[Tag 10] Nimos – Jelondy

17. Juli 2019:

Mit dem Fahrrad 61 Kilometer und 1000 Höhenmeter von Nimos bis nach Jelondy.

 

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Nach der bereits beschriebenen miserablen Nacht voller verrückter Träume habe ich der Früh mein Müsli runtergewürgt, so gut es ging und mein Camp abgebaut. Um 8 Uhr war ich abmarschbereit und habe der Familie im Garten noch mal gewunken vor dem Aufbruch. Es war in der Früh schon relativ warm. Nicht das “ich bin am Panj und verglühe”-warm, aber trotzdem merklich warm.

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Mein Schlafplatz für die Nacht
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Die Anwohner sind bereits wach und schon fleißig am Arbeiten.

Heute komme ich an relativ wenigen Dörfern vorbei, man merkt, dass man sich von der Provinzhauptstadt Khorogh entfernt. Der Tagesbeginn läuft relativ gut, die ersten 20 Kilometer verlaufen recht flach und helfen mir so, mich wieder ans Radfahren zu gewöhnen. Doch auch ohne steile Anstiege, “recht flach” bedeutet, dass es trotzdem nach oben geht. Denn ich bin ja in diesem Bergtal und das windet sich konstant bergauf. So fährt man auch keine gemütlichen 18 km/h, sondern klettert mit 12-13km/h bergauf.

Unterwegs treffe ich ein Schweizer Pärchen in einem Jeep, bei einem kurzen Plausch erzählen sie mir, dass ein Radfahrer aus Stuttgart etwa 20 Kilometer vor mir ist. Wie schon bei meiner Nordkappreise bedeutet dies, dass ich ihn wohl nie zu Gesicht bekommen werde, so große Abstände werden in der Regel nicht eingeholt, außer die vordere Person macht einen Ruhetag. Auch ihre weiteren Erklärungen waren nicht sonderlich hilfreich. “Der richtig toughe Teil kommt ja erst noch, bis jetzt war alles einfach” hilft mir als Aussage halt null. Ich hatte nicht dezidiert nach dem weiteren Streckenverlauf gefragt und finde es daher unangebracht mit solchen Aussagen mich zu demotivieren.

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Blick Tal-Abwärts
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Blick Bergauf

Die Ausblicke auf das Tal bleiben weiterhin schön, die Beine sind aber noch ein wenig Gummi-artig. Die Pause in Khorogh führte nämlich auch dazu, dass die Beine sich soweit erholten, dass jetzt wieder der Muskelkater einsetzen kann nach der Erholung. Zudem habe ich heute damit begonnen Medizin gegen Durchfall einzunehmen. Ich hatte davor die Hoffnung, dass dies von alleine verschwindet, aber bisher hat sich keine Besserung eingestellt. Bald bin ich auf dem Pamir Plateau ohne jegliche Bäume, da wäre es natürlich von Vorteil wenn ich nicht dauernd nach einem großen Stein Ausschau halten müsste. 😉

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Immer wieder Brücken zu Siedlungen auf der anderen Flussseite

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Nach 30 Kilometern gibt es die erste Pause. Die letzten Kilometer waren relativ steil und ich dadurch ganz schön fertig, da kam ein Magazin am Wegesrand gerade recht. Habe mir da erstmalig eine “RC Cola” gekauft, die wohl eine amerikanische Marke ist, sie haben aber das Rezept nach Russland lizensiert und so findet man diese Cola wirklich überall in Tadschikistan (und Kirgistan). Auch wenn die noch süßer ist als Coca Cola, sie ist für mich zum Glück trinkbar. Nicht lecker, aber besser als die Warnungen, die ich im Voraus erhalten hatte. Leider gab es dort auch nur Literflaschen, ich hatte also auch nach der Pause im Schatten noch genug Zuckerwasser zum Mitschleppen.

Ein paar Kilometer wollte ich noch schaffen bis zur Mittagspause, angedacht war es 40 Kilometer vor der Pause hinter mich zu bringen. Aber dann kamen einfach keine guten Pausenmöglichkeiten. Schattenspendende Bäume hatten sich plötzlich in Luft aufgelöst. So habe ich mich weiter gequält, auch die Temperaturen kamen nun langsam in einen unangenehmen Bereich. Nach 4 Stunden Fahrt, um 12 Uhr, entdeckte ich ein kleines Wäldchen neben der Straße. Wäldchen klingt schön lieblich, es waren aber verdörrte, stachelige Bäume und Büsche, bei denen es ziemlich schwer war einen Schattenplatz zu finden, der mich nicht aufspießt. Da der Wald direkt am Fluss dran lag, hatte ich zumindest die Hoffnung ein beschattetes Plätzchen am Wasser zu finden. Wenn man erst den Einstieg über allerlei dornenbewehrte Wiesen geschafft hatte, konnte man dann tatsächlich auf Steinen sitzen und die Beine ins Wasser halten. Längerfristig ist ein Sitzplatz auf kantigen Steinen jedoch nicht das Wahre, ich habe zweimal versucht in der Nähe des Fahrrads auf dem Boden zu schlafen, dies war jedoch noch unbequemer und so habe ich den Versuch aufgegeben und mich wieder ans Ufer begeben.

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Die Mittagspause habe ich ganz schön in die Länge gezogen, dabei hatte ich keinerlei Lust den Kocher aufzubauen und wieder so erfolglos auf einer Portion Ramen-Nudeln rumzukauen wie gestern. So entschließe ich mich meine Packung Kekse aufzubrauchen, verbunden mit einem Snickers-Riegel und dem Rest der RC Cola ist dies ein diabetes-lastiges Mittagessen. Zumindest kriege ich dies einigermaßen reingewürgt, obwohl mir schon wieder leicht schlecht ist.

Insgesamt war die Mittagspause nicht so recht erholsam. Zu allem Überfluss fängt irgendwann meine untere Körperhälfte an zu kribbeln, in etwa dasselbe Gefühl, als wenn ein eingeschlafenes Körperteil gerade wieder durchblutet wird. Dies hörte auch bis abends nicht mehr auf, ich vermute damit war es eine der Folgen der Höhe, schließlich war ich nun deutlich über 3000 Höhenmeter aufgestiegen. Erst nach der Nacht im Zelt fühlten sich die Beine wieder völlig normal an.

So liege ich mit kribbelnden Beinen im Halbschatten in der Hitze und habe wirklich wenig Lust mich fortzubewegen. So freue ich mich auf alle Fälle die Hochebene morgen zu erreichen, da wird es deutlich kühler sein und ich muss nicht mehr 3-4 Stunden pausieren um der Mittagshitze zu entgehen. Vorallem weil ich jetzt immer Pause mache bis 16 Uhr, dann weiterfahre bis 18.30 Uhr und dann bleibt etwa eine Stunde zum Zeltaufbau, Essen machen und dann ist es schon wieder dunkel. Ich fände es schön mal abends ein paar Stunden am Zeltplatz entspannen zu können, zu faulenzen und dann irgendwann in Ruhe Essen zu kochen.

 

Die Weiterfahrt geht schleppend voran. Die Kraft in den kribbelnden Beinen habe ich wohl bei der Mittagspause liegen gelassen und so mühe ich mich auf den noch verbleibenden 150 Höhenmetern bis Jelondy ganz schön ab. Hinzugekommen ist wieder die Übelkeit und so rutsche ich am Nachmittag in einen ganz schönen Tiefpunkt der Reise. Morgen steht ein ganz schöner Anstieg bevor und so hatte ich bereits beim Mittagessen beschlossen, dass ich morgen notfalls einen Truck wieder anhalte und mich hochkutschieren lasse, wenn es nicht geht. Nun aber, da ich mich empor kämpfe, spielt mir mein Gehirn allerlei Szenarios vor. Selbst der Versuch einen Lastwagen zu finden, der mich ganz bis Osch in Kirgistan bringt und den Rückflug zwei Wochen vorzuziehen, wird als Option erwogen.

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Blick Talaufwärts
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Schlechtes Wetter kündigt sich an

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Blick zurück

Doch irgendwann setzt die Vernunft wieder ein. Wenn ich erstmal auf der Pamir-Hochebene bin, wird es deutlich flacher, zudem wird die Übelkeit sicherlich aufhören wenn ich in kälteren Gebieten fahre. So schaffe ich es, diese negativen Gedanken, in die man sich auch ganz schön reinsteigert, wieder zu verdrängen. Unterwegs treffe ich noch eine Gruppe Deutsche, die sich einen Jeep gemietet haben und morgen in dieselbe Richtung fahren wie ich. Wir vereinbaren, dass sie zumindest mal anhalten, und sollten sie Platz haben, nehmen sie mich auf den Pass mit rauf. Verbunden mit diesem Hoffnungsschimmer bessert sich meine Laune ungemein.

Spannenderweise hört abends meine Übelkeit wieder auf. Auch kommt ein starker Wind auf, der zuerst als starker Rückenwind mich voran drückt, nur um dann zu drehen und als fieser Gegenwind mir ins Gesicht zu blasen. Voraus blicke ich zudem in dunkle Wolken, es kommt eine Gewitterfront auf mich zu. So krebse ich mit 5-6km/h den Berg hinauf, es ist plötzlich auch Eiskalt geworden. Bis nach Jelondy sind es nur noch 3 Kilometer, so heißt es Zähne zusammen beißen und durch!

Ich treffe noch einen polnischen Radfahrer, der in die Gegenrichtung unterwegs ist, und nun mit Rückenwind ins Tal schießen kann. Im Gegensatz zum Schweizer Pärchen heute Mittag macht er mir Mut für die weitere Reise. Der Anstieg zum Koitezek Pass sei relativ graduell und damit gut machbar.

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Jelondy, eine kleine Ansiedlung am Fluss. Ich werde heute die Nacht bei den großen Bäumen in Bildmitte verbringen.
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Hier die zweite Hälfte des Ortes, ziemlich winzig.

Endlich komm ich abends in Jelondy an. Der winzige Ort hat ein-zwei Homestays und ein heruntergekommenes Hotel, sonst stehen da ein paar Häuser rum. Ich habe erst den ganzen Ort durchquert und wollte erst in Richtung Ortsausgang das Zelt aufbauen. So würden mich morgen die Deutschen im Jeep nicht übersehen können, wenn ich mich auf den Weg mache. So frage ich bei einer tadschikischen Familie mit Zeichensprache, Gesten und meinem Ohne-Wörter-Wörterbuch nach, ob ich in ihrem Garten mein Zelt aufbauen kann, was mir prompt erlaubt wird. Windgeschützt zwischen Bäumen und einer Steinmauer war das auch ein gutes Plätzchen, denn der Wind wütet immer noch ganz schön.

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Blick auf die Wegstrecke, die morgen ansteht. Jetzt Abends ist das Wetter auch wieder ein wenig freundlicher.

Der Windschutz hilft auch beim Kochen, heute Abend gibt es rote Linsen, Dosenmais und eine kleingeschnittene Karotte. Zum ersten Mal seit dem Start der Reise schmeckt mir mein gekochtes Essen. War es bisher der Gedanke “du musst das jetzt Essen, du brauchst die Kalorien, denk an ein Schnitzel und würge dir die Nudeln irgendwie rein”, habe ich heute den kompletten Topf Linsen in mich reingeschaufelt und fühle mich richtig pappsatt. Ursprünglich hatte ich mal geplant die Hälfte der Portion morgen zum Mittagessen zu mir zu nehmen, nun das war wohl nichts 😉 Dafür war das Gefühl, mal endlich ohne Übelkeit eine Mahlzeit zu genießen total motivierend. So kann es weitergehen! Ich habe neben Linsen auch noch ein paar Mahlzeiten aus Deutschland dabei, Kartoffelbrei und Kartoffelknödel. Gedacht waren diese Mahlzeiten als Belohnung für anstrengende Abschnitte, oder wenn ich das tadschikische Essen nicht mehr sehen kann. Beruhigt mich in irgendeiner Form, zu wissen, dass ich dieses Essen für den Notfall noch dabei habe.

Generell merke ich einfach wie anstrengend diese Reise ist. Auf meiner Tour zum Nordkapp bin ich in der Früh später gestartet und hatte abends im Zelt immer noch Lust und Muße allerlei zu lesen, Filme zu schauen, Blog zu schreiben etc. Hier in Tadschikistan schaffe ich es um halb 9 kaum die Augen offen zu halten, bevor ich um 9 Uhr spätestens Einschlafe.

Hatte es beim Abendessen schon leicht getröpfelt, regnet es in der Nacht heftig und nahezu durchgängig. Ich hoffe mein Rad ist nicht allzu sehr eingeschlammt, denn sonst werde ich Probleme haben, eine Mitfahrgelegenheit auf den Pass zu finden, wer nimmt schon ein richtig dreckiges Rad mit?