[Tag 9] Khorogh – Nimos

16. Juli 2019:

Mit dem Fahrrad 68 Kilometer und 1500 Höhenmeter von Khorogh entlang des Flusses Gunt.

 

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Ich komme heute Früh einfach nicht aus dem Knick. Hatte das Frühstück für 7 Uhr bestellt und beschließe dann einfach ein bisschen länger auf der Terrasse zu sitzen und es ruhiger angehen zu lassen. So kann ich auch länger den traumhaften Blick über den Fluss und auf die Berge genießen, den ich am meisten vermissen werde.

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Letztes Frühstück auf der Hotel-Terrasse

Anschließend packe ich mein Zeug aufs Fahrrad, und verabschiede mich von dem Ehepaar die das Hotel besitzen. Sie waren wirklich unfassbar nett und sehr, sehr hilfreich. Auch haben wir über die Tage eine Vielzahl an spannenden Gesprächen geführt und ich fühle mich ihnen doch ein wenig verbunden. Sollte jemand von euch nach Khorogh kommen, steigt auf alle Fälle im Hotel Zarya ab!

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Mir scheint, der Hotelbesitzer würde am liebsten mitkommen

Ich merke, dass mir der Aufbruch heute schwer fällt. Die ganzen negativen Gedanken über den nächsten Streckenabschnitt lasten auf meinen Schultern. Vor meinem inneren Auge, und mit dem Wissen von der Jeepfahrt gestern, verwandelt sich der Weg in eine 15%-ige Steigung für die nächsten 200 Kilometer. Kurz vor dem Ortsausgang in Khorogh kommt man noch einem aufgebockten LKW auf einem Denkmal vorbei. Dieser LKW war in den 1930er Jahren der erste LKW, der den gerade fertig asphaltierten Pamir Highway von Kirgistan aus absolvierte und hier in Khorogh bejubelt wurde. Ein wenig Trotz setzt nun ein. Wenn diese beladene Karre es vor 90 Jahren geschafft hat, dann werde ich das doch auch hinkriegen. Oder?

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Spannenderweise klappt es dann auch ganz gut. Die Beine haben nach den Ruhetagen (selbst nach der Bergtour gestern) wieder Power, und schnell habe ich eine steile Anhöhe erklommen, wo ich nun durch zahlreiche Lawinenschutztunnel fahre. Ich erinnere mich noch genau wie ich gestern im Auto von hier oben bergab blickte und dachte “das wird nie klappen mit dem Rad”. Hat es aber. Mit diesem Wissen versuche ich die nervigen kleinen Angstmacher im Gehirn verstummen zu lassen und mich auf den weiteren Weg zu konzentrieren.

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Die Lawinentunnel

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Hochmodern…
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Sowjetische Ikonographie

Ich frage mich in solchen Situationen immer, warum mein Gehirn sich so oft für “Panik!”, “Überreagieren!” und “Selbstzweifel!” entscheidet. Im Nachhinein fühlt es sich dann alles nicht so wild an, und zumeist klappt es ja dann auch einwandfrei. Aber warum ich gestern voller Sorgen über den heutigen Fahrtag im Bett liegen musste, statt einfach die letzten Stunden meines Ruhetages zu genießen, das versteh ich nicht und es ärgert mich ganz gehörig. Vielleicht hilft es ja diese Reise zu absolvieren, vielleicht versteht mein Gehirn dann, dass es nicht dauernd Panik schieben muss.

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Der Plan für die nächsten Tage/Wochen ist absehbar: Via Murghab (311km) nach Osch (728km) in Kirgistan.
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Und dabei erstmal immer bergauf in diesem Tal.

Ich genieße jetzt einfach das Vorankommen. Die Landschaft ist schön, ich steige heute und morgen entlang eines Tales immer höher, immer am Fluss Gunt entlang. Die Berge an den Seiten des Tales haben noch ein wenig Schnee auf der Spitze und auch die Autos halten sich hier brav an die Verkehrsregeln und überholen zumeist mit gebührendem Abstand. Generell sind es gar nicht so viele Autos, auf der Strecke bis Khorogh gab es eindeutig mehr Verkehr. So kurbele ich mich einfach voran, jede Pedalumdrehung bringt mich höher. Stellenweise hört der Asphalt auf und es fährt sich dann doch deutlich buckliger, aber in der Mehrheit bin ich auf der geteerten Straße unterwegs.

Nach 25 Kilometern mache ich eine kleine Verschnaufspause am Dorfbrunnen, drei Anwohner-Kinder kommen verstohlen vorbei um mich zu begutachten. Nach 2 Minuten verschwinden sie wieder, die Älteste kommt aber nach ein paar Minuten wieder um mir Früchte zu überreichen, die sie für mich vom Baum gepflückt hat.

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Geschenk von den Kindern

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Ich habe keine Ahnung wie die Früchte heißen, hätte ich nicht vor ein paar Tagen im botanischen Garten gelernt dass diese essbar sind, hätte ich gar nicht gewusst was ich damit anzufangen habe. Leider waren die Früchte nicht wirklich reif, aber die Geste zählt und hat mich sehr berührt.

Gestartet bin ich um 8.30 Uhr und fahre bis kurz vor 1 Uhr, was ein bisschen zu lang ist, aber es kamen keine Stellen wo ich mich für eine Mittagspause niederlassen wollte. Zumindest schaffe ich so bis dahin auch 45 Kilometer. Ein ganz schönes Erfolgserlebnis, schließlich hatte ich mir gestern in der Navi-App bereits Campingplätze nach 40 Kilometern Wegstrecke eingetragen, einfach weil ich annahm ich würde es nicht weiter schaffen.

Kurz vor dem Pausenplatz hatte ich noch die Bekanntschaft gemacht mit dem ersten Kind das mich nach “Money, Money” recht aggressiv anbettelte, mich festhielt und nicht weiterfahren lies. Dies als ein eklatanter Gegensatz zu den bisherigen Kindern auf Tour, die eher begeistert meine Fahrt unterstützten. Das bettelnde Kind kann ich beschwichtigen und als er versteht dass ich ihm nichts gebe, außer einem Keks aus meiner Lenkertasche, zieht er auch von dannen.

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Mittagspause

Meine Raststelle ist der Schatten unter einem Baum direkt an der Straßenböschung. Es fließt noch ein kleiner, kaum 20 Zentimeter breiter Bach vorbei, kaum die Rede wert. Trotzdem ganz praktisch um später Topf und Geschirr zu waschen. Nach Ankunft lege ich mich erstmal eine halbe Stunde für einen Mittagsschlaf ins Gras, erst anschließend mache ich mich daran Ramen-Nudeln zu kochen. Das Kochen funktioniert noch gut, aber dann verändert sich die Stimmung des Tages leider wieder. Denn als die Nudeln verzehrfertig sind ist mir wieder extrem schlecht und mehr als ein paar Bissen kriege ich nicht rein.

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Wenigstens ein schöner Ausblick

Ich bin unglaublich frustriert, habe ich mich doch den ganzen Morgen den Berg hochgekämpft, hatte sowieso schon Bauchweh und Durchfall, und jetzt kommt wieder diese ätzende, mich lähmende Übelkeit dazu. Ich weiß dass ich Essen muss und genug Energie brauche um weiter zu strampeln. Mein kleines Panik-Monster im Hirn sagt mir, es laufe jetzt genau wie die erste Woche, genau dieselben Probleme noch mal. Mühsam kämpfe ich mich Bissen für Bissen durchs Mittagessen, immer darauf bedacht an etwas anderes zu denken. Wer mich kennt weiß, dass ich eigentlich immer Essen kann, aber ausgerechnet hier, wo es notwendig wäre, hier geht’s dann nicht mehr.

Nach dem Mittagessen will ich mich noch an einer praktischen Basteleinheit versuchen. Ich hatte bereits am Vormittag gemerkt, dass das Ladegerät, welches am Fahrraddynamo hängt, nicht das Telefon lädt. Nach ein wenig Gekrabbel auf allen Vieren ist der Übeltäter dann schnell gefunden. Der Stecker hat sich gelöst, als ich das Vorderrad für die Mitfahrt im Jeep des Gouverneurs abnehmen musste und so fließt kein Strom. Ein paar Handgriffe später ist das auch behoben.

Abschließend schaue ich noch eine Serie auf dem Telefon, das hilft von der Übelkeit abzulenken. Nach drei Stunden Pause, die geholfen haben die Mittagshitze zu umgehen, quäle ich mich mit dem Rad weiter. Wenigstens ist die Mittagshitze nicht mehr ganz so extrem wie noch am Panj die letzte Woche. Bei der Mittagspause im Schatten des Baumes zeigte mein Thermometer 27° C an, das fühlt sich schon fast kühl an. Auch bei der Weiterfahrt merkt man, dass die Sonne spätestens um 17 Uhr an Kraft verliert und die Fahrt dadurch deutlich angenehmer ist.

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Nur an wenigen Stellen hört heute der Asphalt auf.

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Ich habe vor nur noch weitere 25 Kilometer hinter mich zu bringen und dachte, dies wäre in entspannten zweieinhalb Stunden zu absolvieren. Die geplante Zeit kann ich auch einhalten, lediglich der Entspannungsfaktor hält sich sehr in Grenzen. Ich kämpfe mit den Magenproblemen und der Übelkeit, leider hilft nicht mal Musik als Ablenkung.

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Blick zurück
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Und Blick voraus

Ich komme an zwei tadschikischen Magasin (=Tante-Emma-Läden) vorbei. Das erste führt leider kein Trinkwasser, das zweite ebenfalls nicht, ist eher ein Café. Doch davor sitzt eine Männergruppe und schnell steht ein Stuhl für mich bereit und ich werde eingeladen mich an ihrem Mahl zu beteiligen. Die angebotenen Wassermelonen-Scheiben nehme ich gerne, beim gebratenen Stockfisch passe ich doch lieber, mir kommt schon beim Gedanken daran die Galle hoch. Den kleinen Schluck Vodka nehme ich dann wieder, rede mir ein der würde als interne Desinfektion Wunder wirken. Defacto ist mir danach genauso schlecht wie davor, aber ein Versuch war’s wert.

Erst das dritte Magasin hat dann Wasser, leider nur Mineralwasser, aber ich kaufe doch mehrere Flaschen. Der Mund wird durch den aufgewirbelten Staub wieder trocken, und wenn man nicht alle paar Minuten was trinkt, so habe ich das Gefühl die Zunge klebt regelrecht am Gaumen, verbunden mit dem ekligen Würgegefühl. Besonders in der Nacht merke ich immer wie ausgetrocknet ich bin. Wenn ich erst in Ruhe im Zelt liege, wächst der Durst ins Unermessliche. Hätte ich genug Wasservorräte dabei, ich würde abends im Zelt immer Liter um Liter in mich hinein schütten.

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Harter Job: Straßenmeisterei bei den Temperaturen
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Gut erhaltene Busstation..
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aus der Sowjetzeit

Ich bin ziemlich stolz als ich die 70 Kilometer heute erreiche, hätte ich gestern Abend oder heute früh vor dem Losfahren nicht von mir erwartet. Fantastische, versteckte Zeltplätze finde ich hier allerdings nicht, und so frage ich eine Bauernfamilie am Wegesrand, ob ich in ihrem Garten mein Zelt platzieren darf. Die Familie versteht leider nicht im Geringsten was ich von ihnen will, so kommt wieder mein Langenscheidt Ohne-Wörter-Wörterbuch zum Einsatz. Bin sehr dankbar das kleine Büchlein gekauft und mitgeschleppt zu haben.

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Die Schatten werden länger, Zeit einen Zeltplatz für heute Nacht zu finden.

So ganz verstehen sie immer noch nicht warum ich jetzt bei ihnen zelten will, lassen mich aber gewähren. So stelle ich mein Zelt (taktisch unklug) neben dem Kuhstall auf, 50 Meter von ihrem Haus entfernt. Abends kommt noch mal richtig Wind auf, eine Erfahrung die ich die nächsten Tage immer wieder machen werde. Daher bin ich froh hinter einer Baumreihe geschützt zu sein, wird sicherlich schwieriger wenn in Zukunft nur flache Ebene vorherrscht, mal sehen wo ich da mein Zelt platzieren kann. Der Zeltaufbau heute dauert ewig, doch schlussendlich schmeiße ich mein übriges Zeug ins Zelt und klettere hinterher. Eine halbe Stunde Schlaf gönne ich mir nun auf der Isomatte bevor ich mich ans Kochen mache. Zum Glück kann ich mich dafür losreißen, denn im komplett dunklen zu kochen wäre deutlich anstrengender, vorallem da ich Gemüse klein schneiden muss. Das ich langsam eine beachtliche Höhe im Pamir Gebirge erreicht habe merke ich daran, dass ich Ewigkeiten vor dem Kocher verbringe, das Wasser aber nie richtig kocht. In der Höhe verschiebt sich der Siedepunkt nach unten, es dauert trotzdem. Ein wenig Sorgen über den Gasverbrauch mache ich mir bei solchen langen Kochsessions ja schon, aber bisher bin ich immer noch auf der ersten von zwei Gaskartuschen, die ich im Green House Hostel in Duschanbe mitgenommen habe. Und sollte das Gas ausgehen, dann muss ich halt Benzin kaufen, zumindest eine Tankstelle findet man in jedem größeren Dorf.

Als ich die Nudeln endlich so einigermaßen durchgekocht kriege, sitze ich auf einem schönen Baumstamm, blicke auf einen wunderbaren Sternenhimmel und versuche ein wenig missmutig das Abendessen in mich rein zu zwingen. Ablenkung schaffen  neben den Sternen auch die Bergkette, die nun vom aufgehenden Mond bestrahlt wird.

Anschließend liege ich um halb 10 wieder im Schlafsack. Ich hatte gestern Nacht 8 Stunden geschlafen, heute in der Mittagspause noch eine halbe Stunde und nach Ankunft am Zeltplatz noch mal dieselbe Zeitspanne. Trotzdem kann ich nun kaum einen klaren Gedanken fassen.

Nach zwei mühsamen Seiten auf dem Kindle gebe ich auf und schlafe auch fast sofort ein.

Die Nacht ist dann geprägt durch zahlreiche verwirrende Träume, die mir wie eine Art Fieberwahn vorkommen. Dauernd muss ich durch verschiedene Straßen laufen, die verschiedene Eigenschaften und Funktionen haben, manche geben mir Wasser, manche helfen beim Schlafen, andere bringen mich in die Höhe. Die Strapazen des Tages kann mein Gehirn also nicht so recht verarbeiten. Ob dies nun die Erschöpfung ist, oder auch die Höhe eine gewisse Rolle spielt weiß ich leider nicht. Ich weiß nur, dass ich immer wieder zwischendrin aufwache und weiß, dass ich gerade Bullshit träume, nur um direkt dort wieder anzuknüpfen nach dem Wegdösen. Entspannung geht anders!

Dennoch kann ich stolz auf die vollbrachte Leistung des Tages sein. Obwohl ich mich am Nachmittag so elendig fühlte, ich habe auf den 70 Kilometern von Khorogh (2000m) bis zum Zeltplatz 800 reine Höhenmeter bergauf zurückgelegt, bin also auf knappen 2800m angekommen. Insgesamt waren es heute gar 1500 Höhenmeter laut GPS, ging es doch schließlich an einigen Stellen ganz schön wellig auf und ab. Für morgen habe ich eine Strecke mit “nur” 650-700 Höhenmetern geplant. Im Gegensatz zum Start in Khorogh traue ich mir das nun sicher zu, auch wenn ich wünschte meine ganzen Krankheitsgefühle würden langsam verschwinden.