[Tag 1] Von Kulob ab in die Berge

8. Juli 2019: Busfahrt, dann ~21km Kilometer und 1020 Höhenmeter mit dem Fahrrad.

[Ein Klick auf das Bild vergrößert die Route!]

Um kurz nach 6 Uhr klingelte auch schon der Wecker und ich schlich mich mit meinem Gepäck aus dem geteilten Dormroom, um die anderen schlafen zu lassen.

Miserables Frühstück gehabt, nämlich nur ein bisschen Müsli mit Wasser, alles aufs Rad geladen, ein Startfoto vor dem Green House Hostel geknipst und dann die paar Kilometer zur Busstation gefahren. Es hat sich gelohnt früh loszufahren, so war ich kurz vor halb 8 Uhr schon vor Ort und der Bus ging um 8 Uhr.

IMG_20190708_070132Nachts scheint noch dieses Monster angekommen zu sein.

Abmarschbereit!

Als ich endlich den richtigen Bus gefunden habe, war es schon ein ganz schöner Kraftakt das Rad verladen zu kriegen. Auch wenn es moderne Reisebusse waren, viel Stauraum war im Bus nicht, und bis mein Rad da rein bugsiert war, bedurfte es zahlreicher anpackender Hände. In dem Moment gebe ich mein Transportmittel und liebsten Besitz in fremde Hände und stehe immer leicht fassungslos am Rand während am Fahrrad gezerrt und gedrückt wurde. Als ich in Kulob ankam merkte ich, dass sie unterwegs noch mal ungepackt hatten, mein Rad lag nun flach am Boden und darauf waren dutzende Taschen und Koffer gestapelt, zum Glück hat es das Rad doch klaglos ausgehalten.

Schnell springe ich ins Busterminal, um mein Ticket zu kaufen (2 Stunden Fahrt für 3,50€!), nach all der schweißtreibenden Arbeit in der Früh kaufe ich noch schnell eine kalte Flasche Wasser für die Reise und bin dann abfahrbereit.

Die Fahrt beginnt verspätet, die Eltern von einem jungen Kind sind wohl nochmal ausgestiegen und sich nicht auffindbar bei Abfahrt, was den kleinen Jungen zu schrecklichen Heulkrämpfen veranlasste. Doch schließlich waren die Eltern eingeladen und so begann eine langsame Fahrt aus Duschanbe heraus, gefühlt hielten wir an jeder Straßenecke um Leute noch einzuladen.

Neben mir saß ein Jugendlicher, der ein paar Worte Deutsch konnte, weil Familienangehörige von ihm wohl derzeit in Deutschland arbeiten. Als er merkte, dass wir nicht wirklich weiter kamen tauschte er den Sitz mit seinem Cousin, der einwandfreies Englisch sprach. So haben wir uns den Rest der Fahrt angeregt unterhalten, er hat mir viel über das Schulsystem und das Leben in Duschanbe erzählt, aber auch mich viel über Deutschland gefragt. Er wiederholte dutzende Male, wie sehr er sich freut sein Englisch üben zu können, da er vor hatte (wie fast alle) nach der Schule für die Arbeit ins Ausland zu gehen. Er selber war 16 Jahre alt, sah aber seine Zukunft außerhalb des Landes. Ein klarer Trend zeichnet sich in den Gesprächen ab, alle versuchen das Land zu verlassen und auch alle haben bereits Verwandtschaft im Ausland.
Laut Studien des Bertelsmann Transformation Index zu postsowjetischen Staaten stammt 43% des tadschikischen Bruttoinlandsprodukts aus Überweisungen aus Russland, wo die Mehrheit der Gastarbeiter_innen leben. Eine gewaltige Anzahl und überlebenswichtig für die Bevölkerung die im Heimatland verblieben ist, sowie für den Staat an sich.

Der Jugendliche neben mir hat irgendwann erwähnt, dass der Durchschnittslohn so um die 1000 Somoni im Monat (=knapp über 100$) beträgt, in Perspektive dazu habe ich also knapp ein Viertel des Monatslohns im Supermarkt gestern gelassen, kein Wunder dass keiner in dem teuren Supermarkt mit westlichen Produkten einkauft.

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Nurek-Staudamm
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Nurek-Staudamm

Der Kontakt mit dem Jugendlichen war sehr nett, er hat auch die Durchsagen vom Fahrer übersetzt, so haben wir eine schöne Pause am Nurek Staudamm gemacht, der einzigen wirklichen Sehenswürdigkeit an der Strecke. Nachdem dann auch gleich ein Reifen am Bus gewechselt werden musste fiel die Pause doch ein wenig länger aus.

[Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

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Hier zeige ich euch Fotos vom wunderschönen Nurek-Staudamm, zudem ist die Straße wunderbar asphaltiert und gar nicht so bergig. Vielleicht sollte ich also erklären, warum ich 3 Stunden mit dem Bus nach Kulob fahre und nicht meine Radtour am Hostel in Duschanbe begonnen habe. Es gibt dafür eine Vielzahl kleine Gründe und einen großen Grund:

  • Von Duschanbe sind es 200 Kilometer nach Kulob. Das wären mindestens 2 volle Tage auf dem Rad gewesen.
  • In diesen niedrigen Höhen ist es unfassbar heiß, 2 Tage Radfahren bei über 40° C im Flachland, das muss nicht sein.
  • Die Landschaft ist vom Staudamm abgesehen nicht so spektakulär, lieber will ich mehr Zeit im Pamir haben, als zum Ende hin hetzen zu müssen.
  • Hier gibt es noch Busse, die regulär fahren, ein überspringen dieser Sektion war also ziemlich einfach. Später auf der Route fahren nur noch vollbesetzte Mini-Busse, in die mein Rad nicht mehr reinpasst. Diese fahren ohne Zeitplan.

Doch nun zum wichtigsten Grund und als einleitende Worte muss ich sagen: Mama, du musst jetzt stark sein! Eine Sache habe ich bei 7 Monaten Reisevorbereitung dir wohlweißlich verschwiegen. Und obwohl ich ziemlich überrascht bin, dass du es beim googlen nicht selber gefunden hast, ich bin erleichtert dass bis jetzt Unwissenheit herrschte und du mich nicht am Flughafen Frankfurt abgefangen hast, um mich an eine Laterne zu ketten.

Am 29. Juli 2018, also fast genau ein Jahr vor meiner Reise nach Tadschikistan waren 7 Radtourist_innen aus den USA, den Niederlanden, der Schweiz und Frankreich unterwegs auf dieser Route. Sie hatten sich mehrheitlich in Duschanbe kennengelernt und beschlossen einen Teil der Route zusammen zu absolvieren. Nahe der Stadt Danghara, der Geburtsstadt des Präsidenten und knappe 100 Kilometer von Duschanbe entfernt, passierte dann folgendes:
Ein Auto fährt von Hinten an die Radgruppe heran, beschleunigt merklich und fährt gezielt in die Gruppe hinein. Nach einer Vollbremsung springen die 5 Insassen des Wagens heraus und gehen mit Macheten und Äxten, unter „Allahu Akbar“-Rufen auf die verletzten, auf dem Asphalt liegenden Radfahrer_innen los, bevor die Attentäter davon brausen.
Im Verlauf der Ermittlungen stellt sich heraus, dass diese Männer durch Zufall bei einer Tankstelle mit den Radfahrenden in Kontakt kamen, als diese auf die Frage „Where are you from?“ mit „America and other States“ antworteten, wurden sie als Anschlagsziel auserkoren.

Die 5 Angreifer waren Tadschiken, teilweise nur Tage vor dem Anschlag aus Russland zurückgekehrt. In einem veröffentlichten Video erklären sie ihre Verbindung zum Islamischen Staat und bezeichnen sich als Djihadisten im Namen Abu Bakr al-Baghadi, dem IS-Kalifen. Das Video wird posthum veröffentlicht, denn in einer anschließenden Jagd durch Polizei und Militär werden 4 der 5 Angreifer in einer abgelegenen Stadt, ein paar Stunden vom Anschlagsort entfernt, gestellt und von der Polizei getötet. Das ist, wie schon gestern im Blog dargestellt, ein typisches Vorgehen für tadschikische Verhältnisse. Ein Täter kann festgenommen werden.

Bei den getöteten Radfahrenden handelt es sich um Jay Austin und Lauren Geoghegan, beides amerikanische Staatsangehörige, René Wokke, einem Niederländer und Markus Hummel aus der Schweiz. Ein Schweizer und eine Niederländerin überleben verletzt und werden im Krankenhaus behandelt. Ein Franzose hat den Anstieg vor dem Anschlagsort langsamer absolviert und wurde so von der Gruppe getrennt, weshalb er nicht angegriffen wurde. Er erlebte noch wie das verbeulte Auto der Attentäter an ihm vorbei die Flucht ergriff.

Da dieser Angriff westliche Personen betraf, gab es dutzende Zeitungsberichte. Es war der erste IS-Angriff auf tadschikischem Boden. Mit dem Ziel Tourist_innen anzugreifen hat es auch in Tadschikistan einen empfindlichen Punkt getroffen, da der Tourismus gerade im Entstehen ist, jedoch auch prozentual stark zunimmt und vielen Menschen in der Region eine Lebensgrundlage gibt. Sicherheitsexpert_innen reagierten jedoch mit wenig Verwunderung ob des Anschlags. Prozentual zur Bevölkerung gesehen stellt Tadschikistan eine der größten Abordnungen von Kämpfer_innen beim IS im Irak und Syrien, wobei befürchtet werden muss, dass zahlreiche Personen davon wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. (Siehe hier: https://www.deutschlandfunkkultur.de/tadschikistan-der-islamische-staat-im-anmarsch.979.de.html?dram:article_id=339785 ) Auch zielen die Repressionen des tadschikischen Präsidenten auf die Bevölkerung als Ganzes, aber speziell auch auf die muslimische Mehrheitsbevölkerung ab. Personen unter 18 Jahren dürfen nicht an religiösen Zeremonien teilnehmen, Personen unter 35 ist die Haji, die Wallfahrt nach Mekka, verboten. Frauen dürfen keinen Hijab tragen, Männer keine Vollbärte. Kinder dürfen keinen arabischen Namen erhalten.

In einer sehr guten Analyse der Ereignisse (auf English) beim Zentralasien Travelblog Caravanistan heißt es bezogen auf die immer repressivere Politik im Land: „In short: Tajikistan became a pressure cooker with no way to let the steam off.“ (Zu Deutsch: Tadschikistan verwandelte sich in einen Schnellkochtopf, ohne eine Möglichkeit Dampf abzulassen). Der Beitrag findet sich hier und ist sehr lesenswert: https://caravanistan.com/letter-from-the-silk-road/danghara-attack/

Auch die New York Times hat dem Anschlag einen 40 Minütigen Videobeitrag gewidmet, in der eine Korrespondentin vor Ort nach den Hintergründen forscht und mit dem festgenommenen, überlebenden Attentäter spricht. Der Trailer dazu findet sich hier, solltet ihr die gesamte Folge sehen wollen, meldet euch bei mir. https://www.nytimes.com/2019/06/21/the-weekly/isis-bike-attack-tajikistan.html

In eben dieser Doku fällt irgendwann der Satz:

„And nine million welcoming Tajiks‘ reputations were ruined.” (Zu Deutsch: Die Reputation von 9 Millionen gastfreundlichen Tadschik_innen war [mit einem Schlag] zerstört).

Dieser Satz ist symptomatisch für meine Überlegungen, ob ich diese Reise überhaupt antrete. Schnell bin ich in den Planungen auf den Anschlag gestoßen und ich überlegte mir wochenlang ob ich bereit war dieses Risiko einzugehen. Tadschikistan ist kein einfaches Land, nebst den Anstrengungen der Reise selber war abzuwägen, ob ich ein autoritäres Regime betreten will, ob ich an der afghanischen Grenze entlangradeln will, wo es angeblich Taliban und Landminen gibt, und eben auch einen IS-Anschlag und die Gefahr von zukünftigen Anschlägen.
Doch schließlich ließ ich mich von einem Bauchgefühl leiten. Die Regierung in Duschanbe hat die Sicherheit noch mal verschärft, was mir als Tourist in diesem Falle zu Gute kommt, ein Anschlag in den sehr abgelegenen Gebieten im Pamir ist hochgradig unwahrscheinlich. Auch bin ich allein unterwegs, gebe also ein weniger lohnenswertes Ziel ab. Ähnlich wie die zwei getöteten Amerikaner_innen, die noch am Tag vor dem Anschlag auf ihrem Blog schrieben, dass sie begeistert sind von der tadschikischen Gastfreundschaft sind und fest daran glauben, dass nur eine Minderheit der Menschen auf diesem Planeten böse sind, will ich auch daran glauben. Ihnen hat es nicht geholfen, aber mir soll es als Handlungsmaxime dienen. Ich muss gestehen, die ersten Tage habe ich beim Radfahren noch ein mulmiges Gefühl, auch weil man wirklich bei jeder Begegnung gefragt wird „where are you from?“, mit der Zeit entspanne ich mich aber. Zur Hölle, ich kann auch auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin mein Leben lassen, ich überarbeite diesen Blogpost eine Woche nach dem rechtsextremen Terroranschlag von Halle (Saale), wo ich unter der Woche arbeite. Ich will meine Urlaubspläne und meine Erkundung der Welt nicht davon abhängig machen, ob ich irgendwo einer Gewalttat zum Opfer fallen könnte, da bleibt ja nur noch meine Couch als sicherer Ort übrig. Und ja, diese Textstelle dürft ihr gerne zitieren, wenn mir je was passiert. Ob mich Menschen dann als leichtsinnig bezeichnen (so wie Jay und Laurens Blogeintrag nach ihrem Tod als leichtsinnig und naiv bezeichnet wurde) ist mir freilich egal, ich habe dadurch wenigstens was gesehen und mich aus meine Komfortblase herausbewegt.

So, nun aber zurück zu meinen Überlegungen für die Busfahrt. Neben oben genannten Gründen war es mir tatsächlich mulmig bei dem Gedanken, an dieser Stelle vorbei zu radeln. Hier liegen noch zahlreiche größere Städte am Wegesrand, wenn so etwas erneut passiert, dann wohl hier. Verbunden mit den anderen Gründen zu Hitze, Zeitaufwand etc, gibt dies den Ausschlag für eine Busfahrt. Wir kommen dabei auch an einem Gedenkort für die Radfahrenden vorbei, den ich leider bei Fahrtgeschwindigkeit nicht fotografiert kriege, weshalb ich hier ein Foto aus dem Netz beifüge.

(Quelle: https://static01.nyt.com/images/2019/06/24/autossell/NYTW_COLLISON_NYT-STILL_BIKE-MEMORIAL-3/NYTW_COLLISON_NYT-STILL_BIKE-MEMORIAL-3-facebookJumbo.jpg )

Mit dutzenden Tadschik_innen komme ich im Laufe dieser Reise über den Anschlag ins Gespräch, alle Verteufeln die Tat und sprechen von der Scham und Wut, die sie über dieses sinnlose Blutvergießen verspüren.

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Stellenweise ist das Land hier ziemlich platt.
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Schleichwerbung 😉

Nach der Ankunft in Kulob habe ich mit Hilfe meines Gesprächspartners das Rad ausgeladen, umringt von dutzenden Schaulustigen auf einem vollgepackten Parkplatz und erschlagen von der vorherrschenden Hitze!

Also schnell alles ans Rad geschmissen und zu einem kleineren Stadtpark gerollt, wo ich in Ruhe (und wichtiger noch: im Schatten!) die letzten Anbauteile wieder ans Rad schrauben konnte und mich auf die Abfahrt vorbereiten. Neugierige Kinder beobachteten mich dabei, immer mal wieder vom vorbeikommenden Polizisten zurecht-geschimpft, dass sie verschwinden sollen und mir Platz lassen sollen. Als ich dabei war meine Sonnencreme aufzutragen kam der Polizist wieder an und forderte mit einer Selbstverständlichkeit von mir Sonnencreme, dass ich fast davon gefahren wäre. Er selbst war am Telefonieren, und hielt mir immer nur wieder die Hand hin, auf dass ich ihm mehr Sonnencreme gäbe. Später in dieser Reise hätte ich das wohl verweigert, zu Beginn war ich noch nicht ganz sicher wie mit staatlichen Autoritäten umzugehen sei, so hat er leider seine Sonnencreme bekommen.

Um dem Trubel möglichst schnell zu entfliehen habe ich mich aufs Rad geschmissen und habe die Tour begonnen. Bereits nach 400 Meter Fahrstrecke schaffe ich es meine Abbiegung zu verpassen und muss ein paar hundert Meter zurück fahren. Na, hoffentlich ist das kein böses Omen für den Rest meiner Reise 😀 Wobei der Pamir Highway im weiteren Verlauf auch die einzige Straße weit und breit ist, das sollte also hoffentlich klappen…

Kulob war wirklich nicht schön, viel Verkehr, knallend heiß und viele Menschen. Nachdem ich die richtige Abbiegung gefunden habe, hieß es dieselbe Straße bis Tagesende zu fahren, an sich bleibe ich auf dieser Straße knappe 500-600km bis Khorogh. Es ging sofort Bergauf, weshalb vielleicht eine Erklärung zur heutigen Route angebracht ist: Die Straße führt die nächsten Tage immer am Fluss Panj entlang, welcher in einem Bergtal läuft und den Grenzfluss zu Afghanistan auf der anderen Tal Seite darstellt. Nun liegt Kulob nicht in diesem Tal, sondern auf der anderen Seite eines Bergkamms, ich muss also erstmal über den Pass und kann dann ins Panj-Tal abfahren. Das verspricht also einen anstrengenden ersten Tag, es geht nämlich 1400 Höhenmeter von Kulob (600m) zum Pass (knappe 2000m). Und diese 1400 Höhenmeter verteilen sich auf nur rund 25 Kilometer Wegstrecke.

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Die ersten paar Meter auf dem Rad, raus aus Kulob
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Es geht heute gerade aus…
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direkt auf die Berge zu.
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2 Stunden später, rechts bis zu dem Durchgang zwischen den Bergen muss ich noch hoch…
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Blick zurück, hinter den Hügeln liegt Kulob

So strample ich gleich Bergan und kehre, bevor ich überhaupt aus Kulob raus bin, bei einer Tankstelle ein und kaufe eine Flasche kaltes Wasser. Nur wenige Kilometer später wird eine zweite Pause fällig, da mein Fahrradlenker sich durch das Geruckel im Bus gelockert hat, und ich den ordentlich fest ziehen musste. Dabei quatscht mich ein 10-12 jähriger Junge über eine halbe Stunde auf Tadschikisch zu, obwohl ihm recht bald aufgefallen sein dürfte, dass ich kein Wort verstehe. Er versuchte stattdessen dann Sachen drei Mal zu wiederholen oder deutlich lauter zu krakeelen, in der Hoffnung dass ich es dann verstehen würde. So war ich erleichtert mich nach der halben Stunde wieder aufs Rad schwingen zu können und dem Jungen zu entfliehen.

Die Leute am Wegesrand waren jedoch unglaublich freundlich, mir wurde aus Autos und Einfahrten zugewunken, sowie freundlich zugehupt. Viel “Hello, Hello”, “Where you from?”, “Where you going?”, “Ah, Pamir, amazing” und “Dawai, Dawai!” Ein wenig nervte es in der Quantität, mal sehen was ich an Tag 20 dazu sage 😉

Ich bin um etwa 13.30 Uhr in Kulob losgefahren, also zur prallsten Mittagshitze. Selbst nachts im Zelt, als ich diesen Bericht verfasse hat es noch 26° C, laut Wetterbericht war für Kulob in der Mittagshitze 40° C angesagt und mein Tacho mit eingebauten Thermometer sagte in der prallen Sonne (der ich ja die ganze Zeit ausgesetzt war) 57.8° C!! Man merkte richtig wie der Rücken brennt in der Sonne, ebenso wie die Füße vor Hitze anfangen zu kribbeln. Ich habe mich heute auf lange Klamotten beschränkt, einfach aus Sorge mich komplett zu verbrennen, auch ein eingestecktes Tuch unterm Helm hilft gut den Nacken vor der Sonne zu schützen.

Der Weg zog sich höher und höher und höher und ab Kilometer 10 kam ich einfach nicht mehr voran. Da kam vieles zusammen: die Hitze, das ungewohnte Fahrradgewicht, erster Tag auf dem Rad, Schlafmangel, schlechte Ernährung, bis auf das Abendessen gestern habe ich seit Samstagmorgen fast nichts gegessen vor Aufregung, Nervosität und noch mehr Hitze. Nun, wenn unsere Kanzlerin bei offiziellen Besuchen im Sommer zittern kann, dann kann ich das schon lange und so quäle ich mich den Berg hoch. Teilweise fühlt sich die Überhitzung wie ein Kälteschock an, auch ich zittere mir dabei einen ab. Teilweise lenkte ich unkoordiniert und fühlte mich als ob mein Gehirn mit der Aufgabe nicht mehr hinterher kommt. Ich habe jeden seltenen Schatten genutzt, den ich auf dem Weg bergauf passierte, teilweise saß ich am Wegesrand versteckt unter Bäumen oder Büchen.

Ich hab unterschiedliche Pausenkonzepte versucht, kurze und lange Pausen, habe aber gemerkt dass nach einer Minute Weiterfahren die Beine sich doch wieder ziemlich schwach anfühlten. Ab Kilometer 10 brauchte ich so fast jeden Kilometer eine Pause.

Bei Kilometer 12 hatte ich mit zwei Männern gesprochen, die neben dem Feld an einem Traktor werkelten. Sie sprachen zwar kein Wort Englisch, aber ein paar Brocken konnten wir austauschen. Nach einem weiteren Kilometer auf dem Rad überholte mich der Traktor und als sie ganz langsam neben mir her fuhren war klar, dass sie mir eine Möglichkeit zur Mitfahrt geben wollte. So habe ich versucht mich am Heu-Anhänger festzuhalten, was so einigermaßen ging und sie haben mich so zwei Kilometer den Berg hochgefahren. Leider hatte ich dabei das Gefühl das mir der Arm aus der Schulter gezogen wird und auch die Finger taten unglaublich weh, da ich keinen guten Halt finden konnte, ganz davon abgesehen dass an 3 Fingern etwa 145kg hingen. Bei all dem rostigen Metall stimmte mich meine Tetanus-Impfung zu mindestens einigermaßen beruhigt. Nach zwei Kilometern gab ich auf, da es anders aber ähnlich anstrengend war wie selber Rad fahren. Aber wenigstens ein 15km/h Schnitt und kein 6km/h Schnitt, zudem sind die beiden Männer sehr aufmerksam um jedes Schlagloch herumgekurvt.

Später habe ich die Bekanntschaft mit Leuten gemacht, die 200m vor mir mit dem Auto anhielten, den Kofferraum öffneten und mir Brot schenken wollten. So leid es mir tat, ich war habe relativ bestimmt abgelehnt, denn ich habe selbst noch so viel Essen dabei und habe überhaupt keinen Appetit, womit es Verschwendung wäre und ich müsste es alles den Berg hochschleppen.

Zum Ende kam ich noch an einem alleinstehenden Haus am Hügel vorbei, bei dem gerade große Party war und ich wurde sofort herbeigerufen und durfte es mir auf dem Tapchan (dem Metallgerüst mit Kissen im Garten) gemütlich machen. 10 Erwachsene und mindesten 20 Kinder wuselten um mich herum und wir unterhielten uns mit Hand und Fuß. Derweil haben sie versucht mich zu überschütten mit Sachen: Es gab Tee, mir wurde Kefir gereicht und Brot.

Und ich wollte einfach gar nichts, mir war so was von schlecht, ich fand es einfach nur angenehm im Schatten auf deren Polster zu sitzen und wollte eigentlich nur nach hinten umkippen und sofort schlafen. Ich habe in den vorherigen Pausen immer ein bisschen geschlafen.

Habe mich alsbald von der Familie verabschiedet und mich weiter gekämpft, wobei es zum Ende hin immer steiler wurde. Am Anfang des Tages bin ich teilweise im achten oder sechsten Gang gefahren, war ich nun im dritten Gang angekommen. Zum Ende hin ging’s auch wirklich nicht mehr, ich achtete nur noch auf den Weg direkt vor mir. Doch wo in der Entfernung ein Baum stand, den ich in Berlin auf flacher Strecke in vielleicht 30 Sekunden erreicht hätte, kurbelte ich mich hier mit dem Gepäck und schweren Rad 6 Minuten entgegen.

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Abendstimmung, in der Mitte sieht man Kulob leuchten

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Ursprünglich sah der Plan vor die 25km bis zum Pass zurückzulegen und auf der anderen Seite würde es dann bergab gehen, und dort könnte ich mir irgendwo ein schönes Plätzchen fürs Zelt suchen. Da aber die Beine trotz Elektrolytzufuhr nicht mehr wollten, heftig zitterten und ich keine Lust mehr hatte, war schnell klar, dass ich umplanen musste. Eine Idee wäre gewesen einen Laster anzuhalten, stattdessen hatte ich aber noch in Deutschland einen Tipp für eine gute Wiese unterhalb des Gipfels erhalten, diese käme bereits nach 20 Kilometer Wegstrecke. Auch wenn das bedeutet, dass ich morgen noch 5 Kilometer klettern muss, hatte ich mich recht schnell auf die Zeltplatzmöglichkeit eingeschossen. Die letzten 600 Meter bin ich dann tatsächlich gelaufen, die Beine wollten auf den Pedalen einfach nicht mehr.

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Die einzig flache Wiese weit und breit (rechts). Hier kommt heute Abend mein Zelt hin.

Um 19 Uhr kam ich dann an der Wiese an, 21 Kilometer Wegstrecke in 6 Stunden (wobei da natürlich auch Pausen mit eingerechnet sind) sorgen für keinen berauschenden Tempodurchschnitt. Nun, auch wenn ich daheim im Flachland dafür vielleicht eine Dreiviertelstunde brauchen würde, ich kann es nicht vermeiden. So sind die Gefühle abends am Zelt zweigeteilt. Einerseits fühle ich mich als hätte ich versagt, ich habe es nicht mal über den einen mickrigen Pass geschafft, dabei kommen in den nächsten Wochen noch einige Pässe die deutlich mehr Höhenmeter haben und werde mich in deutlich höheren Gebieten befinden, wie soll das klappen wenn ich es hier nicht mal fertig bringe? Bin ich fit genug? War es ein riesiger Fehler hierher zu kommen? Andererseits war es heute ein hartes Stück und ich reagiere extrem empfindlich auf die Hitze. Ich hab wenig gegessen, bin nicht ausgeschlafen, es ist der erste Tag der mir gleich alles abverlangt. Ich habe heute insgesamt 7 Liter Wasser getrunken und war das letzte Mal im Hostel heute früh pinkeln, so stark bin ich am Schwitzen. Ich bin immer noch vollkommen paranoid wenn es um dargereichtes Wasser geht, noch vertraue ich nur gekauften PET-Flaschen und nehme von Fremden maximal Tee entgegen. Auch freue ich mich über die Erlebnisse des ersten Tages und die Herzlichkeit der Menschen. Alles was ich in weiteren Blogs über die Bevölkerung gelesen hatte und mir dachte “nun, vielleicht erlebe ich davon ja auch Teile im Urlaub” haben sich bereits am ersten Tag übererfüllt. Vom Traktor-Transport, Kinder die neben mir her rennen oder mit dem Fahrrad nebenher fahren, Leute die mir Essen schenken und sich nach mir erkundigen, ich bin überwältigt. Schade finde ich es nicht ausführlich genug mit den Personen ins Gespräch kommen zu können was zu 100% an meinen fehlenden Russischkenntnissen liegt. Nun, aber andererseits würde ich dann vermutlich gar nicht mehr zum Fahren kommen. 😉

Nun Abends im Zelt sieht die Welt eigentlich wieder ganz gut aus, verschwunden sind die Strapazen des heutigen Tages, verschwunden ist das sicherlich 10-14 Mal erschienene Gefühl ich würde mich gleich übergeben müssen. (Was zum Glück nicht passierte.) Diese Etappe hat mir alles abverlangt, bei der Hitze so viele Höhenmeter leisten zu müssen bin ich nicht gewöhnt.

Nun, 1000 von den 1400 Höhenmetern sind geschafft, die 5 Kilometer bis zum Pass werden schon irgendwie klappen. und dann kommt eine 25 Kilometer Abfahrt ins nächste Tal und der versprochene Blick ins Panj-Tal soll phänomenal sein. Dann sollte es vom Profil her auch eher wellenförmig sein, es gibt also noch mehr als genug Höhenmeter, aber keine so krassen Anstiege mehr für die nächsten Tage.

Abends im Zelt fühlt sich auch der Körper wieder besser, ich habe keinen Sonnenbrand gekriegt und auch der Hintern tut nicht gar so weh. Wenn meine Beine jetzt noch die benötigte Power entwickeln würden…

Noch ein Wort zu den gesehenen Autos: wie schon berichtet sind die meisten Autos aus Deutschland, man sieht sowohl noch “Baby an Bord”-Sticker, “Ich bremse auch für Tiere”-, wie auch “Handwerksbetrieb Meier”-Aufkleber. Jedes dritte Auto hier ist ein Opel, was mich sehr verwunderte, ansonsten noch viele alte Mercedes. Witzig war ein Kühlwagen, auf dem auf der Motorhaube groß “Tajik Cool” mit stilisierten Eiswaffeln klebte, hinten auf der Ladefläche klebte aber formatfüllend das BoFrost-Logo. Dies setzt sich auch bei den T-Shirts weiter, ich habe in Duschanbe, dann aber auch in den kommenden Wochen dutzende Personen mit “Sanitär-Werkstatt Elbstätter” oder “We support our Veterans. 4th of July 2011”-Shirts gesehen. Vermute also große Teile unserer Altkleidersammlungen landen in Tadschikistan.

Auch ist die Straße wirklich eine Härteprüfung für die Autos, wann sieht man in Deutschland schon jemand einen platten Reifen wechseln müssen? Heute hingegen habe ich das bereits Dutzende Male beobachten können, auch LKWs die halb auseinander gebaut waren am Straßenrand, wo gerade 3 Personen unter der Motorhaube am Werkeln waren. Jeder ist hier Automechaniker, was auch nötig ist. Noch nie sind so viele Autos an mir vorbeigefahren die dank Fehlzündungen knallten und rauchten.

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Blick auf das heute geleistete

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Die heutige Campingstelle ist eindeutig die beste Lösung, hier oben am Berg fällt neben der Straße die Umgebung ziemlich steil ab, es ist also der einzige Ort wo ich ein Zelt aufstellen kann. Etwa 50 Meter von der Straße (wenn auch voll von der Straße einsehbar) habe ich hier ein schönes, flaches Plätzchen mit beeindruckenden Blicken ins Tal. Der Zeltaufbau dauerte ob der müden Knochen sicherlich 10 Minuten. Auf Abendessen hatte ich keinen Bock, habe mich trotzdem dazu überwunden Nudeln mit Konservenoliven zu kochen. Mehr als 5 Löffel kriege ich aber nicht rein, mal sehen ob ich nachher im Zelt mich noch dazu überreden kann ein paar Bissen zu essen. Notfalls habe ich eine Tupperdose dabei, dann wird es halt morgen zum Mittag gegessen.

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Abendstimmung

Nach dem Abendessen mache ich mich fertig fürs Bett, noch mal Zähne putzen in der Wiese und bei der Rückkehr wäre ich um ein Haar auf eine Schlange getreten die genau vor dem Zelt lag. Nach einem durch-und-durch männlichen Kreischer meinerseits, der in die Nacht entfliegt, bin ich die nächsten fünf Minuten beschäftigt die Schlange zu verjagen, die sich vor lauter Angst genau UNTER meinem Zelt versteckt hat. Dabei rast mein Gehirn auf Hochtouren, was sagte der Reiseführer noch mal über Schlangen hier in der Gegend? Giftig oder nicht giftig, ich weiß es einfach nicht mehr.

Es ist 21.30 Uhr als ich mich ins Zelt begebe und bettfertig bin. Einen Schlafsack brauche ich bei 25 Grad nicht, auch die Isomatte ist in den Momenten eher wenig hilfreich: Dadurch dass die zahlreiche reflektierende Folien drin hat, um im Winter die draufliegende Person zu wärmen fühlt es sich jetzt an, als ob ich auf einer Heizdecke liege, die über 30° C heiße Luft auf mich zurückwirft. Doch nach dem Erlebnis mit der Schlange ist pures auf-dem-Zeltboden-liegen leider keine Option.

Der Wecker für morgen steht auf 4:30 Uhr, in der Hoffnung so um 5.30 Uhr spätestens los zu kommen, wo es eher 20° C haben dürfte und der Verkehr geringer sein dürfte. Erstmal die 5 Kilometer zum Gipfel morgen, dann sehen wir weiter.