11. Juli 2019: Von Kalai-i-Khum bis zur Ausblicksplattform nahe Poshkarv
~67 Kilometer und 1800 Höhenmeter mit dem Fahrrad.
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Um 6 Uhr früh war ich abmarschbereit, direkt nach dem Weg aus der Stadt ging es Bergauf. Auch hörte mit der Stadtgrenze sofort wieder der Asphalt auf und es ging auf miserablem Untergrund weiter.
Blick auf die unbefestigte Straße nach Afghanistan
Viele Autos überholen mich heute, jedes wirbelt mehr ekligen Staub auf, der das Atmen erschwert. Nach etwa 30 Kilometer sah ich dann plötzlich vor einem kleinen Magasin (so werden hier die Tante Emma Läden genannt, Supermärkte gibt es keine außerhalb der großen Städte) eine Fata Morgana. Da saß doch tatsächlich ein Reiseradler mit Cola in der Hand neben seinem vollgepackten Reiserad. Nach einem kurzen Einkauf stellen wir uns vor: Benjamin ist etwa in meinem Alter und aus Paris (!!!) bis hierher geradelt, er hat davor keine Radreise unternommen. Er hat irgendwann seinen Job gekündigt, ein Fahrrad gekauft und ist nun über ein halbes Jahr unterwegs. Sein Drahtesel war bis zum geht nicht mehr beladen, an allen Ecken und Enden quoll da Equipment hervor, hinten hing gar ein ganzer Plüsch-Teddy an den Taschen. Doch am Lenker ist eine gute Bluetooth-Box befestigt, so fahren wir anschließend mit ordentlicher Rock-Musik zusammen weiter.
Eine seiner Felgen hat inzwischen ein paar Risse drin, Benjamin muss also aufpassen, dass er die gröbsten Schlaglöcher auslässt. Ein Felgenbruch hier hieße nichts Gutes, Ersatzteile sind weit entfernt. So langsam steigen die Temperaturen wieder, ich merke aber dass mich nach den Anfangstagen nichts mehr schocken kann. Wenn es jetzt 38°C erreicht, dann zucke ich mit den Schultern. Zu einem gewissen “Grad” gewöhnt sich der Körper ja auch dran, unangenehm bleibt es trotzdem.
Benjamin hat einen sehr positiven Blick auf sein Handeln, eine angenehme Abwechslung zu meinen Selbstzweifeln der letzten Tage. Bei jeder Bergauffahrt fluchen wir trotzdem zusammen, nur um dann jubelnd wieder ins Tal zu donnern. Das ist die Schizophrenie des Radfahrens. Flach und Bergab ist super, bergauf immer schrecklich.
Benjamin kommentiert dies ganz lax mit “What can you do? It’s an adventure!” Daran werde ich mich versuchen zu halten.
Ich hatte heute vor lediglich 60 Kilometer hinter mich zu bringen, um die Mittagszeitrum stehen bereits 44 Kilometer auf dem Tacho und ich hab brauch eine Pause. An einem kleinen Bächlein, dass durch eine Ortschaft fließt, finden wir Schatten, viel mehr brauche ich nicht zum Glücklich sein. Benjamin will noch ein wenig Strecke absolvieren, nach einem Kaffee am Bach fährt er weiter.
Nicht aber, bevor uns die ganzen Biker aus dem Hotel Roma wieder eingeholt haben. Die fahren mehrheitlich knatternd an uns vorbei, nur einer hält für ein Gespräch an. Er beschwert sich dann sofort über den Zustand der Straße und wie unglaublich anstrengend das Fahren sei.
Benjamin und ich blickten uns nach dem Abgang der Biker nur an und meinten gleichzeitig “fucking motorbikers!” Also ganz ehrlich: “Die Straße ist schlecht”, da drehen die einmal härter oder schwächer am Gashebel und fliegen nur so über die Straße. Wir hingegen quälen uns in den niedrigen Gängen über Stunden die Straße entlang und vor allem die Hänge empor. So waren wir beide der Ansicht, dass Motorradfahrer keinerlei Anrecht auf Meckerei hätten. 😉
Ich hoffe Benjamin nachher wieder einzuholen, bleibe aber noch ein paar Stunden in Dorf. Als die Sonne immer weiter mein Schattenfleckchen einschränkt, frage ich zwei Häuser weiter, ob ich mich auf ihren Tapchan legen darf. Und genau wie gestern wird mir dies nicht verwehrt, erneut kann ich also im Schatten entspannen. Lediglich der schattenspendende Aprikosenbaum ist ein wenig gefährlich, alle paar Minuten werde ich wach, weil neben mir eine Aprikose auf dem Holzgestell einschlägt. Trotzdem kann ich von 13-15.30 Uhr schlafen,
Als ich mich nach der Mittagspause auf den Weg mache war froh mich vorher nicht an Benjamin drangehängt zu haben, denn bis ins nächste Dorf schien die Sonne volle Kanne und die Strecke war echt tough, es ging nur bergauf und war sehr anstrengend. Abwechslung bietet der Blick nach Afghanistan, da winken immer wieder mal Kinder und Erwachsene rüber, auch ein paar „Hellos“ kann ich über das Getöse des Panj heraushören. Zudem ist der Blick auf die kleinen Orte auf afghanischer Seite faszinierend, die sehen so klein und schäbig aus, keine Strommasten, ein paar einzelne Solarzellen. Dafür schmiegen sich die Häuser an die Hänge und auch kleinste Ackerflächen werden bewirtschaftet. All dies sieht aus der Entfernung malerisch aus, ich bin mir aber sicher, das ist ein ganz schön toughes Leben da auf der anderen Flussseite.
Benjamin hat mir vorhin erzählt, dass eine meiner Wegoptionen für die weitere Strecke, der Wakhan-Korridor, laut Erzählungen die reinste Katastrophe ist: schwieriger Belag, auf über 4000m hoch zu einem Pass. Dies verbunden mit den Erfahrungen der letzten Tage lässt mich meinen Plan anpassen. In Khorogh könnte ich für das Wakhan-Tal einen Jeep für 2 Tage mieten. Dann sehe ich auch die schönen Ausblicke, kann es ein bisschen genießen und komme aber über die asphaltierte Route des Pamir Highway anschließend sicherlich schneller und vor allem angenehmer nach Murghab. Mal sehen, Pläne ändern sich derzeit bei mir täglich.
Ich treffe auch noch zwei spanische Reiseradler, mit denen ich jedoch relativ wenig reden konnte und es erschien mir auch als ob sie wenig Lust hatten mit mir zu reden, da sie gerade Aufsattelten, als ich im Dorf ankam um mir neues Wasser zu kaufen.
Danach begegnet mir auch Benjamin wieder, leider in ungewünschter Pose, mit dem Fahrrad verkehrt herum neben der Straße.
Er hat einen Platten und die Reifenflicken halten bei der Hitze nicht. Er hat aber auch keinen Wechselschlauch mehr übrig, und das fette Gewicht auf dem Hinterrad drückt so immer wieder ein neues Loch in den Schlauch. Da seine Schläuche leider nicht die standardmäßigen Schrader-Auto-Ventile habent, kann er sich von niemandem einen Schlauch leihen, auch meine Schläuche nützen da nichts. Und trotzdem war er dem Desaster positiv gegenüber eingestellt, saß rauchend (ich weiß wirklich nicht wie er mit Raucherlunge die Berge emporklettert) und lachend am Straßenrand und versuchte zu reparieren. “What can you do? It’s a fucking adventure!” schallt es mir erneut entgegen, ich mag den Mann.
Er hat beschlossen, wenn es nicht klappt mit dem Rad flicken, dann nimmt er eine Transportmöglichkeit nach Duschanbe wahr und wartet auf Ersatzteile. Es gibt wohl eine Connection zu einem Menschen nach Moskau, der jegliches Zeug besorgen kann und dann auf den Flieger nach Duschanbe mitgibt. So müsste Benjamin zwar eine Woche pausieren, könnte dann aber auch seine gebrochene Felge austauschen. Da er mich im Laufe des Nachmittags nicht mehr überholt, nehme ich an, dass genau das passiert ist. Im Nachhinein finde ich über eine Whatsapp-Nachricht von ihm raus, dass er per Anhalter nach Duschanbe zurück ist und dort auf die Ersatzteile wartete. Nach 6 Tagen Wartezeit saß er wieder in einem Truck nach Khorogh und konnte so mit neuen Teilen auch den Wakhan ohne Sorgen in Angriff nehmen. Leider war unser gemeinsames Fahren damit auch beendet, ich war immer eine knappe Woche vor ihm auf der Strecke. Good trip Benjamin, ride on!
Thanks for the good ride Benjamin! (Und man beachte die Neigung meines Rads, das wird morgen wieder Thema)
Ich bin noch ein bisschen weiter, dann sah es erst so aus, als könnte man hinter einer Tankstelle bleiben, die war allerdings nur ein kleines Häuschen und so habe ich das erstmal ignoriert. Dann wollte ich an der nächsten Quelle anhalten, dafür hätte ich aber Höhenmeter in ein kleines Dörfchen abseits der Hauptstraße machen müssen, da hatte ich keinen Bock drauf. Also weiter bis zur nächsten Quelle. Dort aber war nicht mal Platz um eine Isomatte auszulegen, die Quelle lag wirklich direkt ohne (Sicht-)schutz an der Straße.
So wurde es zum Ende des Tages noch echt zäh, weil da einiges an Hügeln kam und ich mich acht oder neun Kilometer weiterquälte, als ich es ursprünglich vor hatte. Das klingt zwar nach nichts, aber diese Distanz auf diesen Straßen und mit einigen Steigungen bedeutet, dass ich dafür gut eine Stunde brauchte. Wenigstens hatte ich mehr als genug Wasser eingekauft vorher im Dorf, das war eine gute Entscheidung. Es kam dann zum Glück eine Aussichtsplattform mit Picknickbank, direkt am Panj. Hier werde ich auf alle Fälle bleiben und hoffe nur, dass das Militär nicht kommt und mich verjagt. Aber ich vermute, auch für die ist es zu spät, denn die Sonne geht ziemlich schnell unter. Auch die Taliban werden mich schon nicht aus Afghanistan erschießen, obwohl hier die beiden Ufer sehr nah beieinander liegen.
An der Aussichtsplattform treffe ich noch einen österreichischen Reiseradler (heute läuft’s mit den Bekanntschaften!), der gerade 4km zurück fährt, weil er seine Powerbank verloren hat. Sein Mitfahrer ist bereits vor gefahren, das Camp aufbauen. Ich werde auch eingeladen mitzukommen, will aber wirklich keinen Kilometer mehr fahren. 30 Minuten später kommt der Österreicher zurück, die Suche war erfolgreich und er hat wieder eine Powerbank in Händen 🙂 Gestartet sind die beiden übrigens in Wien und erneut fühle ich mich wie ein Kurzzeitabenteurer.
Abends führe ich kleinere Reparaturen und Wartungsarbeiten am Rad durch. Jetzt hab ich mir noch baked beans gekocht, und schneide mir fast ein paar Finger ab, weil ich im Dunkeln versuche noch eine Karotte zu schälen und kleinzuschneiden.
Heute geht es auf alle Fälle deutlich besser mit dem Essen. Zum Mittagessen gab es Ramen-Nudeln und Brot. Zwischendrin ein bisschen Obst und Snickers. Also ich hoffe dass bedeutet das Gröbste ist vorbei. Es wäre auf alle Fälle echt schön.
Die Beine fühlen sich hingegen immer noch schwach an. Aber ich denke es ist Tag 4 und ich habe Belastung ohne Ende, da wundert es mich nicht dass die Beine noch nicht im Turbo-Modus sind, bin aber gespannt ob die Beine überhaupt auf dieser Tour den Turbo-Modus erreichen. Jeden Tag 10 Kilometer im zweiten Gang zurücklegen, das bleibt so oder so eine Belastung wenn man sich den Hang hochkurbelt. Ich schaue einfach mal was sich so ergibt und nehme es Tag für Tag.
Abends glitzert noch das Mondlicht zwischen den Bergrücken auf den Panj, der fast silbrig dahin fließt. Ich entschließe mich gegen den Aufbau des Zeltes, rolle neben dem Picknicktisch meine Isomatte aus und leg mich da einfach so in den Schlafsack. Drückt mir die Daumen dass heute Abend nicht mehr die Polizei oder das Militär vorbei kommt, das wäre ganz gut.