[Tag 6] Pausentag in Khorogh

13. Juli 2019: Pausentag in Khorogh
Viel Gelatsche zu Fuß, zudem ~16 Kilometer und 400 Höhenmeter mit dem Fahrrad zum botanischen Garten.

 

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Gestern in einem schönen, (im Gegensatz zu Kalai-i-Khum) weichen Bett einzuschlafen war herrlich, selbst wenn es im Zimmer noch viel zu heiß war. Aber mit einem nassen Handtuch auf dem Rücken ließ sich das Problem beheben. Auch konnte ich nach den frühen Starts der letzten Tage endlich mal ausschlafen. Ausschlafen hieß in dem Falle schon um 7 Uhr wach zu sein, ich war jedoch gestern schon um 22 Uhr im Bett.

Frühstück gab es auf der Hotelterrasse, die über den reißenden Fluss gespannt ist und mich mit so herbeigesehnter kühler Luft empfängt. Zum Frühstück gab es “Blischka”, das ist die kleinere Variante der Blini, also Pfannkuchen. Dazu gibt es Johannisbeer- und Aprikosenmamelade und eine große Kanne Choy. Ok, auch einen Laib Brot dazu, denn man im Idealfall eher an die Enten verfüttern würde. Doch ich merke die Effekte der Pause bereits jetzt, nach dem Frühstück sind alle Teller blitzeblank, mein Appetit ist endlich wieder da.

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Anschließend habe ich geplant, was ich für meine weiteren Etappen im Pamir und mit dem Jeep brauche und habe mich dann zum nahegelegenen Supermarkt aufgemacht um dort das meiste zu kaufen. Im Gegensatz zum Supermarkt in Duschanbe und Kalai-i-Khum ist die Auswahl winzig, so bin ich anschließend weiter zum Markt gegangen.

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Was es aber in Hülle und Fülle gibt:
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Russische Bonbons

Lebhafte Verkaufsgespräche an jeder Ecke, mich hat es sofort an die Märkte in Tel Aviv und Jerusalem erinnert. Wenn es keine Essensstände sind, so führen sie in der Regel chinesische Klamotten, chinesisches Spielzeug oder chinesisches Werkzeug. Selbst im Freien hatte man das Gefühl vor lauter Plastikdämpfen gleich umzukippen. Der Pamir Highway heißt also nicht umsonst ein wenig abschätzig “Plastic Highway”. Die Preise bleiben weiterhin moderat, 200 Gramm Nudeln kosten mich 2,5 Somoni, also etwa 25 Cent.

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Die spannendste Begegnung hatte ich beim Bananen kaufen. Der Händler fragte wo ich herkomme und antwortete dann ganz begeistert, er habe auch in Deutschland gelebt zu seiner Armeezeit und war in Altengrabow nahe Dresden stationiert mit der Roten Armee. Er schwärmt von Besuchen in Magdeburg, Dresden und Leipzig und sitzt nun in einer kleinen Marktbude. Die Welt erscheint mir plötzlich ein wenig näher zusammenzurücken. Und zahlreiche Mahnmale im Land führen mir immer wieder vor Augen wie viele Tadschiken im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft haben und bei der Schlacht um Berlin ihr Leben gelassen haben.

Wie der Zufall es so will erzählt mir meine Mutter später am Telefon, dass sie heute in Baden-Württemberg ein Bewerbungsgespräch mit einem jungen Mann geführt hatte, der Tadschike war. Stellte sich doch glatt raus, er kam ursprünglich aus Khorogh. Ich bleibe dabei, die Welt ist klein!

Ansonsten merkt man Khorogh aber schon an, dass es eine größere Stadt ist, ich falle nicht mehr gar so auf wie auf den Dörfern, auch die Kinder interessieren sich nicht mehr für mich. Reisende treffen sie hier also mehr als genug. Auch die Frauen scheinen hier vermehrt in “westlicher” Klamotte rumzulaufen, die traditionelle, blumenverzierte Kleidung sieht man hier seltener.

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Nach dem Markteinkauf hatte ich mein gesamtes Essen zusammen. In der Nähe des Hotels habe ich noch insgesamt 10 Liter Wasser für die Jeeptour und meine Radtour gekauft und diese mühsam zum Hotel zurückgeschleppt.

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Neue Häuser entstehen in mühsamer Kleinarbeit

Den Nachmittag verbringe ich damit zu planen, was ich im Wakhan-Tal alles sehen will um anschließend wieder zur Touristeninformation im PECTA-Office zu gehen, die mir helfen einen Fahrer zu organisieren. Sie haben eine Liste mit allen Fahrern, die sie anklingeln können. Dabei entscheidet sich je nach Anzahl der Mitfahrenden, ob jetzt ein Fahrer mit großem Jeep oder kleinen Jeep ausreicht. Zahlen muss ich 0,55$ pro Kilometer + die Übernachtung des Fahrers. Große Jeeps schlagen mit 65ct pro Kilometer zu Buche. Jetzt muss der Fahrer morgen früh nur kommen, ich bin gespannt.

Worum handelt es sich bei diesem ominösen Wakhan-Tal oder Wakhan-Korridor, von dem ich immer wieder mal schreibe? Sofern man nicht über den regulären Pamir Highway, die M41, zum Pamir-Hochplateau fährt, kann man auch den Umweg durchs Wakhan-Tal auf sich nehmen. Dazu folgt man weiter dem Flusslauf des Panj gen Süden, um dann nach Osten dem sich verändernden Flußlauf zu folgen.

Gut zu sehen auf folgender Karte:
Entweder man folgt der M41 von Khorogh (rot), oder man fährt die braune, längere Strecke südlich davon, via Ishkashim und Langar, dies ist das Wakhan-Tal.


(Hierher: https://www.advantour.com/img/tajikistan/pamir_map_sm.jpg )

Der Wakhan ist das Zwischental, zwischen Pamir im Norden und dem Hindukusch im Süden. Bereits Marco Polo ist hier auf seinen Reisen durchgekommen, besondere Bedeutung hat der Wakhan aber im Zuge des „Great Game“ zwischen Russland und Großbritannien im 19. Jahrhundert erhalten, dort diente er als Puffer zwischen British-Indien (inkl. Afghanistan) und dem russischen Reich (inkl. Tadschikistan).

Auch ist der Wakhan bereits seit tausenden Jahren Teil der Handelsrouten von Ost nach West (und andersrum), es wurden mit der Zeit also einiges an Verteidigungsposten und Festungen erbaut um den Handel abzusichern, oder effektiv Zölle einzutreiben. Auch waren in diesem Gebiet verschiedenste Religionen aktiv, es gab buddhistische Kloster, zoroastrische Feuerkultstätten, christliche und islamische Gebäudekomplexe.

Anschließend kriegt mein Fahrrad erst eine schöne Schlauchdusche und anschließend eine ausführliche Pflege mit dem Schraubenschlüssel, ein bisschen Wartung, alle Schrauben nachziehen nach der Buckelpiste vorgestern und gestern, aber auch ein wenig Kettenöl und andere Kleinigkeiten.

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Hier sieht man gut den Knick im Rahmen, den der abgebrochene Ständer hinterlassen hat.

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Dreckig

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… und staubig.

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Doch nun glänzt es wieder.

Jetzt da das Fahrrad wieder fit ist, schwinge ich mich auf den Drahtesel und fahre zum Botanischen Garten am östlichen Ende der Stadt. Das ich einen Faible für botanische Gärten auf Radreise habe ist einigen vielleicht aufgefallen. Beim Nordkapp-Trip war ich sowohl in Göteborg wie auch in Tromsö  Blumen gucken. (In Berlin habe ich es bisher nicht in den Botanischen Garten geschafft… 😀 ).

One-Way sind es zum Garten 10 Kilometer. Khorogh brüstet sich damit, dass dies der zweithöchste botanische Garten der Welt ist, was sich leider auch dadurch bemerkbar macht, dass ich vom Eingang aus erstmal steil bergauf strampeln muss. Apropos Eingang, da hängt ein Schild auf dem steht der botanische Garten sei am Wochenende geschlossen. Ich hoffe auf tadschikische Gelassenheit was den Eintritt angeht und nehme so doch den Hügel auf mich. Doch mit nur einer Seitentasche fühlt sich das Fahrrad zur Abwechslung verdammt leicht an und so komme ich gut die 200 Höhenmeter hinauf zum Eingang. Auf dem letzten Stück zieht noch ein Jeep an mir vorbei mit drei Männern drin. Viele hochgereckte Daumen und Anfeuerungsrufe erschallen, schließlich hält mir einer seine Hand aus dem Autofenster entgegen und will mich den Berg hinaufziehen. Da ich etwa nach 5 Meter abrutsche, lassen wir das mal lieber, wir sehen uns dann eh 5 Minuten später am obigen Parkplatz.

Die drei wollen auch den botanischen Garten besichtigen, so schließe ich mich an. Sie arbeiten für ein IT-Unternehmen, welches die Handyfunkmasten am Laufen hält und so sind die drei immer auf Achse, sogar über die tadschikischen Landesgrenzen hinaus in Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan unterwegs. Der eine spricht sehr gutes Englisch und so kommen wir während unseres Spaziergangs durch den Park ins Quatschen.

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Problematisch wird es nur am Eingang des Parks und ich vermute schon, dass uns der Zutritt zum Park verwehrt wird. Es stellt sich aber schnell heraus, dass am Eingang direkt eine Villa des Präsidenten steht, der Soldat versucht wohl recht martialisch sicherzustellen, dass wir diese Villa keinesfalls fotografieren. Schmuckes Gebäude übrigens, dafür dass der Präsident wohl das letzte Mal vor 3 Jahren seinen zehnt- oder vielleicht fünfzehnt-Wohnsitz aufgesucht hat. Trotzdem patrouillieren im Park sicherlich an die 20 Soldaten. Tolle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

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Meine 3 Reisebekanntschaften

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Der Garten ist ganz schön, wenn auch nicht zu spektakulär für mein ungeschultes Auge. Die drei Tadschiken zeigen mir welche Früchte an den Bäumen man Essen kann und so futtern wir uns fröhlich durch den Park.

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Teilweise darf ich nicht mal mein Rad schieben, ich genieße den Service

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Der englischsprachige Tadschike fragt mich nach über eine Stunde Spaziergang: “Mal ganz ehrlich, was denken die Deutschen über Tadschikistan?” und ist auch gar nicht so überrascht dass ich erzähle es sei den meisten Menschen völlig unbekannt, käme bei uns in den Medien nahezu nie vor und jegliche Kommentare beziehen sich zumeist auf die Nähe zu Afghanistan.

Er ist davon überzeugt dass Tadschikistan eine ordentliche PR-Kampagne fehlt, auch um den Tourismus in der Region anzukurbeln und das Land fernab Taliban, Drogenschmuggel und IS-Heimkehrern zu portraitieren. Umso dankbarer ist er laut eigener Aussage, dass ich mir selber ein Bild vor Ort von der Lage mache.

 

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Ausblick auf Khorogh. Der Fluss Gunt, der durchs Bild läuft fließt auch an der Hotelterrasse vorbei und mündet am Talende in den Panj.
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Blick Flussaufwärts. Hier werde ich in 3 Tagen entlang fahren um zur Pamir Hochebene zu kommen.
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Auf dem Hügel liegt der Campus der “University of Central Asia”, gebaut durch die Aga Khan Stiftung soll dies das neue Prestige-Projekt Khorogs sein. Gefördert wird sie zudem u.a. auch durch den deutschen Staat. Bisher fehlt es aber an Studierenden. Weitere Niederlassungen gibt es in Kasachstan und Kirgistan. Fun Fact: es gibt noch eine weitere Universität in der Stadt, diese besteht seit 1992. Laut Wikipedia-Page gab es 2007 10 Dozent*innen mit einem Doktortitel und 46 mit einem Mastertitel, auf über 3000 Studierenden. Ganz, ganz andere Verhältnisse als man es von deutschen Unis kennt.

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Insgesamt eine sehr spannende Begegnung mit den dreien, auch aufgrund des Fakts, dass der eine so gut Englisch spricht. Gemeinsam genießen wir noch den fantastischen Blick über Khorogh in der langsam schwindenden Sonne. Zudem werde ich genötigt ein Video für die beiden Söhne des Englischsprachigen aufzunehmen. Als ich ihnen viel Spaß beim weiteren Englisch-lernen wünsche und ihnen einen gewissen Fleiß in der Schule ans Herz lege überkommt mich ein kalter Schauer, klinge ich doch etwa wie meine Großeltern. 😀

Ich verabschiede mich von den drei Männern, die in ihren Jeep steigen und schon bald um die Kurve verschwunden sind. Ich hingegen komme keine 50 Meter weit mit dem Fahrrad bis plötzlich mein Fahrrad wegrutscht. Ich vermute es war ein fetter Stein unterm Vorderrad, aber plötzlich mache ich eine ziemlich elegante halbe Drehung mit dem Rad und über den Lenker, das Pedal hinterlässt einen 5 Meter Kratzer auf der Fahrbahn, bevor ich Rücken zuerst auf dem Asphalt aufschlage. Dank Helm keinerlei Blessuren und nur ein kleines Loch im T-Shirt, aber seltsam war der ganze Unfallhergang schon. Nun, lieber so als in wenigen Tagen mit dem vollbepackten Rad auf einer Schotterpiste. Selbst die Kamera ist heil geblieben, obwohl sich meine Lenkertasche geöffnet hat und den Inhalt auf der Straße verteilt hat.

Es dauert bis ich abends im Hotel zurück bin, bis ich den einzigen wirklichen Verlust des Tages bemerke: Während ich vom Fahrrad segelte, erinnere ich mich dran dass ich mein grünes Plastikkrokodil, welches am Schutzblech befestigt war, an mir vorbei fliegen sah. Leider ist diese Erinnerung etwa in dem Moment wieder verschwunden als ich endlich nach dem Unfall zum Stehen gekommen bin und fällt mir erst im Hotelbett 3 Stunden später ein. Sehr schade, so liegt das Krokodil sicher irgendwo da oben auf der Straße, wenn es noch nicht von einem Kind gefunden wurde.

Das Krokodil stammt aus einem Überraschungsei, welches mir meine Göteborger Warmshower-Hosts anlässlich des polnischen Kinderfeiertags damals gegeben haben. Über 2 Jahre war das Krokodil mit mir auf tausenden Kilometern unterwegs. Sehr schade! Nun, 20 Kilometer fahre ich dafür leider trotzdem nicht zurück um es zu suchen.

In memoriam

Doch schon an der nächsten Kurve werde ich aufgemuntert, 3 Kinder stehen mit BMX-Rädern auf der Straße und meine Anfahrt wird wohl klar als die Initialzündung für ein Wettrennen verstanden. Habe ich aufgrund des Fahrradgewichts einen einfachen Vorteil in den steilen Abfahrten, bremse ich ein wenig absichtlich und unter großem Siegesgeheul flitzen die Kinder an mir vorbei. Ich habe vor der Pamir-Tour Stunden damit zugebracht meine Bremsen am Rad zu justieren, habe neue Bremsbeläge eingesetzt und sichergestellt, dass da alles einwandfrei funktioniert. Und wie halten die Kids an? Der Erste springt mit einer eleganten 90° Grad Drehung in die sandige Böschung und rollt sich von seinem Rad. Und der Zweite hält bei voller Fahrt, gut über 40 km/h einfach seinen Fuß samt Flipflop an die hintere Felge. Nun, wieder was gelernt! Werde ich mir merken falls im Pamir meine ideal gewarteten Bremsen versagen.

Abends geht es zum selben Restaurant wie gestern, statt dem Gemüsereis gibt es jedoch ein wenig überzeugendes Schaschlik, bei knapp 4€ für eine Hauptspeise ist das allerdings verschmerzbar. Nach dem Abendessen packe ich noch alles für meinen Wakhan-Trip und nun liege ich voller Vorfreude im Bett, morgen um 9 Uhr soll der Jeep am Hotel sein