[Tag 16] Ak-Baital – Karakul

23. Juli 2019:

Mit dem Fahrrad 67 Kilometer und 640 Höhenmeter über den Ak-Baital-Pass bis Karakul.

[Ein Klick auf das Bild vergrößert die Route!]

Die Nacht schlafe ich wie ein Stein, werde erst durch den Wecker wach, die vergangenen Tage war ich immer schon davor wach. Dies zeigt mir wie anstrengend das Fahrradfahren in diesen Höhen ist, gestern hat einfach richtig Energie gekostet. Was bin ich froh dass ich wieder normale Esse, im kränklichen Zustand wie am Panj würde das hier wohl nicht funktionieren. Der Start in den Tag ist ein wenig langsam, auch weil ich mich noch ziemlich KO fühlte. Das Zelt auf 4300m einzupacken ist auch ein ganz schöner Kraftakt.

In der Nacht muss es nochmal deutlich kälter geworden sein, denn der Bachlauf neben mir ist stellenweise gefroren. Ich wünsche mir tatsächlich, dass es über Nacht geschneit hätte, das wäre sicherlich ein toller Anblick. So sind stattdessen die Murmeltiere dabei die ersten Sonnenstrahlen einzufangen und düsen mit wütendem Pfeifen ab in ihre Erdlöcher, sobald sie mich erblicken.

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Morgensonne

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Ich filtere am Bach noch ein wenig Wasser für heute, was bei den Temperaturen für ganz schön kalte Pfoten sorgt. Schließlich bin ich aber abmarschbereit und ich schiebe das Rad wieder zurück zur Straße.

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Zurück auf der Straße
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Los geht’s gen Ak-Baital-Pass

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Bereits nach zwei Kilometern Fahrstrecke kommt das Schild, welches eigentlich oben am Pass stehen müsste. Keine Ahnung wieso dies stattdessen VOR dem Pass errichtet wurde. So mache ich ein paar Fotos, wohlwissend dass der anstrengende Teil jetzt noch auf mich wartet.

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Man muss sich ja beschäftigt halten in der dünnen Luft 🙂

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Ob Olga und Ede mit Absicht einen Sticker in feinstem AfD-Blau erstellt haben? Der Sticker fällt mir seit Tagen entlang des Weges auf, vorallem wegen der penetrant-unangenehmen Farbauswahl.

Neben dem Pass-Schild ist noch das kleine Haus der hier ansässigen Straßenmeisterei, ein ärmlicher Verschlag. Aber die Familie steht davor und spielt gerade Fußball, Wahnsinn dass sie ihr Leben auf über 4000 Metern verbringen.

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Straßenmeisterei (links) und erster Blick auf den Weg hoch zum Pass (rechter Bildrand)
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Rechts der Bildmitte liegt der Pass, da muss ich nun nur noch rauf.
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Steil…

Nun kommt der weitere Weg hoch zum Pass in den Blick. Man sah dass es steil hinauf geht, jedoch nicht unmachbar steil. Ich schalte in den zweiten Gang und kurbele mich stur in die Höhe. Mit guter Musik im Ohr komme ich in einen Art Rausch. Es ist zwar unglaublich anstrengend, aber jeder Tritt bringt mich dem Gipfel näher. Zudem freue ich mich, dass es klappt und ich nicht den ganzen Weg schieben muss.

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Blick zurück auf das bisher Geschaffte.

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Fast oben.

Zum Ende hin kommt noch eine besonders steile Kurve, somit schalte ich erstmalig auf dieser Tour in den ersten Gang. Diesen habe ich mir aus psychologischen Gründen für den Ak-Baital-Pass aufbehalten. Irgendwie war es in den vergangenen Tagen immer beruhigend zu wissen, dass man es auch im zweiten Gang schafft, ich also noch eine Reserve nach unten habe.

Und jetzt, wo ich den Gang nutze? Da merke ich, dass der so niedrig übersetzt ist, dass ich es fast nicht schaffe schnell genug zu treten um nicht umzufallen. Schnell also wieder in den zweiten Gang geschaltet. Nun, das hätte ich ja dann doch mal früher ausprobieren können. 😉

Ich entschuldige mich für das Gequietsche in der dünnen Luft 😉 Die Freude ist allerdings echt!

Knapp zwei Stunden nach meinem Aufbruch am Zeltplatz stehe ich dann endgültig oben am Ak-Baital-Pass. 4655m. Viertausendsechshundertfünfundfünfzig Meter. Mit einem Fahrrad. Mit einem arschschwer beladenen Fahrrad.

In diesem Sinne [ab 0:48]:

Nur um das mal in Verhältnis zu setzen: Das sind 150 Höhenmeter weniger als der Mont Blanc. Und ich bin hier mit dem Rad hoch, auf den höchsten Pass der ehemaligen Sowjetunion. Versehen mit einigen Jubelschreien genieße ich es oben angekommen zu sein. Von der Aussicht her ist der Pass jetzt nicht sonderlich beeindruckend, wie gestern schon geschrieben ist er in den Fels eingeschnitten, es fehlt somit der 360° Panoramablick. Aber die Freude, es auf den höchsten Punkt dieser Radreise geschafft zu haben, macht alles wett. Und auch wenn ich bereits im Wakhan auf 4700m gewandert bin, höher als auf dem Ak-Baital-Pass geht es mit dem Fahrrad auf dieser Reise nicht, vom Rückflug mal abgesehen.

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Oben! (Und man beachte die Schrägstellung des Fahrrads)
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Blick voraus!
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Erleichterung pur!

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Fotobeweis der Höhe! Zudem eine beachtliche Durchschnittsgeschwindigkeit, 3.8km/h 😉

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Blick zurück

Als ich gerade ein paar Fotos vom Fahrrad mache, sehe ich durch den Sucher, wie mein Fahrrad sich in Slow-Motion zur Seite legt und mit einem lauten Knall der Fahrradständer erneut abbricht. Angsterfüllt renne ich zum Fahrrad. Bitte, bitte, bitte lass jetzt dadurch nicht hier oben der Rahmen gebrochen sein. Karakul liegt 50 Kilometer vor mir, und ob dort jemand schweißen kann ist ungewiss. Und 80 Kilometer zurück nach Murghab… bitte nicht!

Doch ich habe Glück im Unglück, wieder hat es nur die Schrauben zerbrochen, der Rahmen ist zwar leicht verdreht aber hält noch. Ich beschließe nun, den Fahrradständer auf der Tour nicht mehr zu befestigen. Da fixiere ich lieber das Fahrrad mit Steine. Das dauert zwar ewig und ist nervig wenn man das Fahrrad so gerne fotografiert wie ich. Aber besser als hier oben mit einem kaputten Fahrrad zu stranden.

Blick voraus auf die weitere Route [Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

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Oben gibts zur Belohnung das letzte Gummibärchen aus Deutschland. Geöffnet habe ich die Packung kurz hinter Kulob am ersten Tag, als Bergauf zum Pass nichts mehr ging.
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Nun wartet die Bergabpassage auf mich!

Mir begegnen noch einige Motorräder auf dem Pass, diese brausen aber einfach weiter ohne anzuhalten. So ist das wohl, wenn man sich den Pass nicht mühsam erkämpfen muss, da kann man auch weiterdüsen. Ich hingegen besinne mich darauf, dass ich in Kulob auf 600m Höhe gestartet bin. Auch wenn es zwei Mal Auto-Unterstützung brauchte, ich habe es jetzt 4000 Höhenmeter nach oben geschafft. Ein unglaublicher Gedanke.

Gespannt blicke ich auf den weiteren Weg. An sich geht es nun 50 Kilometer bergab und könnte ein entspannter Ritt bis zum heutigen Übernachtungsplatz sein. Leider hat der Asphalt fünf Kilometer vor dem Gipfel aufgehört und kommt so schnell auch nicht wieder. So mache ich mich auf sehr buckligen Schotterwegen an die Abfahrt.

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Bergab, erneut kommt der chinesische Grenzzaun in den Blick.

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Schotter, hier noch in Fahrbar.
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Das Schild aus der Gegenrichtung

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Mehr als 20 Kilometer pro Stunde schaffe ich nicht, vielfach liege ich sogar drunter. Weiter unten erwartet mich dann klassische Waschbrett-Piste. Diese verschlimmert sich, wenn Autos dann immer in die Kuhle geschleudert werden, wodurch das Waschbrett sich nur noch verstärkt. Autos, LKWs und Motorräder haben allerdings den Vorteil einer guten Federung. Zudem gibt es bei Waschbrett-Belägen einen “sweet spot” beim Fahrtempo. Der liegt bei ca. 60-80km/h, da fährt der Reifen dann nur noch auf den Kuppen und sinkt nicht in die Kuhlen ein. Die Autos gleiten dann über die Piste hinweg.

Und ich? Nun, 60km/h zu fahren ist leider keine Option. Eine Federung habe ich leider auch nicht. Und so bleibt mir nichts anderes übrig als auf diesem unfassbar holprigen Weg mich hin und her schütteln zu lassen. Immer wenn man mal eine Spur entdeckt, auf der man einigermaßen fahren kann, kommen nach 5 Metern die Buckel wieder. 20 Kilometer geht das so. Bergab, bergauf, teilweise flach. Doch schneller als 12km/h werde ich nie, teilweise fahre ich einstellige Geschwindigkeiten.

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Miesester Belag
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Und es hört nicht auf!

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Eine weitere Karawanserei, diesmal hatte ich aber keine Lust abzusteigen und sie zu besichtigen.

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Der Schotter verschwindet…

… und endlich geht es auf Asphalt weiter! [Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

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Nach 27 Kilometern wird der Schotter endlich wieder durch Asphalt ersetzt und ich könnte heulen vor Freude. Selbst katastrophal schlechter Asphalt macht so viel mehr Spaß als die Widrigkeiten auf dem Schotter. Anschließend gibt es noch einen kleinen Pass mit etwa 100 Meter Höhenunterschied. Doch nach dem Ak-Baital-Pass heute früh erscheint mir dies nur als minimale Herausforderung.

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Der kleine Pass (Bildmitte)

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Artenvielfalt auch in dieser kargen Landschaft

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Wie gestern fahre ich weiter am chinesischen Sicherheitszaun entlang. Mehr und mehr bekomme ich das Gefühl, dieser sei ein kompletter Witz. An mehreren Stellen sind Zaunpfosten abgebrochen, oder der Stacheldraht hängt nur noch in Fetzen. Zudem gibt es an einigen Stellen Durchgangstore, diese stehen auch schon mal sperrangelweit offen. Ich hätte ja vermutet, dass die Grenzbefestigungen zu einem stark bewachten Land technologisch weit fortschrittlicher sind.

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Grenzzaun

Ich hatte inzwischen meine 40 Kilometer bereits voll und suchte einen Pausenplatz fürs Mittagessen, leider kam da nichts Schönes. Überall nur Sand und Stein, kein Grashalm in Sicht. Ich hoffe irgendwo ein Tarp über mich und mein Fahrrad spannen zu können, damit ich beim Mittagessen mir keinen Sonnenbrand wie gestern einhole.

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Man kann den Karakul-See schon erahnen
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Und plötzlich sieht man ihn.
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Die hohen Berge im obigen Bild liegen schon (fast) in China

Schließlich kommt der Karakul-See in den Blick. Der See hat ein durchdringendes Blau, wie ich es noch nie gesehen habe. Erinnert ein wenig an den handelsüblichen blauen Edding. Völlig ergriffen stehe ich am Straßenrand und staune über diesen Blick. Die Landschaft der vergangenen Tage, seit ich die Pamir-Hochebene betreten habe, war ein Mix aus mehrheitlich Grau und Sandfarben. Dieser blaue See reißt ein Loch in meine Farbwahrnehmung, fast als hätte man ein einzelnes Objekt in einem monochromen Bild eingefärbt.

Karakul-See [Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

Der Karakul See (= „Schwarzer See“ in Turksprache) liegt auf 3914m, 380 Quadratkilometer groß und ohne Abfluss. Zufluss kriegt er von den umliegendenen Gletschern, er ist salzhaltig. Er ist das größte Gewässer Tadschikistans und füllt eine Senke mit über 50 Kilometer durchmesser, das Überbleibsel eines Meteoriteneinschlags vor 5 Millionen Jahren. Zudem liegt er auf einer Eislinse, die noch aus der letzten Eiszeit liegt, erreicht im Sommer aber immerhin kuschelige 12° C. Er liegt höher als der Titicacasee und gilt somit als der höchstgelegene See der Welt. Irgendwann wurde hier oben sogar ein kleiner Pier errichtet, es ist somit auch der höchste „segelbare“ See der Welt, was bei der „Roof of the World Regatta“ (https://caravanistan.com/trip-reports/roof-world-regatta/ ) unter Beweis gestellt wurde.

Ich beschließe, dass da nichts passendes heute kommen wird und mache an Ort und Stelle mein Mittagessen, leider ohne den gewünschten Schatten. Weil es so heiß ist futtere ich schnell meine Ramen Nudeln, mein Obst und springe dann nach nur einer halben Stunde wieder aufs Fahrrad, es war einfach zu unangenehm in der Sonne.

Bis zum See geht es nun bergab, leider mit stärker werdenden Gegenwind. Auch der Asphalt-Belag ist seltsam. Scheinbar wurde da eine neue Schicht Teer aufgetragen, denn als ich einen Fotostop einlege und 2 Minuten verweile, hat sich der klebrige Teer mit meinem Schuh verbunden. Ich muss richtig dran zerren bis ich meinen Fuß frei kriege und schnell fahre ich weiter. Natürlich bremst so eine klebrige Schicht mein Vorankommen massiv.

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Weiter geradeaus am See entlang
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Erster Blick auf die markante Bergkette (mehr dazu später.)
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Blick zurück.

Die verbleibenden 20 Kilometer bis Karakul ziehen sich in die Länge, ein Phänomen, dass ich auch schon die letzten Tage beobachtet habe. Bis zum Mittagessen geht es mir eigentlich immer ganz gut, am Nachmittag aber ist die Kraft weg und es geht langsamer und beschwerlicher voran. Nun, heute mache ich wenigstens dutzende Fotos vom See, der ist einfach besonders fotogen.

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Karakul

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Irgendwann komme ich im Dorf Karakul an. Dies ist ein wirkliches Nest, da stehen vielleicht 40 Gebäude rum. Ich frage mich zum örtlichen Magasin durch, dies ist zeitgleich ein Homestay, sie haben auch nur einen Wandschrank voll mit Proviant. Da ich noch mehr als genug Essen habe, wandern wieder einmal sechs Liter Wasser und ein Liter Cola in meinen Besitz. Anschließend stehe ich 5 Minuten vor dem Homestay um das alles zu verräumen. Dabei werde ich von einem Jagdgeschwader Mücken in Kompaniestärke angegriffen. Innerhalb weniger Sekunden bin ich eingehüllt in einen Mückenschwarm. Ich versuche es ruhig angehen zu lassen, doch beim Wasser-umfüllen brauche ich leider beide Hände und die Mücken kommen somit zu einem entspannten Festmahl. Schließlich reicht es mir, ich zerre aus den Taschen die lange Hose und all meine Schlauchschals, so kann ich mich soweit einpacken, dass nur noch meine Hände und ein Sehschlitz offen zugänglich sind für diese Mistviecher. Trotzdem sitzen sicherlich 50-100 Tiere auf mir und versuchen eine Lücke in meiner Klamottenverteidigung zu finden.

Der Besitzer des Homestays versucht mich zum Bleiben zu überreden, doch ich habe andere Pläne: Durchs Dorf fahre ich raus auf einen kleinen Feldweg, der schnurstracks zum Ufer des Karakul Sees führt. Direkt am Strand herrscht momentan windstille und so wühle ich mich schnellstmöglich durch eine meiner Gepäcktaschen, bis ich auch noch mein Mückennetz gefunden habe. So verkleidet mache ich mich daran, mein Zelt auf dem Kiesstrand zu errichten.

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Alles schnell ins Zelt geschmissen was benötigt wurde und schon klettere ich hinterher. Im Innenzelt angekommen darf ich noch mühselig 30 Mücken zerdrücken, dann habe ich aber meine Ruhe. Wobei, das stimmt nicht ganz… Hunderte Mücken knallen von außen gegen die Netzflächen des Zeltes und versuchen mit aller Macht zu ihrem Abendessen vorzudringen.

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Mücken…
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Blick gen China
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Karakul
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Blick gen China

Wie die letzten Tage bin ich mir auch heute sicher, dass gen Abend der Wind an Stärke zulegen wird, dann verkriechen sich die Mücken auch schnell. Bis es aber so weit ist, kriegt mich nichts aus diesem Zelt raus. Jedoch habe ich heute relativ früh mein Zelt aufgeschlagen und dies stand nun bei Windstille in der prallen Sonne. Als ich im Zelt ankam betrug die Innentemperatur bereits 31°C, nach ein paar Minuten kletterte diese schon auf 35°C. Somit nahm ich an, die nächsten zwei Stunden in dieser Sauna gefangen zu sein. Ich liege also ziemlich nackig im Zelt, wälze mich alle paar Minuten auf die andere Seite und habe außer einer einigermaßen kalten Cola keine Abkühlmöglichkeit.

Doch Glück im Unglück: Bereits nach einer Stunde setzt der Wind ein und prompt sind die Plagegeister wieder verschwunden. Doch andere Probleme locken mich schnell aus dem Zelt. Dieses steht nämlich falsch zum Wind, so darf ich wieder alle Heringe entfernen und das Zelt 90° drehen, damit es in den Wind lehnt. Doch damit nicht genug. Der Wind rast ungebremst über den See und peitscht dort Wellen auf, die immer näher ans Zelt heran rollen. Draußen kratze ich erst einen kleinen Verteidigungswall in den Sand, merke aber schnell, dass dies nicht ausreichen wird. So muss ich glatt noch mal mit dem Zelt umziehen, diesmal ein paar Meter zurück auf die Wiese. Dies war rückblickend auch eine goldrichtige Entscheidung, am nächsten Morgen ist mein Sand-Wall nicht mehr zu sehen, den haben die Wellen komplett fortgeschwemmt.

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Noch direkt am Strand

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Später lieber ein paar Meter weiter hinten.

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Auch wenn die Wellen inzwischen einen halben Meter hoch sind, ich gehe nun vor dem Abendessen doch noch mal zur Erfrischung im See schwimmen. Denn im Gegensatz zum enttäuschenden Sassikul See vor ein paar Tagen ist hier kein Zooplankton zu sehen. Aufgrund der Strömung bleibe ich in Ufernähe und statt wirklich zu schwimmen wird es eher ein hinknien. Trotzdem, ich fühle mich danach erfrischt, auch wenn es ein wenig seltsam war 300m vor den Toren der Stadt mich nackt in die Fluten zu schmeißen.

Anschließend genieße ich die Ruhe im Zelt. ich habe hier zum letzten Mal in Tadschikistan noch Mobilfunk-Empfang, so klappt auch ein kurzes Telefonat mit Mama, bevor es ans Abendessen geht. Heute gibt es rote Linsen, mit Tomatensoße und Konserven-Mais. Diese Dose hat leider keinen Schnellverschluss, doch auf Radreise weiß man sich ja zu helfen, so kriege ich die Dose mit dem Fahrradwerkzeug doch noch geöffnet.

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Das Kochen selber dauert ewig, da ich bei starkem Wind hinter dem Zelt kauere und versuche dort im Windschatten mein Essen zuzubereiten.

Am eindrücklichsten an diesem Zeltplatz ist der Panoramablick. Der See hat sich gen Abend schwarz gefärbt, aber um den Berg herum blicke ich auf hohe schneebedeckte Berge. Hinter mir die Berge, die bereits auf chinesischem Staatsgebiet liegen und vor mir auf die höchsten Berge Tadschikistans an der kirgisischen Grenze. So blickt man die Berge Kurumdy (6613m), Trapez (6048m) und auf den Pik Abuali ibn Sino, der wohl eher unter seinem vorherigen Namen Pik Lenin bekannt ist. Mit 7134m steht Pik Lenin direkt an der Grenze zwischen Kirigistan und Tadschikistan, wobei die Besteigungen zumeist von kirgisischer Seite aus stattfinden. Er hat ob seiner Höhe eine unglaubliche Präsenz und ich verbringe Stunden damit, auf diese Bergkette vor mir zu blicken, die später im Abendlicht beleuchtet wird.

Panorama über den Karakul See! [Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

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Hier noch mal der Blick auf die Bergkette von vorher.

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Und hier die dazugehörigen Berggipfel.

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Pik Lenin (links), Pik Trapez (rechts).

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Pik Lenin in Nahaufnahme

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Und hier dann im Abendlicht

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Im Osten soll sogar der Kongur sichtbar sein, mit 7719m der höchste Berg Zentralasiens, wo dieser aber genau liegt ist mir unklar, ich glaube nicht dass ich ihn erblicke.

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Blick gen China
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Blick auf das Pik Lenin Massiv

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Blick gen Süden, in den Pamir

Panorama über den Karakul See! [Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

Nachts kommt dann ein fantastischer Sternenhimmel zum Vorschein, der ganze Bogen der Milchstraße ist mit dem nackten Auge sichtbar, ebenso eine Myriaden Sterne. Je länger ich in den Himmel schaue, umso mehr funkeln und leuchten kann ich erblicken.

Den Abend verbringe ich in tiefer Dankbarkeit und Erleichterung. Ich habe meine Strecke in Tadschikistan fast hinter mich gebracht. Zudem muss ich an die zahlreichen Stunden zurückdenken, in denen ich mir monatelang Sorgen über den Ak-Baital-Pass gemacht habe. Und jetzt habe ich den erfolgreich bezwungen. Es hat sich gelohnt gestern nahe dem Pass zu zelten und somit heute weniger Höhenmeter absolvieren zu müssen. Und auch die abwechslungsreiche Landschaft wirkt nach. Waren die Berge am Ak-Baital-Pass noch ringsum schneebedeckt, war der weitere Verlauf von Geröll und Sand geprägt. Ich kann dies wirklich nur als Mondlandschaft beschreiben, auch wenn später noch rote und sandfarbene Berge hinzukamen. Und nun blicke ich abends wieder auf schneebedeckte Berge mit unglaublicher Höhe.

Mir sind heute 26 Autos und Motorräder begegnet, nach Murghab hat der motorisierte Verkehr deutlich abgenommen.

Morgen erwartet mich noch ein 250 Meter hoher Pass, doch das schockt mich nun natürlich nicht mehr. Am Pass selber habe ich auf der Karte einen Berg entdeckt, der begehbar aussieht. Von dort oben dürfte es einen fantastischen Blick über den ganzen Karakul-See geben, sofern ich also morgen die Energie habe, werde ich da auf alle Fälle noch mal hochklettern.

Und dann sind es noch einige Kilometer und ein weiterer Anstieg von 200 Metern bis zur tadschikischen Grenze. Diese liegt 50 Kilometer entfernt, mal schauen ob ich das morgen so weit schaffe. Da ich sehr gut im Zeitplan liege und eher ein paar Tage zu viel übrig habe muss ich nicht wirklich hetzen.

Glücklich und zufrieden liege ich heute um 22 Uhr im Schlafsack und schlafe auch ziemlich schnell ein.