[Biking] – Israel 2019
[Tag 6] Givat Yoav – Shlomtzion
4. Dezember 2019: 105 Kilometer, 740 Höhenmeter von Givat Yoav bis nahe Shlomtzion in der Westbank.
GPX-Daten
Hier die heute gefahrene Route, anschließend in Relation zur Gesamtstrecke:
Zeit in Bewegung: 5:55h
Tempodurchschnitt: ~17,6km/h
Maximalgeschwindigkeit: 51,0km/h
Gesamtstrecke (Rot) in Relation zur heutigen Strecke (Blau)
In der Früh bringt mir Sara, die Hotelbesitzerin, meine gewaschene Wäsche zurück. Was ein tolles Gefühl endlich in sauberes Zeug eingekleidet zu sein. Dabei kann ich mich auf dieser Reise eh nicht beschweren, bereits am Ende des dritten Tages durfte ich bei Alon all meine Wäsche in die Maschine schmeißen. Auf dem Pamir Highway habe ich es tatsächlich nur 2 Mal in 3 Wochen geschafft meine Wäsche zu waschen, ansonsten musste ein Fluss herhalten. Geht auch, aber so wie es jetzt läuft ist es natürlich deutlich angenehmer. Ich packe zusammen, was sich trotz fehlendem Zeltabbau ziemlich langwierig gestaltet, denn ich habe mich ganz schön ausgebreitet in der Jurte.
Mit dem frisch gewarteten Fahrrad geht es dann wieder auf die Route. Die Beine haben heute Kraft, nur mein Knie tut ein wenig weh. Es widerstrebt mir, den Grund dafür zu nennen, denn der ist ganz schön peinlich: Gestern bin ich nach der Ankunft in Givat Yoav vor dem Supermarkt gestürzt, da ich mich nicht rechtzeitig aus meinen Klickpedalen befreien konnte und in Zeitlupe umgefallen bin. Nun ich war schlau genug nicht den Arm auszustrecken, und da irgendeine Verletzung zu provozieren, trotzdem bin ich aufs Knie gefallen, und habe wohl eine leichte Prellung davon gezogen. Außerdem habe ich die Coladose aufgesprengt, die ich etwa zwei Minuten davor bezahlt habe und flute damit die Tüte voller Essen. Ich ärgere mich tierisch über den unnötigen Umfaller. Nun, ich hoffe das Knie bessert sich, weiter geht’s!
Nach 6 Kilometer biege ich von der Hauptstraße ab, denn ich nehme eine weniger befahrene Strecke ins Tal, runter zum See Genezareth: Auf einer kleinen, trotzdem asphaltierten, Straße geht es bergab. Und hält auch noch einen Besichtigungspunkt bereit: Sussita (Hippos) ist eine alte römische Stadt und liegt mitten auf einem kleinen Berg am Wegesrand.
Kein Tickethäuschen, weit und breit niemand zu sehen, nach 10 Minuten Fußmarsch komme ich an den Ruinen an. Bewohnt wurde die Stadt im 2. Jahrhundert v. Chr. bis ins 7. Jahrhundert n. Chr. und diente unter anderem wohl als eine Festung dort oben auf dem Hügel.
Nach der israelischen Staatsgründung und vor der Eroberung der Golanhöhen im Sechstagekrieg nutzte die israelische Armee die Anlage wieder für den verwendeten Zweck: Als Verteidigungsanlage. Verrückt, dass über zwei Jahrtausende später eine Anlage für denselben Zweck herhält.
Ein Luftbild von Wikipedia zeigt eindrücklich, wie klein die Anlage ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Sussita_-_Aerial_photography_April_2017.jpg
Trotzdem bin ich vom Charme der Ausgrabung sehr angetan. Sicherlich spielt es eine Rolle, dass ich mutterseelenallein hier oben wandle. Wer von uns war denn schon mal in einer Ausgrabung wo keine Tourist*innen rumlaufen, das Personal nicht am ausbessern ist und auch sonst kein Lärm die Stille zerreißt? Ich habe die Ruinen ganz für mich allein, kann die Paradestraße entlang laufen, blicke auf zahlreiche Säulen und kann mir in dem Moment lebhaft vorstellen, wie diese Stadt damals mit geschäftigen Vorgehen gefüllt sein muss.
Mir gefällt es, dass ich bisher jeden Tag eine Aktivität oder Besichtigung nebst dem Radfahren hatte. Tel Meggido – Schwimmen im Meer – Safed besuchen – Hula Nationalpark – Mount Bental – Susita. Mal sehen ob ich sich das so fortsetzt, für morgen zumindest ist was geplant… 😉 Dies ist eine gelungene Abwechslung dazu, wie ich sonst meine Radreisen durchführe, nämlich von morgens bis abends nur im Sattel zu sitzen. Auf echte Stadtbesichtigungen habe ich auf Radtouren selten Lust, dafür kosten Städte einfach zu viel Kraft: Ampeln, Verkehr, Passant*innen. Aber mal eine Ausgrabung auf dem Weg unter die Lupe nehmen, das macht Laune!
Anschließend geht es weiterhin flott bergab. Die Reifen quietschen, die Felgen heizen sich so auf, dass ich mich daran fast verbrenne. Wie kann das denn sein, ich bin doch nur auf 50m Höhe? Nun, der See Genezareth liegt bei 200m UNTER Null, es geht also weiterhin bergab. 😉
Tiberias auf der anderen Seeseite (E-M5, 14mm, f/9, 1/125sec, ISO-100) Ankunft unter Null Ankunft unter 0 Meter Tiberias (E-M5, 45mm, f/9, 1/200sec, ISO-100) Blick zurück auf Sussita. Verrückt, dass alle Baumaterialien dorthin gebracht wurden (E-M5, 31mm, f/9, 1/160sec, ISO-100) Ankunft am See (E-M5, 23mm, f/9, 1/320sec, ISO-100) Obstanbau (E-M5, 33mm, f/9, 1/200sec, ISO-100)
Dann fahre ich am Ostufer des Sees entlang bis ich auf die Route 90 abbiege. Dieser werde ich nun zu 99% gen Süden bis nach Eilat am Roten Meer folgen, etwa 400 Kilometer weit. Es gibt noch ein paar knackige Steigungen, aber keine länger als 10 Minuten. Eher macht mir die drückende Hitze zu schaffen, selbst bei 24° C fühlt es sich weitaus heißer an, ich kann kaum glauben in Tadschikistan bei 45° C und mehr durch die Gegend gefahren zu sein.
Nach einem kurzen Pita-Hummus-Mittagessen quere ich dann ganz problemlos die Grenze und bin nun in der Westbank. Westjordanland – Palästina – Judea und Samaria, sucht euch einfach aus was euch am besten gefällt. Zwar wusste ich, dass die Einreise in diese Richtung zumeist problemlos von statten geht, bin trotzdem erleichtert als ich die Grenzstation im Rückspiegel verschwinden sehe.
Nachdem lange Zeit riesige Anbaugebiete für Obst und Gemüse an mir vorbei zogen, kommt nun ein sehr einheitliches Landschaftsbild auf. Rechts von mir türmen sich die Klippen und Berge auf, ich fahre auf einer ziemlich welligen Route 90 durchs Land. Links von mir kommt ein militärisch abgesperrter Korridor, dahinter liegt dann der Fluss Jordan und auf der anderen Flussseite ist bereits jordanisches Staatsgebiet. Leider quält mich seit der Abfahrt aus dem Golan ein fieser Gegenwind, der einfach nicht schwächer werden will. Ich darf ganz schön strampeln um Strecke zu machen.
Die Grenz-Befestigungen sind schon imposant, so hätte ich mir damals den chinesischen Grenzzaun in Tadschikistan vorgestellt. Bewegungsmelder, Starkstrom, Minen-Warnschilder und sicherlich allerlei sonstiger Hightech-Kram, den ich nicht sehen kann. Nun, wenn mir das Wasser ausgeht, rüttle ich einfach am Zaun, ich wette 10 Minuten später ist die Grenzsicherheit da. 😉
Ein Klick auf das Panorama vergrößert dies.
Die Route 90, auf der ich mich gerade befinde, hält den Titel als niedrigster Highway der Welt, was der Routenführung am tiefliegenden Toten Meer vorbei geschuldet ist. Sie läuft von der libanesischen Grenze ganz im Norden bis zur südlichsten Stadt Israels, Eilat. Die Straße ist im Westbank-Abschnitt als „Area C“-Gebiet kategorisiert, das bedeutet sie unterliegt nicht der palästinensischen Autonomiebehörde, sondern ist auch in der Westbank unter israelischer Kontrolle. Durch die Checkpoints nach Israel kommen nur israelische Fahrzeuge und Personen mit israelischem Pass. Palästinenser*innen, die die Grenze passieren wollen brauchen eine gültige Arbeitserlaubnis für Israel oder überführen landwirtschaftliche Produkte. Besonders unrühmlich ist der Ruf der Straße, die höchsten Unfallzahlen in ganz Israel hervorzubringen. Je nachdem wen man fragt, liegt die Schuld dafür an verschiedenen Faktoren. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Route 90 vor allem in ihrem südlichen Abschnitt durch die Negev-Wüste schnurgrade und monoton ist, es passieren also wohl viele Unfälle durch unachtsame, müde Fahrer*innen. Vielfach wurde ich auf meiner Tour vor der Route 90 gewarnt, teilweise wurde mir in den schillerndsten Farben ausgemalt, dass ich hier auf alle Fälle mein Leben aufs Spiel setzen täte. Ich entschließe mich dazu, mich nicht dadurch verrückt machen zu lassen. Aufmerksam fahren, oft in den Rückspiegel blicken und keinesfalls bei Dämmerung unterwegs sein. Wird schon klappen!
Wasser kriege ich in einem kleinen palästinensischen Café am Straßenrand aufgefüllt, dann geht es weiter. Ich halte schon fleißig Ausschau nach Campingmöglichkeiten. Obwohl viele Wege am Straßenrand gesperrt sind, gibt es doch ein paar Spots, wo ich ohne größeren Aufwand meinen Palast errichten könnte.
Und nachdem ich es heute endlich schaffe die 100km zu knacken, weil zwar keine großen Steigungen, aber viele kleine, mir das Leben schwer machen, verbunden mit starkem Gegenwind, finde ich nach 104km den gesuchten Platz. Eine kleine Anhöhe, die mich aus der Sichtweite der Straße bringt. Hier beobachte ich einen fantastischen Sonnenuntergang, bevor ich mich daran mache, das Zelt aufzuschlagen. Es liegt hier sogar ein kaputter, aber noch einigermaßen stabiler Stuhl rum. Einziger Nachteil bis jetzt: Im Gebüsch neben mir sind wohl zahlreiche Mäuse versteckt, es ist ein dauerhaftes Geraschel. Ich werde wohl heute meine Taschen extra gut Verschließen müssen, ich hoffe die bleiben meinen Sachen fern.
Spannend finde ich die Darstellung der heutigen Tour:
So genieße ich einen beeindruckenden Blick rüber nach Jordanien und entspanne am Abend. Zumindest so lange, bis es über meinem Kopf auf einmal klingt, als wäre der Vesuv ausgebrochen und Metallica hätte zeitgleich Rock am Ring eröffnet. Vom nahen Herzstillstand begleitet, beobachte ich wie etwa 50-100m über mir zwei gigantische Lockheed Militärtransporter hinwegdonnern. Es sind zwei der nur 18 in ganz Israel vorhandenen Lockheed C-130. Etwas früher am Tag hatte ich sie bereits fotografiert, da aber mit voll ausgefahrenen Tele-Zoom.
Man stelle sich den Flieger 100m Überkopf vor… Die Flugzeuge sind so nah, ich hab das Gefühl das Landegestell fast greifen zu können. Da sie gegen den Wind angeflogen kamen, höre ich sie erst, als sie genau über mir sind.
Die üben wohl Niedrigflugmanöver oder fliegen aus strategischen Gründen in der Westbank so niedrig. Ich vermute ersteres, denn keine halbe Stunde später donnern sie erneut über meine Köpfe (wenn es denn nun nicht zwei weitere Flieger waren), diesmal allerdings mit weniger Herzstillstand und mehr „HOLY SHIT!“. Was ein verrückter Ausklang eines tollen Tages!