[Tag 15] Murghab – kurz vor Ak-Baital

22. Juli 2019:

Mit dem Fahrrad 66 Kilometer und 1000 Höhenmeter von Murghab bis acht Kilometer vor den Ak-Baital-Pass.

[Ein Klick auf das Bild vergrößert die Route!]

Frühstück um 7 Uhr, dabei gab es wieder das alte vertrocknete Brot von gestern mit Marmelade. Doch heute habe ich mich endlich an den Milchreis getraut, um den ich gestern noch einen Bogen gemacht habe. Doch nachdem ich den halben Inhalt der Zuckerdose, sowie das Marmeladenglas drüber geleert habe, wurde es doch ganz lecker und wenigstens sättigt es ausreichend.

Ich packe noch die letzten Sachen zusammen und habe dabei einen “Jugend-Forscht”-Moment. Zum wiederholten Male stelle ich fest, dass Mineralwasserflaschen in der Höhe gänzlich anders reagieren als auf Meereshöhe. Das Mineralwasser schäumt beim Öffnen nur so durch die Gegend, dabei habe ich die Flasche garantiert nicht geschüttelt. Ich weiß dass kohlensäurehaltigen Getränke in einer Druckkammer überhaupt nicht mehr schäumen, dies scheint also das absolute Gegenteil davon zu sein.

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Ich ärgere mich über die Menge an Plastikmüll die dank mir anfällt, sehe allerdings wenig wege drumrum. Es gibt zumeist nur 1L-Flaschen, und wenn ich nicht stundenlang Filtern will, muss ich täglich 5-6 Flaschen kaufen. Da kommt etwas zusammen.

Nach dem Aufladen und losfahren verließ ich keine fünf Minuten später bereits die Stadtgrenze. Die Straße war schön gerade. Die LKWs fahren von Murghab aus auf einer anderen Straße direkt zur chinesischen Grenze am Kulma-Pass, ich wurde heute also von keinem einzigen LKW überholt, eine deutliche Veränderung zur Strecke VOR Murghab. So begegnen mir heute nur Autos und Motorräder, auch Fahrradfahrer_innen sehe ich heute keine.

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In Windeseile habe ich Murghab verlassen.
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Die offene Straße voraus erwartet mich.

Zu Beginn fahre ich recht ebenerdig dahin, dafür weht mir ein stärkerer Gegenwind ins Gesicht. Als dieser nachlässt fängt auch die Straße an wieder zu steigen. Nicht steil, ich kurbele mich nicht im zweiten Gang hinauf, aber man merkt schon dass es den ganzen Tag bergauf geht.

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Verschiedenste Felsfarben.
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Ich bin begeistert über die Schichtung dieses Berges
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Vertikal statt Horizontal

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Nach 25 Kilometern versuche ich mich an einer kurzen Snickers-Pause, werde jedoch sofort von einem Mückenschwarm aufs Korn genommen. So fahre ich zwei Kilometer weiter, als die Mücken mich jedoch auch dort finden, wird es mir zu doof. Die Snickers-Pause gibt es trotzdem, ich laufe dabei nur leicht irre auf und ab und wische mir alle 5 Sekunden die Beine ab.

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Blick in Richtung Rangkul-Felskette. Hier gäbe es die Möglichkeit für 2-3 Tage eine Schleife zu fahren und nah an die chinesische Grenze zu kommen. Ich entscheide mich jedoch dagegen.

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Kirgisischer Friedhof
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Flache, gut asphaltierte Straße. Ein Genuss!

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Nicht mit im Bild: Die Mücken die mich gerade umschwirren.

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Tolle Muster an den Berghängen.

Bis zur Mittagspause wollte ich 45 Kilometer schaffen, doch schon ein Stückchen davor komme ich an einer so traumhaften Stelle an einem Bach vorbei, somit ziehe ich die Pause vor. Dort konnte ich auf glatt-geschmirgelten Steinen sitzen und die Füße ins Wasser halten. Die übliche Portion Ramen gibt es, anschließend sitze ich mit Kindle am Wasser. Zudem gibt es noch zahlreiche Pflaumen, Nektarinen und Äpfel, die ich in Murghab kaufen konnte. Wahnsinn wie sehr mein Körper sich nach frischem Obst sehnt, ich kann mich kaum zurückhalten.

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Mittagspause!
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Am Bach.

Die Sonne knallt hier oben mit höchster Intensität. Es ist zwar nicht wirklich heiß, aber als ich nach einer halben Stunde meine Füße aus dem Fluss hebe, hat diese Zeit gereicht um mir die Füße ordentlich verbrannt zu haben. Nun, wenigstens ist sonst alles okay, ich schmiere mich alle 2-3 Stunden ein hier oben, das hilft. Auch hatte ich so oft von Reisenden mit verbrannten, aufgeplatzten, trockenen Lippen gelesen, dass ich mit Lippensonnenstift unterwegs bin. Dieser hat bisher einwandfrei funktioniert, bis zum Ende der Reise kriege ich keine aufgeplatzten Lippen.

 

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Sagt mal, bin ich verrückt, oder seht ihr das auch?…
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…. Der Berg schaut doch ziemlich skeptisch, oder?

Die Weiterfahrt verschönere ich mir mit Podcasts, es geht um die Entstehungsgeschichte Nordkoreas, Details zum Nordirlandkonflikt, zur islamistischen Revolution im Iran und zur Gründung der PKK, da vergehen die kommenden Kilometer ganz gut, erbauliche Literatur sieht aber irgendwie anders aus. Trotzdem wird es ab 50 gefahrenen Kilometern heute zäh. Die Strecke wird steiler, vom neunten schalte ich nun in den sechsten Gang, zudem setzt ein starker Gegenwind wieder ein. Trotzdem kämpfe ich mich dreieinhalb Stunden weiter, obwohl ich vor dem Mittagessen bereits vier Stunden gefahren war. Aber mir war klar das heute anstrengend wird, es ist der Aufstieg von Murghab zum Ak-Baital-Pass, da geht es nun mal bergauf.

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Blick zurück: Es geht nun immer weiter hinauf.

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Nach 55 Kilometern kam eine alte Karawanserei, welche zur Zeit der Seidenstraße erbaut wurde. Daneben ein paar kirgisische Jurten, die als Homestay und Touristenbespaßung dienen. Schnell kommt ein Jugendlicher an und will mir anbieten auf seinem Kamel reiten zu dürfen. Ich sage, dass ich mein eigenes Kamel dabei habe und zeige auf mein Fahrrad. Lachend reitet der Jugendliche wieder davon und ich schwinge mich wieder aufs Rad.

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Karawanserei

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Dung wird als Brennstoff getrocknet

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Yaks

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Marco-Polo Schaf

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Ich fahre relativ lange am Sicherheitszaun entlang, der den Beginn der chinesischen Sicherheitszone dahinter markiert. Entgegen vielen Berichten handelt es sich hierbei nicht um die wirkliche chinesische Grenze, sondern Tadschikistan hat im Jahre 2011 China 1000 Quadratkilometer ihres Staatsgebietes als Sicherheitspuffer überlassen, vorangegangen war ein Streit über Dekaden, bei dem China deutlich mehr Land gefordert hatte. (Quelle: https://www.bbc.com/news/world-asia-pacific-12180567 und https://web.archive.org/web/20110116030345/http://timesofindia.indiatimes.com/world/china/Chinas-area-increases-by-1000-sq-km/articleshow/7269616.cms )

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So viel Wasser, nachher werde ich noch länger danach suchen müssen.
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Die Berge ringsum werden höher
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Der Sicherheitszaun
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Dahinter: Chinesisches Staatsgebiet

Ich dachte der Zaun kommt erst nach dem Pass, aber auch heute fährt man dran vorbei. Es ist ein durchgehender Stacheldraht-Zaun, der von einem Jeep-Pfad flankiert wird. Aufwendige Überwachungstechnik sucht man vergebens, ich kann jedoch nicht sagen ob dahinter Bewegungsmelder vergraben sind. Ich bin mir ziemlich sicher, bei Übertritt wären in 20 Minuten ein paar Jeeps mit äußerst unkooperativen chinesischen Soldaten an Bord vor Ort. Ich probiere es lieber nicht aus.

Die Landschaft präsentiert sich jedoch heute wieder in ihrer vollen Schönheit. Teilweise leuchten die Berge in tiefstem Rot, bei anderen Bergen sah man die Schichtung der Gesteinsschichten, an anderen Stellen hat das herablaufende Schmelzwasser und Schnee wahnsinnige Muster auf den Bergen hinterlassen.

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Muster von der Schneeschmelze

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Heute erwarten mich erneut zahlreiche Murmeltiere, die in der Mittagshitze lagen und sich sonnten, die waren wirklich nicht glücklich über meine Störversuche. Laut quickend rennen sie dann zum Bau, von wo aus ich kritisch beäugt werde.

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Zum Tagesende wandelt sich die Farbe der umliegenden Berge, zu den roten kommen nun auch grüne und sehr staubfarbene dazu. Auch wenn ich jetzt am Fuße des Ak-Baital-Passes stehe, man sieht nicht so wirklich wo der Weg lang geht und wo morgen der Pass sein wird. Der Ak-Baital-Pass führt nicht über den höchsten Punkt eines Bergrückens, sondern ist durch Sprengungen und Grabungen in den Berg eingelassen, so sieht man die Straße von hier unten schlecht. Aber zumindest die grobe Richtung steht fest.

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Streckenweise wird der Weg schlechter, doch nie für lang.

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Ziegenherde

Ich komme an ein paar schönen Campingplätzen vorbei, wollte aber noch ein bisschen weiter. Jeden Höhenmeter den ich heute schaffe, muss ich mich morgen nicht hoch zum Pass quälen. Den ganzen Tag habe ich Bäche und Flüsse neben mir gehabt, doch jetzt wo ich einen Zeltplatz suche, ist plötzlich kein Wasser mehr aufzufinden, alle Bachläufe sind vertrocknet. Man sieht es der Landschaft an, dass hier im Frühsommer, wenn die Schneeschmelze einsetzt, die Hölle los sein muss, überall stehen befestigte Wasser-Ableitungen, teilweise sogar mit künstlich angelegten Wellenbrechern, die wohl versuchen sollen die Kraft des Stroms zu verkleinern und das Wasser auf der Ebene zu verteilen. Zudem sieht man kaputte Brücken, die dem Wasserdruck zum Opfer gefallen sind. Doch jetzt, da liegt alles komplett verwaist und vertrocknet.

Ich wollte nach 63 Kilometern heute aufhören, da ich aber gerne neben einem Gewässer zelten will, fahre ich weiter. Nach 68 Kilometern, wobei die letzten wirkliche Quälerei waren, finde ich nun ein kleines Bächlein abseits der Straße. So schiebe ich mein Fahrrad zum Ufer, das dürfte heute die Campstelle sein, die am weitesten von der Straße entfernt ist, die letzten Tage musste ich nicht so weit laufen.

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Dafür ist der Zeltplatz toll, neben dem kleinen Bach ist eine saftig-grüne Wiese fürs Zelt, und auch die Heringe halten im Boden super. Dafür muss ich sie heute zur Abwechslung auch mit einem Stein einschlagen. Auch liegt der Platz windgeschützt in einer Kuhle, mit Blick auf die umliegenden Berge.

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Kleiner Bachlauf
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Der Bach entspringt dem Schneefeld rechts oben auf dem Berg

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Ich bin heute früh in Murghab auf 3620 Metern gestartet, nun bin ich auf 4330 Meter, habe also über 700 Höhenmeter bergauf geschafft. So habe ich morgen bis zum Ak-Baital-Pass nur noch um die 300 Höhenmeter zu absolvieren. Diese verteilen sich allerdings auf ziemlich kurze 8 Kilometer, es wird morgen also nochmal richtig steil werden. Nun, wird schon irgendwie klappen. Seit Wochen zerbreche ich mir den Kopf über den Ak-Baital-Pass und nun wo ich es bis hierher geschafft habe, bin ich ziemlich entspannt. Wird machbar und wenn nicht, dann schiebe ich halt zwei Kilometer.

Ich habe wie vorhin schon beschrieben deutlich weniger Verkehr auf der Straße mitgekriegt. Heute habe ich mitgezählt: Insgesamt haben mich 34 motorisierte Fahrzeuge überholt, ich vermute das hatte ich auf dem Weg nach Murghab schon allein an LKWs, ohne die PKWs zu zählen. Und das ist natürlich nichts verglichen mit dem Verkehr unten am Panj. Man merkt also, dass hier deutlich weniger Verkehr unterwegs ist.

Ich gönne mir noch eine Katzenwäsche am Bach, es ist jedoch ziemlich kalt, lang halte ich das nicht aus.

Ich bin ja heute früh vollbepackt in Murghab los, Essen für mehrere Tage, Gemüse, Konserven und auch mit sechseinhalb Liter Wasser und einem Liter Benzin. So gönne ich mir zum Abendessen leckere Pasta mit der schweren Tomatensoße aus der Glasflasche. So baut man Gewicht ab. Wobei, die Glasflasche muss ich ja trotzdem wieder mitnehmen morgen. Dazu gibt es Paprika und Gurken. Besonders die Gurken sind putzig klein, kein Vergleich mit den gezüchteten Gurken die man hierzulande im Supermarkt findet.

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Es dauert ewig bis das Essen zubereitet ist, auf 4300 Metern kocht das Wasser zwar früher, jedoch brauchen Nudeln bei ca. 80°C doch deutlich länger, bis sie essbar al dente sind. Doch das Essen schmeckt vorzüglich und wird komplett aufgegessen. Anschließend mache ich mir noch einen vollen Topf Tee. Ich kann hier das Wasser direkt aus dem Bach nehmen, bis auf mögliche Verunreinigung durch die Murmeltiere dürfte es sauber sein und wird ja zum Teekochen abgekocht. So brauche ich nicht meine Trinkwasservorräte anbrechen, kann für die Nudeln und den Tee einfach das Wasser aus dem Bach nutzen. So habe ich für den Passaufstieg morgen noch 3 Liter übrig, evtl. werde ich in der Früh noch ein bisschen Wasser filtern.

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Der Tee ist hochwillkommen, es ist nämlich bitterkalt geworden hier oben. Die Sonne ist hinter den Bergen verschwunden und das Zelt liegt nun im Schatten, wobei mir schnell die Kälte in die Knochen kriecht. Am Abend zeigt mein Thermometer 8°C an, dies verändert sich sicher noch mal in der Nacht. Doch mein Schlafsack ist dick und warm, da brauche ich mir keine Sorgen machen. Und es bleibt das Hochgefühl auf 4-3-0-0-Metern zu campen! Wenn es mich nicht irgendwann in den Himalaya oder in die Anden zieht, werde ich wohl nie einen höheren Schlafplatz haben. Die Höhe macht mir dabei erstaunlich wenig aus, ein leichter Kopfschmerz am Abend, aber sonst nichts.

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Abendstimmung am Camp, schnell wird es kalt.

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Ich habe heute 69 Kilometer hinter mich gebracht und wenn ich morgen den Anstieg bis zum Ak-Baital-Pass hinter mich gebracht habe, geht es mehrheitlich bergab bis zum See Karakul. Zwar wurde ich vorgewarnt dass die Straße ziemlich schlecht wird, aber wenigstens Bergab.

Nach einem kurzen Blick auf die Sterne (bei diesen Temperaturen kann ich mich noch zu einer kurzen Fotosession überwinden, anschließend krieche ich in meinen Schlafsack.
(Und erneut wünsche ich mir, dass mir jemand die Bildbearbeitung für Nachtaufnahmen beibringt 😉 Es sah nämlich in Echt hundertmal besser aus. Besonders die Milchstraße mit nacktem Auge zu sehen ist fantastisch.

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