[Tag 23] Osch

30. Juli 2019:

TES Guesthouse – Impressionen

Der Tag beginnt wieder mit einem entspannten Frühstück. Heute sitze ich mit den zwei deutschen Motorradfahrern zusammen, die ich vorgestern bei meiner Abfahrt nach Osch auf der Straße getroffen habe. Sie hatten an einem Motorrad eine defekte Benzinpumpe, sind also nach Osch zurückgekehrt und haben den letzten Tag in einer Werkstatt verbracht. Nun sitzen sie hier im Hostel und warten bis DHL Express eine Lieferung von Bayern nach Kirgistan bringt, damit sie das Ersatzteil einbauen können. Sie erzählen mir mehr von ihrer Reise und ihren Plänen. Sie haben ihre Motorräder per Spedition in die Mongolei bringen lassen, sind also bisher die ersten motorbetriebenen Reisenden, mit denen ich spreche, die nicht an der eigenen Haustür gestartet sind. Nach dem Pamir wollen sie nach Turkmenistan und dann in den Iran. Für Turkmenistan kriegt man wohl nur ein Transitvisum, muss also schnell durchreisen. Dann wird man an der turkmenischen Grenze ausgestempelt und steht an der iranischen Grenze und wartet auf Einlass. Und hier kommt ein Problem ins Spiel, von dem mir bereits viele Motorradreisende erzählt haben: In Iran ist offiziell die Einreise mit dem Motorrad nur bis 250 Kubik Motorgröße erlaubt. Lange wurde das wohl ziemlich lasch gehandhabt, nun hat man aber die Daumenschrauben angezogen. Die iranische Grenzkontrolle hat wohl verstanden, dass die Reisenden ihnen vollkommen ausgeliefert sind, dank ausgestempelten turkmenischen Visums kommen die Reisenden nicht wieder zurück. Vermutlich wird also eine Menge Schmiergeld an der iranischen Grenze fällig. Und wenn das nicht klappt und man wirklich zurückgeschickt wird, dann hat man wohl einen ganzen Haufen Probleme an der turkmenischen Grenze, um wieder ein Visum beantragen zu können. Ist ja jetzt auch nicht das freiheitlich-demokratischste Land auf diesem Planeten (Siehe dazu diesen genialen Beitrag von Last Week Tonight zum autokratischen Herrscher in Turkmenistan). Auf jeden Fall bleibt der Rückweg nach Europa also spannend für diese beiden Biker, ich drücke die Daumen dass es schnell klappt mit der Benzinpumpe.

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Erste Aufbrüche am Morgen, es geht gen Pamir!

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Ebenfalls treffe ich beim Frühstück die beiden Mountainbike-Fahrer*innen, die ich an der Abbiegung M41/Wakhan getroffen habe, die mit einem Begleitfahrzeug unterwegs waren und mich damals zu ihrem luxuriösen Mittagessen eingeladen haben. Das ist jetzt bereits über 10 Tage her, sie waren in der Zwischenzeit mit dem Auto am Pik Lenin Basecamp, dort wandern und haben jetzt auch ihre Radtour hier beendet. Sie erzählen mir, dass am Pik Lenin gerade die Vorbereitungen für einen Marathon laufen. Zwar läuft man keine 42 Kilometer, laut Website (www.lenin-race.com/marathon#) aber in Rekordzeit auf den Gipfel. Rennen bei über 7000m Höhe, was für irre Menschen!

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Don’t Dead, open inside? 😉
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Der deutsche TÜV bekäme vermutlich einen Herzinfarkt!

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Flaniermeile

Mit meiner Bekanntschaft Wolfgang (war vorgestern mit ihm Abendessen) geht es anschließend auf den Markt. Dieser ist über einen Kilometer lang, dabei sind die Bilder an den winzigen Containermarkt in Murghab noch frisch im Gedächtnis. Zuerst kommen endlose Stände mit Klamotten, alles billigste China-Ware.

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Gruselig…

Doch anschließend kommen wir zu einem Bereich, wo das örtliche Metallhandwerk ansässig ist. Diese nutzen mehrheitlich Betonstahl-Stäbe, um daraus sowohl Hufeisen, aber auch Messer und sogar landwirtschaftliche Utensilien (Sensen etc.) herzustellen. Beeindruckend, mit welcher Präzision und Geschwindigkeit sie dies anfertigen. Beneiden tu ich sie nicht um den Job, in ihren winzigen Läden bollert die Esse, und das bei über 35°C Außentemperatur.

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Alles wird aus Betonstahl gefertigt.

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Was mich danach fasziniert sind 20 Stände, die sich mit Fahrrädern beschäftigen. Diese haben sowohl fertige, neue Räder (zumeist günstige Stadträder aus chinesischer Herstellung), aber auch gebrauchte Mountainbikes älteren Jahrgangs. Und an jedem Stand finden sich kistenweise, tausendfach verschiedene Fahrradgegenstände. Hunderte Fahrradklingeln, Lichter, Speichen, Fahrradreifen usw. Alles billigste China-Qualität, trotzdem beeindruckend, da ich in ganz Tadschikistan kein Fahrrad-Zubehör gesehen habe.

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Mir wird auf solchen Märkten immer ein wenig schummrig. Klar, in Deutschland existiert ein gigantisches Warenangebot, es ist aber aufgeteilt auf hunderte, tausende Supermärkte und Läden. Wenn man hier plötzlich auf 20 Quadratmeter mehrere tausend Fahrradklingeln sieht, wird mir erst bewusst, wie viele dieser Güter weltweit im Umlauf sein müssen, wie viele Ressourcen dafür verwendet werden diese herzustellen und in die Welt zu verschiffen. Klar, an sich weiß ich das auch, aber bei solchen Gelegenheit trifft mich die Erkenntnis besonders.

Doch die Radfahrenden die ich nun im Hostel kennengelernt habe wollen, wie gestern erwähnt, lieber mein Rad in Einzelteilen kaufen, als das sie hier auf dem Markt China-Gegenstände kaufen, die in 1000 Kilometer wieder zerbröseln. Würde ich mit einem Overlander-Wohnwagen herfahren, ich glaube ich würde in Europa eine Kiste mit Fahrradersatzteilen einladen. Damit könnte man vermutlich den Sprit bis nach China finanzieren 😉

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Ich hätte diese Flagge kaufen sollen…

Ich suche bereits auf dem ganzen Markt nach einer kleinen kirgisischen Flagge, die ich daheim an die Wand hängen will. Doch bisher gibt es nur welche mit mehr als einem Meter Größe. Ich entdecke schließlich in einem kleinen Laden in einer Seitengasse einen kleinen Ständer auf dem Schreibtisch, der zwei kirgisische Flaggen hält. Der Angestellte versteht wenig bis kein Englisch, durch viel deuten versteht er aber wohl schnell was ich will. Er überreicht mir dann gleich den ganzen Fahnenständer. Da kann ich abwinken und schaffe es, eine einzelne Flagge davon zu entfernen. Doch als ich dann den Geldbeutel aus der Tasche hole, besteht er energisch darauf, dass er kein Geld will. Ich versuche es mehrmals, er ist nahezu empört das ich dafür zahlen will. Ich fühle mich unglaublich schlecht. Da bin ich in seinen Laden gekommen, habe seine Tischdeko zerpflückt und nun nimmt er kein Geld an. Ich würde ihm ja gerne etwas anderes abkaufen, leider verkauft dieses Geschäft nur Fensterrollos, die kriege ich wohl kaum im Flieger transportiert. Rückblickend ärgere ich mich, dass ich nicht in einen nahen Kiosk gegangen bin und zumindest ein paar Flaschen Cola und Schokolade gekauft habe als fairer Tausch, die Idee fiel mir allerdings erst später ein. So schlecht ich mich dabei fühle, ich spürte eine gewisse Form des Stolzes beim Ladenbesitzer. Das jetzt ausgerechnet ein Tourist eine kirgisische Flagge will, das scheint ihn zu freuen. Nun habe ich es nicht so mit Nationalstolz und Patriotismus, kann es in seinem Fall aber nachvollziehen. Glücklich, verdattert und leicht beschämt dass ich einen Ladenbesitzer so “bestohlen” habe, ziehe ich weiter.

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Auf dem Markt gibt es noch einen größeren Abschnitt mit Lebensmittelständen. Ich kaufe noch guten Honig für daheim (die Biene soll mich nicht umsonst gestochen haben), dies wird standesgemäß in alten Coca Cola Flaschen verkauft. Die Lebensmittelbereiche sind auf alle Fälle gewöhnungsbedürftig, an aufgehängten Fleischstücken ohne Kühltheke werde ich mich vermutlich nie gewöhnen können. Angenehm an diesem ganzen Markt ist, dass ich in Ruhe gelassen werde. Anders als ich es aus Nordafrika oder Israel kenne, versucht dich nicht jede_r an seinen_ihren Stand zu zerren, sondern man kann in Ruhe bummeln und auch mal was anschauen, ohne das gleich die große Verkaufsschiene einsetzt.

Anschließend geht es erneut zum Café Brio, für mich gibt’s erneut einen Burger, danach schlagen wir uns zum Hostel zurück, es ist einfach zu heiß. Wir sind mittags wieder am Hostel, alle Traveller dort liegen im Schatten oder unter der Klimaanlage. Ich tue es ihnen gleich, denn bis 17 Uhr ist an ein Verweilen in der Sonne nicht mal zu denken.

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Rumliegen im kühlen Zimmer

Als es wieder ein bisschen abgekühlt ist, geht es zum Wahrzeichen Oschs, den ich bereits in einzelnen Fotos der vergangenen Tage gezeigt habe: Dem Suleiman-Too – Berg in der Stadtmitte.

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Der 1100m hohe Berg ist das erste kirgisische Weltkulturerbe und hat allerlei Kultstätten in verschiedenen Höhlen am Berg. Man hat Petroglyphen (Felsritzungen) gefunden, die wohl bis zur mittleren Bronzezeit sich zurückverfolgen lassen. Von den 17 Kultstätten sind noch einige heute im Gebrauch bei der Bevölkerung, Besuche helfen gegen Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Unfruchtbarkeit.
Es vermischen sich hier am Berg verschiedene Glaubenssysteme. So soll in vorislamischer Zeit ein Herrscher der indischen Moguldynastie erst hier Zeit verbracht haben, bevor er aufbrach um Indien zu erobern.
Der muslimische Narrativ ist, dass hier Salomo, laut Bibel der König der Juden, laut Koran ein Prophet am Fuße des Berges begraben liegt.
Allerlei spannende Geschichte, verbunden mit einem wunderschönen Ausblick.
(Quelle: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Suleiman-Too )

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Unten noch ein Friedhof

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Kommen oben die spannenden Felshöhlen.

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Nun, diese “Petroglyphen” scheinen alle moderner zu sein… 😉
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Der Ausblick ist aber schick

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Der Anstieg ist schweißtreibend bei den Temperaturen, doch die Befriedigung als ich oben ankomme dafür umso größer. Auch wenn der Berg nur hundert Meter über die Stadt herausragt, der Ausblick ist phänomenal. Ich kann die Stadt zu 360° überblicken und merke erst, wie viel davon ich noch nicht gesehen habe. Meine Erkundungsspaziergänge der letzten beiden Tage haben mir vielleicht 2% der Stadt im Umkreis meines Hostels gezeigt, die Stadt erstreckt sich jedoch fast bis zum Horizont.

[Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders die Panoramen)]

So fotografiere ich dort oben viele verschiedene Ausblicke und sitze mit dem Kindle am Gipfel und warte bis die Sonne sich auf ihren Untergang vorbereitet.

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[Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

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[Ein Klick auf obige Bilder vergrößert sie! (Besonders das Panorama)]

Leider habe ich die Zeit unterschätzt, die ich zum Fuße des Berges brauchen würde. Es warten hunderte Stufen auf mich, zudem ist der Berg gut besucht, ich darf mich also an zahlreichen Familien vorbeischlängeln. Auf dem Weg nach unten komme ich noch an einer Moschee auf dem Suleiman-Too vorbei.

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Ab zur Moschee

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Blick zurück
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Der Abstieg enthält ein gutes Workout!

Als ich es endlich vom Berg runtergeschafft habe, eile ich wieder zum Borsok-Restaurant, diesmal eine andere Filiale. Der Grund für die ganze Eile? Ich bin heute Abend verabredet. Über die Facebookgruppe “Cycling Pamir Highway” bin ich mit einem Pärchen aus der Schweiz und China in Kontakt gekommen, die heute erst aus der Schweiz eingeflogen sind und hier die Tour in Richtung Pamir starten wollen. Wir hatten Kontakt, da ich ihren Fahrradkarton für meine Rückreise verwenden will. Den haben sie direkt am Flughafen gelassen, ich muss also darauf hoffen, dass ich ihn dort noch vorfinde, denn sie sind heute früh bereits um 5 Uhr am Flughafen angekommen. Wir nutzen das Essen so für einen zwanglosen Austausch und ich kann ihnen ein paar Erfahrungen über meine Reise mit auf den Weg geben. So quatschen Felix, Yang und ich noch ziemlich lange.

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“Und dann geht es da hoch und hier runter und dann nach links…”

Aanschließend mache ich mich auf den Rückweg zum Hostel, um dort noch meine letzten Sachen zusammenzuklauben und noch ein wenig mit Moritz, Flo und Wolfgang zu quatschen.

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Langsam bin ich abmarschbereit…

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