[Tag 19] Sary-Tash – Kichi-Karakol

26. Juli 2019:

Mit dem Fahrrad 52 Kilometer und 770 Höhenmeter von Sary-Tash ins Tal hinein, am Gulcha-Fluss entlang..

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Habe gut geschlafen, auch wenn es ziemlich kalt wurde. Nun, dass dürfte das letzte Mal sein, dass es nachts frostig wird, denn dies ist auch das letzte Mal, dass ich bei über 3000m Höhe mein Camp aufschlage.

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Das Frühstück ist simpel aber lecker, erstmalig seit Tourbeginn gibt es Käse zum Frühstück, welch vergessene Leckerei. Während ich anschließend mein Zeug fertig packe, macht sich auch die deutsche Mountainbike-Gruppe an das Verpacken ihrer vielen Fahrräder und den Tonnen an Equipment. Denn sie fahren heute noch weiter zum Basecamp des Pik Lenin für den Tag, bevor es am Folgetag in die Großstadt zurückgeht. Auch die 3 deutschen Kletterer zieht es heute in die Berge, sie haben einen 5000er auserkoren auf den sie raus wollen. (Per Whatsapp erfahre ich Tage später, dass sie es heil zum Gipfel und wieder zurück geschafft haben.)

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Ich bin noch mal zum kleinen Supermarkt, um dort mir eine kirgisische Sim-Karte zu kaufen. Diese kostet 20 Som, was etwa 30 Cent entspricht. Jedoch erfahre ich zurück am Hostel, dass ich noch mal Geld für den Datentarif draufladen muss. Also belade ich nun das Fahrrad endgültig und fahre auf meinem Weg durch den Ort wieder am kleinen Magasin vorbei. Doch der Zehnjährige von gestern gibt nun an, man könne hier kein Geld auf die Karte laden, so ziehe ich unverrichtete Dinge weiter. Vor dem Supermarkt treffe ich noch den britischen Radreisenden Robin, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Gestartet ist er in Peking und verglichen mit meinem vollbeladenen Fahrrad hat seins eher eine Essstörung. Zwei Hinterradtaschen und eine kleine Lenkertasche, mehr hat er nicht dabei. Und trotzdem bejaht er auf meine Nachfragen hin, dass er Kocher, Zelt, Schlafsack und auch sonst alles dabei hat. Ich bin fasziniert. Er erzählt mir von seiner Zeit in Kirgistan und der Mongolei, ich informiere ihn über die Strecke durch den Pamir. Er hat für heute ganz schön was vor, will er doch bis hoch zum Plateau kommen. Robin schenkt mir noch seine kirgisische SIM-Karte, die angeblich noch Geld fürs Datenvolumen drauf hat, doch trotz einigen Versuchen kriegen wir es nicht zum Laufen. Da hilft es nicht, dass alle Support-SMS in kyrillischer Schrift erscheinen. Nun, dies ist ein Problem für einen anderen Moment, ich mache mich an die Weiterfahrt.

Den Morgen habe ich so wirklich vertrödelt, erst um 12 Uhr mittags trete ich vor dem Magasin wieder in die Pedale. Wenigstens ist es hier nicht so heiß, zudem ist heute eine schattenspendende Bewölkung am Himmel.

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Der Plan gleich zu Beginn: Hoch zum Pass (links der Mitte)
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Hier noch mal gezoomed.

Die Landschaft hinter Sary-Tash erinnert mich sofort an die (Vor-)Alpen. Grün und mit Kühen, es fehlt nur noch eine Almhütte und Heidi. Der Weg steigt auch gleich an, von 3100m (Sary-Tash) geht es auf 3550m zum „40 Let Kyrgystan“-Pass.

Doch der Anstieg geht erstaunlich gut, mit motivierender Musik im Ohr kurbele ich mich im zweiten Gang der Anhöhe entgegen. Es hilft, dass ich weder mit Gegenwind noch Wellblech-Schotterpiste zu kämpfen habe, sondern es auf feinstem Asphalt dahin geht. Übrigens habe ich gestern mit Erreichen der Weide-Hochebene die Schotterstraßen hinter mich gelassen, in Kirgistan erwartet mich nun nur noch Asphalt.

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Dolomiten?
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Blick zurück, rechts hinter der Kurve liegt Sary-Tash

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Das Ziel im Blick

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Oben!

Oben am Pass genieße ich den Blick zurück, immer ein schönes Erfolgserlebnis, wenn man erkennt was man geleistet hat in der letzten Stunde oder zwei.

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Blick zurück
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Im Tal sieht man noch den Start der Straße
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Ausblick auf die weitere Strecke

Anschließend kam eine richtig geile Abfahrt. Auf dem neuen Teer kann ich das Rad laufen lassen und so flitze ich mit 50 km/h bergab. Was ich allerdings nicht wusste: Nach 2 Kilometern geht es wieder steil bergan, der erste Pass war nämlich nur die halbe Miete. Wenigstens erblicke ich nun bei der Kletterpassage einzelne Jurten, die jeweils am Zugang zu verschiedenen Tälern stehen, zumeist mit Ziegenherde in der Nähe. Die Behausungen sehen sehr ärmlich aus, ich bin mir sicher das ist ein anstrengendes Leben hier oben in den Bergen.

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Jurtencamps in den Seitentälern

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Der zweite Aufstieg

Ich kämpfe mich weitere 200 Höhenmeter zum Gipfel, dann habe ich aber auch den Taldyk-Pass absolviert. Was jetzt folgte war ein überwältigender Blick auf 3615m.

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Oben!

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Der Pass oben scheint nicht sonderlich spektakulär, aber dann kommt man zur Kante und erblickt dies:

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Ich kann mein Glück kaum fassen.

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Über die Kante blickte man ins 600m tiefer gelegene Tal, und dazwischen warten feinste Serpentinen auf mich. Ich werde noch von einer kirgisischen Familie am Pass angesprochen, die zwar kein Wort Englisch sprechen, trotzdem kommen ein paar lustige Fotos zu Stande.

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Doch dann kann ich das Rad endlich laufen lassen.

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Die Serpentinen von Unten gesehen.

In manchen Kurven hörte zwar der Asphalt auf, oder wurde ziemlich brüchig, trotzdem machte die Abfahrt ungeheuren Spaß. Dabei muss die Konzentration der Straße gelten, aber ich genieße es immer wieder mal auf 20 km/h abzubremsen, nur um danach wieder aus der Kurve heraus auf 50km/h zu beschleunigen. So hätten die Abfahrten im Pamir-Gebirge sein sollen, dort war man immer beschäftigt auf buckliger Straße nicht zu schnell zu werden, da ansonsten sich das Rad in seine Einzelteile zerrüttelt hätte. Viel zu schnell ist der Spaß bei dieser Abfahrt zu Ende, dabei mache ich nach 400 Höhenmetern bereits eine Fahrpause um meine Bremsen und Felgen abkühlen zu lassen, diese sind nämlich empfindlich heiß geworden. Die Hand kann man nicht mehr dran halten, so schätze ich das Metall auf über 80°C.

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Es geht weiterhin Bergab.

Der weitere Weg verläuft in einem engen Tal, wo auf der einen Hangseite allerlei kleine Jurten-Ansiedlungen auf Grasflächen stehen, zudem fließt ein Bach neben der Straße ins Tal. Das bereits beschriebene Alpenfeeling wird durch den roten und orangenen Sandstein ergänzt, ebenso grüne, eisenhaltige Berge. Wie gestern schon beschrieben ist dies nach den Wochen im Pamir ein unglaublich farbenfroher Lichtblick. Ich liebe die karge Umwelt der Hochebene, freue mich aber jetzt über die zahlreichen Farbkleckse. Bäume und wunderschöne Blumen ergänzen die Berge in allerlei Farben.

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Leben an der Hauptstraße

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Malerische Seitentäler

Das es nun bergab geht kommt mir zugute, denn in der Zwischenzeit hat ein richtig starker Wind eingesetzt, der mich in Pausen fast vom Rad weht. So komme ich teilweise selbst Bergab nur auf 18km/h, obwohl ich in die Pedale trete. Ich komme durch mehrere kleine Dörfer, ich versuche ohne Erfolg in mehreren Läden Geld auf meine SIM-Karte einzuzahlen.

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Der letzte Anstieg des Tages (Blick zurück)

Zum Tagesabschluss geht es noch mal 50-80 Höhenmeter hoch, dabei kämpfe ich immer noch gegen die Böen an. So entschließe ich mich relativ kurz danach mein Lager aufzuschlagen, diesmal auf einem Zugang zum Fluss direkt neben der Straße. Eigentlich wollte ich heute nur einen kurzen Tag auf dem Rad machen, doch als ich nach 30 Kilometern beide Pässe überquert hatte, lies ich es dann noch 20 Kilometer laufen.

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So habe ich nun den Zeltplatz direkt an der Klippe zur Straße hin, bin also von der Straße aus nicht sichtbar. Zudem funktioniert ein Geröllhaufen als effizienter Windschutz. Nur Erde gibt’s hier nicht, ich muss zahlreiche Steine nutzen, um das Zelt und die Heringe zu fixieren. Abends flaut der Wind jedoch bald ab und wird in der Nacht durch Windstille ersetzt, das hilft natürlich meiner prekären Zeltbefestigung.

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Ich sitze anschließend lesend am Fluss und halte die Füße ins Wasser. Nebenbei experimentiere ich weiterhin mit meiner SIM-Karte, außer dem Empfang zahlreicher russischsprachiger SMS kann ich jedoch keinen Erfolg verbuchen. Abends gibt es noch eine kurze Katzenwäsche am Fluss, bevor ich mich ans Abendessen mache.

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Entspannung am Fluss

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Tolle Gesteinsfarben

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Hier beschließe ich erstmalig die Benzinflasche an meinen Kocher anzuschließen. Dieser ist ein sogenannter Multifuel-Kocher und kann neben Gas auch allerlei andere Flüssigbrennstoffe nutzen. Ich kann also mit Autobenzin, Diesel oder gar Kerosin kochen. Da ich nicht wusste ob ich in Tadschikistan an Gas komme, wollte ich auf der sicheren Seite sein um im Notfall Benzin kaufen können. Da ich (seit Murghab vor 5 Tagen!) immer noch einen Liter ungeöffnetes Benzin mit mir rumschleppe, beschließe ich nun ein wenig Gewicht abzubauen.

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Was macht das Werkzeug da?

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Tja, so macht man das ohne Lasche zum Öffnen!

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Heute Abend funktioniert der Kocher mit Benzin gut, es gibt ein Linsengericht mit Erbsenkonserve. Diese ist seit einem Jahr abgelaufen, das Essen schmeckt trotzdem. Zudem hat der Kocher hier auf der Höhe wieder ordentlich Power, das Kochen auf über 3500 Metern im Pamir war ja eher anstrengend und mit langen Kochzeiten verbunden.

Ich bin hier nämlich auf 2700 Metern angekommen und habe somit auch endgültig die 3000er Höhen hinter mir gelassen. Spannend finde ich, dass ich die Höheneffekte am stärksten beim Kochen gemerkt habe. Im Vorhinein der Reise ging es viel um Höhenakklimatisierung, auch mit einer Ärztin habe ich darüber im Detail gesprochen. Rückblickend hatte ich wirklich sehr wenige Probleme mit der Höhe, die kribbelnden Beine hoch zum Pamir waren wohl das Schlimmste. Aber keine tagelang anhaltenden Kopfschmerzen oder andere Horrorstories, die ich davor erzählt bekommen habe oder in Blogs lesen konnte. Es bewahrheitet sich, dass die langsame Akklimatisierung mit dem Fahrrad hilft, mehr als 600 Höhenmeter am Tag habe ich fast nie geschafft, da kann sich der Körper langsam an die Höhe gewöhnen.