Ein Klick auf das jeweilige Bild vergrößert die Ansicht. Wir befinden uns heute auf dem türkisen Tourabschnitt Nr. 15.
Der gestrige Abendausklang verlief höchst entspannt bei Tee, Serien und einem guten Buch auf dem Kindle. Nachts wurde es dann ziemlich kalt, auch ein wenig Regen gab es.
Der Morgen weckt mich mit wundervollem Sonnenschein und nach dem eisigen Abend gestern: Hitze im Zelt. Ein schnelles Frühstück im Vorzelt, dann trete ich heraus und habe sofort die Sonne im Gesicht. Ist ja fast schon zu heiß, was ist denn heute los? Schnell besinne ich mich darauf, dass es in Deutschland wahrscheinlich weiterhin über 25°C sind, da genieß ich das Wetter hier mal lieber.
Nach dem Zusammenpacken der Ausrüstung (Das Zelt lässt sich Solo ähnlich scheiße zusammenpacken wie aufbauen 🙁 ), steht nun das Kernstück des Tages an:
Gleich hinter dem Zelt gilt es bis zur Passhöhe des Vássjábákte aufzusteigen, um auf der anderen Seite durchs Skájdásvágge, einem steilen Tal bis zum Bastavágge abzusteigen. Knapp 400 Höhenmeter erwarten mich, und so stapfe ich ausgeruht, aber mit dem immer noch sauschweren Rucksack los. Die erste Hälfte des Aufstiegs ist noch flacher, die zweite Hälfte jedoch verrückt schräg. Ich kämpfe mich über Blockfelder hoch und verschwinde schnell in vorbeiziehenden Wolken oder Nebelschwaden.
Ohne Sonne und mit dem auffrischenden Wind hier oben wird es schnell empfindlich kühl, trotzdem laufe ich im T-Shirt weiter, dank körperlicher Anstrengung bleibt mir warm. Spätestens im letzten Drittel muss ich alle 20 Schritte Pause machen, um wieder zu Atem zu kommen. Zudem wackele ich auf den teils losen Steinblöcken ganz schön hin und her. Die zahlreichen Kilometer über Blockfelder am Vortag haben da als Übung wohl geholfen. Gestern bin ich ohne Sturz oder umknicken vorangekommen, witzigerweise habe ich es erst abends im Zelt geschafft mir wehzutun, als ich mich im Eingangsbereich mit viel Schwung hab hinplumpsen lassen und es dabei geschafft habe mit der Kniescheibe auf dem einzigen spitzen Stein zu landen. Tja doof, aber passiert. Das Knie fühlt sich heute noch ein wenig geprellt an, es geht aber trotzdem voran.
Nach knapp einer Stunde bin ich oben angekommen, wobei es keinen konkreten Gipfel hier gibt, mich erwartet stattdessen eine flache Ebene. Auch wenn der Aufstieg nicht lang war, mit dem Rucksackgewicht war es doch anstrengend und so macht sich Erleichterung und ein wenig Stolz breit, es in der Früh gleich geschafft zu haben.
Eine Pause auf einem Stein genehmige ich mir deshalb gleich, dabei geht es dem ersten Müsliriegel des Tages an den Kragen. Bisher im Blog unerwähnt ist auch mein selbstgemachtes Beef Jerky geblieben, welches hier oben gleich dreimal so gut schmeckt. Ein halbes Kilo hatte ich zu Tourenbeginn dabei, und mit ein wenig taktischem Haushalten hält es dann schließlich auch bis zum letzten Wandertag. Sogar vier Geschmacksrichtungen habe ich mir diesmal angefertigt, wobei die Sojasaucen-Variante ebenso wie die Whiskey-Soße geschmacklich ganz klar vor der Teriyaki-Version und der Süßsauer-Version ins Ziel kommen.
Plötzlich wird die Wolke, die das Plateau bedeckt, verblasen und damit werden herrliche Blicke auf das Ähpár-Massiv in nördlicher Richtung möglich. Dieser Blick blieb mir letztes Jahr bei der Übersteigung verwehrt, da hielten sich die Wolken.
Nach der Pause geht es an den langen, langen Abstieg. Musste ich 400 Höhenmeter aufsteigen geht es auf der anderen Seite nun ganze 800 Höhenmeter bergab, da das Basstavágge deutlich tiefer liegt als mein Anstieg an der Felskante des Rapadalen.
Jeder Muskel ist angespannt um die Balance zu halten. Stellenweise laufe ich über ein längeres Schneefeld, was deutlich angenehmer zu begehen ist. Dort kann ich das steilere Stück sogar in Skifahr-Stellung herunterrutschen, die mehrfache Übung bei einer diesjährigen Wanderung um den bayrischen Königssee, wo zahlreiche Schneefelder zu überqueren waren, macht sich bezahlt. Spannenderweise kann ich in eine Spalte im Schnee blicken und erkenne dadurch, dass das Schneefeld stellenweise immer noch mehrere Meter dick ist. Angesichts des verrückt heißen Sommers in Schweden ist dies wirklich unglaublich, ich wüsste gern wie dick die Schneeschicht im Winter ist.
Der Abstieg danach bleibt weiterhin steil, ich bin also wirklich froh dieses und letztes Jahr in dieselbe Richtung unterwegs zu sein, und nicht den steilen Anstieg in die Gegenrichtung aushalten zu müssen.
Zum Ende hin wird es noch einmal spannend: Ich bin bisher über eine Gebirgszunge abgestiegen, wobei westlich und östlich davon zwei Flüsse hinabfließen, die von den höhergelegenen Gletschern gespeist sind. Am Ende der Zunge vereinigen sich beide Flüsse, dort muss also zwangsläufig der Fluss gequert werden. Fun Fact: Der Name Skájdásjvágge bedeutet „Tal zwischen den Bächen“, der Name ist also Programm. Im letzten Jahr ging die Querung via einer ziemlich unterschwemmten Schneebrücke (Nachzulesen an diesem Tag), und so bin ich gar nicht erstaunt als jetzt, 2 Monate später als bei der letztjährigen Tour, keine Schneebrücke mehr zu sehen ist.
Stattdessen bestaune ich wie sich zwei verschiedenfarbige Flüsse (je nach Sedimentgehalt) ineinander vereinigen und Talwärts donnern. Das Wasser ist auf alle Fälle reißend, durch die Sedimente lässt sich die tatsächliche Tiefe auch schwer ausmachen.
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Wanderstiefel, Socken, Gamaschen und Hose aus, diese zusammen mit der Kameratasche im Rucksack verstauen. Crocs an, Trekkingstöcke verlängern und dann geht es los. Davor habe ich jedoch noch das Satellitentelefon, welches ich in einer wasserdichten Tupperdose transportiere, mit einer Schnur versehen und mir um den Hals gehängt. Ich weiß noch letztes Jahr wie ich mir bei der Querung desselben Flusses weiter unten im Tal dachte „wenn jetzt was passiert wird es richtig doof, du wirst keine Möglichkeit haben um Hilfe zu rufen“. Mit aus diesem Grund will ich nun nicht riskieren, dass das Telefon im Rucksack verbleibt, welchen ich im Ernstfall bei einer missglückten Querung abwerfen müsste.
Hatte ich vor genau dieser Flussquerung jetzt eine Zeitlang Sorge, stellt sie sich als gut machbar heraus. Es ist zwar schweinekalt an den Füßen und die Strömung zerrt ganz schön an mir. Dafür ist es nur an einzelnen Stellen mehr als knietief und auch nicht sonderlich breit und so stehe ich schnell auf der anderen Seite und mache mich wieder losgehbereit. Diesmal gibt es noch eine ordentliche Runde Füße verarzten, die Blasen werden nämlich nun Tag für Tag schlimmer.
Der Rest des Abstiegs zieht sich zwar, lässt sich aber gut bewältigen. Nach Ankunft im Basstavágge mache ich erstmal Mittagessen in Ruhe, bereite mir dazu ganz entspannt meine Ramennudeln zu und genieße den Ausblick in dieses hochalpin anmutende Tal. Schon von weitem sehe ich einen einzelnen Wanderer, der das Tal in meine Richtung hinaufzieht.
Gen Ende meiner Pause fängt es an zu tröpfeln, es ist die letzten Stunden schon deutlich zugezogen am Himmel, vergessen ist der Sonnenschein von heute früh. Nach dem Loslaufen muss ich schnell erneut anhalten um mir meine Regensachen anzuziehen.
Deswegen ist die Begeisterung wirklich verflogen, als ich nur einen Kilometer später vor einem weiteren Bachlauf stehe, wo ich keine Steine zur Querung finde. Um durch den Bach zu kommen, der vom Gletscher des Lulep Basstajiegna herabfließt, muss ich somit wieder alles ausziehen. Als ich auf der anderen Seite gerade fertig bin mit dem Wiederanziehen, erreicht der Wanderer vom Mittagessen auch den Bach. Ich warte also noch ein wenig und zeige ihm die Stelle an der ich gequert bin.
Auf der anderen Seite begrüßen wir uns, der Wanderer heißt Ingmar und ist ein Rentner aus Südschweden. Nachdem auch er seine Ausrüstung wieder angezogen hat, gehen wir gemeinsam weiter, schließlich habe ich seit knapp 40h keine weitere Menschenseele gesehen.
Ich bin wirklich von ihm fasziniert, er hat heute seinen ersten Tag im Sarek, will dort insgesamt 10 Tage verweilen. Leichtes Gepäck hat er, vor allem verglichen zu mir, er schleppt nur 16 Kilo auf dem Rücken. Dafür hat er meinen vollsten Respekt, denn er ist inzwischen 75 Jahre alt. Seine Frau ist wohl keine Wanderin, deswegen teilen sie sich einmal im Jahr auf, er geht auf Wanderurlaub und sie macht Wellness-Urlaub, wie er süffisant angeekelt berichtet. So frage ich ihn auch schnell, ob er schon einmal im Sarek war. Die Antwort hätte ich mir fast denken können: „Na klar, ich war 1976 hier, ich bin ja erstaunt dass es dieses Mal einen so klaren Pfad im Tal gibt“. Mensch, die Schweden mal wieder. Ich kann mir kaum ausmalen wie eine Wandertour im Sarek in den 70ern war. Kein Gore-Tex, keine leichten Silnylon-Zelte und ich vermute auch der Proviant war deutlich schwerer als die heutigen Nudelfertiggerichte.
So vergeht die Zeit beim Wandern mit ihm wie im Flug. Auch im Regen und Starkwind bleibt dieses Tal wunderschön, stellenweise läuft man über sehr schotterigen Untergrund, teilweise wieder über kurze Gras-Abschnitte oder Sedimenthügel.
Der Reiseführer schreibt dazu: „[Das Basstavágge] bietet den am deutlichsten ausgeprägten hochalpinen Charakter unter den Haupttälern des Sarek, Die Vegetation ist durchweg dürftig, an der Wasserscheide […] überwiegt Schotter. […] Früher galt es bei den Samen als ein magisches Tal, man hielt es für unheimlich und es bildete sich ein spezieller Kult aus. Nur die Nåjder, die samischen Priester, zogen mit ihren heiligen Trommeln durch das Tal während die übrigen Menschen sowie die Rentiere östlich des Ähpár-Massivs blieben.“
Wir laufen auf den Basstavárásj zu, der wie ein Bremsklotz in der Talmitte steht. Kurz danach stehen wir auch an der Wasserscheide des Tals, also dem höchsten Punkt. Die Flüsse fließen entweder ostwärts (die Richtung aus der wir gerade kamen) oder westwärts, aber für ein Stückchen laufen wir genau in der Talmitte ohne Wasser.
Wir kommen recht schnell an den Gletscher Alep Basstajiegna, aus dem der Alep Basstajåhkå-Fluss entfließt.
Dieser sammelt auf seinem Weg zahlreiche weitere Abflüsse von den umliegenden Bergen ein und wird so im weiteren Verlauf des Tals immer reißender. Aus diesem Grund sollte man bereits hier oben im Tal das Gewässer queren, sofern dies für den weiteren Weg notwendig ist. Da Ingmar am Ende des Tals nach Süden abbiegen will, muss er nun über das Gewässer, ich werde auf der Nordseite des Tals weiter laufen und kann so von einer Querung absehen.
So stehe ich noch kurz am Ufer und beobachte Ingmar bei der Querung, die zur breitesten des heutigen Tages gehört und auch hier mit viel Druck fließt. Bereit bin ich ja in die Fluten zu springen und ihm zu helfen, sollte dies notwendig sein, doch Ingmar zeigt sich als wahrer Profi (vielleicht haben die Schweden das im Blut) und ist schnell auf der anderen Seite. Wir winken uns noch einmal zu und er läuft am Ufer entlang auf der Suche nach einem Rastplatz für die Nacht.
Mir reicht es nach dem anstrengenden Tag heute auch völlig und so gehe ich ca. zweihundert Meter zurück, wo wir über eine Sandbank gelaufen sind. Hier baue ich mein Zelt auf, schön umrahmt von jeder Menge Wollgras. Bei all dem böigen Wind ist der Aufbau jedoch eine recht schwierige Angelegenheit, die viel Zeit kostet und kalte Finger beschert.
Der Blick auf den Alep Basstajiegna Gletscher ist ebenso famos, wenn auch ein wenig traurig. Anfang des 20. Jahrhunderts ging dieser Gletscher nämlich noch bis zur Talmitte, nun hat er sich bereits gehörig in das Seitental zurückgezogen.
Im Zelt gibt es zum Aufwärmen Kartoffelpüree, dann zwinge ich mich zu einer mehr als notwendigen Katzenwäsche im kalten Alep Basstajåhkå. Wie beschrieben kommt das Wasser direkt aus dem Gletscher, dementsprechend ist das ganze Erlebnis eher unangenehm, verbunden mit dem Nieselregen und starken Wind.
Markus dürfte heute Abend in Saltoluokta, der letzten Hütte auf dem Weg angekommen sein. So versuche ich mehrmals am Abend mit dem Satellitentelefon Empfang zu bekommen. Doch mit dem Basstavárásj direkt vor der Nase klappt es nicht ein freies Sichtfeld nach Süden hinzukriegen, und somit empfängt das Telefon auch keine Signale. Dieser Berg wurde früher von den samischen Priestern als seite, als heiliger Fels, verehrt. Nun, nun heiligt er weiterhin meinen digital Detox, ich gehe auch ohne Satellitenempfang fröhlich ins Bett.