25. Juli 2019:
Mit dem Fahrrad 50 Kilometer und “nur” 340 Höhenmeter zur tadschikischen Grenze, dann zur kirgisischen Grenze und nach Sary-Tash.
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Diese Ausblicke beim Frühstück werden mir fehlen… Also, jetzt nicht die Füße, die sind immer noch befestigt 😉
Das war jetzt die dritte Nacht in Folge, wo es empfindlich kühl wurde im Schlafsack. Ich habe zum Glück meinen dicken Daunen-Schlafsack dabei, von daher friere ich nie, aber was Dünneres möchte ich nicht dabei haben. Dafür heizt sich das Zelt in der Früh bei Windstille und Sonnenschein in Windeseile wieder auf.
Nach den üblichen Startvorbereitungen am Morgen steht als erste sportliche Leistung des Tages gleich der Pass zur tadschikischen Grenze auf der Agenda. Und während ich mich da hoch quäle kann ich nur dankbar sein, dies gestern Abend nicht mehr bei starkem Gegenwind versucht zu haben. Auch bei kühleren Temperaturen heute Morgen und Windstille ist es eine echte Plackerei, auch weil der Schotter/Sandbelag wirklich nicht zu einer entspannten Fahrt beiträgt. Und doch bin ich positiv eingestellt. Wenn ich es erstmal zur tadschikischen Grenze oben am Pass geschafft habe, sind im weiteren Tagesverlauf nur noch 80 Höhenmeter bergauf zu absolvieren. Sary-Tash, wo ich heute Nacht übernachten will, liegt gar ganze 1200 Höhenmeter UNTERHALB des Pamir Hochplateaus. Ich hoffe also auf eine entspannte Abfahrt.
Sitzt plötzlich abseits der Straße und lässt sich in Seelenruhe fotografieren.
Auf dem Weg hoch werde ich von den ersten zwei Autos des Tages überholt. Generell sehe ich heute nur 19 Autos, das wird sich die kommenden Tage in Kirgistan radikal verändern. Oben am Pass geht es um die Kurve und dann steh ich da, die tadschikischen Grenzanlagen direkt vor mir. Dies ist der zweithöchste Grenzübergang der Welt, bei 4282m. Im Vorausgang der Reise hatte ich viel über den Grenzübertritt gelesen, da waren teilweise auch Horrorstories dabei. Doch in den letzten Jahren scheint sich das Training der dort oben stationierten Soldaten verbessert zu haben. Es gibt wenige Korruptionsvorwürfe und auch sonst scheinen sie mit Tourist*innen relativ glimpflich umzugehen. Dies trifft vorallem auf Radreisende zu, inwiefern Schmiergeld gezahlt werden muss, wenn man in einem Jeep unterwegs ist weiß ich nicht.
Am ersten Gebäude wird mein Visum kontrolliert und in ein Buch eingetragen. Anschließend darf ich die erste Sperre durchqueren und fahre 200 Meter weiter zum nächsten Gebäudekomplex. Dort findet erst die gesamte “Ausbuchung” statt, das Visum wird de-validiert und einbehalten. Wieder wird alles in große Bücher händisch eingetragen, einen Computer sucht man hier oben vergeblich. Die Wartezeit hält sich in (ha,ha!) Grenzen, da vor mir noch zwei junge Franzosen im Mietwagen unterwegs sind, habe ich wenigstens Gesprächspartner.
Vor der Ausbuchung halte ich vor dem falschen Gebäude und frage den davor stehenden Beamten, ob ich hier den Exit-Stempel bekomme. Die Antwort bringt dann kurz den Puls in Wallung: “No, I work for the Anti-Narcotics agency. You got narcotics?” Jetzt heißt es cool bleiben. Ich deute auf meine Oberschenkel und antworte mit einem versucht lässigen “no narcotics, just muscles”. Nach zwei Bedenksekunden winkt er mich dann weiter zum nächsten Gebäude. Puh, das ist ja wirklich glimpflich abgelaufen. Bevor mich jetzt wer missversteht: Nein, ich hatte absolut keine Drogen dabei. Aber Tadschikistan ist mit das größte Heroin-Transitland der Erde, Opium und Heroin wird aus Afghanistan über den Panj nach Tadschikistan verbracht und dann von dort ins weitere Ausland transportiert für die Weiterverbreitung. Diese Schmuggelaktivitäten sind der Hauptgrund für die starke Militärpräsenz am Panj, die ich ja oft genug mitgekriegt habe. Die Furcht vor den Taliban ist da vermutlich sogar zweitrangig. Auch gibt es wohl in Khorogh auch einige Menschen, die sich an den Schmuggelaktivitäten eine goldene Nase verdienen, zumindest hat man ab und an doch einige Luxuskarossen in der Stadt gesehen, die wirklich ins Auge stechen. Aus diesem Grund hatte ich doch eine berechtigte Sorge vor der Drogenkontrolle an der Grenze. Ich habe von Wohnwagen-LKWs gehört, die aufgefordert wurden alle 6 Doppelreifen abzumontieren, um dann noch den Reifen von der Felge zu nehmen. Nur damit die Grenzer schauen können, das nichts im Reifen geschmuggelt wird. Die Innenräume von Jeeps und Wohnwägen werden wohl regelmäßig bis in die letzte Ecke gefilzt. Ich hatte absolut keine Lust meine 6 Ortliebtaschen komplett leeren zu dürfen. Zudem hatte ich Sorge, dass man ewig über jedes Medikament in meinem Erste-Hilfe-Beutel diskutieren würde. Und am heikelsten wäre wohl mein Sport-Drink gewesen. Da führe ich weißes Pulver mit, aufgrund der Sperrigkeit habe ich auch die Originalverpackung weggeschmissen und das Pulver in einen Zip-Beutel umgefüllt. Ob mir der Grenzer dann glaubt, dass es ein isotonisches Getränkepulver ist, oder ob ich eine tadschikische Arrestzelle von innen kennenlernen darf, stünde wohl in den Sternen. So bin ich also sehr erleichtert, als meine ganze Interaktion mit der Anti-Drogenbehörde nur knappe 30 Sekunden dauert.
Nach dem Exit-Stempel im Pass darf ich dann auch den Schlagbaum passieren und verlasse somit tadschikisches Staatsgebiet. Das Prozedere hat etwa eine halbe Stunde gedauert und ich bin nun im Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgistan. Doch auch wenn ich jetzt ein bisschen Zeit hatte zum Verschnaufen, ist es noch nicht vorbei. Denn der Pass zieht sich noch ein wenig den Berg hoch, bevor ich endlich oben am Pass ankomme.
Dort steht ein Steinbock als Statue auf tadschikischer Seite, zudem sind die Umrisse Tadschikistans und Kirgistans auf weiteren Statuen zu finden. Ich nutze die Gelegenheit für Fotos und einen Schokoriegel.
Ich bin hier oben nun auf 4300m Höhe angekommen und den Rest des Tages geht es b-e-r-g-a-b-!-!-! Die kirgisische Grenze, weniger als 20 Kilometer entfernt, liegt auf 3500m.
Nun hätte ich wunderbare 800m dahingleiten können, beflügelt durch die Schwerkraft. Dem war aber leider nicht so. Die Piste, die nun folgte, war von Schlaglöchern und faustgroßen Steinen durchsetzt, hinzu kamen Bodenwellen und Schotter. Sobald das Rad nur ein wenig beschleunigte, fühlte es sich an als ob mein Fahrrad sich von alleine desintegriert, und mir klapperten die Zähne in einem solchen Maße, dass ich mich vielleicht gleich mit desintegriert hätte. Also fahre ich so vorsichtig, dass die Hände an den Bremshebeln krampfen. Selbst um die Landschaft zu betrachten halte ich lieber an, aus der Sorge heraus dass ich sonst wohl einen Abflug über den Lenker mache.
Und was für eine Landschaft ich hier zu sehen kriege: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich nicht das Gefühl eine Landesgrenze ist nur ein willkürlicher Strich auf dem Papier. Denn seit ich den Pass erreicht habe, hat sich die Landschaft radikal verändert. Die Berge sind noch rötlicher und aus jeder Richtung erstrahlen grüne Hänge. Wiesen und Büsche! Ich hatte gar nicht gemerkt wie sehr diese auf der Pamir Hochebene gefehlt haben, aber jetzt erschlägt mich der Anblick fast. Auch finde ich mitten im Nirgendwo ein Haus, wo die Familie ein Homestay anbietet. Gerne hätte ich gewusst, welche Staatsbürgerschaft sie haben und wie es sich im Niemandsland lebt.
Ein letztes Mal 4000m. Verrückt, dass mir dies gar nicht mehr so hoch vorkommt.
Bei der weiteren Abfahrt öffnet sich das Tal auf einmal und ein breites Tal mit einzelnen Flussläufen wird erkennbar. Ein massiver Gletscher speist hier wohl die Wassermassen zu Beginn des Sommers. Hier kommt bald auch der Asphalt wieder und so brause ich mit 25km/h ohne treten zu müssen dem Tal entgegen.
„Asphalt might just be the clearest evidence there is a God.” – unbekannte_r Autor_in
Rundumblick in dem breiter werdenden Tal kurz vor der kirgisischen Grenze. [Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders die Panoramen)]
Die kirgisische Grenze kommt in den Blick und dort werde ich verhältnismäßig freundlich empfangen. Ohne einen langen bürokratischen Aufwand bekomme ich einen Stempel in den Pass. Kirgistan ist für europäische Reisende Visa-frei, hier musste ich mich also im Voraus nicht drum kümmern. An der Grenze begegnet mir noch ein Vater-Sohn-Gespann aus Frankreich, die in die Gegenrichtung unterwegs sind. Der Vater besitzt das exakt selbe Fahrradmodell mit dem ich unterwegs bin und so kommen wir ins Gespräch. Sein Fahrrad sieht meinem auch dahingehend ähnlich, dass es unter 6 Taschen begraben liegt. Sein ca. 20-jähriger Sohn hingegen hat ein Rennrad, das mit einer leichten Rahmentasche ausgestattet ist. Darauf hingewiesen, dass sie jetzt 800 Höhenmeter rauf müssen und sein Sohn ihn mit diesem leichten Rad wohl ganz schön versägen wird, kommt eine tolle, schlagfertige Antwort (den französischen Akzent denkt ihr euch bitte einfach dazu): “My son is joining me for 3 weeks in the Pamir, but I started in Vietnam 6 months ago.” Sprach‘s, schwang sich aufs Rad und brauste davon. Nun, in diesem Sinne darf wohl Sohnemann hinterherhecheln für die kommenden 3 Wochen, ich wünsche gutes Gelingen. 😉
Kurz hinter der Grenze öffnet sich das Tal in die Alai-Hochebene.
Dies ist eine gigantische Fläche mit Weideland, die sich im Osten bis China und dann hunderte Kilometer nach Westen ausdehnt. Dabei bleibt die Nord-Süd-Ausdehnung gering, ich habe nur 20 Kilometer vor mir bis zum Dorf Sary-Tash, das bereits an den Bergen auf der gegenüberliegenden Seite liegt. Zwar habe ich auf diesen kommenden 20 Kilometern nur 70-80 Höhenmeter bergab, aber dafür geht es auch überhaupt nicht bergauf. So komme ich gut voran, es ist nicht sonderlich anstrengend.
Wenn überhaupt ist es frustrierend, denn Sary-Tash erblicke ich wie gesagt bereits an der Grenze, und die kommenden 20 Kilometer hat man auch nicht wirklich das Gefühl die Stadt käme näher.
Doch langweilig wird es keinesfalls, der Blick wandert über die Weide. Überall stehen Jurten und die ansässigen Familien hüten große Herden Schafe, Ziegen, Yaks und Pferde. Spannenderweise hatte ich in ganz Tadschikistan kein einziges Pferd erblickt, hier sind es am ersten Tag bereits hunderte. Als ich eine Pause machte kam ein Zehnjähriger auf seinem Pferd angerast und sprang elegant von seinem Ross hinunter. Erwartete ich hier die üblichen tadschikischen Fragen nach Name und Herkunft, wurde ich hier sehr schnell mit “Chocolate! Give me chocolate!” empfangen. Nachdem ich dies verweigerte, deutete er willkürlich auf Sachen an meinem Fahrrad, die ich ihm nun auszuhändigen hätte. Ein ganz schöner Shock nach all den erfüllenden Begegnungen mit Kindern bisher auf dieser Reise. Irgendwann gab er auf und ritt wieder davon. Dies passiert mir später noch mit zwei Mädchen, die aus einer nahen Jurte angerannt kommen und wieder auf Schokolade hoffen. Am Ende wollen sie noch meine leere Plastikflasche, die ich ihnen gerne überlasse. Das Leben hier in den Jurten scheint sehr ärmlich zu sein, die Reisenden die einzige Ablenkung vom Alltag.
Auch wenn nun Gegenwind Einzug hält, ich komme weiterhin mit rasenden 17-18km/h (ja, man verliert das Verständnis, was schnell ist und was nicht auf dem Pamir) Sary-Tash näher.
Am Ortseingang wurde mir bereits die vergangenen Tage das “Hostel Mara” empfohlen. Hier haben sie keine Zimmer frei heute Nacht, aber nach ein wenig hin und her darf ich im Garten mein Zelt aufstellen.
Schnell komme ich mit den 3 Deutschen neben mir in Kontakt, die in einer Jurte schlafen und am kommenden Tag zu einem 5000er Gipfel aufbrechen wollen. Diesen Gipfel kann man vom Hostel aus auch sehen, denn beim Blick zurück über die Hochebene sieht man nun alle hohen Gipfel der vergangenen Tage (Pik Lenin etc.) nun von der “Rückseite”.
In die Richtung wollen die anderen Drei morgen aufsteigen.
Gemeinsam mit den Deutschen breche ich zum örtlichen Mini-Market auf. Nach Eintritt in das kleine Kabuff fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Die Auswahl ist verglichen mit jeglichem tadschikischen Magasin grenzenlos. Mehrere Frucht- und Gemüsesorten, Süßigkeiten, verschiedene Nudelsorten usw. Ich kaufe mir endlich eine Wassermelone. Auf diese hatte ich bereits den ganzen Trip über Lust, aber alleine bleibt immer die Hälfte übrig. Zusammen mit den drei Deutschen war ich aber guter Dinge endlich mal eine Wassermelone verzehrt zu bekommen. Der Laden wurde von einem ca. 10-jährigen Kind geführt, vielleicht während sein Vater eine Mittagspause machte. Doch der Kleine war patent, wog verschiedene Waren und rechnete uns die Kosten aus. Als ein paar Locals reinkamen und der Junge ihnen halb-heimlich ein paar Kügelchen in Plastikfolie über den Tisch schob und das Geld nahm, war klar das der Junge zeitgleich noch als örtlicher Drogendealer fungiert… Nicht schlecht!
Den Nachmittag verbringen wir damit die Wassermelone zu Essen, ich höre mir Geschichten aus Kirgistan an, wir blicken auf das wunderschöne Bergpanorama und lassen es uns gut gehen. Ich gebe hier noch all meine Klamotten in die Wäsche, und anders als in Murghab hat das Hostel hier selbstverständlich eine reguläre Waschmaschine im Badezimmer stehen.
Gegen 16 Uhr erreichen drei Jeeps das Hostel und laden die nächste Dreiviertelstunde Gepäck aus. Dutzende Taschen, Radkartons, Ikea-Taschen und so weiter. Es stellt sich raus, dies waren die Begleitfahrzeuge für 14 deutsche Radreisende, die nach und nach am Hostel ankamen. Sie waren auf leichten Mountainbikes unterwegs, nur bepackt mit einem kleinen Rucksack, ein bisschen Wasser und einem Ersatzschlauch. Da wurde ich kurz neidisch, sie hatten auch meine Etappen der letzten beiden Tage an einem Tag absolviert. Neidisch war ich auch, weil sie mit diesen vollgefederten Mountainbikes sicherlich einen Heidenspaß bei der Abfahrt vom Pass gehabt haben, ich konnte da nirgends schneller als 11km/h fahren aus Sorge um mein Rad.
Das wären die richtigen Räder für die heutige Piste gewesen!
Auch wurde für sie groß aufgetischt, es gab Sekt, Bier und Softdrinks. Hinterher habe ich erfahren, dass sie von Duschanbe aus mit den Rädern unterwegs waren und hier in Sary-Tash ihre letzte Etappe zu Ende ging. Trotzdem, allzuviel Neid entstand bei mir nicht, weder will ich 2-3 Wochen lang mit den gleichen 13 Menschen unterwegs sein, noch hätte ich dafür über 3000€ (exklusive Flüge!) gezahlt. Dann lieber mein Low-Budget-Ansatz alleine.
Kein Wunder also, dass das Hostel heute voll ausgebucht war, Abendessen gibt es zusammen mit den drei deutschen Kletterern in ihrer Jurte. Das Essen ist reichhaltig und lecker, lediglich mit dem Knoblauch hat es die Hausherrin und Köchin übertrieben. Nur gut dass ich später alleine im Zelt liege.
Morgen werde ich einen gemütlichen Start hinlegen. Direkt hinter Sary-Tash muss ich erneut einen Berg hoch, von dem her weiß ich noch nicht wie weit ich komme, es sind bis Osh sowieso nur noch 180 Kilometer und mein Rückflug ist erst in fünf Tagen.