Tag 69 (Tag 17): Rinim – See am Kungsleden

 

Gelaufene Kilometer: 6,2

Der heutige Tag strengte sich an, ein ebensolcher Scheißtag zu werden wie gestern, hat sich dann aber glücklicherweise im Verlauf deutlich gebessert.

Zum Frühstück gab es einen mickrigen Fruchtriegel, mehr gaben die Vorräte nicht mehr her. Danach zusammengepackt, dabei versucht alles zu packen während ich noch im Zelt bin, da es die ganze Nacht durchgeregnet hatte und immer noch am Schütten war. Ich hab jetzt eine Menge nasse Klamotten, ein nasses Handtuch und ein nasses Zelt. Anschließen habe ich mich zur Hütte aufgemacht. Auf dem Weg zur Hütte war ein kleiner Bach zu queren, vielleicht 2 Meter breit. Der war gestern Abend fast nur ein Rinnsal, heute jedoch ziemlich reißend. Prompt bin ich vom Stein abgerutscht, auf den ich treten wollte und hatte schon wieder einen nassen Schuh! Die einzige Entschädigung war der Gedanke daran, wie angeschwollen die Flüsse im Sarek nun sein möchten und wie froh ich bin, diese nicht queren zu müssen. Die Bootsbesitzerin meinte ja gestern, wir fahren einfach los „wann immer es dir passt und du in der Früh hier aufmarschierst“. So war ich um 9 Uhr da, aber als in an die Tür klopfte hieß es plötzlich „ach, da kommen noch zwei andere, die sind im Zelt, die werden noch kommen und dann fahre ich euch drei gemeinsam rüber.“

Ich durfte mich dann in eine der Kåta (Naturhütten) setzen, die nah der Anlegestelle stand. Die Besitzerin quatschte irgendwas von „du kannst dir ja ein Feuer anzünden“, was absolut lachhaft war angesichts dessen, dass es in die Hütte reinregnete und die Feuerstelle eher eine Pfütze darstellte, die Hütte war in einem wirklich schlechten Zustand. So saß ich da wieder frierend und bibbernd.
Nach einer Stunde beschloss ich selbstständig zu dem Zelt zu gehen, dass ich oberhalb meines entdeckt hatte und wo ich vermutete, da säßen beide Mitfahrer drinnen. Stellte sich jedoch raus, dies waren Personen, die gestern aus Sitojaure angekommen waren und nun in den Sarek liefen. Wo meine beiden Mitfahrer waren, wusste ich nun also immer noch nicht. Also zurück in die kalte Hütte und weiter dort gewartet. Um halb 11 kamen dann endlich zwei schwedische Studenten am Steg an, somit war unsere Reisegruppe komplett.

Ich hatte vorher schon die Zeit genutzt und knappe 200 Liter Regenwasser aus dem Boot geschaufelt, trotzdem war die Besitzerin erst zufrieden als kaum mehr ein Tropfen im Boot lag, bei anhaltendem Regen keine leichte Aufgabe. Schließlich war dann aber alles eingeladen und dann ging es erst langsam im Boot am Ufer entlang. Ich vermute hier gibt es einige seichte Stellen und die fahren deswegen so vorsichtig. War mir jedoch da schon schweinekalt (auch bedingt durch die nassen Füße), war eine Erfrierung fast unumgänglich, als die Kapitänin endlich Tempo gab und wir über den See schossen.

Zum Gegenwind kam hinzu, dass das Wasser sehr aufgewirbelt war und wir  mit dem Boot von Wellenkamm zu Wellenkamm krachten, teilweise sprang das ganze Boot. Laut Berichten ist der Sitojaure ja wunderschön, gesehen habe ich davon heute nichts, alles war verregnet und Nebelverhangen. Irgendwann sagte die Kapitänin dann auch, dass sie uns heute nicht bis ganz zur Sitojaure-Hütte bringen könne, das Wasser wäre zu unruhig und das Stück vor der Hütte wäre zu steinig und das Boot bei der Rückfahrt zu Windanfällig. Ich allerdings vermute sie hatte einfach keinen Bock uns die letzten Kilometer noch zu fahren. Selbst erfahren habe ich es nicht, die schwedischen Studenten haben mir alles ins Englische übersetzt.

Stattdessen wurden wir nach 45 Minuten Überfahrt in Ribák rausgelassen, etwa 3-4 Kilometer von der Sitojaure-Hütte entfernt. Immerhin haben wir es geschafft, die Bootsführerin von 700 Kronen pro Person auf 600 SEK runterzuhandeln. Dafür mussten wir nun im Regen und absolut durchgefroren uns auf dem Weg zurück zum Kungsleden machen. Rückblickend hätte ich also auf alle Fälle gestern Abend mit dem Boot des Schwiegersohnes fahren sollen, da hätte ich mir den ganzen Stress gespart. Die Frau werde ich so nicht vermissen. Ärgerlich finde ich, dass alles so schlecht organisiert ist und kommuniziert wird. Alles was es gebraucht hätte wäre ein Schild in Rinim, wo dran steht wie es mit der Bootsfahrt läuft, mit einem austauschbaren Bereich wo sie hätte hinschreiben können, dass sie um X.XX Uhr wieder da ist, dann hätte ich mir gestern nicht so einen Stress machen müssen und alle Sorgen, der Ort wäre komplett verlassen, wären damit hinfällig gewesen. Auch versteh ich nicht, wieso man wie der Bettler zu Kreuze kriechen muss, sie hat es mehrmals beschrieben als tue sie mir einen gigantischen Gefallen mit der Bootsfahrt, fast als würde sie sich dabei ins eigene Fleisch schneiden. Allein durch unsere Überfahrt hat sie knappe 200€ eingenommen, am Vorabend waren ja auch mehrere Leute nach Rinim gekommen per Boot und sie berichtete, dass heute insgesamt 10 Leute diese Strecke zurücklegen wollten. Das macht rund 700€ aus, da versteh ich das ganze lamentieren nicht.

Aber wir standen nun einmal in Ribák, und so schloss ich mich Robert und Martin, zwei Ingenieursstudenten aus Lund, an und gemeinsam ging es zurück zum Kungsleden. Der Weg war stellenweise ein Quad-Pfad, manchmal nur eine wilde Wucherung und die gesamte Zeit über ging es durch klatschnasse Sumpfgebiete, während der Regen weiter auf unseren Kopf prasselte. So hüpften wir von Grasnarbe zu Grasnarbe und ich frischte den Wasserstand in meinen Schuhen mehrmals auf. Egal, ich rechnete nicht mehr damit, dass der Stiefel bis zum Ende dieser Tour trocknen würde. Hinzu kam das wir nach der Bootsfahrt alle verkühlt waren und so machte dieser Teil der Wanderung wirklich keinen Spaß. Das letzte Stück haben wir dann querfeldein abgekürzt, nachdem der Kungsleden schon von Weitem zu erkennen war. Dort machten wir eine ganz knappe Pause, wobei Robert und Martin nett genug waren mir etwas von ihrem Nuss-Mix abzugeben, nachdem ich ja fast kein Essen mehr hatte, zumindest nichts mehr was man nebenbei Essen könnte. Die hatten eine leckere Nuss-Mischung mit Schokolade, zudem gab es selbstgemachtes Beef Jerky. Ich, der bis dahin nur den 25gr. Fruchtriegel zum Frühstück (inzwischen 4 Stunden her) gehabt hatte, genoss das geschenkte Essen daher total.

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Angekommen am Abzweig Kungsleden/Ribákluokta. So eine Infotafel hätte ich mir samt Kontaktmöglichkeit auch in Rinim gewünscht.

Die weitere Wanderung haben wir viel gequatscht, die beiden haben mir von ihrem Studium und ihrer Arbeit bei den Pfadfindern erzählt, auch tauschten wir uns über begangene Wanderungen aus und kamen zu vielen sozio-ökonomischen und politischen Themen, wo sie mir die schwedische Realität und ich ihnen die Deutsche versuchte zu erklären und näherzubringen.

Auf dem Kungsleden selber stand für mich die Entscheidung an, ob ich wieder zurück zur Sitojaure-Hütte am Seeufer laufen wollte (das hätte etwa 4 Kilometer Wegstrecke hinzugefügt) oder ob ich auf Proviantnachkauf verzichte und weiter in Richtung Saltoluokta laufe, der letzten Hütte dieser Wanderung. Da es im Süden Richtung Sitojaure nach ordentlich Regen aussah,  ich zudem erst bergab zur Hütte und nachher wieder hoch gemusst hätte und die Mücken unten im Wald sicherlich schlimm wären, entschied ich mich für das weiterlaufen. Damit wählte ich zwar den Hunger, aber immerhin machte ich so keinen langwierigen Umweg. Wieder ärgerte ich mich, dass die Bootsführerin uns nicht bis zur Hütte gefahren hatte. So hatte ich noch genau ein Abendessen und zwei Mittagessen, sowie einen Müsliriegel über. Das war es also, mehr gibt’s nicht bis Saltoluokta.

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Regen aus Richtung Sitojaure
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Da hätte ich jetzt wieder runter laufen müssen, nein danke!

Eben weil sich ein erneuter Regenschauer abzeichnete, machten wir uns schnell dran das Mittagessen hinter uns zu bringen. So hatten wir auch endlich die Möglichkeit Schuhe + Socken auszuziehen, die bei uns allen Dreien extrem nass waren. Ich konnte nicht nur die Socken, sondern auch meine Schuhsohle auswringen, wirklich eklig. Macht auch keinen Sinn mehr trockene Socken anzuziehen, einmal auftreten in den nassen Schuhen und die Socken sind wieder feucht, also ziehe ich weiterhin die nassen Socken an. Wenigstens war das Mittagessen heute die einzige Regenpause des Tages, so gab es bei mir ein kleines Reis-Fertiggericht.

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Viel nasses Zeug.

Nach dem Mittagessen war die Regenwand über dem Sitojaure tiefschwarz und kam bedrohlich schnell näher. Wir liefen gemeinsam weiter, ich hatte allerdings beschlossen nur noch so weit zu laufen wie ich sicher sein konnte, dass vor dem Regenschauer mein Zelt steht. Zwar wollte ich heute eigentlich deutlich weiter in Richtung Saltoluokta kommen, aber so wie das Gewitter hinter uns her war hatte ich einfach keine Motivation im Starkregen weiterzugehen.

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Voraus noch einigermaßen hell…
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aber vom See kommt die Regenfront.

Leider gab es in der Gegend nirgendwo Frischwasser, schließlich habe ich mich entschieden neben einem kleineren See/Tümpel das Zelt aufzubauen, da es keine 10 Minuten mehr dauern würde bis der Regen uns eingeholt hätte. Habe mich von Robert und Martin verabschiedet und habe im Eiltempo das Zelt aufgebaut.

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Mit dem Gewitter nur noch Minuten entfernt, habe ich mich an den Zeltaufbau gemacht.

Als das Innenzelt um 16 Uhr stand hat es getröpfelt und als das Außenzelt drüber war und alles im Zelt verstaut, da schüttete es wie aus Eimern. Also alles richtig gemacht. Bis der Regen nachließ habe ich im Zelt gesessen, dabei gelesen und Hörbuch gehört, sowie mir mein letztes verbliebenes Abendessen zubereitet. Auch habe ich versucht zu schlafen, denn eingeschlafen empfindet man wenigstens kein Hunger. Ihr seht schon, das Motto der letzten drei Tage ist und bleibt: HUNGER! Heute habe ich laut Rechnung knappe 1000kcal zu mir genommen, kein Wunder dass der Schlafsack langsam aber sicher immer appetitlicher aussieht. 😉

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Schöne Symetrie.

Um 22 Uhr hat der Regen aufgehört und ich brauchte eh Trinkwasser vom See. Zudem hatte ich die Hoffnung, dass ich mich ein wenig dort waschen könnte, weil die letzte Körperwäsche am Abend vor Kvikkjokk am Fähranleger stattfand, das war jetzt inzwischen 8 Tage her. Absolut eklig und ich fühlte mich so siffig! Also hab ich mich in meinen Crocs zum kleinen See begeben, der vielleicht 30 Meter lang war. Nach dem Trinkwasser umfüllen kam nun also der Moment der Wahrheit und ich stieg energisch vom Stein am Wasserrand ins Wasser. Man konnte sehen, dass der Seeboden ein wenig matschig war, ich hoffte allerdings darauf, dass diese Matschschicht nicht dick war. Wie sehr ich mich täuschen sollte merkte ich nahezu sofort, als ich bis zur Mitte der Oberschenkel im Matsch stand. Beide Crocs blieben im Schlamm stecken und ich musste lange darin herumwühlen bis ich sie wieder befreit hatte. Wenn ich schon so nass und dreckig bin, kann ich nun wenigstens das Waschmittel bemühen, so kam ich zumindest zu ein wenig Körperhygiene. Da das Abwaschen allerdings mit dem braunen Brackwasser stattfand und ich die ganze Zeit über in einem gigantischen und angriffslustigen Mückenschwarm stand, blieb von der Sauberkeit nicht viel übrig, mit jedem Schlag auf die Schulter pappten wieder 15 tote Mücken an mir. Schließlich ergriff ich doch die Flucht und hakte diesen Waschgang als vollständige Pleite ab. Die Haare habe ich gar nicht erst versucht zu Waschen in dieser Situation.

Entschädigt wurde ich durch einen wundervollen Sonnenuntergang hinter der Bergkuppe.

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Eins meiner diesjährigen Lieblingsbilder.
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Photoshop-Spielerei

Auch merke ich, dass es jetzt jeden Abend doch ein wenig dunkler wird, ohne dass es sich jedoch vollständig verdunkelt. Trotzdem ungewohnt, seit Göteborg Anfang Juni blieb es gefühlt konstant hell die ganze Zeit. Bin mal gespannt wie sich das Konzept „Nacht“ in Berlin auf mich auswirkt.

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Lang nicht mehr bewusst wahrgenommen.

Abends gibt es noch einen Tee und eine Wärmflasche, ein schöner Ausklang zu einem echt frustrierenden Tag, bei dem ich einfach nicht vorangekommen bin und konstant gefroren habe. Allerdings bin ich sehr erleichtert, dass mich Regen in der heutigen Intensität nicht im Sarek überrascht hat, bzw. es davor auf dem Padjelantaleden auch höchstens Niesel-, nie aber Starkregen gab. Gesamt gesehen hatte ich über die Wanderung hinweg mehrheitlich gutes Wetter gehabt, auch der Blick vom Skierffe wäre mir sonst verwehrt geblieben. So kommt dieses schlechte Wetter erst zum Tourende, in ein paar Tagen gibt es wieder eine Dusche und zudem kommt langsam ein „scheiß-drauf“-Denken durch, dann bleiben die Schuhe und die Ausrüstung halt nass. Hauptsache der Schlafsack bleibt trocken! Zudem hilft das Wetter dabei, dass ich mich besser von dieser Tour „lösen“ kann. Ich glaube, wenn es strahlender Sonnenschein wäre und alles perfekt laufen würde, dann würde ich hier nie wieder weg wollen. So aber kommt doch ab und an die Vorfreude auf das heimische Bett und die heimische Dusche durch. Seit Tagen kriege ich den Gedanken an eine gigantische Pizza nicht aus meinem Kopf, wobei dies fast an Selbstfolter grenzt, fängt doch jedes Mal mein Bauch an zu grummeln wie verrückt! Langsam kommt also das Gefühl auf, dass es jetzt reicht mit der Wanderung. Sollte morgen alles nach Plan gehen, dann werde ich 18 Tage im Fjäll unterwegs gewesen sein, nun freue ich mich wieder auf zivilisatorische Mindeststandards.

So habe ich morgen noch 14 Kilometer bis Saltoluokta, aber auf dem Kungsleden lässt sich das ja gut gehen. Dort werde ich in der Nähe der Hütte mein Zelt aufschlagen und dann gibt es endlich, endlich Provianteinkauf!