht mir im Prozess die Nadel ab, aber dafür hält es bis zum Ende meiner Reise einwandfrei.

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Not macht erfinderisch!

Mein Zelt steht auf 1400m, ich war schon lange nicht mehr so weit oben, erwarte also eine kalte Nacht, habe aber alles neben dem Schlafsack liegen, damit ich mich richtig einpacken kann.

Tag 65 (Tag 13): Skierffe

Gelaufene Kilometer: ~1. Es ging nur einmal den Skierffe rauf.

Habe heute Ausgeschlafen, dabei musste ich mich regelrecht zwingen, mich mehrmals umzudrehen und weiterzuschlafen. Der Körper hingegen sagte: „Fertig!“ und war mehr als bereit aufzuspringen und weiterzulaufen.

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Sicht beim Blick aus dem Zelt
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Ein paar Minuten später

Als ich in der Früh den Reißverschluss am Zelt aufzog war ich komplett in Nebel/Wolken gehüllt, die Sicht reichte maximal 3-4 m weit. Ein paar Minuten später war der Spuk allerdings vorbei, und stattdessen schien herrlich die Sonne. Das ging den Vormittag über so weiter, immer wieder rollten Wolken aus dem Tal über die Hochebene hinweg und die Nebelbänke verschluckten mich förmlich.

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Frühstück habe ich dann draußen zu mir genommen, mal mit mehr, mal mit weniger Sichtweite. Anschließend noch allerlei Klamotten gewaschen, in der Hoffnung, dass sie im Wind trocknen. Erstmalig auch endlich die Hose gewaschen, die wird zwar am nächsten Tag sicherlich wieder dreckig, aber es wurde mal Zeit, dass die ein wenig Wasser abbekommt.

Ansonsten war der Ruhetag wie erwartet sehr entspannt. Insgesamt habe ich heute knapp 2 Bücher gelesen, mehrere Stunden Hörbuch gehört, eine Folge Simpsons am Handy geschaut (das war das Staffelfinale und ich hab mir diese ewig aufbehalten. Die vorletzte Folge hatte ich am Nordkapp mit Klaus geschaut.) Heute musste ich mich richtig zwingen, nicht dauerhaft zu essen, der Körper hatte Hunger ohne Ende und ich nicht wirklich was zu tun. Habe mir dann selber Zeitgrenzen auferlegt, an die ich mich zu halten hatte, sonst wäre wohl das Essen der nächsten drei Tage verschlungen worden. Nachgerechnet nehme ich jeden Tag auch nur knapp 2000kcal zu mir, bei der physischen Anstrengung der Wanderung braucht der Körper sicherlich weit mehr, es verwundert also nicht, dass ich dauerhaft Heißhunger schiebe.

Gegen Mittag kamen einige Personen an, die wohl vom Kungsleden aus Richtung Skierffe aufgebrochen waren, und so erschienen nach und nach einige Zelte auf den Hängen um mich rum. Witzigerweise bin ich unter 5 Zelten im 100m Radius das einzige Nicht-Hilleberg-Zelt. Die Schwed_innen wissen schon, was ein gutes Zelt ist. Am Nachmittag gönne ich mir noch eine Fruchtkaltschale, diese schmeckt besonders gut, da ich sie über eine Stunde mit dem Topf im Schneefeld einbuddele, so wird die richtig zähflüssig.

Die Wetteraussichten für morgen und die kommenden Tage sind sehr unterschiedlich, je nachdem welche Person man fragt und wann sie ihre letzten Infos bezogen haben. Fest steht wohl, dass es ab morgen schlechter werden soll. Hoffnung ziehe ich daraus, dass erst Mittags/Nachmittags der Regen beginnen soll. Ich plane also morgen früh zu starten um möglichst viel Strecke zu absolvieren, bevor mich die Nässe einholt. Nebel wäre schlimmer, aber auch dafür habe ich ein GPS dabei und denke damit werde ich navigieren können.

Zum Abendessen gab es endlich eins meiner Trek&Eat Fertiggerichte, die mir damals bei der Radtour zwei Wanderer im Hostel in Kiruna geschenkt haben, und welche ich nun knapp über einen Monat aufbehalten habe. Ich habe große Hoffnungen in das Gericht gelegt, weil das Preisschild zeigte wie teuer die Gerichte waren, und so habe ich erwartet sie würden deutlich besser schmecken als meine Fertignudeln von Knorr und Maggi. Taten sie dann leider nicht, auch wurde ich dadurch nicht sonderlich satter. Aber lecker war es nichtsdestotrotz, besonders bei meinem vorherrschenden Heißhunger. Wenigstens der Topf bleibt sauber, da das Gericht im Alubeutel zubereitet wird.

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Blick nach Westen
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Wolkenspiegelungen in den Seen

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Höhere Berge Richtung Westen im Sarek

Abends bin ich um halb 8 doch noch mal den Skierffe raufgeklettert, weil es aussah als würde die Sonne rauskommen. Insgesamt bin ich knappe zwei Stunden oben geblieben. Auch wenn der Ausblick wieder gigantisch war, ohne direkte Sonneneinstrahlung aufs Delta kommen die verschiedenen Farben nicht so zur Geltung wie gestern. Dafür gab es dichte Wolken und verschiedene Sonnenflecken, so waren doch ein paar gute Fotos zu machen.

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Blick nach Westen (in den Sarek)
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Blick nach Westen (in den Sarek)
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Tjakhelij im Abendlicht
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Nammásj samt Spot-Beleuchtung
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Nammásj
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Nammásj und Tjakhelij
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Die hohen Berge im Westen, morgen gehts in die Richtung weiter
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Gletscher und Schneefelder

Bin am Gipfel mit zwei Spaniern in Kontakt gekommen, die auf dem Nordkalottleden unterwegs waren, und die zwei Freunden von mir entgegenlaufen, die in Norwegen gestartet sind. Bin ja mal gespannt ob die sich unterwegs über den Weg laufen. Zusätzlich kamen noch drei Schweizer_innen oben an, die am Gipfel campieren wollten. Machbar war es, bei dem Wind muss aber alles gut vertäut sein, sonst findet man seine Sachen erst wieder im Tal. Zudem wäre es mir zu exponiert da oben, bei Gewitter möchte ich da nicht an der Kante campiert sein.

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Nach Rückkehr zum Zelt gibt es dann noch die wohlverdiente Schokolade vor dem Zubettgehen. Morgen will ich einen frühen Start hinlegen, deswegen bleibe ich trotz Ruhetag heute nicht ewig auf.

Tag 64 (Tag 12): Laitaure Fähranleger – Skierffe

Achtung, heute wird der Eintrag länger, zudem konnte ich mich bei den Myriaden an Bildern vom Skierffe nur schwerlich entscheiden, deswegen gibt es auch mehr Fotos.

 

Gelaufene Kilometer: 9,5

In der Nacht hat es weiter viel geregnet, zudem hat eine der Schwedinnen vom Abendessen gestern so laut im Zelt nebenan geschnarcht, dass ich erstmalig Ohropax aus dem Rucksack geholt habe. Da schläft man neben Flüssen, die laut sind wie Autobahnen, aber das menschliche Schnarchen nervt auf alle Fälle mehr! Das letzte Mal habe ich das Ohropax im Hostel in Kiruna gebraucht.

Frühstück gab es wieder in der Hütte mit den restlichen Hikern von gestern. Eilig hatte ich es nicht, musste ja eh auf das Boot warten. Kurz zuvor kam noch der Sarek-Experte von gestern an, der mich fragte, ob ich mitrudern will. Das ist aber eine amtliche Strecke über den Laitaure, da gebe ich lieber etwas Geld aus für die Motor-Fährfahrt.

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Im Motorboot bin ich wieder der einzige Mitfahrer, so kann ich aber die richtig zackige Überfahrt dazu nutzen, den Skierffe vom Wasser aus abzulichten und den Blick ins Rapadalen-Tal hoch zu genießen. Kein Wunder, dass es so schön war, nennt man das Gebiet nun auch die „Pforte zum Sarek“.

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Die “Pforte zum Sarek”. Tjahkelij links, rechts die vertikale Felswand des Skierffe und in der Mitte der kleine Nammásj, sowie die verschneiten Berge des Sareks dahinter.

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Nammásj

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Skierffe

Von der Anlegestelle geht es dann noch einen Kilometer bis zu den Aktse-Hütten, wo ich zeitig ankomme.

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Ankunft in Aktse
OLYMPUS DIGITAL CAMERABlick zurück über den Laitaure, welchen ich gerade per Boot gequert habe.

Dort habe ich versucht die beiden Hüttenwärter_innen auszuquetschen, wie die Situation derzeit im Sarek ist zwecks Wasserstand und Schneevorkommen. Dazu hatten sie leider recht wenig Ahnung, ebenso wussten sie nicht wirklich über die Fährfahrt von Rinim nach Sitojaure Bescheid, etwas, was mir Tage später ordentlich Ärger einbringen sollte – aber ich eile voraus, dazu komme ich noch.

Das Wort Aktse bedeutet übrigens „neun“, da hier am Berghang oberhalb den Hütten ein Steinblock steht, an dem angeblich neun Bären getötet wurden. (Claes Grundsten S. 54)

Gut, dass dem Bären vor Njunjes vor ein paar Tagen nicht das gleiche Schicksal ereilte.

Wenigstens meinen Essensvorrat konnte ich aufstocken, für den Sarek gab es 4 Tafeln Schokolade, Gummibärchen und Cracker. Ich saß dann länger in der Sonne vor den Hütten und habe dem geschäftigen Treiben zugeschaut. Faszinierend fand ich eine größere Deutsche Reisegruppe, die gefühlt eine Dreiviertelstunde brauchte, um in die Gänge zu kommen. Immer gab es ein „oh ich habe noch meine Regenjacke drinnen gelassen“ und ein „ich geh jetzt noch mal aufs Klo“, sowie ein „Ich hol jetzt doch noch mal den Müsliriegel aus dem Rucksack“. Würde mich ja absolut irre machen, da habe ich mich wirklich über das Allein-reisen gefreut. Ich entscheide selber wann es länger dauert und dementsprechend bin ich auch die einzige Person, auf die ich warten muss… 😉

Bis zum Skierffe war es ja eh nicht mehr so weit, so habe ich mich erneut mit dem Sarek-Spezialisten unterhalten, sowie ein tolles Tattoo bei einem weiteren Wanderer entdeckt.

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Würde ich mir so nicht selber zulegen, beschreibt aber den Urlaub ganz gut.

Der Aufstieg direkt nach den Aktse-Hütten war dann anstrengend und sehr, sehr heiß. Am Abzweig zum Skierffe noch mit einem Schweizer geredet, sowie zwei jungen Deutschen, die auf dem Nordkalottleden unterwegs waren und seit 2 Monaten laufen. So konnten wir Langstrecken-Infos austauschen!

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Anschließend bin ich das erste Mal auf der Hiking-Tour vom Hauptweg (erst Padjelantaleden, nun Kungsleden) abgebogen und habe mich nun auf den Trail zum Skierffe gemacht.

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Skierffe voraus

Der Weg war gut ausgeschildert und erkennbar, teilweise allerdings noch sehr sumpfig und zum Ende ging es noch auf den Bassoajvve hoch, was noch einiges an Kraftreserven forderte. Dann war aber auch der anstrengende Teil geschafft und der Blick dauerhaft ins Delta entschädigte für alle Mühen.

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Blick zurück zu den Aktse-HüttenOLYMPUS DIGITAL CAMERA
Die Ausläufer des Deltas, welche in den Laitaure strömen.

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Nach der Überquerung des Bassoajvve. In diesem Foto blickt man auf den Rücken des Skierffe, der weit weniger steil ist als die Vorderseite, und daher ohne größere Anstrengung zu erklettern.

Habe mit einer jungen Schwedin geredet, welche die vergangenen Jahre auf dem Kungsleden unterwegs war, und sich nun in den Sarek wagen wollte, davor aber ebenso den Skierffe bestieg. Witzigerweise sollte ich sie am letzten Tag in Saltoluokta wiedersehen, sie hat sich mit dem Sarek-Experten zusammengetan und die beiden waren zusammen durch den Sarek gestiefelt.

Am Fuße des Skierffe habe ich mein Zelt aufgeschlagen, da kam nämlich genug Wasser aus einem Schneefeld, und auch sonst bot der Platz alle Annehmlichkeiten, die man brauchte. Schließlich wollte ich ja das Zelt den folgenden Tag aufgebaut lassen und vor Ort bleiben, da war es auf alle Fälle praktisch nicht jedes Mal einen Kilometer zum Wasser zurücklegen zu müssen.

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Mein absolutes Lieblingsgewächs im Fjäll: Wollgras!

 

Nach dem Aufbau habe ich alles vom Rucksack ins Innenzelt verfrachtet, was ich nicht für die Skierffe-Besteigung benötigt habe. So konnte ich mich mit einem phänomenal leichten Rucksack an den letzten Aufstieg machen. Den Rucksack spürte man so gar nicht, ich flog fast die Anhöhe hinauf. Dabei war der Anstieg gar nicht so flach, und sehr steinig. Zudem habe ich den Weg immer mal wieder verloren und bin deswegen frei Schnauze hoch. Jedoch war ich schneller als erwartet oben und der Blick war genau das, was ich mir erhofft hatte, als ich vor 2 Jahren erstmalig Fotos davon gesehen habe: Absolut ehrfürchtig stand ich auf dem Gipfel und vor mir breitete sich ein Panorama aus, an dem sich die Augen nicht sattsehen konnten.

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Panorama von der Felskante des Skierffe

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Blick in westliche Richtung, Nammásj und die schneebedeckten Gipfel des Sarek, sowie der weitere Verlauf des Tals RapadalenOLYMPUS DIGITAL CAMERA
Wo das Delta des Rapadalen im Laitaure aufgeht.

Das Flussdelta erstrahlt in den verschiedensten blau/braun/schwarz/türkis-Tönen, der Wald und die Sumpflandschaften bieten eine Vielzahl an Grüntönen und genau gegenüber blickt man auf die Felswand des Tjahkelij, der wie eine Kiste in der Landschaft steht. Der kleine Nammásj, der eigentlich gar nicht so klein ist, aber über 400m unterhalb des Skierffe endet, erinnert an einen Duplo-Block, den irgendwer achtlos in die Landschaft gestellt hat.

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Umrahmt wird all dies von den weiteren Gipfeln in Sarek-Richtung. Nahezu alle mit Schneemütze auf, teilweise sieht man Wasserfälle blitzen.

Aus dem Stand springt dieses Panorama in die Top3 meiner bisherigen Erlebnisse, außer dem Blick vom Reinebringen auf das Städtchen Reine (Lofoten) kann ich mich an keine Landschaft erinnern, die mich so geflashed hat, wie vom Skierffe ins Rapadalen zu blicken. Einfach alles passt in dem Moment, es scheint die Sonne, welche das Wasser glitzern lässt und bei blauem Himmel ist auch die Fernsicht beeindruckend. Der Fluss hat sich in viele verschiedene Arme aufteilt, man entdeckt immer wieder neue Seen und Sedimentfarben. Gefesselt stehe ich am Gipfel und kann den Blick einfach nicht abwenden.

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Das Rapadalen-Delta am Fuße des Skierffe „misst etwa 10 km² bei eine Länge von etwa 7 km und einer Breite bis zu 2 km. Es ist das größte Delta im schwedischen Fjäll und es wächst schneller als die meisten anderen. Der Fluss lagert jedes Jahr etwa 185.000 Tonnen Sediment ab.“ (Claes Grundsten S. 58f.)

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Auch mein weiterer Weg in den Sarek hinein ist ganz gut sichtbar, ich kann so in der Realität den Weg aus dem Reiseführer abgleichen. Gen Norden (Richtung Saltoluokta) sieht die Landschaft sehr eben aus, man kriegt richtig ein Gefühl für die Hochebene.

Spannend ist auch ein Blick über die Abbruchkante des Skierffe, steht dieser doch wie eine Nadel in der Landschaft. An der Kante geht es knappe 700m nach unten, davon die ersten 300-400m wirklich vertikal. Ich saß recht bald auf einem großen Stein an der Kante und der Blick nach unten erzeugte selbst bei mir, der sich bisher absolut Schwindelfrei schimpfte, ein Gefühl von Vertigo.

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Da kann einem schon mal leicht mulmig werden.

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Traumziel erfüllt!

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Die Bäume im Tal repräsentieren etwa den Maßstab einer Modelleisenbahnlandschaft, sofern sie aus dieser Höhe betrachtet werden. Dauerhaft halte ich nach Elchen Ausschau, auch wenn ich bezweifle, dass ich sie tatsächlich entdecken würde, dafür sind sie einfach zu klein. Selbst das Motorboot, welches ins Delta hinauffährt kommt mir wie ein kleines Modell vor.

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Um die Dimensionen zu verstehen: Das hier ist die selbe Fähre, in der ich heute Morgen saß, und die nun Wanderer zum Nammásj fährt.

Am Gipfel blieb ich knappe 4 Stunden, immer gibt es was Neues zu entdecken. Teilweise blieben nachkommende Wanderer nur 5-10 Minuten auf dem Gipfel, mitunter schien es als würden die ein Häkchen an ihre Bucketlist machen: „Einmal auf dem Skierffe stehen“-CHECK, schnell ein Selfie und wieder runter. Ich hingegen beobachte die Spiegelungen in den Seen und auch die vorbeiziehenden Wolken.

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Spielerei mit der “Spiegelungsfunktion” meiner Handykamera

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Spielerei mit der “Spiegelungsfunktion” meiner Handykamera. Plötzlich gibt es zwei Duplo-Steine 😉

Eine Mutter mit ihren zwei jugendlichen Kindern sorgte für eine gelungene Abwechslung. Sie hatte so starke Höhenangst, dass sie sich auf dem Bauch liegend im Schneckentempo an die Kante wagte, währenddessen sprangen ihre Kinder herum machten zahlreiche Fotos und amüsierten sich köstlich über die Mama. Sie dagegen schrie nur „geht ihr wohl vom Rand weg, wehe ihr passt nicht auf!“.

Ich glaube, man kann mir meine Begeisterung für diese Bergspitze wirklich anhören, solltet ihr es im Leben je in die Gegend schaffen, klettert da auf alle Fälle rauf! Vom Gipfel habe ich auch ein Foto von meinem Zelt gemacht, so weit war ich noch nie davon entfernt. Mal wieder wünsche ich, ich hätte ein rotes Zelt, dass würde schönere Fotos liefern.

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Suchbild: Wo ist das Zelt!

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Auflösung

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Blick zurück zu den Aktse-Hütten

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Blick auf den Laitaure

Die Lichtstimmung veränderte sich konstant, währenddessen habe ich mir oben mein Mittagessen gekocht und saß schlussendlich mit meinem Kindle in einer Kuhle und habe es genossen der einzige Mensch auf dem Gipfel zu sein. Aus der Richtung der Pårte-Hütte sah man, dass der Himmel immer weiter zuzog und es dunkler und dunkler wurde.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAHier sieht es noch relativ sonnig aus, das sollte sich aber schnell ändern.

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Regen im Anmarsch

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Meine Hoffnung, dass die Regenwand abdrehen würde, bestätigte sich leider auch nicht, immer weiter zog die schwarze Front auf den Skierffe zu. Schließlich reiße ich mich los, als der Regen schon am Tjakhelij zu erkennen ist.

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Schnell weg!

Der Abstieg wurde dementsprechend ein wenig flotter, leider hatte ich mich jedoch verpokert. Als ich im Flachen ankam, setzte ein gigantischer Platzregen ein, und die 5 Minuten zurück zum Zelt reichten, um mich komplett zu durchnässen. 5 Minuten früher losgegangen und ich hätte das Gewitter gemütlich im Zelt aussitzen können. Auch die Wäsche, die ich am Zelt zum Trocknen zurückgelassen hatte, war tropfnass. Das Außenzelt meines MSR-Zelts geht auch nicht bis ganz zum Boden, dadurch springen auftreffende Regentropfen teilweise am Innenzelt empor, was dazu führt, dass das Innenzelt ziemlich dreckig und nass wird. Dennoch habe ich das Beste aus dem Regen gemacht, und mich einfach lesend in meinen Schlafsack verkrochen.

Abends koche ich mir noch Pasta und kann dann auch wieder raus, nachdem der Regen sich verzogen hat.

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Blick vom Zeltplatz auf den Skierffe. Über die Rückseite ist er also leicht zu erwandern, würde man so gar nicht denken, als man heute früh die Fotos von der aufragenden Steilwand sah.

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Mit dem Wissen, das morgen endlich Ruhetag ist, kann ich das Rumliegen viel mehr genießen und merke wirklich wie ich physisch und psychisch total entspannen kann. Nehme auch an, dass meine Füße ein wenig ausheilen werden. Habe Lust morgen noch mal auf den Skierffe raufzuklettern, werde das aber je nach Wettersituation entscheiden. Einziges Problem am Rumliegen: Der Körper hat genug Zeit sich zu beschweren. Bei mir klingt dass dann zu 100% so: „Ey, jetzt aber… schieb endlich Essen nach, ich habe H-U-N-G-E-R!“ So habe ich heute Abend dann auch die halbe Gummibärchen-Packung, die dreiviertelte Cracker-Packung und eine halbe Tafel Schokolade verzerrt  und das Hungergefühl ist immer noch genau so stark wie zuvor.