Tag 48: Vuottasjavri – Palojärvi
Der Tag beginnt trocken aber windig. Nach dem Zusammenpacken im Zelt muss nun nur noch das Zeug in die Taschen, das Zelt zerlegt werden und alles ans Rad. Natürlich sucht sich der Wind nun den Moment aus, um völlig abzuflauen. Damit die armen Mücken ja auf keinen Fall auch noch gegen den Wind ankämpfen müssen.
So wird die Abreise noch mal richtig unentspannt, ein riesen Mückenschwarm umschließt mich und ich Mühe mich ab, so schnell wie möglich zu packen.
Doch erst mal auf dem Rad, fliege ich ohne den Gegenwind der letzten Tage nur so dahin. Auch wenn das Gelände sehr wellig ist, mache ich schnell Fortschritte.
Dabei fällt mir wie gestern auf, dass die Landschaft sehr sandig zu sein scheint. Wie in weiten Teilen Brandenburgs stehen Kiefern auf Sandboden, es erinnert also an die ersten Tage auf Tour. Allerdings mit weniger Dörfern… Und weniger Nazis 😉
Die entgegenkommenden Autoinsassen schauen ein wenig verwundert, singe ich doch nach Leibeskräften (und dazu ziemlich schräg) alles mit, was meine Spotify “Happy Music” – Playlist mir vorgibt. Auf ebener Fläche und nicht gegen den Wind ankämpfend bleibt genug Sauerstoff um “I’m walking on sunshine” mitzuschmettern. Kein Wunder, dass ich heute keinem Elch begegnet, der versucht sich wahrscheinlich verzweifelt die Ohren mit jungen Birkenzweigen zu verstopfen. 😉
Zur Mittagszeit rum habe ich es nach Kautokeino geschafft, 65 Kilometer stehen auf dem Tacho. Gestern dank Wind waren es in der selben Zeit 30 Kilometer weniger.
Es wird wirklich Zeit für die Dusche!
So verbrate ich bei einem Großeinkauf die letzten norwegischen Kronen und verbringe eine entspannte Stunde auf der Parkbank beim Mittagessen, mit Blick über die “Großstadt” Kautokeino.
Das da Götterspeise drin ist, habe ich beim Kauf nicht gesehen…
Danach raffe ich mich auf und mache mich wieder auf den Weg. Auch die nächsten Kilometer gehen ganz gut, wenn auch ich die Beine langsam merke und der Hintern ganz schön Plattgesessen ist.
Unterwegs unterhalte ich mich kurz mit einem mir entgegenkommenden Radfahrer.
Dieser ist in Hamburg losgefahren und scheint auf einem Gewaltmarsch par excellence zu sein. Bisher macht er 160-230km täglich, und ist in 16 Tagen ohne Ruhetag durchgefahren. Er erzählt, dass die Route vor zwei Jahren gescheitert ist, weil sein Mitfahrer nach 3 Tagen keine Lust mehr auf die Strapazen hatte, er versucht es ihm jetzt anscheinend zu beweisen. Klingt für mich leicht ungesund, vorallem weil er mir sehr kaputt erscheint, aber er will auch in zwei Tagen am Kapp sein. Naja, er wird schon wissen was er tut.
Nach 108 Kilometer erreiche ich den Grenzübertritt nach Finnland! Der vorletzte Grenzübertritt und das erste Land auf Tour, welches ich erstmalig besuche.
Hier gehen die Uhren auch gleich für eine Stunde vor, was leicht verwirrend ist. Ganz in der Nähe ist der einzige Punkt der Welt mit 3 Zeitzonen: Norwegen (+1), Finnland (+2) und Russland (+3).
Zehn Kilometer hinter der Grenze fahre ich dann auf einen Campingplatz, genau eine Woche nach dem letzten Besuch auf einem Campingplatz. Nach 7 Tagen lechtzt alles nach einer Dusche! Diese ist dann aber auch so was von befriedigend. Man spürt fast, wie das Wasser sich verfärbt.
Und da ich endlich in Finnland bin, endlich wieder in Euro zahlen kann, und die Preise nicht mehr typisch “skandinavisch” sind, gönne ich mir am Campingplatz Restaurant sogar ein Schnitzel zum Abendessen.
13€ dafür, da hätte ich in Norwegen wahrscheinlich den dreifachen Preis gezahlt. Spannenderweise ist der kleine Camping-Mini-Markt hier sogar billiger als der gigantische Discount-Supermarkt, wo ich heute Mittag in Norwegen eingekauft habe.
So erholt genieße ich den Campingplatz und freue mich, morgen frisch in den nächsten Tag starten zu können.
Tag 49: Palojärvi – Idivuorna
Da der Tag mit prasselnden Regen auf dem Dach beginnt, entschließe ich mich für die “der Schlafsack ist viel zu kuschelig, ich drehe mich jetzt noch mal um” – Variante.
Der dreht sich nicht mehr um..
Los geht die Fahrt dann bei leichtem Nieselregen.
Ab auf die E8. Die Ortsnamen werden immer schwieriger.
Nach 28 Kilometer entdecke ich nahe der Ortschaft Hetta ein Schild, welches eine gratis Husky-Farm Besichtigung für Langstreckenradfahrer anbietet. Nun glaube ich so einer zu sein, nehme also das Angebot gleich wahr.
Passte eh gerade Perfekt, ich brauche eine kurze Pause und es sollte gerade eine Führung los gehen. Diese Farm hat 186 Huskys, welche für den Einsatz als Schlittenhunde im Winter trainiert und gezüchtet werden.
So besuche ich die zahlreichen Käfige und Außenanlagen, wo die Huskys untergebracht sind, schau mir die Trainingsstädten an und kann zahlreiche Huskys mal streicheln. Am Ende sind meine Klamotten SEHR dreckig (gut dass es die Regenklamotten waren, das wird der nächste Schauer abwaschen), die Nase voll mit dem Geruch von knapp 200 Hunden und ich vom Level der Professionalität überrascht: Die Farm führt für jeden Hund Listen über tägliche Auslaufsstrecke, Futterverbrauch, Zyklus der weiblichen Huskys, Krankheiten und benötigte Medikamente usw.
Nach einer Stunde ist die ausführliche Tour zu Ende und ich schwinge mich wieder aufs Rad. Dann schaffe ich es noch, meine Regenhose irgendwo in den Graben zu schmeißen, darf also insgesamt 6 Kilometer Umweg fahren, um sie wieder einzusammeln.
Der Nachmittag ist wettermäßig unbeständig, immer wieder nieselt es leicht, hört aber relativ schnell wieder auf.
Zeitweise fahre ich mit einem norwegischen Pärchen zusammen, die ich gestern Abend auf dem Campingplatz kennengelernt habe, und die seit 5 Jahren Fahrrad Touren durch Skandinavien zusammen unternehmen.
Kurz vor der Grenze nehme ich noch einen finnischen Supermarkt wegen den deutlich günstigeren Preisen in Anspruch. Ne Dose Cider für 2€, das ist ja schon fast Diebstahl! In Norwegen hat der “Light-Cider”, den ich gefunden habe, immer min. 6 Euro die Dose gekostet, weshalb ich auch nicht einmal dran dachte, mir einen mitzunehmen. Heute allerdings kann ich nicht widerstehen.
Nach knapp unter 24 Stunden und 116 Kilometern ist es jetzt schon wieder Zeit Finnland zu verlassen. Über den Grenzfluss geht es von Kaaresuvanto (FIN) nach Karesuando (SE). Ein absolut unspektakulärer Grenzübertritt, EU sei Dank.
Ab nach Schweden!
Grenzfluss
Nur den Entfernungs-Baum auf schwedischer Seite finde ich spannend, so viele Orte, an denen ich auf dieser Tour gewesen bin.
In Schweden selber fahre ich noch einmal knappe 20 Kilometer, während der Regen immer schlimmer wird.
Endlich wieder auf der E45, auf der habe ich auf der Fahrt nach Norden weit über 1000km verbracht! Nun steht auch schon Kiruna angeschrieben.
Kurz hinter der Ortschaft Idivuorna reicht es mir dann, nach 117 Kilometer gebe ich auf und beziehe in einem schönen Waldstück, auf Moosboden, meinen Zeltplatz für die Nacht.
Die obligatorischen Mücken sind natürlich da, und langsam sieht die Zelt Innenseite echt eklig aus, so viele zerdrückte Mücken haben Spuren hinterlassen.
Morgen soll es angeblich ordentlich regnen. Aber es sind nur noch 150 Kilometer bis Kiruna und ich habe noch zwei Garnituren frische Wäsche. Also werde ich morgen noch einen Hunderter Fahren, das Zelt im Regen aufbauen und habe Freitag dann entspannte 50 – Abschlusskilometer vor mir. Das wird schon hinhauen.
Tag 50: Idivuona – Svappavaara
Der Tag beginnt mit Ausschlafen, Regen und eine nervige halbe Stunde in der Hotline-Warteschlange der schwedischen Post, die leider nicht dazu führt, dass ich tatsächlich mal mit einer lebenden Person reden darf, mich aber trotzdem gerne daran erinnert, dass ich dranbleiben soll, denn “your call is very important to us”… Am Arsch die Räuber! Die Aufklärung des Problems kommt hoffentlich im morgigen Blogpost.
Der Tag beginnt mit einer Fruchtbombe!
Anschließend bin ich gerade am Packen, da fahren an der Straße zwei Radreisende vorbei, das norwegische Pärchen von gestern. Heute finde ich auch endlich ihre Namen raus, sie heißen Unn-Kristin und Ola. Ich sage schnell hallo und verspreche sie bald einzuholen.
Das schaffe ich nach 10 Kilometern auch, sie hatten nur 10 Minuten Vorsprung.
Die nächsten 30 Kilometer sind traumhaft: eben oder abschüssig, dabei perfekter Asphalt und ein starker Rückenwind. Die erste Stunde falle ich nie unter 23km/h. Den Rest des Tages fahren wir zusammen, die beiden sind auch in Richtung Kiruna unterwegs, um von dort die selbe Strecke nach Narvik zu nehmen und von dort noch nach Bodo weiterzufahren, wo sie leben.
So gibt es viele Geschichten zu teilen, besonders da beide extrem viel Rad fahren, seit 5 Jahren mit ihren Urlaubstagen Skandinavien per Rad erkunden und wirklich viel abgeklappert haben. Ich bin am meisten von ihrer Fitness beeindruckt, mit Mitte 50 fahren sie jeden Tag mehr Kilometer als ich, wenn auch mit leichteren Rädern. Dabei sind sie nicht super schnell unterwegs, ich merke, dass ich mich mit dem Tempo heute ein wenig zurückhalte. Aber ausdauernd sind sie und wie sie selber sagen “verdammt sturköpfig”.
Die Ablenkung vom Fahren tut gut, denn ansonsten ist es heute sehr langweilig. Wieder nur durch den Wald und dazu kommt tiefhängender Nebel, und feinster Nieselregen, der in absolut jede Pore kriecht. Auch wenn man nicht wirklich das Gefühl kriegt, dass es regnet, am Ende des Tages ist doch alles nass. So gibt es auch nicht wirklich etwas zu fotografieren und das macht die Gespräche umso schöner. Wegstrecken, Lebensplanung, Fahrradinformationen, Anekdoten, Politik, Leben in Deutschland und Norwegen, es gibt kaum ein Thema, das unberührt bleibt.
Sehr schwedisch und äußerst ökologisch angetrieben!
Um die Mittagszeit warten wir ewig auf eine überdachte Bank, oder anderweitige Sitzgelegenheit, aber da kommt einfach überhaupt nichts. So schlagen wir uns schließlich bei Regen in den Wald und setzen uns auf den Waldboden. Damit es nicht ganz so kalt ist, entfachen die beiden ein wunderschönes Feuer, so lässt es sich einigermaßen aushalten.
Da der Regen beim Essen immer stärker wird, beschließen wir jedoch bald weiterzufahren, auch, weil es einfach zu kalt wird.
In Vittangi entern wir den örtlichen Supermarkt und beide halten mich für völlig durchgeknallt, dass ich jetzt bei dem Wetter mir ein Eis kaufe. Das hat mir Mr. “5-Kronen-Eis-bei-Rema1000-Klaus” aber anders beigebracht und deswegen genieße ich das Eis besonders.
Von Vittangi aus sind es noch 27 Kilometer bis Svappavaara, wo die E45, auf der wir jetzt fahren, in die E10 abbiegt nach Kiruna. Diese Kilometer bringen wir noch hinter uns, und nach 108 Kilometer schlage ich mich kurz vor Svappavaara in die Büsche. Unn-Kristin und Ola wollen noch in den Ort und dort eine Campinghütte beziehen. So verabschieden wir uns schon mal vorsorglich voneinander, sie fahren morgens immer ziemlich früh los und wollen morgen schnell nach Kiruna und dann weiter an den Torneträsk (also die Strecke nach Narvik, die ich am 29. und 30. Tag gemacht habe), also sind die Chancen gering, dass wir uns nochmal sehen. Danke euch beiden für einen unterhaltsamen Tag zusammen!
Mein Zelt baue ich heute auf dickem Moos und Blaubeerbüschen auf, meine Isomatte liegt fast wie so eine teure Ergo-Memory-Schaum-Matratze im Zelt, genau an die Körperkonturen angepasst.
Allerdings kriechen dafür die Schnecken an der trockenen Zeltwand hoch.
Den gesamten Abend über regnet es und so koche ich mir meine Nudeln im Zelt, schaue Filme und lese mein Buch weiter.
Morgen sind es jetzt 48 Kilometer nach Kiruna. Das entspricht rund einem Neunzigstel der Gesamtstrecke. Auch wenn es morgen wie aus Kübeln regnen soll, diesen letzten kurzen Abschnitt will ich vollends genießen, bevor ich in Kiruna wieder Kräfte sammel, die Vorteile der Zivilisation genieße und mich auf meine Wanderung vorbereite.